Ägypten, Dar Fur und Abessinien.
Maßstab = 1:12,000,000
Nil-Delta und Suez-Kanal
Maßstab 1:4,000,000
Die Schweiz im Maßstab der Hauptkarte.
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immerfort wirksam sind, so ist das Delta in beständigem Wachstum begriffen, wie man dies an den Nilmündungen deutlich wahrnehmen kann. Im Norden hat es eine bogenförmige Begrenzung durch das Mittelmeer von 270 km Länge. Seine Ausdehnung von Norden nach Süden zwischen Kap Burlos und Kairo beträgt 171 km. Die Küste des Delta ist sehr flach und zieht sich meist als Sandbank in das Meer. Der westliche, das Delta begrenzende Teil von Unterägypten ist der nordöstliche Teil der großen Libyschen Wüste.
Große, bassinartige Vertiefungen, welche häufig unter dem Niveau des Nils liegen, bilden teils wirkliche Seen, teils kleine Oasen, wie die an den Natronseen. Da aber diese Bassins ihr Wasser größtenteils vom Nil und seinen Kanälen erhalten, so ist ihr Wasserstand von dem des Flusses und dessen Überschwemmungen ganz abhängig. Das im O. das Delta begrenzende Land ist gleichfalls Wüste und zwar der nordwestlichste Teil der Wüste des Peträischen Arabien. Es stellt sich dem Auge als weite, von welligen Hügelreihen durchzogene Sandebene dar und besteht an der Küste, wie das westliche Grenzland, aus den jüngsten Meeresablagerungen.
Ganz Unterägypten steigt sanft von N. nach S. an; auf einen Breitengrad kommen kaum mehr als 14 m Steigung längs des Stroms. Oberägypten (Sa'îd), von Beni Suef bis zum Wadi Halfa beim zweiten Katarakt sich erstreckend, trägt schon mehr den Charakter eines Gebirgslands an sich. Der höher werdenden Ufer wegen muß man hier den natürlichen Überschwemmungen des Nils durch Kanäle zu Hilfe kommen, um die segensreichen Fluten auch den entferntern Gegenden des Uferlands zuzuführen.
Dieses Nilthal ist bei weitem der wichtigste Teil Ägyptens und allein Kulturland im wahren Sinn des Worts. Es ist von Assuân an stromabwärts in der geringen Breite von 4-6 km zuerst gerade nach N. gerichtet, wird aber stellenweise durch hervortretende Felswände sehr eingeengt, so namentlich am Dschebel Selseleh (Kettenberg), wo es nur 1 km Breite hat. Erst bei Theben erweitert sich das Thal zu einer größern Ebene, wendet sich aber zugleich nach O., bis Farschat sich bogenförmig krümmend.
Dann nimmt es nordwestliche Richtung an, behält diese bis Siut bei und wendet sich endlich unterhalb Kairo wieder etwas nach NO. Etwa 20 km unterhalb Kairo, wo sich der Nil in zwei Hauptarme teilt, endet das Flußthal, und es beginnt hier das Delta. Zwei Gebirgsketten, westlich das Libysche, östlich das Arabische Gebirge, begrenzen die Thalebene, öfters an den Strom heran- und wieder in weiten Bogen zurücktretend, jenes mit sanft abgeböschten, dieses mit fast senkrechten Rändern.
Die libysche Gebirgskette teilt sich bei Kairo und verliert sich bald ganz in der Ebene; die arabische steigt von den Umgebungen der genannten Stadt, wo der zu ihr gehörige Mokattamberg sich nur 210 m über die Meeresfläche erhebt, allmählich gegen S. an und erreicht bei Siut und noch mehr bei Theben ihre größte Höhe (640 m), welche sie eine Strecke weit beibehält, bis sie sich gegen die Südgrenze des Landes hin wieder senkt und zuletzt in Hügeln endet. Beide Ketten haben gleiche Höhe und schützen als hohe Dämme das Nilthal vor dem Eindringen des Wüstensands.
Die östliche Begrenzung der Nilthalfurche bildet ein ödes, felsiges Gebirgsland mit spärlicher, aus Büschen bestehender Vegetation. Es enthält keine Oasen und ist nur von einigen unbedeutenden nomadisierenden Volksstämmen bewohnt. In der Nähe der Hafenstadt Koffer am Roten Meer erhebt es sich bis zu 1400 m und bildet in seiner Längenausdehnung nach S., bis 2000 m ansteigend, die Wasserscheide zwischen dem Nil und dem Roten Meer. Die Westgrenze des Nilthals bildet ein breites wasser- und vegetationsloses Plateau von ansehnlicher Höhe, welches von einem Oasenzug unterbrochen wird, der von S. nach N. aus den Oasen Chargeh, Dachel, Farafrah, Bacharieh und Siwah (s. diese Artikel) besteht. Den westlichen Rand des Delta umsäumt eine Kette von Natronseen. Die Oase Siwah bildet eine Depression von ca. 29 m. Hart an den Unterlauf des Nils herangedrängt findet sich das Fayûm, welches gleichfalls eine fruchtbare Oase repräsentiert.
Was den geognostischen Charakter des Landes anlangt, so treten im SO. nahe an der Grenze Nubiens, dann im O. in dem höhern Gebirgsrücken kristallinische Gesteine auf, und zwar bestehen dieselben größtenteils aus Granit, wie z. B. bei Assuân, wo die Felswände des Nilthals und die Klippen der Katarakte aus Granit bestehen, dann aus rotem Porphyr, dunklem, basaltähnlichem Dioritporphyr (zwischen Kenneh und Kosseïr), besonders aber aus Glimmerschiefer (im O.), aus Gneis mit Marmoradern in der Nähe des Granits und aus Talkschiefer.
Hieran schließen sich Massen von Thonschiefer an, die zwischen Kosseïr und Kenneh von den schon im Altertum zu Kunstwerken verarbeiteten Trappbreccien bedeckt sind. Im mittlern Teil des Landes tritt dann bis zu dem großen Oasenzug versteinerungsloser Sandstein aus, welcher auch den Granit von Assuân sowie die eben erwähnten Trappbreccien bedeckt und stellenweise in Quarz übergeht. Noch weiter ist der marine, nummulitenreiche, harte und dunkelrote Kalkstein verbreitet, der im Nilthal eine Tagereise südlich von Esneh beginnt und meist horizontal geschichtet erscheint. Er lieferte das Material zu den Pyramiden.
Den Kalkstein bedeckt in inselartigen, 60 m mächtigen Ablagerungen ein ebenfalls horizontal geschichteter Sandstein. Charakteristisch für die geognostische Beschaffenheit des Landes ist endlich noch der Sand des Wüstenplateaus sowie auch der infolge der Nilüberschwemmungen sich absetzende Schlamm, welcher einen großen Teil der Sohle des Nilthals bedeckt und insbesondere zur Entstehung des Delta Veranlassung gegeben hat. Derselbe bildet eine feine thonige, etwas kalkhaltige, zur Hälfte ihres Gewichts aus organischen Substanzen bestehende Masse, welche getrocknet fast steinhart wird und von jeher zur Ziegelbereitung benutzt wurde. Im Delta wechseln mit ihr dünnere, aus Sand bestehende Lagen.
In den wüsten östlichen Regionen besteht der Sand aus mikroskopisch kleinen Korallenschalen (Bryozoen), worin sich aber auch marine Muscheln vorfinden. Die geologische Thätigkeit dauert gegenwärtig noch in ausgesprochener Weise fort. Das Ufer des Roten Meers rückt fortwährend, gleich dem gegenüberliegenden arabischen empor. Bei Suez jedoch endigt dieses Streben nach aufwärts, denn ein Sinken der Oberfläche wird im Delta des Nils deutlich sichtbar. So sind die Kleopatrabäder bei Alexandria bereits wieder unter Wasser gesetzt; so entstand 1784 die Lagune bei Abukir durch einen Meereseinbruch; so ist endlich der einst dicht bewohnte Boden des Mensalehsees überschwemmt worden, und noch jetzt sieht man dort unter dem Wasser die verschwundenen Ortschaften.
Nimmt man Unterägypten mit dem fruchtbaren Delta aus, so beträgt der kulturfähige Boden an
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Flächeninhalt kaum mehr als 1/15 des Ganzen, und doch war von alters her eins der gesegnetsten Länder. So viel vermögen die Überflutungen des Nils unter dem glühenden Himmel Ägyptens. Jene von den periodischen Regengüssen in den tropischen Hochländern, denen der Fluß entströmt, herrührende Nilanschwellung ist für das regenlose Stromthal Ägyptens der einzige Ersatz des mangelnden atmosphärischen Niederschlags und die Quelle der Fruchtbarkeit.
Der Nil tritt mit brausenden Stromschnellen ins Land ein, indem er zwischen der Insel Elephantine und der Insel Philä über zahllose Klippen zwischen Felswänden dahinstürzt und sich dabei in viele Arme teilt, zwischen denen man bei hohem Wasserstand 20 Inseln zählt. Bei niedrigem Wasserstand hat er auf dieser Strecke eine Breite von 1000-1200 m. Weiter nördlich im ruhigen Lauf dahinströmend, verengert er sich wieder, so daß er bei Theben nur eine Breite von 400 m hat, die aber bei Siut wieder bis zu 800 m wächst.
Bei Derût geht aus der westlichen Seite der Josephskanal (Bahr Yusuf), ein Werk der Kunst, ab und folgt in seinem 350 km langen Lauf dem Fuß der libyschen Bergkette bis unterhalb Kairo, wo er sich südlich von Terraneh mit dem Rosettearm des Nils vereinigt. Ein Arm desselben wendet sich durch die Schlucht El Lahun nach dem Fayûm, welches durch ihn in vielen Ästen bewässert wird 22 km unterhalb Kairo, wo das Thal sich zur Ebene erweitert, teilt sich der hier ¾ Stunden breite Strom in mehrere Arme, von denen aber nur noch zwei, ursprünglich von Menschenhänden ausgegraben, die von Rosette und Damiette, von Wichtigkeit sind, indem die übrigen im Lauf der Zeit mehr und mehr versandeten.
Das zwischen beiden Armen sich ausbreitende Delta wird von zahllosen Verbindungskanälen der Nilarme quer durchzogen. Im Anschluß an den Bahr Yusuf wurde von Derût nach Siut der Ibrahimkanal und von Siut bis Sohâg der Sohâgiyekanal erbaut. Von großer Wichtigkeit auch für den gesamten Wohlstand des Landes ist der Mahmudiehkanal bei Alexandria (s. d.). Ferner sind in Oberägypten große Bassins zur Regulierung der Nilüberschwemmungen angelegt und behufs der Schließung und Öffnung der beiden Hauptarme des Nils an dessen Gabelung große Dammbauten in Angriff genommen, die aber nicht vollendet worden sind (Barrage des Nils).
Das Anschwellen des Stroms beginnt bei Gondokoro (5° nördl. Br.) im Februar, bei Chartum Ende März, in Dongola Ende Mai, bei Assuân gegen Ende Juni, bei Kairo Anfang Juli und erreicht in der ersten Hälfte des Oktobers den höchsten Stand. Die darauf folgende Abnahme ist so langsam, daß der Fluß erst April, Mai und in den ersten Junitagen des folgenden Jahrs seinen niedrigsten Stand erreicht. Der Unterschied zwischen dem höchsten und niedrigsten Wasserstand beträgt bei Assuân 15 m, bei Theben 8½ m, bei Kairo 7½ m. Ein Zurückbleiben hinter der normalen Überschwemmung (für unser Zeitalter 8 m) um nur 1 m hat in Oberägypten bereits Dürre und Hungersnot im Gefolge, aber schon 50 cm mehr kann furchtbare Verwüstungen im Delta anrichten.
Mit Hilfe von Ziehbrunnen (Schadufs), welche nur von einem Menschen in Bewegung gesetzt werden, von unsern Baggermaschinen ähnlichen Schöpfrädern (Sakîye) und hydraulischen Maschinen, auf den Zuckerrohrplantagen des Chedive auch mit Dampfpumpwerken bringt man das Nilwasser zuweilen durch mehrere übereinander liegende Etagen auch auf höher gelegenes Terrain, wo die Überschwemmungen nicht hingelangen. Das ganze kulturfähige Land ist durch Dämme in ungeheure Bassins eingeteilt, in welche das befruchtende Wasser durch Kanäle eingeführt und so lange auf einer gewissen Höhe erhalten wird, bis die gehörige Menge Nilschlamm abgesetzt ist. Ein willkürliches Überfluten des Landes ist jetzt ganz ausgeschlossen; Ägypten hat aufgehört, zur Zeit der Nilschwelle wie ehemals ein großer See zu sein.
Von andern fließenden Gewässern ist in Ägypten nördlich von der Mündung des Atbara in den Nil nicht die Rede. Auch der perennierenden Quellen entbehrt der größte Teil des Landes ganz. Andre Quellen, besonders mineralische, zum Teil lauwarme, finden sich in dem Querthal zwischen Kosseïr und Kenneh und zunächst der Küste des Roten Meers, dann bei Kairo (Heluan), besonders aber im Oasenzug, dessen Quellen eisen- oder schwefelhaltig und großenteils Thermen sind. Seen sind in in ziemlich großer Anzahl vorhanden. Im Innern sind die bedeutendsten der salzige Birket el Kerun am Westrand vom Fayûm (26,000 Hektar), die Bitterseen (30,000 Hektar) auf der Landenge von Suez und die sechs kleinen Natronseen (zusammen 6000 Hektar) südöstlich von Alexandria.
