Die gleichnamige Hauptstadt des
Gouvernements (im
Mittelalter Dschitarchan und Ginterchan) liegt unter
41° 39' nördl.
Br. und 42° 58' östl. L. v. Gr., zwischen den Mündungsarmen
der
Wolga, 66 km von deren Mündung, auf der hügeligen Wolgainsel Seitza, von
Obst- und Weingärten umgeben, und ist eine
der reichsten und größten
Städte Rußlands. Sie besteht aus der
Festung
[* 8]
(Kreml), der
Weißen Stadt (Beloigorod) und 16 Vorstädten
(Sloboden); aber nur der
Kreml und die
Weiße Stadt haben
Steinhäuser, die
Sloboden, von denen die kasanische, sibirische und
tatarische die größten sind, enthalten nur hölzerne Gebäude und unregelmäßige, kotige und ungepflasterte
Straßen.
Mittendurch zieht sich der
Länge nach ein
Kanal,
[* 9] welcher den Wolgaarm Kutum mit derWolga verbindet. Die
Stadt hat 37 griechische, 2 katholische, 1 protestantische und 4 armenische
Kirchen, 15
Moscheen und eine lamaitische
Pagode.
Die schönste
Kirche ist die auf dem höchsten
Hügel im
Kreml befindliche
Kathedrale mit fünf
Kuppeln, 1696 unter
Peter d. Gr.
erbaut. Wissenschaftliche Anstalten sind 1 Priesterseminar, 2 Kreisschulen, 1
Gymnasium, 1 armenische
Schule und zahlreiche andre Unterrichtsanstalten, 1 botanischer
Garten
[* 10] und 1 Gouvernementsbibliothek.
GroßeMessen versammeln viele
Tausende von
Menschen, und drei große
Bazare oder
Chane sind nach asiatischer
Art für die vornehmsten
Handelsgeschäfte bestimmt. Die Hauptartikel der Einfuhr sind Rohbaumwolle,Früchte und
Fische, die
der AusfuhrWoll- und Baumwollwaren, unbearbeitete
Metalle, Metallwaren und Thongeschirre. Der
Wert derEinfuhr belief sich 1881 auf 3 Mill.,
der der Ausfuhr auf 2,6 Mill.
Rub. Auch die
Industrie ist beträchtlich; sie erstreckt sich auf
Schiffbau,
Färberei, Seidenmanufaktur, Chagrinbereitung (aus den harten Rückenstücken von Pferdehäuten), Talgschmelzerei, Thransiederei,
Seifenfabrikation
(sogen. tatarische
Seife aus Seehundsthran) etc. Von außerordentlichem Belang ist der Fischfang.
Die hiesigen
Fischereien, nächst denen von
Neufundland die größten derWelt, werden von der
Krone verpachtet,
beschäftigen viele
Tausende von
Menschen und liefern im
Durchschnitt jährlich über 100,000
Hausen, 300,000
Störe (für Kaviarbereitung
ist der wichtigste
Ort Rußlands), 1½ Mill. Serugen und eine ungeheure
Menge kleinerer
Fische; auch der
Robbenschlag ist sehr
bedeutend. Astrachan ist Sitz eines griechisch-katholischen und eines armenischen
Erzbischofs und einer lamaitischen
geistlichen Vorsteherschaft, ferner Sitz der
Admiralität, welcher die Kaspiflotte, die Schiffswerfte und das kaiserliche
Kontor der
Fischerei
[* 15] unterstellt sind. In der
Nähe der Stadt ziehen die
Tataren viele und vorzügliche Küchengewächse und
Obst, namentlich Weintrauben,
Melonen und
Arbusen; die
Trauben von Astrachan sind berühmt und werden durch ganz
Rußland versandt.
Astrachan wird von arabischen Schriftstellern unter dem
Namen Torgichan schon frühzeitig erwähnt und war im 13. und 14. Jahrh.
ein Sammelplatz indischer
Waren. Der tatarische Eroberer
Timur zerstörte die Stadt 1395; aber schon 1475 taucht sie wieder
als ein auch von
Russen stark besuchter wichtiger Handelsplatz auf, und 1485 wurde sie Sitz eines tatarischen
Chans. Im J. 1554 eroberte der
ZarIwan Wasiljewitsch IV. es brach indessen gleich darauf ein
Aufstand aus, und Astrachan mußte 1557 zum
zweitenmal endgültig erobert werden und bildete fortan die Hauptstadt des Zartums Astrachan, welches die jetzigen
Gouvernements Astrachan,
Samara,
Orenburg,
Saratow und
Stawropol umfaßte. Im 17. Jahrh. war Astrachan vielfach den Eroberungszügen
mancher Rebellenscharen ausgesetzt. So zogen die aufrührerischen
Kosaken 1670 unter Stenka
(Stephan) Razin vor Astrachan; mit 2600
Strelitzen
und 50
Feldstücken zog ihnen der
Gouverneur entgegen.
