in der Schaffung einer neuen Grundeigentumsordnung. Man stellte sich hier ein dreifaches
Ziel: die Schaffung vollen, freien
und individuellen
Eigentums. Die unvollkommenen Besitzrechte und Untereigentumsrechte früherer
Zeiten in ihren mannigfachen
Formen wurden beseitigt und in volle Eigentumsrechte verwandelt, die Wiederherstellung, Ersetzung oder Neubegründung
der aufgehobenen Rechtsverhältnisse ward, mit ganz vereinzelten Ausnahmen, für welche dann aber gesetzlich
die Ablösbarkeit statuiert wurde, verboten.
Die
Staaten beförderten die
Ablösung, indem sie dieselbe obrigkeitlich regulierten und durch eine
Organisation von staatlichen
Rentenbanken (s. d.), resp. Ablösungskassen
die Ablösungskapitalien den Verpflichteten darlehnsweise (in hypothekarischen, allmählich zu amortisierenden
Darlehen) zur
Verfügung stellten. Die
Freiheit des
Eigentums wurde in der
Weise durchgeführt, daß derBoden von allen
privatrechtlichen
Reallasten (insbesondere den
Fronen,
Zehnten,
Grundzinsen und Laudemien) sowie von allen kulturschädlichen,
die freie Benutzung der
Grundstücke hindernden
Grunddienstbarkeiten (Weideservituten,
Feld- und Wegeservituten) entlastet wurde.
In
Deutschland haben die vor 1848 nur in beschränktem
Maß durchgeführten, seitdem aber im weitesten
Umfang erlassenen Ablösungsgesetze
(s. d. bei G.Meyer unter Litteratur, § 102) zum Teil derartige
Lasten unmittelbar aufgehoben, zum Teil
sie in feste ablösbare Bodenzinsen verwandelt, zum größten Teil aber sie für ablösbar auf einseitigen
Antrag der Verpflichteten
und in der
Regel auch auf einseitigen
Antrag der Berechtigten erklärt.
Die
Ablösung wurde auch hier dadurch befördert, daß die
Staatsverwaltung die Regulierung in die
Hand
[* 8] nahm und die staatlichen
Rentenbanken, resp. Ablösungskassen das für die
Ablösung nötige
Kapital den Verpflichteten darlehnsweise
gaben. Um kulturschädliche, durch die
Lage der
Grundstücke und Wege aber gebotene Wege- und
Feldservituten (Überfahrts-,
Pflugwenderechte etc.) zu beseitigen und dem Einzelnen den freien Zugang zu seinem
Grundstück von einem Weg und die freie Benutzung desselben zu verschaffen, wurde die zwangsweise Regelung der Feldflur
zu diesem
Zweck
(Wegeregulierung,
Wegebereinigung) gesetzlich gestattet (s.
Flurregelung). Man begünstigte endlich noch den
Übergang der in gemeinschaftlichem
Eigentum stehenden, irrationell bewirtschafteten Ländereien in das Sondereigentum der
einzelnen
Miteigentümer (s.
Gemeinheitsteilung).
Sollte hier geholfen werden, so mußte die
Gesetzgebung die zwangsweise Regulierung der Feldflur zu diesem
Zweck
(Arrondierung,
Zusammenlegung,
Verkoppelung) gestatten und einer nach dem
Umfang des
Areals und nach der Kopfzahl der
Besitzer
zu bemessenden
Majorität das
Recht geben, unter Mitwirkung der Obrigkeit die
Zusammenlegung von
Parzellen auch gegen den
Willen
einer Minderheit durchsetzen zu können, und die
Staatsverwaltung mußte die allgemeine und planmäßige
Durchführung dieser
Flurregelungen noch durch anderweitige Maßregeln unterstützen (s.
Flurregelung). Die meisten
Staaten,
wenigstens in
Deutschland, gingen in dieser
Weise vor. Ein ähnlicher gesetzlicher
Zwang war geboten zum
Zweck der
Förderung
von
Bodenmeliorationen, die nur gleichzeitig auf einer
Mehrzahl von
Gütern genossenschaftlich vorgenommen werden können, und
wurde in den meisten
Staaten eingeführt. Aber derselbe
Zweck erheischte auch noch weitere Maßregeln der
(s.
Bodenmeliorationen). - Über die
Grundsätze der richtigen Agrarpolitik herrscht heute im allgemeinen wenig Streit. Zu den wenigen
bedeutsamen, allgemeinern agrarpolitischen
Fragen, welche heute noch in der
Wissenschaft und
Praxis diskutiert werden, gehören:
ob und wie weit im
Interesse der Konservierung der bäuerlichen Besitzungen subsidiär ein besonderes,
die Nichtteilung derselben begünstigendes Intestaterbrecht (sogen.