Der im Altertum berühmteste aller ägyptischen Seen, der Mörissee, früher irrtümlich mit dem Birket el Kerun identifiziert, ist längst eingetrocknet. Ansehnlicher als diese Binnenseen sind die vom Mittelmeer meist nur durch eine schmale, sandige Landzunge getrennten salzigen Lagunenseen, worunter folgende die bedeutendsten sind: der Birket Mariut (der alte Mareotis) bei Alexandria, der sich erst 1801 wieder füllte, als die englisch-türkische Armee bei der Belagerung von Alexandria die Dämme des die Ebene vom See von Abukir trennenden Kanals von Alexandria durchstach, wodurch eine Fläche von 40,000 Hektar kultivierbaren Bodens bedeckt wurde;
der seichte Maadieh oder See von Abukir (14,000 Hektar), vom vorigen nur durch den Damm des Mahmudiehkanals getrennt;
der Edkusee (34,000 Hektar), zwischen dem vorigen und dem Rosettearm, jetzt fast wasserleer;
der gleichfalls sehr seichte Burlos, zwischen dem Rosette- und Damiettearm, mit vielen Inseln und fischreich (112,000 Hektar), und der Mensaleh (184,000 Hektar), der größte von allen, östlich vom Damiettearm bis Pelusium sich erstreckend und erst in der neuern Zeit infolge der Vernachlässigung der Dammbauten entstanden, 67 km lang, durchschnittlich 33 km breit und 1-1½ m tief, mit vielen Inseln, fischreich und vom Suezkanal durchschnitten.
Merkwürdig sind endlich noch die erst in neuerer Zeit genauer bekannt gewordenen unterirdischen Wasserbecken im westlichen Oasenzug, welche schon im Altertum zum Bohren artesischer Brunnen Veranlassung gegeben haben.
Klima.
Die höher gelegenen südlichen Gegenden haben als einzige Jahreszeit nur einen trocknen und heißen Sommer und das ganze Jahr über eine ziemlich gleichbleibende mittlere Temperatur, die mittlern und nördlichen dagegen eine kühle und eine heiße Jahreszeit. Jene dauert vom Dezember bis März und gleicht der Herbst- und Frühlingszeit der gemäßigten Länder Europas; diese umfaßt die übrigen Monate und ist erst trocken, dann feucht. Der mittlern Temperatur nach gehört das südliche Ägypten zu den heißesten Ländern der Erde, die außerhalb der Tropen liegen, während das Delta infolge der kühlenden Einwirkung der Seewinde das südeuropäische Küstenklima teilt.
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In den wasserlosen südlichen Strichen erreicht die Hitze beim Wehen des Chamsîns, eines heißen, aus den Äquatorgegenden kommenden Windes, eine außerordentliche Höhe, zu Theben und Philä von 47-48° C., zu Assuân von 60-70°, wobei der Sand so heiß wird, daß man Eier darin hartkochen kann. Um Kairo steigt die Hitze selten über 41°, und im Delta erreicht sie sogar selten 29°. Dezember, Januar und Februar sind die kühlsten Monate. Das Mittel der niedrigsten Temperatur beträgt im Delta etwas über 11°, wobei aber die Differenz zwischen der Tag- und Nachttemperatur oft zwischen 20 und 30° beträgt.
Selbst in Oberägypten sinkt um diese Zeit das Thermometer um 5 Uhr morgens bis auf 5° herab. Ausnahmsweise ist zu Alexandria, Rosette und bis Atfeh 1833 Schnee gefallen, und zu Anfang des 9. Jahrh. soll selbst der Nil einmal eine Eisdecke getragen haben. Häufiger kommt Eisbildung in den das Delta begrenzenden Wüsten und in der Oase Siwah nach gefallenem Tau und bei starkem Nordwind vor. Im südlichen Ägypten ist die Atmosphäre außerordentlich trocken, und diese Trockenheit wird durch die um das Frühlingsäquinoktium eintretenden Südostwinde und besonders durch den erwähnten Chamsin bis zu einem unerträglichen Grad gesteigert.
Dieser Wind (Chamsîn bedeutet »fünfzig«) pflegt nur in der Epoche von 50 Tagen vor dem Sommersolstitium aufzutreten. Die ihn begleitenden atmosphärischen Erscheinungen, gelbrötlicher Lichtschein, zuckende Blitze, sind hauptsächlich elektrischer Natur und vertreten die Stelle unsrer Gewitter. Ihre Gefährlichkeit für Menschen und Tiere ist sehr übertrieben worden. Dieser Wind heißt in Arabien und in den südlichen Ländern Asiens Samum. Feuchter wird die Atmosphäre, je mehr man sich dem Mittelmeer nähert. In Unterägypten wehen die mit Wasserdünsten reichlich geschwängerten Nordwinde neun, weit er nach S. wenigstens sechs Monate hindurch und veranlassen besonders während der Überschwemmungszeit im August und September des Abends die Bildung von Nebeln.
Auch im Winter sind Nebel und reichliche Taufälle häufig. Im Sommer aber breitet sich ein ganz reiner Himmel über dem Land aus, und Regenniederschläge sind, besonders in Oberägypten, eine seltene Erscheinung. Ungegründet ist jedoch die Angabe, daß es in Oberägypten nie regne, denn zu Kenneh und Theben und sogar in dem sehr trocknen Südosten sind mehr oder weniger heftige Regengüsse beobachtet worden. An der Nordküste regnet es vom Oktober bis März und April häufig, in den übrigen Monaten aber stellenweise gar nicht.
Das Klima Ägyptens ist im allgemeinen der Gesundheit weit zuträglicher als das vieler andern heißen Länder, mit Ausnahme der niedrigen sumpfigen Striche an der Küste des Roten Meers, welche für sehr ungesund gelten. Infolge seiner warmen, trocknen und chemisch reinen Luft gilt Ägypten als ein treffliches klimatisches Gebiet für Lungenkranke. Unter den endemischen Krankheiten war die Pest vorherrschend, die jedoch seit 30 Jahren nicht mehr vorkommt, während die Cholera immer häufiger auftritt. Andre Krankheiten sind Ruhr, Wechselfieber, Aussatz, durch den salzhaltigen Staub hervorgerufene schlimme Augenübel und Sonnenstich. Durch die Einrichtung des Service médical ist den Epidemien viel von ihrer Schrecklichkeit genommen worden.
Vgl. Flora, Ärztliche Mitteilungen aus Ägypten (Wien 1869);
Derselbe, Beiträge zur Klimatologie von Kairo (Leipz. 1870).
Naturprodukte.
Ägypten ist reich an schätzenswerten Naturprodukten. Am schwächsten sind darunter die Mineralien vertreten. Doch lieferten seit den ältesten Zeiten die Granite und Syenite ein vortreffliches Material sowohl für Skulpturen als für großartige massive Bauten. Das unterhalb Assuân beginnende Sandsteinterrain bietet die ergiebigsten Brüche eines festen, fein- und gleichkörnigen Sandsteins dar, woraus die meisten der noch erhaltenen Tempel und eine große Anzahl von Statuen und andern Skulpturen bestehen.
Von El Kap an bis an das Meer, also in dem bei weitem größten Teil des Landes, bestehen beide Thalwände aus Kalkstein, dessen feine und feste Textur die Reisenden noch jetzt an den Pyramiden und den ausgedehnten Nekropolen von Memphis wie in den mit den schönsten Skulpturen bedeckten Felsengräbern von Theben bewundern. Von andern Mineralien werden Kochsalz, Salpeter und Alaun in Menge gewonnen, und an einigen Stellen (z. B. bei Dschebel ez Zet am Roten Meer) treten Erdölquellen zu Tage. Im nördlichen Ägypten zeigt sich Natronbildung in weiter Verbreitung. Im J. 1850 entdeckte man bei dem Ras el Dschimsah an der Küste des Roten Meers Schwefellager, die aber den großen auf sie gesetzten Erwartungen nicht entsprachen. Die einst von den Alten ausgebeuteten Metall- und Alabasterschätze haben aufgehört ergiebig zu sein, und unbedeutend ist, was man bei Dschebel Ollagi an Gold, bei Dschebel Duchan an Kupfer fand. Die Smaragde in den Zubarabergen bei Kosseïr, gleichfalls schon von den Alten ausgebeutet, sind unrein und lohnen den Abbau nicht.
Pflanzenwelt. Die außerordentliche Fruchtbarkeit, wegen deren Ägypten im ganzen Altertum berühmt war, beruht auf dem fetten Marschboden des Landes, welcher dem landwirtschaftlichen Betrieb einen fast ans Wunderbare streifenden Ertrag gewährt. Von Cerealien baut man vornehmlich Weizen (mit 25-50fältigem Ertrag) und Gerste, wiewohl auch Roggen und Hafer gut gedeihen. Außerdem werden in ausgedehntem Maß Erbsen, im Delta Reis (mit 50-100fältigem Ertrag), in den höher gelegenen und trocknern Strichen Mais und mehrere Hirsearten (Durra) gebaut.
Die Getreideernte fällt, wie bemerkt, zu Anfang März, vier Monate nach der Aussaat; in manchen, besonders günstig gelegenen Gegenden im S. erzielt man aber durch künstliche Bewässerung eine dreifache Ernte. Eine gute Ernte schätzt man auf 11-16 Mill. hl Weizen, Gerste und Mais, wovon etwa 2 Mill. hl zum Export gelangen. Auch Zuckerrohrpflanzungen geben einen guten Ertrag, alle übrigen Produkte überragt aber jetzt die nach Ägypten verpflanzte Baumwollstaude. Der Baumwollbau ist durch den Vizekönig dermaßen ausgedehnt worden, daß die Ernte in der letzten Zeit jährlich 280-290 Mill. engl. Pfd. betrug.
Berühmt sind die Rosen vom Fayûm, welche zum Behuf der Rosenöl- und Rosenwasserbereitung gezogen werden. Dieselbe Gegend liefert auch vortreffliche Weintrauben, Feigen und Oliven. Überhaupt ist Ägypten reich an den trefflichsten Südfrüchten. Unsre Obstbäume gedeihen zwar, tragen aber unschmackhafte Früchte und werden daher nur in geringer Anzahl gezogen. Der bei weitem verbreitetste und nutzbarste Baum des heutigen Ägypten ist die Dattelpalme (Phoenix dactylifera), welche in vielen Gegenden die Hauptnahrung gewährt und am besten in der Provinz Gizeh gedeiht.
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Zwei andre, im Altertum berühmte Gewächse Ägyptens, die Lotus- und Papyrusstaude, finden sich nur noch hier und da im Delta. Die wilde Flora Ägyptens unterscheidet sich im ganzen wenig von den Floren der übrigen Küstenländer des Mittelmeers. Der innerafrikanischen Flora gehören nur die Sykomoren (Acer pseudoplatanus), der Nabk und die Tamarinde (Tamarix orientalis) an. Wälder fehlen dem Land ganz, daher der Mangel an Bau- und Brennholz. Die Vegetation der Oasen wird hauptsächlich durch die Dattelpalme, Dumpalme (Rucifera thebaica ^[richtig: Nucifera thebaica]), mehrere Gummi liefernde Akazien und den Mannastrauch (Tamarix gallica mannifera) charakterisiert.
Die Tierwelt Ägyptens weist zunächst zahlreiche Fisch- und Amphibienarten auf. Der Nil ist sehr reich an Fischen, namentlich Welsen, Karpfenarten, Aalen u. a., welche meist wohlschmeckend sind, aber wenig geschätzt werden; doch findet ausgiebige Fischerei am Mensalehsee statt, wo dieselbe von der Regierung gegen 1½ Mill. Frank jährlich verpachtet wird. Unter den Amphibien ist vor allen das Krokodil zu nennen, das aber jetzt nur noch im südlichern Teil des Landes vorkommt; außerdem die Wüsten- und Nileidechsen und das Chamäleon.
Von Vögeln treffen sich hier die Zugvögel der nord- und mitteleuropäischen Länder und die Vögel der tropischen Zone, namentlich Aasgeier, Wachteln, Wüstenrebhühner und Kraniche. In größter Menge werden noch jetzt, wie im Altertum, Tauben (hauptsächlich ihres Düngers wegen) und Hühner gehegt, die auch durch künstliche Ausbrütung gezogen werden. Auffallend ist es, daß der Ibis, der im alten Ägypten so häufig vorkam und als heiliger Vogel verehrt wurde, jetzt äußerst selten geworden ist, indem er sich ebenfalls weiter nach S. zurückgezogen hat. In größerer Anzahl beleben die Nil- und Meeresufer Flamingos, Reiher und Pelikane.
Größere reißende Tiere trifft man wegen des Mangels an Wäldern in A. nur selten an, doch scheinen auch sie in alter Zeit in größerer Anzahl und weiter herab am Nil vorgekommen zu sein als gegenwärtig; wenigstens sind auf den alten Monumenten öfters Jagden, namentlich Löwenjagden, abgebildet. Nur Leoparden, Hyänen, Füchse, Schakale, wilde Schweine, Antilopen und Hasen finden sich jetzt noch häufig vor. Unter den Haustieren sind das einhöckerige Kamel, der Büffel, das Pferd und der Esel die wichtigsten.
Von den alten Ägyptern wird das Kamel nur sehr selten in den Hieroglyphen erwähnt und erscheint auch auf Denkmälern nicht oft abgebildet. Bei den benachbarten Völkern, namentlich in Palästina, wurde es viel gebraucht, besonders auch zu Handelsreisen nach Ägypten. Jetzt ist es im Delta und in Kairo häufiger anzutreffen als in Oberägypten. Das Pferd ist, wie wir aus den alten Urkunden wissen, erst um 1800 v. Chr. in Ägypten eingeführt worden, während der Esel bereits ein Jahrtausend früher auf den ältesten Denkmälern vorkommt. Er ist noch jetzt das gewöhnlichste Last- und Reittier und wird in großer Menge gehalten. Auch der Büffel, welcher am besten in den Sumpfgegenden des Delta gedeiht, ist erst in späterer Zeit in Ägypten eingeführt worden; dagegen mögen das Rind, jetzt hauptsächlich zum Feldbau verwandt und in Oberägypten anzutreffen, sowie das Schaf, die Ziege, das Schwein, der Hund und die Katze von alters her im Land einheimisch gewesen sein.