Doch gingen die
Strelitzen zu den Aufrührern über, und die
Thore der Stadt wurden durch
Verrat geöffnet.
Bei seinem Einzug verfuhr Stenka grausam gegen die russischen Beamten, verließ aber die Stadt wieder und wurde
bald darauf ergriffen und hingerichtet. Im J. 1693 ward die Stadt von einer
Pest heimgesucht. Im J. 1705 hatte
Peter d. Gr.
hier einen
Aufstand zu bekämpfen, welcher vornehmlich von den Sektierern
(Raskolniken) ausging.
Katharina
II. gewährte jedem
Fremden, der sich in Astrachan selbst oder in dessen Gebiet niederlassen und
Fabriken errichten würde, eine 30jährige
Abgaben- und vollkommene
Gewerbefreiheit, wodurch Astrachan schnell wuchs.
[* 1] (griech.), eigentlich ein
Knöchel aus der
Ferse von
Tieren, dergleichen man sich im
Altertum
anstatt der
Würfel zu
Spielen bediente, wie aus vielen antiken Kunstwerken
(»Knöchelspielerin«) zu ersehen ist; daher auch
Astragalomantie, Wahrsagung aus
Würfeln. - In der
Baukunst
[* 16] ist Astragalus ein kleines, halbrund profiliertes, glattes
[* 1]
(Fig. 1) oder
als Perlschnur
[* 1]
(Fig. 2) ausgebildetes
Glied
[* 17] (auch
Reif oder
Ring genannt), das als
Saum und Anhang größerer
Glieder
[* 18] und als Abgrenzung einzelner horizontal übereinander liegender Bauglieder dient. Der Astragalus tritt,
als Perlenkette, namentlich an den
Halsringen der ionischen
Säule auf, wo er als Heftschnur des darüber befindlichen doppelten
Blattkranzes
(Echinus)
[* 19] erscheint;
nächstdem bei dem ionischen und korinthischen Gebälk, überhaupt bei geradlinig fortlaufenden Gesimsen der Renaissance. -
In der Anatomie ist Astragalus Name des Sprungbeins (talus), s. Bein und Fuß.
Die Hülse
[* 22] ist sitzend oder gestielt, von sehr verschiedener Form. Die zahlreichen Arten sind besonders
im Orient, dem russischen Asien
[* 23] und Himalaja vertreten. Mehrere Arten, wie Astragalusadscendens Boiss. et Haussk.
in Südpersien, Astragalus leiocladosBoiss. und Astragalus brachycalyxFisch. im mittlern und westlichen Persien, AstragalusgummiferLab. in Kleinasien,
Astragalus pycnocladus Boiss. et Haussk.
in Westpersien, Astragalus verusOl. in Nordwestpersien und Kleinasien, liefern Tragant. AstragalusglycyphyllosL. (wildes
Süßholz), mit niederliegendem oder aufsteigendem, angedrückt flaumigem oder fast kahlem Stamm, fünf- bis sechspaarig gefiederten
Blättern und achselständigen, blaßgelben Blüten in eiförmig-länglicher Ähre, wächst im Gebüsch und auf Bergwiesen
in Europa
[* 24] und Nordasien und wird hier und da in Deutschland
[* 25] als Futterpflanze angebaut. AstragalusbaeticusL.
(Kaffeewicke), eine einjährige Pflanze mit niederliegendem, weichhaarigem Stengel und gelblichen Blüten, ist in Spanien,
[* 26] Portugal,
Sizilien,
[* 27] Taurien einheimisch.
nach den Neuplatonikern, Paracelsus und andern Theosophen ein feiner, leichter, in dem sichtbaren Leib
des Menschen, dem gewöhnlichen Auge
[* 34] unsichtbar, enthaltener Organismus, das unmittelbarste Vehikel oder Gewand der
menschlichen Seele und der Geister höhern Ranges, das nach dem Tod noch eine Zeitlang fortdauert, aber zuletzt sich auch auflöst.
Die Annahme von Astralkörpern ist identisch mit der in Indien heimischen Lehre
[* 35] von dem Seelenleib, welche sich auf den Satz
basiert: der beschränkte Geist könne nur in einem Leib existierend, d. h. auch nur räumlich
fixiert, gedacht werden.