Anerbenrecht,
Höferecht) zweckmäßig ist (s.
Höferecht);
ferner ob die in einer
Reihe von
Staaten nach dem Vorgang
Preußens
[* 10] gesetzlich nicht mehr zulässige
Erbpacht in einer gegen
früher reformierten Gestalt zu gestatten ist (s.
Erbpacht), eine
Frage, die im Bejahungsfall auf eine
teilweise Sanktionierung des Rodbertusschen
Rentenprinzips hinauskommen würde;
endlich
ob eine Dismembrationsgesetzgebung
gerechtfertigt ist (s.
Dismembration).
Marco, ital. Bildhauer um 1500, hat sich besonders bekannt gemacht
durch die Marmorstatue des geschundenen heil.
Bartholomäus im
Dom zu
Mailand,
[* 13] welcher, ein
Buch lesend, seine abgezogene
Haut
[* 14] auf den
Schultern trägt. Wegen der genauen Durchbildung der anatomischen
Details und seines grauenhaften
Realismus fand das
Werk seiner Zeit lebhaften Beifall, wofür auch die prahlerische
Inschrift spricht: »Non me
Praxiteles,
sed
Marcus finxit Agrates« (»Nicht
Praxiteles bildete mich, sondern
Marco Agrate«). Er war auch an den Bildhauerarbeiten für die
Fassade der
Kartause bei
Pavia beteiligt.
¶
Name einer absolutistischen Partei in Spanien,
[* 16] die seit November 1826, zunächst aus Anlaß der portugiesischen Wirren, auftrat
und von der apostolischen (päpstlichen) Partei insgeheim unterstützt wurde. Im August 1827 erhoben sich die Agraviados zu offenem
Aufstand.
König Ferdinand VII. schritt energisch gegen sie ein: sie wurden in mehreren Gefechten versprengt und die Gefangenen teils
zum Tode, teils zur Deportation verurteilt.
Doch um seine volle Unabhängigkeit zu wahren, lehnte er die Übernahme eines bestimmten Amtes ab. Erst
Johann vonDalberg, kurpfälzischem Kanzler und seit 1482 Bischof von Worms,
[* 25] seinem Freund von Italien her, gelang es, ihn für
den KurfürstenPhilipp II. von der Pfalz zu gewinnen. Seit Frühjahr 1483 lebte er nun in freierer Stellung
bald in Heidelberg,
[* 26] bald in Worms, nach den verschiedensten Seiten hin anregend. Als er 1485 mit Dalberg eine zweite Reise nach
Italien gemacht hatte, starb er bald nach seiner Rückkehr in Heidelberg. Agricola ist ausgezeichnet durch den deutsch-nationalen
Zug
seines Wesens; doch hat er mehr durch persönliches Wirken die klassische Bildung in Deutschland gefördert
als durch seine Schriften.
Insbesondere trug er viel bei zur Beseitigung des barbarischen Lateins und verbreitete die Kenntnis des Griechischen. In den
letzten Jahren seines Lebens lernte er noch das Hebräische; auch in der Theologie sowie in der
Musik und Malerei war er
erfahren. Sein Hauptwerk ist: »De inventione dialectica«, d. h. über die Kunst, jeden Gegenstand nach seinen verschiedenen
Beziehungen zu untersuchen und darzustellen. Außerdem verfaßte Agricola lateinische Übersetzungen griechischer
Werke, z. B. von Reden des Demosthenes, Äschines, Isokrates, viele Briefe, Reden und Gedichte. Sie sind größtenteils gesammelt
von Alard aus Amsterdam
[* 27] in »R. Agricolae lucubrationes aliquot etc.«
(Köln
[* 28] 1539, 2 Bde.).
Vgl. Tresling, Vita et merita R. Agricolae (Groning. 1830).
2) Martin, namhafter Gelehrter, insbesondere in der Musik einer der ersten Meister seiner Zeit, wurde um 1486 zu Sorau
[* 29] geboren,
bekleidete in Magdeburg
[* 30] das Amt eines Kantors und Musikdirektors, starb Von seinen zahlreichen
Werken in vielen Teilen des Wissens sind vorzüglich die musikalischen, z. B. »Ein
kurz deudsch Musica« (Wittenb. 1528),
die »Musica figuralis deudsch« (das. 1529, 2. Bearbeitung
1545),
zu erwähnen, besonders auch deshalb, weil hier mit zuerst an Stelle der Tabulatur die moderne Notation erscheint. Agricola gehörte
zu der »großen Kantorei« Luthers, wie dieser seine musikalischen Freunde in der Ferne, den KapellmeisterWalther in Dresden
[* 31] an der Spitze, bezeichnete und sie von der »kleinen Kantorei«, den Sängern und Spielern, die sich in seinem
Haus zu versammeln pflegten, unterschied.