Bevölkerung.
Die Bevölkerung des alten Ägypten betrug nach priesterlichen Angaben unter den Pharaonen gegen 7 Mill., welche in mehr als 18,000 Städten und größern Orten wohnten. Herodot gibt zur Zeit der größten Bevölkerung unter Amasis 20,000 Städte an. Nach Diodor wurden unter dem ersten Ptolemäer über 30,000 Orte gezählt und ebensoviel noch zur Zeit jenes Berichterstatters. Josephus zählt zu Neros Zeit 7½ Mill. Einw., wobei er die Bevölkerung von Alexandria, die zu Diodors Zeit allein 300,000 betrug, nicht mitrechnet.
Die Gesamtzahl der Einwohner betrug 1877 im heutigen eigentlichen Ägypten 5,517,627 (1883: 6,798,230), in den Dependenzen ca. 10,800,000 Seelen. Den Hauptstamm der Bevölkerung des eigentlichen Ägypten machen 3½ Mill. arabische Fellahs aus, denen sich 300,000 Kopten, 600,000 Beduinen, 100,000 Türken, 70,000 Europäer u. a. anschließen. Diese Bevölkerung ist zumal in Unterägypten dicht angesessen, wo auch die großen Städte liegen: Kairo mit (1883) 368,108, Alexandria mit 208,755, Damiette mit 34,036, Tanta mit 38,725, Mansûra mit 26,784, Zagâzig mit 19,046, Rosette mit 16,671, Port Said mit 16,560, Suez mit 10,913 Einw. Die Bevölkerung Ägyptens ist demnach ein Gemisch aus verschiedenen Nationen.
Die Abkömmlinge der alten Ägypter sind die Kopten (s. d.), welche vornehmlich in Oberägypten verbreitet und, obwohl infolge von Vermischung mit andern Völkern verändert, doch noch den alten Abbildern ihrer Vorfahren in den Hauptzügen ähnlich sind. Die koptische Sprache stammt von der altägyptischen, wird aber jetzt nur noch in der Liturgie gebraucht, nur von wenigen verstanden und gar nicht mehr gesprochen. Die Religion der Kopten ist christlicher Monophysitismus.
Ihr kirchliches Oberhaupt ist der Patriarch von Alexandria, der aber in Kairo wohnt, und dessen Jurisdiktion sich auch über A. hinaus nach Nubien und Abessinien erstreckt. Die übrige christliche Bevölkerung Ägyptens besteht aus Armeniern und orthodoxen Griechen, welche ihre eignen Kirchen, Klöster und Gottesdienste haben. Levantiner heißen die Nachkömmlinge syrischer Christen; sie sind, wie die Armenier, sehr zahlreich. Juden, die übrigens bei dem Volk sehr verhaßt sind, gibt es nur wenige.
Endlich ziehen auch viele Zigeuner im Land umher. Verschiedene Missionsgesellschaften, namentlich die amerikanischen Presbyterianer, die Jesuiten und Baseler Krischona-Missionäre, wirken für die Ausbreitung des Christentums. Was die mohammedanische Bevölkerung anlangt, so besteht dieselbe dem bei weitem größten Teil nach aus den Fellahs (Fellachen). Dies ist eine arme, unter harter Arbeit und Abgaben fast erliegende Menschenrasse, ohne Grundbesitz und an die Scholle gefesselt. In etwas besserer Lage befinden sich die Fellahs in den Städten, wo sie Gewerbe und Kleinhandel treiben und öfters zu Wohlhabenheit gelangen.
Ein ganz andres Volk sind die Beduinen (Bedawi), welche sich ihren heimischen Stolz auch auf ägyptischem Boden zu bewahren gewußt haben. In einzelne Stämme (Kabîle genannt) geteilt, stehen sie unter Scheichs, treiben ein Nomadenleben und Viehhandel. Sie sind voll Mut und Freiheitsstolz, mäßig und von guter Leibeskonstitution. Blutrache und Weidestreitigkeiten führen oft zu blutigen Fehden unter ihnen. Sie heiraten nur untereinander und verabscheuen insbesondere die eheliche Verbindung mit Fellahs. Sie bekennen sich zwar zum Islam, aber ohne dessen Speisegesetze zu beobachten. Manche von ihnen leben vereinzelt in Höhlen und Felsenklüften oder nomadisierend, die meisten aber sind
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in Dörfern ansässig in der Nähe des Kulturlands oder auf sandigen Strichen innerhalb desselben. Mit den Beduinen gleicher Abstammung sind die in den Städten seßhaften Araber. Der Osmane ist in Ägypten derselbe wie allenthalben, in stolzem, gravitätischem Genuß der Herrschaft träger Ruhe hingegeben. Die Mamelucken kamen seit dem 13. Jahrh. ursprünglich als Sklaven von den Kaukasusländern herein, bildeten dann die Truppenmacht und nahmen nach und nach als Beis die Zügel der Herrschaft in die Hand, bis sie von Mehemed Ali 1811 auf der Citadelle zu Kairo vernichtet wurden. Vorherrschend bei der ganzen Bevölkerung ist die arabische Sprache; die Regierung verkehrt in dieser mit ihren Unterthanen, in französischer Sprache mit den Fremden, in türkischer mit der Pforte. Im sogen. ägyptischen Sudân bilden echte afrikanische Neger die Hauptbevölkerung, in Nubien die Berâbra.
Staatsverwaltung. Finanzen. Armee.
Ägypten ist ein türkischer Vasallenstaat, dessen Verwaltung auf Grund des von England, Rußland, Preußen und Österreich abgeschlossenen Vertrags und des großherrlichen Hattischerifs vom stets einem vom Sultan gewählten Gliede der Familie Mehemed Alis auf Lebenszeit gegen einen jährlichen Tribut von 678,397 Pfd. Sterl. garantiert ward. Der tributpflichtige Statthalter, welcher seit 1867 offiziell die Titel »Hoheit« und »Chedive« (Vizekönig) führt, hat 1866 nach jahrelangen Anstrengungen die direkte Erbfolge nach dem Prinzip der Erstgeburt und der Linearsuccession endlich zugestanden erhalten.
Neuerdings ist das Verhältnis zwischen Ägypten und der Pforte durch den Ferman des Großsultans vom geregelt worden. (Weiteres s. unter Geschichte.) Zur obersten Führung der Geschäfte hatte bereits Mehemed Ali eine Art Ministerium gebildet, welches jetzt aus den Ministerien des Innern, des Äußern, des Kriegs, der Finanzen, des Handels, des Unterrichts, des Kultus, der öffentlichen Arbeiten, der Justiz und des Sudân besteht. Seit 1882 von den Engländern okkupiert, harrt Ägypten einer neuen staatlichen Organisation.
Eingeteilt wird in das eigentliche Ägypten (vom Mittelmeer bis zum Wadi Halfa) als das Hauptland und in die Besitzungen außerhalb des eigentlichen Ägypten als dessen Dependenzen. Diese Besitzungen umfassen die Landschaften Kordofan, Dar Fur, die Äquatorialprovinzen u. a., welche man insgesamt als ägyptischen Sudân bezeichnet. Den Namen Nubien, worunter man die Landschaft von den ersten Katarakten bis Chartum verstand, kennt man im Land nicht; Nubien ist heute nur ein geographischer Begriff, namentlich seitdem durch Verlegung der Südgrenze des eigentlichen von Assuân nach Wadi Halfa ein großer Teil des nubischen Gebiets zu Oberägypten gezogen wurde.
Das eigentliche Ägypten (Beled Misr) teilt man herkömmlich in Ober-, Mittel- und Unterägypten, Bezeichnungen, die indes nur eine geographische, keineswegs eine administrative Bedeutung haben. Administrativ zerfällt das Land in Gouvernorate oder Mohafzas und Provinzen oder Mudiriehs. Die Einteilung nach Gouvernoraten besteht nur für die größern Städte, welche in ihrer Verwaltung von der des übrigen Ägypten völlig unabhängig sind; die Einteilung der oberägyptischen, noch mehr der sudânischen Provinzen ist häufigen Schwankungen unterworfen, indem bald mehrere unter einem Generalgouverneur vereinigt und dann wieder getrennt, bald einer Kommission des Ministeriums des Innern untergeordnet werden. Die vom ägyptischen Generalstab angestellten Berechnungen ergaben für Areal und Bevölkerung nachstehende Ziffern:
Gouvernorate und Provinzen | Areal QKilom. | Davon nutzbar u. vermessen | Bevölkerung 1877 |
---|---|---|---|
Gouvernorate (Mohafzas): | |||
Kairo | - | - | 327462 |
Alexandria bis Siwah | 88202 | 93 | 165752 |
Rosette | 123 | 16243 | |
Damiette | 904 | 32730 | |
Port Said | 6238 | 3854 | |
Ismailia | 1897 | ||
Suez | 11327 | ||
El Arisch und Wüste im O. des Suezkanals und des Roten Meers bis El Wisch | 86079 | 2506 | |
Provinzen (Mudiriehs): | |||
Behera | 10780 | 1085 | 238590 |
Gizeh | 24716 | 873 | 270072 |
Kaliubieh | 842 | 814 | 205380 |
Scharkieh | 4368 | 2182 | 414470 |
Menufieh | 1583 | 1564 | 484550 |
Gharbieh | 3092 | 5639 | 678979 |
Dakahlieh | 2061 | 2141 | 531954 |
Unterägypten: | 223988 | 14991 | 3385766 |
Provinzen (Mudiriehs): | |||
Beni Suef | 50430 | 920 | 140848 |
Fayûm | 1233 | 173655 | |
Minia | 110901 | 1812 | 338616 |
Mittelägypten: | 161331 | 3965 | 653119 |
Assiut | 128700 | 1806 | 461679 |
Ghirga | 15703 | 1491 | 617869 |
Kenneh mit Kosseir | 87075 | 1285 | 310257 |
Esneh | 404557 | 657 | 281593 |
636035 | 5239 | 1471398 | |
Stadt Massaua | - | - | 2744 |
" Suakin | - | - | 4600 |
Eigentliches Ägypten: | 1021354 | 24195 | 5517627 |
Hierzu kommen nun die Besitzungen außerhalb des eigentlichen der ägyptische Sudân mit Kordofan, Dar Fur und den Äquatorialprovinzen. Diese umfassen 1,965,560 qkm mit 10,800,000 Einw. und zwar:
QKilom. | Bewohner | |
---|---|---|
Kordofan | 108280 | 278740 |
Dar Fur | 451980 | 4000000 |
Andre Länder des Sudân und Äquatorialprovinzen | 1405300 | 6500000 |
Somit berechnet sich das Areal Ägyptens auf 2,986,900 qkm (54,246 QM.) mit einer Bevölkerung von 16,300,000 Seelen. An der Spitze jeder Provinz steht der Mudir, ihm zur Seite ein Diwan höherer Beamten als Staatskollegium. Unter dem Mudir stehen die Kreisverwalter (Kâschif) und die Kantonverwalter (Nazir el kism), von denen die Ortsvorsteher oder Dorfschulzen (Schêch) ressortieren. Der Mudir verwaltet die Provinz in administrativer, finanzieller und politischer Beziehung und entscheidet auch in allen Rechtssachen, welche nicht in die Kompetenz des religiösen Gerichts, dem ein Kadi vorsteht, fallen. Eine der wichtigsten Obliegenheiten des Mudirs ist die Eintreibung der Steuern. Der Sitz aller Zentralbehörden sowie die gewöhnliche, nur periodisch mit Alexandria wechselnde Residenz des Chedive ist Kairo. Seit 1866 besitzt Ägypten, wiewohl nur nominell, eine Art von Volksvertretung in einer aus 75 Abgeordneten bestehenden Kammer (Madschliß el Nuab), zu welcher die Vertreter in den verschiedenen Distrikten je nach
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deren Volksdichtigkeit auf drei Jahre in geheimer Abstimmung gewählt werden.
Die Finanzwirtschaft Ägyptens ist eine übelberüchtigte. Nur den unerschöpflichen Reichtümern des Landes ist es zu danken, daß bei der herrschenden Wirtschaft und dem übergroßen Luxus des Chedive Ismail Pascha die Zustände nicht noch elender sind, als sie erscheinen. Dies hat das Eingreifen der europäischen Mächte, die Absetzung Ismails und die Bestellung von europäischen Finanzkontrolleuren zur Folge gehabt. Die Staatseinnahmen betrugen 1881: 9,012,010, die Ausgaben 7,677,806 Pfd. Sterl.;
der so erzielte Überschuß ist aber durch die Kosten der englischen Okkupation, den Aufstand im Sudân in ein Defizit verwandelt worden.
Die Staatsschuld belief sich auf 97,161,220 Pfd. Sterl., wozu noch die Mukabalahschuld kommt, eine Entschädigung in Gestalt von jährlichen Zinsen an Besitzer von Landgütern, welche im voraus eine Summe bezahlt haben, um den steuerfreien Besitz ihres Landes zu erlangen, im Betrag von 150,000 Pfd. Sterl. 50 Jahre lang zahlbar, und die Zinsen der 1875 von England gekauften Suezkanalaktien im Betrag von 193,858 Pfd. Sterl. Die Einkünfte fließen hauptsächlich aus der Grundsteuer (Scharâg), der Einkommensteuer und der Marktsteuer.
Die Grundsteuer wird nicht erhoben von den im Privateigentum des Chedive befindlichen Gütern (ein Viertel des ganzen Kulturbodens), in ermäßigter Weise von solchem Lande, das der Chedive mit vollem Eigentumsrecht an Private zur Urbarmachung verlieh; diese Ländereien sind drei Jahre steuerfrei und zahlen später 3 Proz. Hauptsächlich lastet sie auf den sogen. Regierungsgrundstücken, die jedes Jahr neu abgeschätzt und danach in drei Klassen geteilt werden.