(Astralschein), der Lichtschimmer zwischen
den Sternen der Milchstraße, welcher, wenngleich viel schwächer,
in sternhellen Nächten auch am ganzen übrigen Himmel wahrgenommen wird und wahrscheinlich von dem Licht
[* 36] unzähliger Fixsterne
[* 37] herrührt, die von der Erde zu weit entfernt sind, als daß man sie einzeln wahrnehmen könnte.
L. (Astrantie, Sterndolde, Thalstern), Gattung aus der Familie der Umbelliferen
[* 38] ausdauernde Kräuter mit langgestielten,
handförmig gelappten oder geteilten, meist grundständigen Blättern, in Trugdolden gestellten Döldchen, großen, sternförmigen,
vielblätterigen, gefärbten Hüllchen und der Quere nach faltig gekräuselten Rippen auf den Früchten.
Wenige europäische und westasiatische Arten. Astrantia majorL. (schwarze Meisterwurz), mit fünfteiligen Wurzelblättern und unregelmäßiger,
weißer oder rosenroter Dolde, kommt in Gebirgswäldern im mittlern Europa, vorzüglich in der Voralpenregion, vor. Die widrig
riechende, scharf und bitter schmeckende Wurzel
[* 39] wirkt purgierend und war früher offizinell. Astrantia minorL. auf den Alpen,
[* 40] Astrantia helleborifoliaSalisb. auf dem Kaukasus und Astrantia intermediaBieb. werden wie die erstgenannte Art als Zierpflanzen
kultiviert.
Astrapaea WallichiiLodd., ein mittelhoher Baum in Ostindien,
[* 43] mit
dicken, filzigen Ästen, großen, gestielten, herzförmigen, langgespitzten, unten filzigen Blättern
und hängenden, scharlachroten Blüten, wird in Warmhäusern kultiviert.
(dünnschnäbelige Prachtfinken, Astrilda), Vögelgruppe aus der Ordnung der Sperlingsvögel,
[* 44] der Familie der
Webervögel (Ploceïdae) und der Unterfamilie der Prachtfinken (Spermestinae), schlank gebaute, kleine, mehr oder weniger kurzschwänzige
und kurzflügelige Vögel
[* 45] mit mehr oder weniger gestrecktem Schnabel und bei den verschiedenen Geschlechten
zuweilen ungleich gefärbtem Gefieder, leben in Afrika,
[* 46] Südasien und Australien,
[* 47] vorzugsweise in mit Gras und Buschwerk bewachsenen
Ebenen, zum Teil in Dörfern und selbst in Städten, meist in zahlreichen Gesellschaften, fressen Grassamen und Kerbtiere und
brüten zu Anfang des Frühlings ihrer Heimatsländer; sie bauen ein ziemlich kunstreiches, überwölbtes,
mit seitlichem Eingang versehenes Nest und legen 4-7 kleine, weiße Eier,
[* 48] welche sie etwa 13 Tage bebrüten.
Die Jungen verlassen in 3-4 Wochen das Nest und sind in wenigen Tagen selbständig. Die Astrilds werden seit dem vorigen Jahrhundert
in immer zunehmender Zahl nach Europa gebracht und sind sehr beliebte Stubenvögel.
[* 49] Sie übertreffen die
verwandten Amadinen (s. d.) an Anmut der Gestalt und Bewegung, erfordern zwar eine sorgsamere Pflege, sind aber bei einer solchen
kaum weniger ausdauernd und brüten noch leichter. Sie sind sehr gesellig und verträglich, lebhafter als die Amadinen und
meist hübsch gefärbt. Sie singen nicht, doch geben manche, wie der Tigerfink, einige angenehme Töne
von sich; bezeichnend sind ihre Liebestänze. Man füttert sie wie die Amadinen, gibt aber reichlicher tierische Nahrung.
¶
im tropischen Westafrika, eingebürgert auf Madagaskar,
[* 51] auf den Maskarenen und auf St. Helena der häufigste Landvogel, sehr
beliebt, aber weichlicher;
das Orangebäckchen(H. MelpodaVieill.), in Westafrika, sehr schön, äußerst
zierlich, ausdauernd;
der Amarant (Blutfink, Karminastrild, PyteliaminimaVieill.), in Mittelafrika, nistet
wie unser Sperling in den Hütten
[* 52] der Eingebornen, sehr schön, ruhig, zutraulich, ausdauernd, brütet leicht;
der Rotbürzel
(grauer Schönbürzel, P. coerulescensVieill.), in Westafrika, prachtvoll, sehr beweglich und zierlich, zart;
Mehrfach sind in Vogelstuben Bastarde von Astrilds gezüchtet worden, so vom Grauastrild und Helenafasänchen, Grauastrild
und Orangebäckchen, Helenafasänchen und Schmetterlingsfink etc.