Über seine chemischen Untersuchungen der Erdarten kam man bis in die Mitte des 18. Jahrh. nicht hinaus.
Ebenso ist der Schöpfer des rationellen deutschen Bergbaus und der erste, welcher von der Theorie zur Praxis mit Glück überging.
Seine mineralogischen Schriften erschienen gesammelt unter dem Titel: »De natura fossilium« (Bas. 1657; deutsch
von Lehmann, Freiberg
[* 37] 1806-13, 4 Bde.).
in Torgau
[* 44] fallen lassen, erneuerte sie aber 1535 und wurde zum Widerruf genötigt. Noch größern Anstoß gab er durch das Augsburger Interim
(s. d.). Anderseits war Agricola ein ausgezeichneter Prediger, trefflicher Liederdichter, tüchtiger akademischer Lehrer und fleißiger
Schriftsteller. Er verfaßte eine noch ungedruckte harmonistische Auslegung der vier Evangelien u. a. Seine Sammlung
von deutschen Sprichwörtern mit Erklärung (zuerst in plattdeutscher Mundart, Magdeb. 1528; dann hochdeutsch 1529) sichert
ihm auch in der deutschen Litteraturgeschichte einen Platz.
5) JohannFriedrich, Musiker und Musikschriftsteller, geb. zu Dobitschen bei Altenburg,
[* 45] studierte in
Leipzig anfangs die Rechte, machte dann 1738-41 unter Seb. Bach gründliche musikalische Studien, die er in Berlin bei Quantz fortsetzte,
wurde 1750 infolge des von ihm komponierten Intermezzo »Il filosofo convinto« zum Hofkomponisten am PotsdamerTheater,
[* 46] 1759 nach
GraunsTod zum Direktor der KapelleFriedrichs II. ernannt und starb Mehr denn als Komponist hat
sich Agricola als tüchtiger Orgelspieler und Musiktheoretiker einen Namen gemacht. Sein Hauptwerk ist die Bearbeitung von Tosis »Osservazioni
sopra il canto fermo« (»Anleitung zur Singekunst«, Berl.
1757). - Seine GattinEmilia, geborne Molteni (geb. 1722 zu Modena, gest. 1780 in Berlin), war eine der beliebtesten
Sängerinnen an der damals vortrefflichen ItalienischenOper zu Berlin.
decumátes (Zehntland), Landschaft im röm. Germanien,
[* 47] welche sich von der obern Donau bis nach dem Mittelrhein
hin erstreckte und ein Dreieck
[* 48] bildete, dessen eine Seite die obere Donau, die andre der Ober- und Mittelrhein bis zur Lahn bildete,
während die dritte durch eine befestigte Linie bezeichnet war, die sich von der Donau oberhalb Regensburg
[* 49] bis an die Lahn unweit
ihrer Mündung in den Rhein zog. In ältester Zeit waren diese Gegenden von Kelten, besonders Helvetiern, bewohnt und wurden
nach deren Auswanderung im 1. Jahrh. v. Chr. von Sueven eingenommen; doch waren sie nur spärlich bevölkert.
Um eine schnellere und sicherere Verbindung zwischen Rätien und den eroberten rheinischen Provinzen herzustellen, besetzte
Drusus jene Landschaft, versah sie mit Straßen und Kanälen und legte den Grund zu der erwähnten befestigten Linie.
Tiberius, Domitius Ahenobarbus und M. Vincius führten das von Drusus begonnene Werk fort, und die bildeten
seitdem ein Vorland des römischen Reichs, eine Art von Militärgrenzland gegen die noch unbezwungenen Germanen. Seit der Regierung
des KaisersClaudius gerieten zwar die dortigen Ansiedelungen in Verfall; aber Trajan stellte sie wieder her, und Hadrian erneuerte
auch den schadhaft gewordenen Grenzwall, der deshalb VallumHadriani genannt wurde. Derselbe war 600 km
lang, teilweise doppelt und dreifach und bestand aus Kastellen und Wachttürmen, welche durch Dammbauten und Fahrstraßen
in Verbindung gesetzt waren.