Diese Steuer wird monatlich durch den Rendanten (Serraf) der Provinz eingehoben; sie beträgt bis 20 Proz. und soll in barem Geld gezahlt werden, was freilich nicht immer möglich ist. Etwa 1,400,000 Hektar sind durchschnittlich mit 10 Schill. pro Hektar und 532,000 Hektar mit 4,4 Schill. pro Hektar besteuert. Letztere Kategorie findet sich hauptsächlich im Besitz der Domänen, der Daira und der reichen Paschas. Die Einkommensteuer für Handwerker, Bazarinhaber und Kaufleute beträgt 4-20 Proz.; die Marktsteuer betrifft die auf die städtischen Märkte gebrachten Landesprodukte und beträgt im Durchschnitt 1½ Proz. Außer diesen Abgaben fließen der Regierung noch zahlreiche andre Einkünfte zu von der Verpachtung der Fischerei, von den auf dem Nil gehenden Barken, den Dattelpalmen, den Zöllen der seewärts eingehenden Waren, den Eisenbahnen und Telegraphen u. a. Noch mehr ist der Binnenhandel mit Zöllen belastet, die von den Sudânkarawanen meist zu Siut erhoben werden. Das heillose Finanzsystem stürzte die Fellahs in das tiefste Elend, während es die Familie des Chedive, die höhern Beamten und die bei der Regierung beteiligten Europäer reich machte.
Die Armee, welche der Chedive nach den Verträgen mit der Türkei halten darf, und die durch Konskription ergänzt wird, sollte nach dem Plan Baker Paschas eine Stärke von 10,900 Mann haben (die Hälfte der Stabsoffizierstellen wurde mit Engländern besetzt), zu denen sich nach Bedürfnis in den unruhigen Distrikten des Sudân eine zeitweilig zusammengezogene Armee gesellt. Im Krieg soll sie auf 60,000 ergänzt werden. Die Zahl der Kriegsschiffe beträgt zusammen 13 mehr oder weniger schadhafte Dampfer; der Staat besitzt außerdem 16 gut gebaute Paketboote für den Dienst zwischen den Häfen des Roten und mehreren Häfen des Mittelländischen Meers.
Bildung. Handel und Verkehr.
Die geistige und wissenschaftliche Ausbildung steht noch auf einer sehr niedrigen Stufe. In den nur von Knaben besuchten Elementarschulen (Anhängseln der Moscheen oder Privatunternehmungen) wird notdürftig Lesen und Schreiben und der Koran auswendig gelernt; in der hohen Schule der Moschee El Azhar wird fast nur Religions- und Gesetzeslehre gepflegt. Die eben genannte Universität ist die bedeutendste des Orients und zugleich Hauptsitz des mohammedanischen Fanatismus; sie wird von ca. 10,000 Studenten aus allen Ländern des Islam besucht.
Zwar machte schon Mehemed Ali den Versuch, höhere Lehranstalten nach europäischem Muster zu gründen; aber erst der Chedive Ismail rief eine Reihe von Regierungsschulen ins Leben, in welchen Unterricht und Lebensunterhalt unentgeltlich gewährt werden: Elementarschulen, Sekundärschulen und Spezialschulen. Zu den letzten gehören eine polytechnische Schule, eine Rechtsschule, eine philologische und arithmetische Schule, eine Kunst- und Gewerbeschule, Medizinalschule, Marineschule und eine Schule für Ägyptologen, welche sich auf das ägyptische Museum zu Bulak stützt. Doch kränkeln alle diese Anstalten infolge der allgemeinen zerrütteten Verhältnisse Ägyptens. Als Rechtskodex für die Mohammedaner gilt der Koran. Der Großkadi zu Kairo ist oberster Landesrichter, der in den Provinzen durch Substituten (Naibs) vertreten wird.
Der Kunstfleiß des Landes ist noch nicht weit gediehen. Die besten Handwerker und Künstler finden sich unter den Kopten, Griechen und Armeniern, welche grobe Leinwand, Segeltuch, baumwollene und seidene Zeuge, feine Matten aus Binsen und namentlich in Oberägypten treffliche Geschirre aus ungebranntem Nilschlamm herstellen. Feine Juwelierarbeiten werden in Kairo und andern größern Städten gefertigt. Im Gefolge europäischer Unternehmer sind in den größern Städten einige Fabriken, Baumwollspinnereien, Pulverfabriken, Bierbrauereien entstanden; doch können sie bei dem lebhaften Handel und den verbesserten Verkehrsmitteln mit europäischen Erzeugnissen nicht konkurrieren. Ansehnlich ist noch die Fabrikation von Natron aus den erwähnten Natronseen und ausgedehnt endlich die Produktion junger Hühner mittels Brütöfen.
Einen bedeutenden Aufschwung hat in neuerer Zeit der Handel Ägyptens genommen, seit die Überlandroute von Europa nach Indien mit der Eisenbahn und durch den Suezkanal ihren Weg wieder über Ägypten nimmt und dort zahlreiche europäische Handelshäuser, namentlich in Alexandria, sich niedergelassen haben. Die wichtigsten Handelshäfen für den Verkehr mit Europa sind Alexandria und Port Said; für Indien Suez; für den Verkehr mit dem afrikanischen Binnenland und Arabien Kosseir, Suakin und Massaua.
Die Einfuhr betrug 1883: 732,9, die Ausfuhr 1217,7 Mill. Piaster. Ausfuhrprodukte sind: Baumwolle und Baumwollsamen, Zucker, Bohnen, Mais, Gummi, rohe Häute, Reis, Gemüse und Früchte, Weizen, Elefantenzähne, arabischer Kaffee, Datteln u. a. Im Innern ist trotz des Verbots der Sklavenhandel noch stark im Schwange. Hauptplätze für den Karawanenhandel daselbst sind: Berber, Kassala, Chartum, Senaar, El Obeïd. Einfuhrartikel sind allerlei europäische Fabrikate, namentlich baumwollene Stoffe, Steinkohlen, Kramwaren, Bauholz, Kaffee, Indigo, Weine und Spirituosen, Tabak,
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raffinierter Zucker, Maschinen u. a. Der überwiegende Teil der Einfuhr findet von England her statt, wohin auch weit über die Hälfte der Ausfuhren geht. In zweiter Linie stehen Frankreich und Österreich, dann folgen Rußland, die Türkei und Italien. Der direkte Verkehr nach Deutschland ist sehr gering. Die ägyptische Handelsflotte zählt ca. 600 Schiffe und 40 Dampfer mit 61,000 Ton. Gehalt. Die Handelsflagge ist grün mit einem horizontalen gelben Streifen.
Der Schiffsverkehr der wichtigsten Häfen betrug 1880 im Eingang 8748 Schiffe mit 3,255,674 Ton., davon unter ägypt. Flagge 3579 mit 296,259 T. Landesmünze ist der Piaster, bei dem zu unterscheiden ist der Piaster Tarif (Regierungsgeld) = 20 Pf. und der Piaster Kurant = 10 Pf.; 1 Piaster = 40 Para Kupfer. Bei großen Summen rechnet man nach Beuteln à 500 Piaster = 5 Pfd. Sterl. = 100 Mk. In Kairo und Alexandria kursiert sehr viel gemünztes Geld europäischer Staaten, nur kein deutsches und österreichisches. Es laufen nur Gold und Silber um, auf dem Land auch Kupfer, aber kein Papiergeld. Maße und Gewichte: 1 Pik = 0,67 m, 1 Kassaba = 3,35 m. 1 Feddân = 4200 qkm. 1 Ruba = 7,5 Lit., 4 Ruba = 1 Webe, 6 Webe = 1 Ardeb. 1 Dirhem = 3,93 g. 1 Rotl = 445,46 g, 100 Rotl = 1 Kantar. 1 Akka = 1,237 kg.
Die Verkehrsmittel haben sich in in letzterer Zeit entschieden gehoben. Voran steht der 1869 dem Verkehr übergebene Suezkanal (s. d.), welcher über Zagazig mit dem Nil durch einen nach Suez führenden, schon 1863 vollendeten Süßwasserkanal in Verbindung steht. Eisenbahnen und zwar Staatsbahnen standen 1883: 1518 km in Betrieb. Das Delta ist von zahlreichen Linien durchschnitten, von Kairo geht eine Bahn nach Ismailia und dann längs des Suezkanals nach Suez.
Die Bahn von Kairo nach Suez durch die Wüste ist aufgegeben. In Mittelägypten besteht die von Gizeh nach Siut längs des Nils verlaufende Bahn. In Privathänden ist nur die 8 km lange Bahn Alexandria-Ramle; 1880 wurden 3,093,840 Reisende befördert. Staatstelegraphenlinien verzweigen sich über das Delta und sind seit 1869 bis Chartum und bis Dar Fur geführt worden; ein Draht geht auch von Chartum nach Suakin am Roten Meer. Im J. 1882 betrug die Länge sämtlicher Linien 8645 km, davon ist eine 728 km lange Linie von Kairo nach Suez in englischem Besitz. Die ägyptische Staatspost zeichnet sich durch Pünktlichkeit aus; sie expedierte 1881 in 140 Postämtern 8,414,000 Sendungen. Europäische Postämter unterhalten die Konsulate in den großen Städten.
Überblicken wir nochmals die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ägyptens, wie sie sich unter dem Einfluß der Europäer seit einigen Jahrzehnten entwickelt haben, so finden wir äußerlich wohl einen Fortschritt, im ganzen aber mehr Schein als Wesen. Der geistige und moralische Fortschritt ist fast Null. Was Europa nachgeahmt wurde, besteht in Äußerlichkeiten oder noch Schlimmerem. Europäische Wissenschaft hat nicht eindringen können, wohl aber die europäische Halbwelt, geführt vom Hof, der die Schattenseiten von Paris an den Nil verpflanzte.
In der Religion besteht nach wie vor der finstere Fanatismus; auf die Volksmoral kann das luxuriöse Beispiel des Hofs und der zum großen Teil aus Schwindelelementen bestehenden ansässigen Europäer nur verderblich wirken. In der Justiz herrscht die alte sprichwörtliche Bestechlichkeit, wonach Kadi und Rechtsverkäufer gleichbedeutend sind. Der Unterricht beschränkt sich im wesentlichen auf die alten Koranschulen; was außerdem geschah, ist Karikatur Europas. Im Handel und Wandel herrscht die größte Unsicherheit.
Was endlich die Staatswirtschaft betrifft, so ist sie eins der größten Rätsel, welches die Nationalökonomie des Orients bietet. Eins der reichsten Länder, in welchem der gesamte Bodenertrag Staatseinkommen bildet, in welchem Beamte wie Militärs fast nie bezahlt werden, ist Ägypten ungeheuer mit Schulden belastet. Ordnung und Sparsamkeit sind den Finanzen fremd; es herrscht die schändlichste Verschleuderung des öffentlichen Staatseigentums. »Zivilisation und Humanität«, von der Regierung oft gebrauchte Worte, sind leerer Schall geblieben. Die Mißhandlung des Volks, der armen Fellahs, ist eine arge, und Ägypten wird sich nicht eher heben, bis das Los dieser armen Menschen erleichtert wird.
Alte Kultur Ägyptens.
Die Kultur Ägyptens ist wie die keines Volks ein Abbild der Eigenart des Landes, welches schon den Alten als ein Wunderland galt. Herodot, welcher um 450 v. Chr. besuchte, bemerkt: wie dort Himmel und Strom eine ganz abweichende Art und Natur hätten, so unterschieden sich auch die Bewohner in ihren Sitten weit von andern Völkern, und führt zum Beweis Gebräuche an, bei denen die Geschlechter die Rollen vertauscht zu haben scheinen, sowie eine Reihe andrer Seltsamkeiten, die vielleicht in der Eigentümlichkeit des Landes ihre Erklärung finden.
Die Abstammung der alten Ägypter ist noch dunkel. Ihre Sprache hat sich zwar erhalten in der koptischen; doch verbreitet diese nur wenig Licht über die Abkunft des Volks, welches sie einst gesprochen, da sie zur indogermanischen Sprachfamilie in keiner deutlich erkennbaren, zur semitischen nur in entfernterer Beziehung steht. Die durch die Entzifferung der Hieroglyphen (s. d.) erschlossene altägyptische Sprache verrät dieselbe Stammverwandtschaft mit der semitischen, aber sie ist einfacher und ursprünglicher in ihrem Bau als diese.
Sie bildet mit einigen andern afrikanischen Sprachen den hamitischen Sprachstamm. Was wir über die Körperbildung der alten Bewohner aus Beschreibungen, aus der Betrachtung der Mumien und aus den Abbildungen auf den Monumenten wissen, berechtigt zu der Vermutung, daß die Ägypter nicht einem und demselben Volksstamm angehört haben. Vermutlich hat die Verschiedenheit der Rasse auch auf die bei ihnen übliche Kasteneinteilung Einfluß gehabt. In waren, wie in Indien, die höhern Kasten von einem in der Körperbildung edlern und geistig begabtern Stamm kaukasischer Rasse, während die niedern zwischen dieser und der Negerrasse gestanden zu haben scheinen.