Das Wesentliche seiner Einrichtung besteht darin, daß, wenn man mittels eines Stifts einen Stern auf dem
Globus fixiert, ein oder mehrere parallele Lineale auf die Stelle des Sterns am Himmel hinweisen. In vollkommnerer Weise leistet
dies das von Böhm (gest. 1868) erfundene Uranoskop.
ein astronom. Instrument, dessen sich Hipparch zuerst bediente, um Länge und Breite
[* 58] der
Gestirne zu bestimmen. Es war nicht wesentlich verschieden von der Armillarsphäre
[* 59] (s. d.). Wenn man den Kreis a derselben (vgl.
die
[* 50]
Figur) in die Kolur der Solstitien, b in die Ebene der Ekliptik stellt und den doppelten Kreisc um die
Achse der Ekliptik drehbar macht, so hat man das von Ptolemäos beschriebene Astrolabium. Von den beiden Kreisen c wurde der eine zur Orientierung
des Instruments auf einen bekannten Stern eingestellt; die am andern Kreis befindlichen Visiere aber dienten zum Einvisieren
des zu beobachtenden Sterns, worauf man auf diesem Kreis die Breite und auf b die Längendifferenz ablas.
Bei den Seefahrern späterer Zeit war das Astrolabium ein Winkelmeßinstrument, bestehend aus einem in halbe und Viertelgrade
etc. eingeteilten Vollkreis (ganzes Astrolabium), oder Halbkreis (halbes Astrolabium), oder Viertelkreis (Quadrant), oder Sechstelkreis (Sextant),
[* 60] oder Achtelkreis (Oktant), um dessen Mittelpunkt ein Diopterlineal (Alhidadenregel) mit zwei Dioptern an den
Enden oder in späterer Zeit ein Fernrohr
[* 61] mit Alhidade drehbar war. An einem Ring wurde das Ganze vertikal aufgehängt und zur
Bestimmung der Sonnenhöhen benutzt. Obwohl schon frühzeitig durch den Jakobsstab
[* 62] (s. d.) verdrängt, blieb das Astrolabium doch bis
ins vorige Jahrhundert im Gebrauch.
im Sprachgebrauch der Griechen und Römer
[* 64] s. v. w. Astronomie,
[* 65] nach jetzigem Sprachgebrauch
die Kunst, aus dem Lauf und der Stellung der Gestirne das Zukünftige, besonders das Schicksal der Menschen, vorherzusagen. Die
Astrologie hat sich von der Thalebene Mesopotamiens aus weiter verbreitet, deren frühste Bewohner, die Akkadier,
ihr schon huldigten. Nach Europa kam sie durch Vermittelung der Chaldäer, bei denen sie innig zusammenhing mit dem Gestirndienst.
Deshalb werden auch die Sterndeuter später von den römischen Schriftstellern Chaldäer genannt. Die Ägypter setzten die
Astrologie früh in Beziehung zur Medizin, und ihre Prognostik beruhte besonders auf der Lehre von der Konstellation.
In Griechenland
[* 66] scheinen die Astrologen von seiten des Staats nie behindert worden zu sein. Selbst Platon wird als Freund der
Astrologie genannt; die Aristoteliker aber erklärten sich gegen sie. Einen fruchtbaren Boden fand sie bei den Stoikern, mit
deren fatalistischer Weltansicht sie harmonierte. Von den
¶
mehr
griechischen Ärzten suchten die bessern nur insofern von der Astrologie Gebrauch zu machen, als sich ein bestimmtes Kausalverhältnis
zwischen gewissen himmlischen Phänomenen und gewissen terrestrischen Vorgängen wahrnehmen ließ. Besonders pflegte man Krankheitsveränderungen
von der Konstellation des Mondes und der Planeten
[* 68] abhängig zu denken. Nächst der Sonne
[* 69] und den Planeten räumte
man den zwölf Zeichen des Tierkreises die erste Stelle ein. In Rom
[* 70] fand die chaldäische Wissenschaft trotz des vielen Widerstandes,
der ihr entgegengestellt wurde, unter der Masse der Ungebildeten zahlreiche gläubige Anhänger, während die Gebildeten,
wie es scheint, sich meist ablehnend dagegen verhielten.