Außer römischen Veteranenkolonien wurden gallische Ansiedler nach den verpflanzt, welche einen Pachtzehnten zu zahlen
hatten, nach dem das Land seinen Namen erhielt. Zahlreiche Straßen, Wohngebäude, Villen, Badeanlagen mit
Statuen und Mosaikfußböden zeugen von der frühern Kultur. Dies währte bis 234 n. Chr., als die Alemannen ihre Angriffe auf
dies römische Grenzland begannen. Schon zur Zeit des Kaisers Valerian (253) hatten sie sich desselben großenteils bemächtigt,
und nach Aurelians Tod (275) fiel es ihnen ganz zu. Dem KaiserProbus gelang es zwar, sie wieder über die
Rauhe Alb und den Neckar zurückzutreiben; aber gleich nach seinem Tod (282) drangen sie aufs neue in das Land ein, um es nicht
wieder zu verlassen.
Fortan bildete die Landschaft einen Teil Alemanniens, und der römische Limes transrhenanus, jener Grenzwall,
der noch von Probus wiederhergestellt worden war, sank mit den meisten römischen Kastellen und Städten in Trümmer (s. Pfahlgraben).
(griech. Akragas), eine der größten und herrlichsten Städte des Altertums, auf der Südküste Siziliens.
Durch eine dorische Kolonie von Gela aus 582 v. Chr. gegründet, bedeckte Agrigéntum die ganze Terrasse zwischen den Flüssen Hypsas (jetzt
Fiume
[* 51] Drago) und Akragas (Fiume di San Biagio) sowie einen beträchtlichen Teil der Flußthäler selbst.
Die Erzählungen der Alten von dem Reichtum, dem Luxus und der Größe Agrigents würden unglaublich erscheinen, wenn nicht die
wenigen Überreste die Aussagen der Historiker verbürgten.
Zur glänzendsten Zeit, Ende des 5. Jahrh. v. Chr., hatte Agrigéntum über 20,000 stimmfähige Bürger und im ganzen
an 200,000 Einw., beherrschte ein quer durch Sizilien
[* 52] bis zur Nordküste bei Himera sich erstreckendes Gebiet und führte Festungsmauern
von 15 km Länge und kolossale Prachttempel auf. Die besonders durch Export von Wein und Schwefel und durch Gewerbe reich gewordenen
Bürger entfernten sich früh von der dorischen Sitteneinfalt; Prachtliebe und Üppigkeit, aber auch
Kunstsinn und Gastfreundschaft waren Hauptzüge der Agrigentiner.
Die Verfassung war vorherrschend demokratisch, mit Beibehaltung altdorischer Form. Unter mehreren, die sich von Zeit zu Zeit
zu Tyrannen aufwarfen, nennt die Geschichte mit Abscheu den Phalaris
[* 53] (566-534), rühmend aber den Theron (488-472). Die Epoche
des Verfalls der Stadt datiert von der gräßlichen Zerstörung durch die Karthager 406; danach erreichte
Agrigéntum seine vorige Blüte
[* 54] nie wieder. Zwar als Timoleon im J. 340 Kolonisten aus Velia herbeiführte, hob es sich von neuem, mußte
aber 314 die Hegemonie von Syrakus
[* 55] anerkennen. Zu Anfang der Punischen Kriegewar in Agrigéntum die Niederlage der
karthagischen Kriegsvorräte. Im J. 262 wurde es von den Römern nach siebenmonatlicher Belagerung zum erstenmal erobert,
kam wechselnd in die Macht der Karthager und wieder in die der Römer,
[* 56] bei welch letztern es seit 210 verblieb. Agrigéntum wurde nun
wieder eine wichtige Stadt und blieb es bis zum Untergang des weströmischen Reichs. Im J. 827 n. Chr. fiel
es in die Hände der Sarazenen, die sich bis 1088 im Besitz der Stadt behaupteten.
Jetzt liegt an der Stelle derselben das moderne Girgenti (s. d.). Die großartigen Tempelruinen der berühmten alten Griechenstadt
erstrecken sich südlich vom heutigen Ort bis zum Meer und gewähren, meist dem 5. Jahrh. v. Chr. angehörend,
ein vollständiges Bild antiker Tempeleinrichtung. Am besten erhalten sind der sogen. Tempel
[* 57] der Concordia, im vollendeten dorischen
Stil, der vollständigste und herrlichste TempelSiziliens, 40 m lang, 17,5 m breit, mit 13 und 6 Säulen,
[* 58] und der etwas kleinere
Tempel der Juno Lacinia (wahrscheinlicher des Poseidon).