Sicher war auch hier der weißere Stamm der später eingewanderte. Woher die Einwanderung kam, darüber fehlt jede Spur; doch deutet schon die kaukasische Rasse darauf, daß die höhern Volksklassen aus Asien hergezogen sein mögen. Auch manches Übereinstimmende in Einrichtungen, Vorstellungsweisen und Kenntnissen spricht dafür. Insbesondere haben die ägyptische Kasteneinteilung und die Lehre von der Seelenwanderung zu der Vermutung geführt, daß von Indien aus eine Priestereinwanderung geschehen sei, was jedoch wenig wahrscheinlich ist. Schon der Weg, den eine solche Einwanderung genommen haben könnte, bietet große Schwierigkeiten. Daß indische Kolonisten durch Iran etc. zu Lande nach Ägypten
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gelangt sein sollten, ist kaum denkbar. Man hat daher eine vielleicht durch Arabien vermittelte Verbindung zwischen Indien und Äthiopien und eine Übersiedelung der Kultur von Äthiopien nach Ägypten angenommen und in Meroë (s. d.) den Ort erkennen wollen, wohin kaukasische Einwanderer aus Asien zuerst gekommen und von wo sie weiter nach Ägypten gezogen seien. Dem widerspricht aber schon die Angabe Herodots, daß die Äthiopier Sitten und Kultur von zu ihnen entwichenen ägyptischen Kriegern empfangen haben sollen, und die genauere Erforschung der Baudenkmäler spricht für die Priorität der ägyptischen, wie auch der ägyptische Stil in den Bauwerken Nubiens sich einfach durch die Annahme erklärt, daß sie dort von ägyptischen Meistern oder von äthiopischen Schülern derselben aufgeführt worden sind, als Nubien unter der Herrschaft der Pharaonen stand.
Die hieroglyphischen Inschriften haben gelehrt, daß Nubien schon unter der 12. Dynastie Ägypten unterworfen war; ägyptische Statthalter verwalteten das Land bis zur Zeit der 21. Dynastie, und erst danach entstand das Äthiopenreich von Napata oder Noph am Berg Barkal, welches des Pharaonenreichs Kultur in sich aufnahm, im 8. und 7. Jahrh. Ägypten selbst unterjochte und bis in die ersten Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung blühte. Die Denkmäler Äthiopiens sind also bedeutend jünger als die meisten ägyptischen, deren älteste die Pyramiden von Memphis und die Gräber in deren Umgebung sind. An eine Einwanderung der Kultur von Süden her ist also überhaupt nicht zu denken.
So viel läßt sich erkennen, daß der Zusammenhang der Kultur Ägyptens mit der asiatischen in das höchste Altertum aller Völkerentwickelung zurückreichen muß. Ägyptens Kultur ist so alt wie irgend eine, von der wir Kenntnis haben. Kunde davon geben uns die Nachrichten der Griechen und Hebräer und vor allem jene den Jahrtausenden trotzenden Denkmäler der Bau- und Bildekunst des alten Volks selbst. Man sah früher die Pyramiden von Memphis (s. d.) und die Obelisken (s. d.) bei Heliopolis als die staunenswertesten Zeugen der alten Kultur Ägyptens an und kannte nicht oder übersah die mannigfaltigen Denkmäler Oberägyptens.
Erst die Napoleonische Expedition 1798 hat die Blicke der Altertumsforscher auf diese Bauwunder gelenkt und in ihnen eine neue, bisher so gut wie unbekannte Welt erschlossen, wodurch die Wissenschaft die wesentlichsten Bereicherungen erhalten hat und noch fortwährend erhält. Vor andern haben sich später Champollion, Rosellini, Lepsius und Mariette um die Erforschung des alten Ägypten verdient gemacht; dem Studium seiner Schriftdenkmäler hat sich eine ganze Schule, die ägyptologische, gewidmet.
Unter den Ruinen im oberägyptischen Nilthal sind die merkwürdigsten die von Theben (s. d.), welches in den Zeiten der Machthöhe Ägyptens die Hauptstadt des ganzen Reichs war. Es sind von ihr noch die gewaltigen Trümmermassen der Tempel, Säulengänge, Kolosse etc. übriggeblieben. Sie geben uns ein Bild von der einstigen Pracht und Herrlichkeit der »hundertthorigen« Hauptstadt, anschaulicher und ergreifender, als es die ausführlichsten Berichte der Alten geben könnten; sie eröffnen uns Blicke in eine uralte hohe Kultur und einen ausgebildeten Kunstsinn, gleich großartig im Entwerfen von Plänen wie in den zur Ausführung verwandten Mitteln.
Nach Entzifferung der Hieroglyphen steht es fest, daß die Mehrzahl dieser Bauten, welche die Blüte der ägyptischen Kunst bezeichnen, in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. entstanden ist. Es gibt jedoch bedeutend ältere Kunstdenkmäler als die Tempel Thebens in Ägypten. Den ältesten Pyramiden schreibt man mit gutem Grund ein Alter von über 5000 Jahren zu, ebenso mehreren Gräbern, deren Kammern mit den herrlichsten Skulpturen geschmückt sind. Zwischen diesen schon so vollendeten Kunstwerken und den allerersten Anfängen der Kultur in Ägypten muß aber eine lange Reihe von Jahrhunderten der Entwickelung gelegen haben. Es sind denn auch Denkmäler aus den ersten drei Dynastien kaum erhalten, und vor diese setzen die Ägypter selbst die Zeiten der Heroen (Schesu-Hor), der Halbgötter und der Götter - viele Jahrhunderte.
Kastenwesen, Rechtspflege, häusliches Leben.
Die bürgerlichen Einrichtungen des alten Ägypten beruhen auf dem Kastenwesen. Die Angaben der griechischen Schriftsteller, unsrer einzigen Quelle, weichen zwar voneinander ab, stimmen aber darin überein, daß sie die Priester und die Krieger als die ersten und als gesonderte Kasten aufführen; das Abweichende betrifft bloß die untern Kasten. Während Strabon nämlich diese in Eine Abteilung bringt, unterscheidet Herodot fünf: Rinderhirten, Schweinehirten, Krämer, Dolmetschen, Schiffer;
Diodor drei: Hirten, Ackerbauer und Handwerker.
Die Priester, die höchste und einflußreichste Kaste, gliederten sich nach dem Rang in höhere und niedere, dann nach den Gottheiten, denen sie dienten, und nach den verschiedenen Tempeln sowie nach sonstigen Geschäften; denn die Priester vertraten das gesamte geistige Volksleben, so daß auch Staatsdiener, Richter, Schriftkundige, Ärzte, Baumeister etc. zu ihnen gehörten. Es war ihnen Enthaltsamkeit in Speisen und Getränken auferlegt und die Vielweiberei untersagt.
Sie bildeten den Mittelpunkt und die Seele des ganzen Staatslebens; ihr Grundbesitz war steuerfrei, und ihren Unterhalt trug der Staat. Die Kaste der Krieger, zu Herodots Zeit 410,000 Mann, war auf verschiedene Provinzen verteilt, wo ihre Mitglieder zinsfreie Ländereien besaßen. Da sämtliche Grundstücke im Besitz des Königs und der beiden obersten Stände waren, so können die Ackerbauer nur Pachter gewesen sein, und deshalb wohl führt sie Herodot nicht als besondere Kaste auf.
Städtische Bürger scheinen jedoch auch innerhalb ihrer Orte Grundbesitz gehabt zu haben. In der Kaste der Handwerker waren ohne Zweifel die einzelnen Gewerbe wieder vollständig voneinander geschieden und erbten von den Vätern auf die Söhne. An der Spitze des Volks stand der König, dessen Würde erblich war (s. Tafel »Kostüme I«, [* ] Fig. 1 u. 2). Er gehörte immer der Priesterkaste an. War er auch durch Gesetze und durch peinliche Zeremonialvorschriften beschränkt, so galt er doch dem Volk gegenüber geradezu als Stellvertreter der Götter: daher der große Einfluß der Priesterschaft, wenn man auch von einer eigentlichen Priesterherrschaft in Ägypten nicht sprechen kann.
Ein Gegengewicht dagegen bildete schon die zahlreiche Kriegerkaste, welche auch auf die kriegerische Natur der Ägypter hinweist. Die Kriegskunst war sehr ausgebildet. Außer Bogenschützen, dem Kern der Heere, gab es ein mannigfach ausgerüstetes schweres Fußvolk, welches in der Schlacht zuweilen in gedrängten Massen phalanxartig aufgestellt wurde, ferner Streitwagen, von welchen herab die Vornehmsten kämpften und befehligten, und später auch Reiterei. Bei
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Belagerung fester Städte wandten die alten Ägypter namentlich Untergrabungen an.
Besonders wohlgeordnet war nach Diodors Angabe die Rechtspflege. Das oberste Gericht bestand aus 30 Mitgliedern, je 10 aus den drei angesehensten Städten des Landes, Theben, Memphis und Heliopolis, und zwar ohne Zweifel aus den dortigen Priesterkollegien. Um jede persönliche Beeinflussung abzuschneiden, wurde alles schriftlich verhandelt. Die Gesetze waren uralt und wurden, als von den Göttern gegeben, heilig gehalten. Mit dem Tod wurden nicht nur Mörder (auch von Sklaven), sondern auch solche bedroht, welche einen Menschen hatten umbringen oder sonst Gewalt leiden sehen, ohne ihm zu helfen, obschon es in ihrer Gewalt gestanden; ferner Meineidige und einem spätern Gesetz zufolge auch die, welche bei der Obrigkeit trügerische Angaben über die Art ihres Unterhalts machten oder sonst auf unerlaubten Erwerb ausgingen.
Feige und Flüchtlinge dagegen traf Ehrverlust, der aber für schärfer galt als die Todesstrafe. Es sind uns mehrere altägyptische Prozeßakten in hieratischer Schrift (z. B. Papyrus Abbott) erhalten, aus denen wir das Gerichtsverfahren der Ägypter am deutlichsten erkennen. Danach erfolgte auf die Einreichung der Klage der Zusammentritt des Gerichtshofs, der nach mündlicher Verhandlung über Schuld oder Unschuld urteilte, während die Verhängung der Strafe in einzelnen Fällen dem Pharao anheimgestellt wurde.
Was Diodor von den ägyptischen Dieben erzählt, daß sie eine Art Zunft gebildet und unter einem Diebsobersten gestanden haben, bei welchem die Bestohlenen das Ihrige gegen Erlegung des vierten Teils vom Wert zurückerhalten konnten, steht mit alledem zwar in auffallendem Widerspruch; doch gilt diese seltsame Einrichtung noch in dem heutigen Ägypten. In Kairo bilden die Diebe wirklich eine Innung, die ihren eignen Vorsteher hat, von dem der Bestohlene das Entwendete gegen eine Vergütung zurückerhalten kann.
Der große Reichtum und die hohe Zivilisation Ägyptens mußten einen lebhaften Handel hervorrufen, der zwar mehr zu Lande als zur See und mehr von Fremden nach Ägypten als von Ägyptern nach der Fremde getrieben wurde, aber doch die Produkte weit entlegener Länder nach Ägypten brachte. Bekannt sind die Darstellungen im Tempel von Der el Bahari, aus denen hervorgeht, daß schon eine Königin der 18. Dynastie (Hâtschepsu) eine Expedition nach dem Punaland (Arabien oder Somalland) entsandte, um Erzeugnisse desselben nach Ägypten überzuführen und zu verpflanzen.
Auch das Mittelmeer scheinen die Ägypter schon in jener alten Zeit befahren zu haben, und unter Ramses III. waren sie selbst eine Seemacht, die verschiedene mittelländische oder kleinasiatische Völker mit Glück bekriegte. Schiffahrt fand sonst vornehmlich auf dem Nil und dessen Kanälen statt und war zur Zeit der Überschwemmung das einzige Kommunikationsmittel. Die Arbeiten und Beschäftigungen, überhaupt das ganze häusliche Leben der Ägypter tritt uns aufs anschaulichste in den Malereien der Grabkammern und den darin enthaltenen mannigfachen Geräten entgegen.
Außer dem Ackerbau betrieben die Ägypter besonders Garten-, Wein- und Obstkultur, namentlich auch Viehzucht, indem sie Herden großen und kleinen Viehs, bis zu den Gänsen herab, hielten. Wenn dennoch das Gewerbe des Viehhirten verachtet war, so entsprang dies wohl ihrem Abscheu vor dem Nomadenleben. Lieblingsbeschäftigungen waren Jagd jeder Art mit Bogen und Pfeil, Schlingen und Hunden, sogar mit Löwen, die man zähmte, Vogel- und Fischfang. Auch die städtischen Gewerbe lernen wir aus jenen Darstellungen kennen: die gröbern und feinern Bearbeitungsarten des Holzes, das Behauen und Fortschaffen der Steine, das Weben der Zeuge, die Arbeiten der Goldschmiede und Juweliere, der Maler, Bildhauer etc. Die Höhe des Kunstfleißes beweisen die aufgefundenen Gegenstände.
Die gewebtem Zeuge, namentlich die aus Leinen und Byssus, waren von ungemeiner Feinheit. Namentlich machte man auch von der Papyruspflanze ausgedehnten Gebrauch. Die Wurzel benutzte man als Brenn- und Nutzholz, aus der Pflanze selbst verfertigte man Decken, Kleider, Segel, sogar Fahrzeuge, namentlich auch das in Griechenland und Rom bis ins Mittelalter hinein gebräuchlichste Papier. Früh verstand man sich auf Anfertigung des Glases. Gewisse chemische Kenntnisse beweist die Beschaffenheit der Farben an den erhaltenen Gemälden. Man verstand sogar ein weißes gewebtes Zeug chemisch so zu bearbeiten, daß es, in Farbe getaucht, daraus wie mit den mannigfaltigsten Farben und Figuren bedruckt hervorging. In der Purpurfärberei scheinen selbst die Tyrer von den Ägyptern übertroffen zu sein.
Besonders zahlreich und lehrreich sind die das Hauswesen und das gesellige Leben betreffenden Abbildungen. Sie berichtigen die ehemals herrschende trübe und finstere Vorstellung von dem Leben in Ägypten. Sie zeigen die Häuser der Reichen geräumig, bequem und mannigfach geschmückt; es fand sich darin das verschiedenartigste Hausgerät, Tische, Sessel, Ruhebetten, Vasen etc., vor, oft von geschmackvoller Form und kostbarem Material. Auch liebte man allerlei Erheiterungen und Ergötzlichkeiten, wie Würfel-, Brett- und Ballspiel, und selbst von Stiergefechten finden sich Andeutungen.