Sie wurde hier gewöhnlich als Mathesis bezeichnet, und die Sterndeuter hießen Chaldaei, Babylonii, mathematici,
genethliaci oder planetarii. Aus den Zeiten der Republik wird als angesehener Astrolog Lucius Tarutius Firmanus erwähnt, der
auf Veranlassung seines FreundesVarro (116-28 v. Chr.) den genauen Zeitpunkt der ErbauungRoms auf astrologischem Weg zu bestimmen
versuchte. Sein Zeitgenosse Cicero dagegen führt in seiner Schrift »De divinatione« gegen die Astrologie eine ReiheGründe auf; er weist z. B. auf die große Verschiedenheit des Charakters und Schicksals derjenigen Menschen hin, welche sämtlich
in demselben Augenblick geboren werden; er thut an dem Beispiel des Pompejus, Crassus und Cäsar, denen die Astrologen ein glorreiches
Alter und einen ruhigen Tod verkündigt hatten, das Unsichere solcher Prophezeiungen dar.
Ebenso erklären sich der ältere Plinius und Tacitus gegen die Astrologie Seneca dagegen nimmt den Einfluß der Planeten auf die Menschen
für ausgemacht an. Die meisten römischen Kaiser, selbst die, welche die Astrologen vertrieben, wie Tiberius, standen unter
dem Bann der Astrologie. Noch stärker beeinflußte der Glaube an die Astrologie die tiefsinnigen, aber unklaren Gemüter
der spätern philosophischen Mystiker von Alexandria, Athen
[* 71] und Rom. Eine Abhandlung des Neuplatonikers Proklos über Astrologie entwirft
uns von dem Treiben der Astrologen jener Zeit ein sprechendes Bild, und aus dem 4. Jahrh. n. Chr. ist uns das
ausführlichste Werk über Astrologie aus dem Altertum: »AchtBücherAstronomie« von Maternus Firmicus, erhalten.
Auch Augustin, obwohl in der Jugend der Astrologie zugethan, war später entschiedener Gegner derselben. Der Codex
Justinianeus setzte die Sterndeuterei sogar der Giftmischerei gleich. Eifrig wurde dagegen die von den Arabern und jüdischen
Kabbalisten gepflegt, zu einer Art von System ausgebildet und in die christliche Welt des Mittelalters verpflanzt. Abu Maschar
(Albumasar) aus Bath inChorasan (9. Jahrh.), einer der größten Astronomen, hinterließ ein astrologisches Werk:
»De magnis conjunctionibus, annorum revolutionibus ac earum perfectionibus«, das viele Jahrhunderte auch in Europa in hohem
Ansehen stand.
Aboazen Haly erlangte im 13. Jahrh. durch sein Werk »De judiciis astrorum« klassisches Ansehen
und veranlaßte wahrscheinlich
die Einteilung der Wissenschaft in Judizial- und natürliche Astrologie. Seit dieser Zeit gewann die Astrologie auch unter
den christlichen Völkern großes Ansehen. Ihre Glanzperioden sind das 14. und 15. Jahrh. Oft regierten die Hofastrologen
ganze Reiche. Der Einfluß der Gestirne war auf das genaueste definiert; die spätern Astrologen kopierten, kommentierten
und erläuterten nur die Werke ihrer Vorgänger.
Obwohl schon zu Ende des 15. Jahrh. SavonarolaundPico della Mirandola sowie später Voß, Bardelon und der Astronom Sturm die
Astrologie bekämpften, so errang diese doch noch im 16. und 17. Jahrh., so in Frankreich unter Katharina von Medici und unter Heinrich
III. und IV., noch einzelne Triumphe. Am berühmtesten war damals MichaelNostradamus (Notredame), der, meist in völliger Abgeschiedenheit
zu Salon in Frankreich lebend, von da seine gereimten Prophezeiungen zu Hunderten in die Welt schickte, bis ihn Karl IX. zu seinem
Leibarzt erhob.
Von Rom aus wurden die Prophezeiungen des Nostradamus verboten, weil er auch den Untergang des Papsttums verkündigt
hatte. Während mehrere Päpste die Astrologie mit dem Bann belegten, ward sie öfters von den höchsten kirchlichen Würdenträgern
gepflegt. So wurde 1623 der KardinalBarberiniPapst, indem er die astrologische Berechnung verkündigte, daß der neue Papst
nicht sechs Wochen leben werde. Auch die protestantischen Theologen waren keineswegs frei von astrologischem
Wahn. Melanchthon hielt viel von Astrologie und trieb sie selbst, wenn auch mit wenig Glück. Am meisten aber galt die in England unter
den Stuarts. Der Dichter Dryden (gest. 1701) ließ noch für seine Kinder die Nativität stellen.
Paracelsus und Cardanus (»Encomium astrologiae«) brachten die Astrologie mit der Medizin und Chemie in Verbindung.