Bei Gastmahlen und geselligen Zusammenkünften herrschten Luxus und Üppigkeit; die Gäste wurden von Sklaven gesalbt und bekränzt. Daß die Frauen an solchen Genüssen teilnahmen, beweist, daß das weibliche Geschlecht im alten Ägypten größere Freiheit genoß als bei den meisten andern Völkern des Orient und selbst bei den Griechen. Die oft unmäßig genossenen Tafelfreuden erhöhte man durch Musik, Gesang und Tanz. Wenn aber Herodot erzählt, daß dabei ein hölzernes Totenbild jedem Gast mit den Worten dargereicht worden sei: »Trinke und sei fröhlich, denn wenn du gestorben bist, wirst du sein wie dieser«, so scheint diese Mahnung an die Vergänglichkeit des irdischen Daseins nur in der Absicht gegeben zu sein, um auf die Notwendigkeit einer höhern und dauernden Befriedigung hinzuweisen.
Denn überall walteten bei den alten Ägyptern religiöse Beziehungen. Sie galten daher den Griechen für ein in heiligen Dingen ausnehmend eingeweihtes und kundiges Volk. Uns scheinen ihre religiösen Vorstellungen durch seltsamen Aberglauben entstellt und abschreckend abenteuerlich, zudem ist die ägyptische Götterlehre aus den hieroglyphischen Schriften noch wenig aufgeklärt, und die Angaben der griechischen Schriftsteller sind weder übereinstimmend noch zuverlässig. Auch mischen sich vielfache Mißverständnisse ein, indem man griechische Mythen und Philosopheme mit ägyptischen vermengte. Überdies vermischen sich die Gottheiten vielfach. Im allgemeinen war die ägyptische Religion Naturreligion und zwar Sonnenkultus: die Verehrung der Sonne ist als der frühste Kern
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Mut (Mutter) hervor, welche dem Ammon als weibliches, empfangendes Prinzip zur Seite gestellt ward. Sie findet sich dargestellt mit der hohen Mütze, dem königlichen Kopfschmuck von Oberägypten. Ihr ist der Geier geheiligt, wie sie selbst auch mit dem Geierkopf oder auch selbst als Geier erscheint.
Von den Göttern der 2. Dynastie genügt es, Chensu (Chons), den Gott des Mondes, und Thoth, den Schreiber der Himmlischen, hervorzuheben. Der erstere bildet mit Ammon und Mut die Triade von Theben, der letztere heißt »Schreiber der Wahrheit«, »Herr des göttlichen Worts« und trägt die Schreibtafel, den Griffel oder den Palmzweig, auch die Straußfeder als Sinnbild der Wahrheit in den Händen. Als Gott der Weisheit hat er die heiligen Schriften offenbart und aufgezeichnet und ist daher vorzugsweise der Gott der Priester.
Da er die Zeiten aufschreibt und damit regelt, hat er auch eine Beziehung zum Mond und wird gleichbedeutend mit dem Mondgott. Er nimmt auch an der Prüfung der Verstorbenen in der Unterwelt teil. Ihm war der erste Monat des ägyptischen Jahrs heilig. Waren so die religiösen Anschauungen der alten Ägypter von dem Gegensatz zwischen Leben und Tod, zwischen den heilbringenden und verderblichen Kräften der Natur beherrscht, so wurden jene Mächte auch als im Kampf miteinander befindlich gedacht, wobei die dem Menschen feindlichen zwar auf kurze Zeit obsiegten, schließlich aber doch unterlagen.
Seb und Nut, der Gott und die Göttin des Himmelsraums, erzeugen den Osiris und die Isis sowie den bösen Typhon (Seth) und die Nephthys. Osiris vermählt sich mit Isis und waltet segensreich über Ägypten, wird aber von seinem Bruder Typhon umgebracht, sein Leichnam in einem Kasten in den Nil geworfen. Traurig schweift Isis umher, den Leichnam des Gatten zu suchen, bis sie ihn bei Byblos findet, wo die Wellen den Kasten ans Land gespült haben und eine Tamariske darüber emporgewachsen ist.
Isis bringt den Leichnam nach Ägypten zurück und bestattet ihn zu Philä. Horos aber, des Osiris und der Isis Sohn, kämpft, herangewachsen, um seinen Vater zu rächen, mit Typhon und erschlägt ihn. Osiris war jedoch nicht dem Tod erlegen, sondern in die Unterwelt hinabgestiegen, wo er fortan herrschte. Dieser Mythus soll den durch die Jahreszeiten bedingten Wechsel der Vegetation bedeuten. Nach der fruchtbaren Zeit folgt in Ägypten bis zur Sommersonnenwende und zum Eintritt der Überschwemmung eine Periode austrocknender Hitze und Unfruchtbarkeit. In dieser Zeit hat Typhon Osiris besiegt und mit Hilfe seiner 72 Genossen, welche die 72 Tage der größten Hitze bezeichnen sollen, erschlagen.
Die Entfernung der Leiche des Osiris bedeutet, die schaffende Naturkraft entweiche aus Ägypten, bis Horos den Typhon überwindet, d. h. die Natur sich wieder infolge der Überschwemmung belebt. Der Tod des Osiris ist nur ein Scheintod; der Gott lebt, wie auf der Oberwelt in seinem Sohn, so in der Unterwelt selbst fort, um die Seelen der gestorbenen Menschen zu neuem Leben zu erwecken. Jeder Verstorbene wird zu einem »Osiris«; das Schicksal des Menschen ist ein Abbild des göttlichen, welches das Leben und Absterben der Natur symbolisiert.
Typhon (Seth) ist Personifikation aller schädlichen, dem Menschen feindlichen Naturkräfte, sowohl der Unfruchtbarkeit als auch der Dunkelheit, der Gott des öden, salzigen Meers im Gegensatz zu dem befruchtenden Nilwasser. Ihm gehören alle schädlichen Pflanzen und Tiere an, und von ihm rühren alle verderbenbringenden Ereignisse in der Natur her, wie er auch der Urheber des moralisch Bösen, der Vater der Lüge geworden ist. Seine Farbe war dunkelrot, gleich der brennenden Sonne im Staub der Wüste; daher sollen ihm rothaarige Menschen geopfert worden sein.
Horos (Hor), der Rächer seines Vaters Osiris, wird häufig als Kind dargestellt, den Finger am Mund (Harpokrates), aber schon in dieser Gestalt »großer Gott, Rächer seines Vaters« genannt, der herangewachsen den Typhon überwindet. Als »Sonnengott beider Horizonte« (Harmachis) erscheint er mit dem Sperberkopf des Ra, mit den Zeichen der Herrschaft und des Lebens. Ihm wird die Göttin Hathor zur Seite gestellt, die Aphrodite der Griechen, in den Inschriften »Auge der Sonne«, »Herrin der Scherze und des Tanzes« genannt und mit Stricken und dem Tamburin, den Symbolen der Freude und des fesselnden Liebreizes, dargestellt. Vornehmlich aber personifiziert sie die Naturpotenz des Gebärens. Ihr sind die weiblichen Sperber und die Kühe heilig, wie sie auch selbst mit Kuhhörnern und der Sonnenscheibe dazwischen oder mit dem Kuhkopf, ja selbst als eine Kuh abgebildet wird.
In Osiris und Horos sind alle wohlthätigen Naturkräfte vereinigt und deren siegreiche, das Böse überwindende Macht personifiziert. Osiris ward angerufen als »König des Lebens«, als »Herr von unzähligen Tagen«; aber die Herrschaft über Ägypten hat er dem Horos überlassen und waltet selbst in der Unterwelt. Die immergrüne Tamariske ist sein Baum und der Reiher (Phönix) sein Tier. Isis (Ese),
»große Göttin«, »königliche Gemahlin«, ist die Erde, deren vegetative Kraft alljährlich durch Osiris geweckt und befruchtet wird. Die Göttin Mut, alle Göttinnen der Empfängnis und Geburt, Neith von Sais, Pacht und Hathor gehen in die Isis über, indem sie zugleich besondere Gestalten neben ihr bleiben. Osiris und Isis wurden in ganz Ägypten verehrt, namentlich aber zu Abydos und This in Oberägypten und an der Südgrenze, auf der Insel Philä im Nil oberhalb Syene.
Hier ward das von Tamarisken beschattete Grab des Osiris auf einer kleinen Insel, die nur Priester betreten durften, gezeigt, außerdem aber auch bei andern Tempeln des Gottes, das echteste in der Stadt Busiris im Delta, wo auch der größte Tempel der Isis stand und beiden Gottheiten große Feste gefeiert zu werden pflegten. An dem Tag, an dem die Sonne durch das Zeichen des Skorpions geht, sollte Typhon den Osiris erschlagen haben, und an demselben Tag, von welchem an der Anfang der größten Hitze gerechnet ward, begann das Fest der Trauer um des Osiris Tod.
Diesem Trauerfest folgte, wenn die ersten neuen Keime nach der Überschwemmung sich zeigten, die Feier des zu neuem Leben erwachten Osiris. Die Gestalten des Osiris und der Isis sind allein Gegenstände eines reichen und tiefen Mythus, während die übrigen Götterfiguren bloß Personifikationen von Naturpotenzen oder Lokalgötter sind. Hieraus sowie aus dem Umstand, daß dem Götterkreis des Osiris, der aus diesem selbst sowie aus Horos, Typhon, Isis und Nephthys besteht, die fünf Schalttage des ägyptischen Jahrs, welches ursprünglich nur 360 Tage zählte, geweiht waren, möchte man auf den spätern Ursprung des Osirisdienstes schließen, wenn nicht der das Jahr zu 365 Tagen bestimmende Kalender schon aus älterer Zeit herrührte und Osiris
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Lokalgott von This wäre, von wo die Gründung des alten Reichs von Memphis ausgegangen sein soll.
Im höchsten Grad seltsam und ohnegleichen ist aber der ägyptische Tierdienst. Einige Tierarten, Stier, Hund, Katze, Ibis, Storch und einige Fische, wurden allgemein, andre, wie Widder, Wolf, Löwe, Spitzmaus, Adler, Krokodil, Ichneumon, nur in einzelnen Bezirken verehrt; ja, manche, die hier angebetet wurden, waren dort ein Gegenstand des Abscheus. Wer ein heiliges Tier mit Vorsatz tötete, war des Todes schuldig; wenn es unvorsätzlich geschah, konnte er sich mit einer Geldstrafe lösen.
Wer aber eine Katze oder einen Ibis umbrachte, hatte jedenfalls das Leben verwirkt. Wenn jemand ein heiliges Tier tot erblickte, so blieb er in der Ferne stehen, schrie, wehklagte und beteuerte, daß er es tot gefunden habe. Noch Diodor erzählt, daß ein Römer, welcher eine Katze umgebracht hatte, die Todesstrafe erleiden mußte und zwar zu einer Zeit, da des Landes Schicksal in Roms Händen war. Bei einer Feuersbrunst, erzählt Herodot, trugen die Ägypter weit mehr Sorge für die Rettung der Katzen als für die Löschung des Brandes, und wenn eine Katze sich in die Flammen stürzte, wurde große Wehklage erhoben.
Starb in einem Haus eine Katze, so schoren sich alle Bewohner desselben die Augenbrauen ab; starb ein Hund, so schor man sich den ganzen Leib und den Kopf kahl. Man balsamierte die heiligen Tiere ein und setzte sie in eignen Gräbern bei. So gab es in Bubastis einen Katzenfriedhof, dessen Stätte man bei dem heutigen Zagâzîg noch deutlich wieder erkannt hat. Gewisse Tierindividuen hielt man auch in heiligen Höfen, badete, salbte, fütterte und schmückte sie mit großem Aufwand und hielt ihnen besondere Wärter, die in hohen Ehren standen.
Von dem Tierdienst scheint die Götterverehrung der Ägypter ausgegangen zu sein; einige blieben einzelnen Göttern heilig, so daß sie selbst mit ihnen wechseln, wie Sperber und Horos, Schakal und Anubis, Ibis und Thoth. So hat sich aus dem Fetischismus der Polytheismus entwickelt. Wenn die Göttergestalten teilweise aus Menschen- und Tierleib zusammengesetzt sind, so beruht das nur auf sogen. Hieroglyphismus. Der Gott wird durch diese Form erkennbar und benennbar; Götterdarstellungen sind aus der ältern Zeit bei den Ägyptern überhaupt nicht nachzuweisen.
Daß in dem Apis eigentlich Osiris verehrt wurde, sagen die Alten ausdrücklich; die Seele dieses Gottes sollte in dem Stier wohnen und nach dem Tode desselben in den Nachfolger übergehen. Diese Vorstellung hängt mit dem Glauben an Seelenwanderung zusammen, welcher einen uralten Zusammenhang zwischen Ägyptern und Indern vermuten läßt. Nach Herodot glaubten die Ägypter, die Seele des Menschen wandere nach dem Tode des Leibes durch alle Tiere des Landes und des Meers und durch alle Vögel und kehre nach 3000 Jahren in einen Menschenleib zurück.
Besser als über diesen Glauben werden wir durch die ägyptischen Schriften über das Totenreich, Amenthes oder Amente, belehrt, wo Osiris herrscht und die Toten richtet. Ein solches Gericht findet sich in Exemplaren des »Totenbuchs« öfters bildlich dargestellt: vor dem auf einem Thron sitzenden Osiris werden von dazu bestellten Göttern die Thaten des Hingeschiedenen, die durch das Symbol des Herzens bezeichnet werden, förmlich gewogen. Nach Diodor fand schon auf der Oberwelt ein solches Gericht statt, welches dem schlechten Wandels schuldig befundenen Verstorbenen eine feierliche Bestattung absprach und selbst über Könige aburteilte, denen das ein Antrieb zu gerechter Regierung gewesen sein soll.
Denn die Versagung feierlicher Bestattung mußte gerade in den größten Eindruck machen. Sorgfältigst balsamierte man die Leichname zu Mumien (s. d.) ein, um sie der Verwesung zu entziehen, legte sie dann in mitunter doppelte oder dreifache Särge von Sykomorenholz und diese zuweilen noch in Granitsarkophage, die mit Inschriften und Darstellungen versehen waren, und stellte sie so in den Grabkammern, bisweilen aufrecht, hin. Über die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tod gibt das »Totenbuch« die beste Auskunft; es umfaßt alles, was dem Verstorbenen in der andern Welt zu wissen nötig war.
Noch ältere Vorstellungen enthalten die schwierigen Texte, welche man neuerdings in einigen Pyramiden gefunden hat.
Vgl. Pierret, Essai sur la mythologie égyptienne (Par. 1879);
Derselbe, Le Panthéon égyptien (das. 1881);
Lanzone, Mitologia egiziana (Tur. 1882);
Renouf, Vorlesungen über Ursprung und Entwickelung der Religion der alten Ägypter (a. d. Engl., Leipz. 1881);
Lieblein, Egyptian religion (Lond. 1884);
Brugsch, Religion und Mythologie der alten Ägypter (Leipz. 1884).
Zeitrechnung, Schrifttum.
Wie hiernach von den religiösen Lehren der Priester vieles dunkel bleibt, so haben wir auch über ihre wissenschaftlichen Kenntnisse bei dem Mangel einer Volkslitteratur keine größere Klarheit. Der Gott der geistigen Gaben und Leistungen war Thoth (Taut), der griechische Hermes, der Erfinder der Zahlen, der Rechenkunst, der Meß- und Sternkunde sowie der Buchstaben. Er soll zuerst Geometrie und Astronomie gelehrt haben, womit sich die ägyptischen Priester, durch die Natur des Landes veranlaßt, emsig beschäftigten; denn die jährlich wiederkehrende Nilanschwellung leitete auf Versuche sowohl in der Feldmeßkunst, um die Grenzmarken der Äcker festzustellen, als im Kalenderwesen, wozu Beobachtung der Gestirne notwendig ist.
Das Jahr der Ägypter bestand aus 12 dreißigtägigen Monaten und 5 Schalttagen. Es war demnach ein sogen. wanderndes Sonnenjahr, dessen Anfang, weil der fast einen Viertelstag betragende Unterschied zwischen seiner Dauer und der des wirklichen Erdumlaufs um die Sonne dabei übersehen wird, allmählich durch alle Jahreszeiten wandert. Mit dem julianischen Jahr von 365¼ Tagen verglichen, beträgt der Unterschied nach 1460 Jahren ein volles Jahr, so daß der Anfang des ägyptischen Jahrs nach diesem Zeitverlauf mit dem des julianischen wieder zusammenfällt.
Bestimmten Zeugnissen der Alten zufolge war den Ägyptern diese große Periode, die Hundsstern- oder Sothisperiode, bekannt, sie müssen also den Mehrbetrag von einem Vierteltag berechnet und gekannt haben. Über das Verhältnis des festen zu dem gebräuchlichen beweglichen Jahr sind eingehende Untersuchungen geführt worden, die aber vollständig gesicherte Ergebnisse noch nicht gehabt haben. Von einer weitern Entwickelung der seit uralter Zeit vorhandenen astronomischen Kenntnisse und Vorstellungen ist nichts zu finden. Die Ägypter blieben auf der einmal erreichten Stufe der Bildung stehen, und ihr gesamtes Wissen und Können beharrte in der festen Form und Regel, die es einmal angenommen hatte.
Wenn sich die Ägypter der Erfindung der Buchstabenschrift rühmten und der Mythus dieselbe dem Gotte Thoth zuschrieb, so dürfen wir ihnen
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allerdings den Ruhm lassen, daß die ersten Anfänge der Buchstabenschrift von ihnen ausgegangen sind und zwar nicht nur ihre phonetischen Hieroglyphen, sondern auch das vollkommnere System des begrenzten und festen und zum Gebrauch weit geeignetern semitischen Alphabets. Die Griechen haben ihr Alphabet von den Phönikern, das ursprüngliche semitische Alphabet aber hatte dasselbe Prinzip mit dem ägyptischen: es wurde nämlich ein Gegenstand abgebildet, dessen Name mit dem Buchstaben anfing, den man hinsetzen wollte;
aus diesen für den Gebrauch abgekürzten Bildern entstanden dann die alphabetischen Lautzeichen.
Die Ableitung der semitischen Buchstabenzeichen aus den entsprechenden hieroglyphischen hat E. de Rougé versucht (vgl. »Sur l'origine égyptienne de l'alphabet phénicien«, Par. 1874). Der Hauptmangel der hieroglyphischen Schrift, die aus Buchstaben, Silben- und Deutezeichen gemischt ist, ist die ungenügende Bezeichnung des Vokals, die indessen durch eine Fülle von sogen. Determinativen einigermaßen ausgeglichen wird (weiteres s. Hieroglyphen). Was die Litteratur anbetrifft, so ist sie zum allergrößten Teil religiöser Art. Der altägyptische Stil ist im allgemeinen weitschweifig und oft dunkel; selbst historische Inschriften umhüllen die Thatsachen mit abstrakten Ausdrücken und weitläufigen Formen. Am verständlichsten erscheinen uns ihre Märchen, deren manche in hieratischen Papyren erhalten sind. Auch für das didaktische Genre scheinen sie eine Vorliebe gehabt zu haben; in der Poesie haben sie sich nur durch Hymnen an die Götter ausgezeichnet.
Musik. Bildende Künste.
In der Tonkunst zeigten die alten Ägypter technische Fertigkeit in der großen Mannigfaltigkeit ihrer musikalischen Instrumente, den verschieden gestalteten Harfen, Lauten, Zithern, Flöten, Doppelflöten, Pfeifen, Tamburinen, Trommeln etc., die sich abgebildet finden; doch sind sie, wie alle orientalischen Völker, über einfache und einförmige Melodien gewiß nicht hinausgekommen.
Dagegen leisteten sie schon früh in der bildenden Kunst Großes. Namentlich tritt in der ägyptischen Baukunst ein ungemein kräftiger, fester und ernster Charakter hervor, welcher in Verbindung mit kolossaler Größe auf den Beschauer einen überwältigenden Eindruck macht. Der ägyptische Tempel ist nicht ein in sich abgeschlossenes Ganze, sondern besteht aus einzelnen Teilen, welche durch Anbauten willkürlich vermehrt werden konnten. Durch eine Sphinx- oder Widderallee und einige große, frei stehende Thore gelangt man zu einem höchst eigentümlichen Eingangsthor (Pylon genannt), mit welchem das Hauptgebäude beginnt.
Dieses Thor besteht aus zwei turmartigen Gebäuden, in deren Mitte sich eine Thür befindet; davor stehen Obelisken oder Kolosse oder auch beide. Dann folgt ein Vorhof mit Säulenreihen, aus dem man durch einen zweiten Pylon in eine von Mauern umgebene bedeckte Säulenhalle gelangt, die aber auch öfters schon nach dem ersten Pylon folgt und nie fehlt. Zuweilen ist diese Säulenhalle noch durch andre Säle von dem Allerheiligsten getrennt, welches immer eng und dunkel ist. Es war alles darauf berechnet, daß sich der Priester dem Allerheiligsten, das Volk den davor befindlichen heiligen Räumen allmählich fortschreitend nahten, durch die Eindrücke des Erhabenen und Gewaltigen, die sie hier empfingen, auf den Götterdienst, bei welchem die feierliche Prozession eine Hauptrolle spielte, genügend vorbereitet.
Auffallend aber ist es, daß gegenüber der Mannigfaltigkeit im Innern die äußern Mauern jeder Gliederung entbehren. Dort allenthalben die verschiedenartigsten Nachahmungen vegetativer Formen, besonders von Nilpflanzen, die sich indes meist auf zwei Hauptformen, die Frucht oder geschlossene Blüte und den geöffneten Kelch, zurückführen lassen; hier die größte Einfachheit der Linien, welche die Einförmigkeit der Landschaft abspiegelt und nur durch Verzierungen mit Bildwerk und einen hellen Farbenanstrich, der sich zum Teil bis auf den heutigen Tag erhalten hat, gemildert wird.
Von ganz andrer Beschaffenheit sind die Pyramiden (s. d.), jene von Bruchsteinen erbauten Massen, die, auf meist quadratischer Basis sich erhebend und im Innern mit nur wenigen engen Gängen, oben in eine Spitze oder kleine Fläche endigen. Die größten und ältesten finden sich bekanntlich bei Memphis, wo sie, einige siebzig an der Zahl, in verschiedenen Gruppen auf Hochebenen der libyschen Bergkette stehen, die drei höchsten, welche den Königen Cheops, Chephren und Mencheres angehören, in der Gruppe von Gizeh.
Der Anblick der ungeheuern Steinmassen, welche hier in der Stille der Wüste zu Kirchturmshöhe aufgebaut sind, und die Erinnerung an das Volk, welches diese gewaltigen Anstrengungen gemacht hat, um seinen Namen durch Jahrtausende fortleben zu lassen, ergreifen den Beschauer mächtig. Was den lange Zeit rätselhaften Zweck dieser Riesenbauten angeht, so ist es nun nicht länger zweifelhaft, daß sie Grabdenkmäler der Könige waren, wofür außer den Überlieferungen des Altertums ihr Inneres spricht, da in allen, in welche man gedrungen, ein Sarkophag gefunden ist, sowie ihr Standort mitten in der Totenstadt des alten Memphis unter der Menge andrer Gräber von der verschiedensten Form. Erst 1881 hat man fünf Pyramiden bei Sakkâra geöffnet, deren innere Kammern mit vielen Inschriften ausgestattet sind. Sie gehören Königen der 5. und 6. Dynastie an. (S. Artikel und Tafel III »Baukunst«.)
In inniger Verbindung mit der Baukunst standen Bildhauerei und Malerei bei den Ägyptern, und sie wuchsen sozusagen aus ihr hervor. Hinsichtlich der altägyptischen Kunst ist zunächst zu bemerken: Bewunderungswürdig ist die technische Geschicklichkeit der ägyptischen Bildhauer;
aus Granit, Porphyr und anderm Gestein der härtesten Art sind die Statuen mit meisterhafter Präzision gehauen, auf das sauberste ausgearbeitet und geglättet.
Sie weisen kräftige, im ganzen naturgemäß gestaltete Körperformen auf, nur die Sehnen und Muskeln der Glieder sind meist weniger richtig angegeben. Die Gesichtsform, welche zwischen der kaukasischen und negerartigen mitten inne steht, ist nicht unedel, der Gesichtsausdruck jedoch starr und meist streng typisch. Die Statuen in sitzender oder schreitender Stellung haben eine sich stets gleichbleibende steife Haltung; die dem Ägypter eigne ernste, feierliche Ruhe ging, auf die Kunst übertragen, ins Leblose über.
Doch hat sich dieser einförmige Typus erst allmählich herausgebildet; die älteste Skulptur zeigt große Lebendigkeit und überraschende Treue. Berühmt sind die polychromen Statuen des Paars aus Meidum, des Dorfschulzen und des Schreibers, im Louvre, welche der ältesten Epoche der ägyptischen Geschichte angehören. Auch die Reliefarbeiten in den ältesten memphitischen Gräbern sind in gleicher Hinsicht bewunderungswürdig. Die spätern erscheinen mangelhafter, da man nicht verstand,
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die körperliche Ausdehnung auf der Fläche naturgetreu darzustellen, sowie euch die Gemälde bloße farbige Silhouetten ohne Schatten und Licht sind und an seltsamen Zeichnungsfehlern leiden, die ebenfalls zum stehenden Typus wurden. Das meiste Leben zeigen noch die Darstellungen von Kriegsszenen, wo öfters sehr verwickelte Situationen gut zur Anschauung gebracht und namentlich auch die verschiedenen nationalen Gesichtszüge treu wiedergegeben sind. Auf andern Darstellungen, welche Szenen aus dem häuslichen und geselligen Leben behandeln, zeigt sich zuweilen ein Hang, durch einzelne spottende, humoristische Züge das Ganze mehr zu beleben.
Glücklicher und freier zeigt sich in Statuen und Reliefs die Gestalt der Tiere aufgefaßt und nachgebildet, natürlich, denn typische Einerleiheit herrscht bei den Tieren in Form und Bewegung vor. Die Götter wurden zum Teil mit Köpfen verschiedener Tiere, des Widders, des Sperbers, des Ibis, der Kuh, des Krokodils, im übrigen in Menschengestalt dargestellt; eine tiefere symbolische Bedeutung hat der Tierkopf in solchen Darstellungen nicht. Die Sphinxgestalten, Löwenleiber mit Menschenköpfen, welche mit der Uräusschlange vor der Stirn geschmückt zu sein pflegen, sind in der Regel Bildnisse von Königen und daher männlichen Geschlechts; man hat bei den Ägyptern nur wenige weibliche Sphinxe gefunden, welche Königinnen darstellen.
Eine Bezeichnung übermenschlicher Kraftfülle ist die kolossale Größe, hinsichtlich deren wir an das Riesenwerk der ägyptischen Skulptur, an die große Sphinx, erinnern, welche am Fuß des Pyramidenhügels von Gizeh aus einem natürlichen Felsen gehauen, aber jetzt bis zur halben Höhe mit Sand bedeckt ist. Der Kopf, der einen menschlichen mehr als 30mal an Größe übertrifft, und ein Teil des Halses ragen 12,5 m hoch aus dem Sand hervor; der Löwenleib ist beinahe 28 m lang.