Paracelsus nahm im Weltall verschiedene von den Planeten abhängige Oszillationen an, denen im Mikrokosmus des Menschen sieben
verschiedene Arten des Pulses entsprechen sollten. Selbst Tycho Brahe und Kepler entsagten der Astrologie nicht ganz, und letzterer erwarb
sich dadurch WallensteinsGunst, dem er 1629 in Sagan
[* 72] sein hohes Glück verkündigt haben soll. Obwohl Kepler
die Schwächen der Astrologie einsah, wollte er doch einen gewissen Zusammenhang zwischen den Konstellationen der Planeten und den Eigenschaften
der unter solchen gebornen Menschen nicht geradezu in Abrede stellen. Das kopernikanische System aber, durch
welches die Erde zum Punkt im Weltenraum herabsank, gab der den Todesstoß. Zwar warfen sich noch manche zur Verteidigung derselben
auf, so namentlich Bapt. Morin (1583-1656), dessen »Astrologia gallica« das Resultat einer 30jährigen Arbeit war. Mit ihm aber
ward die Astrologie im Abendland zu Grabe getragen. Einer ihrer letzten Anhänger war J. W. ^[JohannWilhelm] Pfaff,
dessen »Astrologie« (Bamb. 1816) und
»Der Stern der drei Weisen« (das. 1821) als seltsame Anachronismen zu nennen sind. Im Orient aber, namentlich in Persien, Indien
und China,
[* 73] steht die Astrologie noch heutzutage in hohem Ansehen.
Die Astrologie, als System im Mittelalter ausgebildet, wird in die natürliche und positive oder Judizialastrologie
eingeteilt. Die natürliche prophezeit die natürlichen Wirkungen natürlicher Ursachen, z. B. den Witterungswechsel, Wind,
Sturm, Orkan, Donner, Fluten, Erdbeben,
[* 74] ist also nichts als eine phantastische Meteorologie. Die positive Astrologie hat es dagegen mit
der Herrschaft der Sterne über unser Schicksal zu thun. Das Verfahren bei ihrer Ausübung besteht wesentlich
in folgendem: Wenn der Astrolog einem Menschen die Nativität stellen, d. h.
¶
mehr
sein Schicksal vorhersagen will, so sucht er zuerst für die Zeit seiner Geburt nach dem Horoskop
[* 76] oder nach dem Punkte der Ekliptik,
der im Augenblick der Geburt dieses Menschen eben aufging, die zwölf Häuser des Himmels auf (s. Figur). Diese werden nämlich
durch die zwölf Positionskreise bestimmt, welche als die größten Kreise der Sphäre den Äquator in zwölf
gleiche Teile teilen und durch den nördlichen und südlichen Durchschnitt des Horizonts mit dem Meridian gehen, während der
Positionsbogen in der den zwischen dem Positionskreis und dem Meridian enthaltenen Teil des Äquators bildet.
Außerdem sind der Kopf und der Schwanz des Drachen oder die Knoten, in welchen die Ekliptik durch die Planetenkreise geschnitten
wird, und die Region des Glücks (der Fortuna) oder die Entfernung der Ebene des Mondes von der Sonne noch zwei für die Astrologie wichtige
Himmelsräume, welche, wenn sie innerhalb der einem Menschen gehörigen Konstellation liegen, den Grad seiner
Macht etc. erhöhen. Das übrige der Kunst besteht hauptsächlich in einer genauen Ausfüllung des obigen Schemas durch Beobachtung
und Berechnung, um dann daraus eine weissagende Antwort zu bilden.
Vgl. Maury, La magie et l'astrologie dans l'antiquité
et au moyen-âge (4. Aufl., Par. 1877);
Mensinger, Über ältere und neuere Astrologie (Berl. 1872);
die Lehre von der Stellung der Gestirne am Himmel, den Gesetzen
ihrer Bewegung und ihren physischen Eigentümlichkeiten. Der Begriff der Astronomie, anfangs fast nur die Ergebnisse der kunstlosen
Beobachtung
des Himmels und der Veränderungen an ihm umfassend, hat sich von Jahrhundert zu Jahrhundert erweitert. Ihr großes
Gebiet läßt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Am nächsten liegt die Trennung in praktische
und theoretische von denen die erstere alles umfaßt, was sich auf die unmittelbare Beobachtung, sowohl mit bewaffnetem als
mit unbewaffnetem Auge, bezieht, während die theoretische Astronomie, fußend auf dem von der Beobachtung dargebotenen Material, auf
mathematischem Weg die Gesetze aufzufinden strebt, welche den Erscheinungen zu Grunde liegen.