Der Charakter der ägyptischen Kunst ist im allgemeinen der monumentale, d. h. ihr Sinn und Zweck gehen hauptsächlich dahin, durch anschauliche Darstellung die Erinnerung an Thatsächliches festzuhalten und zu überliefern. Der höhere Zweck der Kunst, die sinnliche Erscheinung durch die schöne Darstellung zu veredeln, lag den altägyptischen Künstlern fern. Doch ist schon das künstlerische Geschick, welches sich in den erhaltenen Werken zeigt, als eine bedeutende Vorstufe für eine höhere Entwickelung der Kunst zu betrachten. (S. Artikel und Tafel I »Bildhauerkunst« und Tafel »Ornamente I«, [* ] Fig. 6-15.)
Litteratur.
Altertum. Landeskunde. Unter den Werken über Ägypten ist vor allen die durch die französische Expedition hervorgerufene »Déscription de l'égypte« zu nennen, welche (in der 2. Ausg. 1820-30) in 26 Bänden Text und 12 Bänden Kupfern das Altertum, den jetzigen Zustand und die Naturgeschichte des Landes behandelt. Hieran schließen sich in Bezug auf Altertumskunde die umfassenden Publikationen der französisch-toscanischen (die »Monumenti dell'Egitto e della Nubia« 3 Bde., von Rosellini, und die »Monuments de l'égypte«, 4 Bde., von Champollion) und der preußischen Expedition (die »Denkmäler aus Ägypten und Äthiopien« von Lepsius, Berl. 1849-1859, 12 Bde.) sowie die Bilderwerke von Gau, Young, Caillaud, Perring, auch die »Monuments égyptiens« des Leidener ägyptischen Museums, herausgegeben von C. Leemans (Leid. 1839-76). Die ägyptische Altertumskunde behandelte am eingehendsten Wilkinson in »The manners and customs of the ancient Egyptians« (2. Aufl. von S. Birch, Lond. 1878, 3 Bde.) und in dem »Popular account« (2. Aufl., das. 1871).
Vgl. ferner Pierret, Dictionnaire d'archéologie égyptienne (Par. 1875);
über die ägyptische Kunst jeder Art Prisse d'Avennes, Histoire de l'art égyptien (das. 1878), und Perrot, Histoire de l'art dans l'antiquité, Bd. 1 (das. 1882; deutsch von Pietschmann, Leipz. 1883).
Der philologisch-historischen Durchforschung der ägyptischen Schriftdenkmäler hat sich seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion die ganze ägyptologische Schule seiner Nachfolger gewidmet (s. Hieroglyphen). Eine Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, herausgegeben von Brugsch und Lepsius, erscheint seit 1863 in Leipzig; ähnliche Fachzeitschriften erscheinen auch in Frankreich und England. Durch Ausgrabungen und Forschungen in Ägypten hat sich besonders Mariette verdient gemacht; in der Direktion des ägyptischen Museums zu Bulak bei Kairo ist ihm G. Maspero gefolgt.
Außerdem sind zu nennen die Schriften von Perizonius, Zoega, E. Quatremère, Champollion-Figeac, Letronne, Prichard, Sharpe, Gliddon, Ideler, Ritter, Böckh, Beauregard u. a. sowie die Reisewerke von Pococke, Norden, Niebuhr, Denon, Salt, Burckhardt, Belzoni, v. Minutoli, Ehrenberg, Parthey, Prokesch, Rüppell, Lepsius, Brugsch, Russegger, Scherer u. a. -
Die Naturgeschichte des Landes ist vornehmlich in den großen Werken von Ehrenberg und Rüppell und in einer kleinen Schrift Pruners (»Ägyptens Naturgeschichte und Anthropologie«, Münch. 1848) sowie von R. Hartmann (»Naturgeschichtliche Skizze der Nilländer«, Berl. 1866),
die geologischen Verhältnisse neuerdings von Fraas (»Aus dem Orient«, Stuttg. 1867) behandelt worden. - Über die heutigen Verhältnisse Ägyptens vgl. Lane, Manners and customs of the modern Egyptians (5. Aufl., Lond. 1871, 2 Bde.);
v. Kremer, Ägypten, Forschungen über Land und Volk (Leipz. 1862, 2 Bde.);
H. Stephan, Das heutige Ägypten, ein Abriß seiner physischen, politischen, wirtschaftlichen und Kulturzustände (das. 1872);
Lüttke, Ägyptens neue Zeit (das. 1873, 2 Bde.);
Klunzinger, Bilder aus Oberägypten (Stuttg. 1877);
Ebers, in Bild und Wort (das. 1880);
die Reisehandbücher von Meyer (Leipz. 1881) und Bädeker (das. 1877);
Amici, Essai de statistique générale de l'Égypte (Kairo 1879, 2 Bde.). - Die besten Karten sind außer dem großen Atlas in der »Description de l'Égypte« von d'Anville, Jomard, Caillaud, Leake, Ritter, Rüppell, Arrowsmith, Russegger, Kiepert und Linant de Bellefonds.
Vgl. Jolowicz, Bibliotheca aegyptiaca, Repertorium über die bis 1857 in Bezug auf Ägypten erschienenen Schriften (Leipz. 1858, Supplement 1861).
Geschichte Ägyptens.
Ägyptens Bewohner sind das älteste geschichtliche Volk der Erde, und sie selbst hielten sich auch dafür, indem sie ihre Geschichte bis auf 8-10,000 Jahre zurückrechneten. Der Unvollständigkeit der Quellen der altägyptischen Geschichte und ihrer Widersprüche wegen lassen sich weder genaue Königslisten noch sichere chronologische Daten über die älteste Zeit feststellen. Das Werk, welches der heliopolitanische Oberpriester Manetho (s. d.) auf Befehl des Königs Ptolemäos Philadelphos über die Geschichte seines Volks in griechischer Sprache abfaßte, aus den alten Annalen und Geschichtsbüchern der Tempelarchive schöpfend, ist leider bis auf wenige
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Fragmente verloren. Erhalten sind davon bloße Namensverzeichnisse von 31 Königsreihen oder Dynastien mit Angabe ihrer Regierungsdauer, und auch diese sind erst von zwei spätern Schriftstellern mit so erheblichen Abweichungen in Namen und Zahlen aufgezeichnet, daß sie keine sichere Grundlage für die Chronologie abgeben können. Auch die ägyptischen Königslisten, von denen uns Bruchstücke im Papyrus von Turin erhalten sind, vermögen die Lücken nicht auszufüllen und lassen sich mit den Namen und Angaben der Inschriften, so wertvoll diese auch sind, nicht immer in Einklang bringen.
Und selbst dies beiseite gelassen, walten über den chronologischen Anfangspunkt der ägyptischen Geschichte verschiedene Ansichten ob, je nachdem man mit Böckh die von Manetho verzeichneten Dynastien als hintereinander fortlaufende annimmt oder mit Lepsius sie zum Teil gleichzeitig in geteilten Reichen regieren läßt. In ersterm Fall ergibt sich als erstes Jahr des ältesten Königs, Menes, 5702 v. Chr., in letzterm bald 3643, bald 3892. Andre (Duncker) setzen die durch den Namen Menes bezeichneten Anfänge der ägyptischen Kultur erst in die Zeit um 3000. Nach der Meinung der Ägypter ging den menschlichen Dynastien eine Götterregierung in drei Dynastien vorher.
Die erste bestand aus ihren 7 obersten Göttern, dem höchsten Nationalgott, dem Ra oder Sonnengott, und der Götterfamilie des Osiris, des Lokalgottes ihrer ältesten Königsresidenz, This in Oberägypten. Auf diese folgte eine zweite Dynastie von 12 Göttern, an deren Spitze der Mondgott Thoth stand, und endlich eine dritte aus 30 Halbgöttern. Zwischen dem Ende der Götterherrschaft und ihrem ersten geschichtlichen König, Menes, nahmen die Ägypter noch eine vorhistorische Dynastie sogen. Manes (Nekyes) an, deren Königssitz in This, der Vaterstadt des Menes, war.
Die Zeit der Pharaonen.
Soweit unsre Kunde hinaufreicht, war Ägypten wie die Küste von Nordafrika von Völkern weißer Rasse bewohnt, deren Sprachen dem semitischen Sprachstamm verwandt waren. Durch die vorteilhaften geographischen Verhältnisse des Landes (s. o.) wurden die Ägypter früh zur Entwickelung einer Kultur und zu politischen Organisationen angeregt. Menes ist der erste geschichtliche König (Pharao). Er stammte aus This und gründete an einer günstig gelegenen Stelle des Nilthals Memphis, nachdem er das Land dazu durch Abdämmung des Nils gegen Osten gewonnen hatte.
Menes' Sohn Athotis gründete die Königsburg von Memphis. Dessen zweiter Nachfolger, Ünephes, erbaute die ersten Pyramiden (Königsgräber) auf dem Plateau von Dahschur. Seinem Beispiel folgten fortan alle Könige von Memphis. Die Erbauer der drei größten erhaltenen Pyramiden heißen in den Inschriften Chufu (griech. Cheops), Chafra (Chephren) und Menkera (Mykerinos), alle drei Könige der 4. Dynastie. Der zweite erbaute auch einen Tempel des Horos, dessen kolossales Sphinxbild nebst einigen Tempelresten erhalten ist. Der Gebrauch nicht bloß der hieroglyphischen, sondern auch der hieratischen Schriftzeichen in der Pyramide des Chufu und den umgebenden Gräbern, die Bilder des häuslichen und wirtschaftlichen Lebens in denselben zeigen uns ebenso wie die kunstvolle Bauart, der strenge, edle Stil, die gefälligen Ornamente ein seit langem bestehendes und hochentwickeltes Kulturleben.
Unter dem Geschlecht eines Königs Pepi (der 6. Dynastie) ward der Mittelpunkt des Reichs von Memphis nach Mittelägypten, unter einem spätern Königshaus (der 12. Dynastie) nach Theben in Oberägypten verlegt. Der erste König dieses Hauses, welches als »Herren der beiden Länder« über Ober- und Unterägypten gebot, ist Amenemha I. (2380-71), von dem eine kolossale Bildsäule aus rotem Granit in Tanis (San) in Unterägypten aufgefunden wurde. Er unterwarf auch einen Teil Nubiens.
Sein Nachfolger Usertesen (Sesortosis) I. (2371-25) erbaute dem Gott Ammon in Theben einen Tempel und errichtete in Unterägypten mehrere Obelisken, von denen der in Heliopolis der älteste uns erhaltene Obelisk ist. Er wie seine Nachfolger Amenemha II. und Usertesen III. setzten die Eroberungszüge in Nubien mit Erfolg fort, und Usertesen III. vollendete die Unterwerfung des untern Nubien. Amenemha III. (2221-2179) machte sich besonders berühmt durch die Anlage des Sees Möris in der Oase Fayûm, welcher dazu bestimmt war, durch Ableitung eines Teils der Wassermenge die Überschwemmung des Nils zu regulieren, den Abfluß des Wassers zu verzögern und die höher gelegnen Acker zu bewässern.
Inschriften in Nubien an den Felswänden des Nils, welche die Höhe der Überschwemmung unter Amenemha bezeichnen, sind ein Zeugnis, wie die Überschwemmungsfrage studiert wurde. Am See Möris erbaute er eine Pyramide und einen großen Reichstempel (das Labyrinth), in welchem alle Bezirke Ober- und Unterägyptens ihre Gottheiten in besondern Tempeln und Höfen verehren konnten. Diese Anlagen sowie die bildlichen Darstellungen in den Felsengräbern von Beni Hassam, Berscheh und Siut beweisen, daß Ägypten damals einen hohen Kulturstand erreicht hatte, Ackerbau und Gewerbe blühten und das Volk in Wohlstand lebte.
Bald nach Amenemhas Tod wurde das Reich seiner Macht plötzlich beraubt. Ein bei Josephus erhaltenes Fragment des Manetho berichtet, daß zur Zeit des ägyptischen Königs Amyntimäos um 2100 von Osten her ein fremdes Volk in Ägypten eingebrochen sei, das Land ohne Kampf unterworfen, die Einwohner getötet oder zu Sklaven gemacht, die Städte verbrannt und die Göttertempel zerstört habe. Diese Eroberer führten den Namen Hyksos (Hakuschasu, Hirtenkönige), und eine Reihe von Herrschern aus ihrer Mitte regierte in Ägypten etwa 500 Jahre.
Die Hyksos waren vermutlich semitische Stämme. Von der ersten Verwüstung abgesehen, blieb das alte Ägypten auch unter den Hyksos in Sprache und Zivilisation unversehrt; ja, diese lebten sich allmählich in die Sitten und Gewohnheiten des von ihnen unterjochten gebildeten Volks ein. In Oberägypten behaupteten sich einheimische, wenn auch tributpflichtige Fürsten. Von ihnen ging die Befreiung aus. König Amosis von Theben (1684-59) vertrieb die Hyksos aus Mittel- und Oberägypten und drängte sie in das östliche Delta zurück, wo sie sich in der von ihnen erbauten Festung Avaris noch längere Zeit behaupteten, bis sie endlich gezwungen wurden, auch von hier abzuziehen und in die Syrische Wüste zurückzukehren.
Mit der Vertreibung der Hyksos beginnt die glanzvollste Periode des ägyptischen Reichs, dessen Pharaonen (18. und 19. Dynastie) ihren Herrschersitz Theben mit den bewunderungswürdigsten Denkmälern schmückten und ihre Macht und ihren Ruhm weit über die Grenzen ihres Reichs ausbreiteten. In diese Jahrhunderte (vom 17. bis zum 12. v. Chr.) fällt auch die Blütezeit der ägyptischen Kultur. Thutmosis III. und seine ältere Schwester und Vormünderin, die Königin Ramaka, erbauten zur