Sie findet in vielen Fällen, daß die praktische Astronomie nur den Schein der Dinge erfaßt hat, und lehrt dann die wahre Sachlage
kennen, wie sie z. B. die scheinbaren Bewegungen der Gestirne auf die wahren zurückführt. Sie ist im stande, mittels der
ihr bekannten allgemeinen Gesetze den Ort derGestirne für einen beliebigen zukünftigen Zeitpunkt zu bestimmen,
z. B. Sonnen- und Mondfinsternisse, Oppositionen und Konjunktionen, Bedeckungen und Vorübergänge auf das genaueste vorherzubestimmen
etc., und zeigt so auch wiederum der praktischen Astronomie Ort und Zeit an, wo sie ihre Beobachtung anzustellen hat.
Vielfach teilt man die gesamte theoretische in drei Teile: sphärische, theorische (bisweilen auch theoretische
genannt) und physische Astronomie. Die sphärische Astronomie betrachtet die Erscheinungen, wie sie sich unmittelbar am Himmel darstellen. Der
Name rührt daher, daß die Gestirne dem unbefangenen Beobachter auf der Innenseite einer Kugel (sphaera) erscheinen, in deren
Mittelpunkt sich das Auge scheinbar befindet. Unter theorischer (von Theorie, d. h. spekulierendes Nachdenken)
versteht man den rein berechnenden, auf Raum- und Zeitbestimmungen beruhenden Teil der Astronomie; sie geht von den scheinbaren auf
die wahren Bewegungen zurück.
Die physische Astronomie dagegen wird alsdann bestimmt als die Lehre von den Ursachen der wahren Bewegungen, von den Kräften, durch
welche die Himmelskörper aufeinander wirken, wohin z. B. die Gesetze der Gravitation, der Zentripetal- und Zentrifugalkraft
[* 81] gehören; zu ihr rechnet man daher auch die Theorie von den Gesetzen der elliptischen Bewegung der Himmelskörper, von den gegenseitigen
Störungen der elliptischen Bewegung, von der durch die Rotation bewirkten Abplattung der Erde etc. Häufig
versteht man aber unter physischer Astronomie auch die Lehre von der physischen Beschaffenheit der Himmelskörper.
Gegenwärtig wird indessen dieser Zweig der der in neuerer Zeit, besonders infolge der Anwendung der Photographie und Spektralanalyse
[* 82] auf die Beobachtung der Himmelskörper, einen glänzenden Aufschwung genommen hat, gewöhnlich mit dem NamenAstrophysik bezeichnet.
Geht die nähere Betrachtung der Himmelskörper über das, was die Beobachtungen mit Sicherheit zu folgern gestatten, hinaus,
und untersucht sie z. B. nach Wahrscheinlichkeitsgründen den Zweck der Weltkörper, die Natur ihrer Bewohner etc., so wird
sie zur Konjekturalastronomie, die sehr leicht sich des Namens einer Wissenschaft ebenso unwürdig macht wie die
Astrologie.
Hilfswissenschaften der Astronomie sind: reine
¶
mehr
Mathematik in ihrem ganzen Umfang, sowohl die elementare als die höhere Analysis, wie ja viele der wichtigsten analytischen
Untersuchungen nur durch Probleme veranlaßt worden sind, welche die Astronomie stellte; viele Zweige der angewandten Mathematik, namentlich
Mechanik und Optik, erstere sowohl behufs genauer Kenntnis der astronomischen Instrumente und der Wirkung ihrer
einzelnen Teile wie auch als Mechanik des Himmels (wie zuerst Laplace sie genannt hat) zur Einsicht in den innern Zusammenhang
der Bewegungen und zur Entwickelung der Bedingungen des Gleichgewichts und der Stabilität der Weltkörper und ihrer Systeme; letztere,
die Optik, ist namentlich dem Beobachter unentbehrlich, denn sie hauptsächlich lehrt die Instrumente verfertigen
und zweckmäßig anwenden und gibt über viele Erscheinungen an den Weltkörpern die Aufschlüsse; die Physik im engern Sinn,
insbesondere auch die Meteorologie, nicht als sollte der Astronom das Wetter
[* 84] bestimmen, sondern weil der Luftkreis das Medium
ist, durch welches wir die Himmelskörper erblicken, und weil die darin vorgehenden Veränderungen sowohl
auf den Ort, wo, als auf die Art, wie sie uns erscheinen, den wesentlichsten Einfluß haben.
Die Geschichte der Astronomie reicht in das höchste Altertum zurück. Unter dem reinen Himmel Südasiens und Ägyptens sehen wir die
ersten Forscher mit Beharrlichkeit viele Jahrhunderte hindurch die augenfälligsten und für die Zeitrechnung
wichtigsten Phänomene, namentlich die Mond- und Sonnenfinsternisse nebst dem Auf- und Untergang derSterne, beobachten. Die
Chaldäer haben hauptsächlich die chronologischen Grundlagen festgestellt; ihr 18jähriger Saros ist das sprechendste Denkmal
ihres ausdauernden Fleißes. Im alten Indien hat man die Planeten beobachtet, ihre Zusammenkünfte unter
sich und mit dem Mond bestimmt und die Perioden ihres Umlaufs abgeleitet.
Durch Rückwärtsberechnung seltener von ihnen beobachteter Konjunktionen sowie durch Vergleichung ihrer cyklischen Perioden
mit unsrer heutigen Theorie hat sich aber die Behauptung des hohen Alters der indischen Astronomie nicht in dem früher angenommenen
Maß bestätigt. Dagegen reichen die astronomischen Beobachtungen der Chinesen bis ins höchste Altertum
hinauf. Die älteste sichere Beobachtung, die man kennt, ist diejenige einer Sonnenfinsternis
[* 85] von 2158 v. Chr. Daß die Priesterkaste
Ägyptens nicht unbedeutende astronomische Kenntnisse besessen habe, ist allerdings sehr wahrscheinlich; aber die starre
Abgeschlossenheit und Geheimhaltung, welche ÄgyptensPriester für nötig erachteten, ist schuld daran,
daß das meiste, was sie geleistet haben mögen, für uns verloren ist.
Die Ansprüche der Hebräer auf ein hohes Altertum ihres chronologischen Systems und ihrer astronomischen Tafeln haben vor derKritik nicht bestanden; sie reichen kaum bis Esra hinauf und sind von auswärts entlehnt. Die Theogonie, Kosmogonie und
Geogonie der Griechen hat nur das Reich der Fabeln erweitert; ihre Erklärungsversuche, selbst der gewöhnlichsten Erscheinungen
(wie der Mondphasen), sind mitunter unglaublich wunderlich; keiner hat das Richtige getroffen, worüber man sich auch gar
nicht wundern kann, wenn man erwägt, daß die griechischen Weisen philosophierten, ohne genügende Grundlagen in den Beobachtungen
zu besitzen.
Aristillos und Timocharis eröffnen die Reihe der alexandrinischen Astronomen. Sie bestimmten die Orte
der Fixsterne zwar noch mit sehr rohen Hilfsmitteln, doch aber so genau, daß Hipparch ihre Arbeiten brauchbar fand. Bald nach
ihnen gab Aratos eine Beschreibung des gestirnten Himmels in Versen. Weit wichtiger waren die Arbeiten des Aristarch von Samos.
Er machte den Versuch, die Zeit des höchsten und tiefsten Sonnenstandes genauer zu ermitteln und die
Entfernung der beiden vorzüglichsten Himmelskörper von der Erde zu bestimmen.
Für den Mond fand er 56 Erdhalbmesser (nur 4 zu wenig), und den Durchmesser des Mondes nahm er zu einem Drittel des Erddurchmessers
(im rohen gleichfalls richtig) an. Ferner glaubte er für den Winkel,
[* 86] welchen die nach Mond und Sonne gerichteten
Linien an der Erde zur Zeit des ersten und letzten Viertels machen, 87° gefunden zu haben, woraus die Entfernung der Sonne 19mal
größer als die des Mondes und ihr Durchmesser 6-7mal größer als der der Erde gefunden wird. Dies ist freilich
um mehr als das Zwanzigfache falsch, gleichwohl war die Methodean sich richtig, und wenn die Sonne statt 400mal nur 10-20mal
soweit entfernt wäre wie der Mond, so würde das Verfahren auch praktisch anwendbar gewesen sein.
Aristarch hat aber noch ein wesentlicheres Verdienst: er lehrte, die Erde drehe sich um ihre Achse und zugleich
in einem schiefen Kreis um die Sonne, eine für jene Zeit sehr kühne Bemerkung, die, konsequent verfolgt, zum kopernikanischen
System hätte führen können. Auch von Euklides, der um jene Zeit lebte, haben wir ein astronomisches Werk: »Phaenomena«,
welches hauptsächlich von den Erscheinungen des Auf- und Unterganges der Gestirne handelt. Wahrscheinlich
ist auch Manetho, ein ägyptischer Priester, in diese Zeit zu setzen, wiewohl das uns von ihm erhaltene Werk nur wenig Spuren
echter Kenntnisse, dagegen größtenteils astrologische Träumereien enthält.