[* 59] Der Tempel des Jupiter Olympius, der größte, aber
nie vollendete TempelSiziliens (111 m
¶
(Ackerbauchemie), die Lehre
[* 67] von den Naturgesetzen des Feldbaus oder in weiterm und gebräuchlichem Sinn
die Lehre von den physischen Erscheinungen, welche für das Gedeihen der landwirtschaftlich wichtigen Organismen in Betracht
kommen. Der Name der Wissenschaft stammt aus einer Zeit, wo man alles Heil für die Landwirtschaft von der
Chemie erwartete; man hat aber bald eingesehen, daß die Chemie zur Lösung der Aufgabe allein nicht ausreicht, und die im Interesse
der Landwirtschaft unternommenen naturwissenschaftlichen Arbeiten erstrecken sich jetzt gleichmäßig auch auf Physik, Mineralogie,
Pflanzen- und Tierphysiologie. So ist die Agrikulturchemie eine Verbindung naturwissenschaftlicher Disziplinen im Interesse
der Landwirtschaft. Die Agrikulturchemie zerfällt in einen rein theoretischen Teil: die Ernährungslehre der von
dem Landwirt gezogenen und kultivierten Organismen, und in einen praktischen Teil: die Lehre von den realen Bedingungen, unter
welchen in der landwirtschaftlichen Technik die zweckentsprechende Entwickelung der Organismen erreicht wird.
Die Geschichte der Agrikulturchemie fällt in ihren Anfängen mit der Geschichte der genannten
Wissenschaften zusammen, und die großen pflanzenphysiologischen Arbeiten von Hales (1727), Senebier (1783), Ingenhouß (1784)
u. besonders von Saussure (»Recherches chimiques sur la végétation«, 1804) bilden die Basis der Agrikulturchemie, welche durch Humphry Davy
(»Elements of agricultural chemistry«, Lond. 1813; deutsch 1814) zu einer
selbständigen Wissenschaft erhoben wurde. Gazzeri untersuchte die chemischen und physikalischen Verhältnisse des Düngers
und gab eine »NeueTheorie des Düngers« (deutsch 1823), dann folgten die Arbeiten von Hermbstädt, welcher ebenso wie die rationellen
Landwirte Thaer, Schwerz, Burger, Schönleitner, Fellenberg u. a. auf dem Boden der Humustheorie stand.
Sie nahmen an, daß die Pflanze ihre Nährstoffe jener braunen Masse entnehme, welche sich beim Verwesen
vegetabilischer Substanz bildet und allgemein als Humus bezeichnet wird. Sprengel lieferte zwar 1828 wichtige Untersuchungen
über den Humus und wies nach, daß derselbe nur eine Vermittlerrolle spiele und gleichsam das Reservoir für den Ammoniakgehalt
des Bodens bilde; auch Schübler lieferte 1820-30 bedeutende Arbeiten über die physikalischen Verhältnisse
des Bodens; aber ein Umschwung vollzog sich erst 1840, als Wiegmann und Polstorf endgültig feststellten, daß alle im Pflanzenkörper
vorhandenen Elemente auf natürlichem Weg von außen aufgenommen werden müssen.
Gleichzeitig erschien Liebigs »OrganischeChemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie«, und von
diesem Werk datiert die neue Epoche der Agrikulturchemie und der Landwirtschaft. Liebig betonte vor allem die
Bedeutung der für die Ernährung
der Pflanzen wichtigen Mineralstoffe, welche im Boden nur in beschränkter Menge vorhanden sind und offenbar endlich erschöpft
werden müssen, wenn nicht vollständiger Ersatz für die in den geernteten Früchten dem Boden entzogenen
Stoffe stattfindet. Er warnte vor solchem »Raubbau« und verwies auf die rationelle Bodenkultur der Japaner.
Liebig fand mit seiner neuen Theorie sehr viele Gegner, und namentlich wollte eine Reihe von Chemikern dem Stickstoff, als wesentlicher
Pflanzennahrung, höhern Wert beilegen als den Mineralstoffen. Die Versuche von Lawes und Gilbert zu Rothamstead
in England schienen für die Stickstofftheorie zu sprechen; allein Liebig zeigte, daß dieselben nur zur Bestätigung seiner
Lehren
[* 68] dienten. Die ganze Zeit des Kampfes hat eine große Fülle der wertvollsten Arbeiten geliefert (Wiegmann und Polstorf,
Salm-Horstmar, Knop etc.), und namentlich hat Boussingault, welcher eine Musterwirtschaft in Bechelbronn
im Elsaß leitete, sehr viel zum Ausbau der Agrikulturchemie gethan. So erreichte die Wissenschaft in kurzer Zeit eine hohe Vollendung; durch
Liebigs glänzende Beleuchtung
[* 69] der naturwissenschaftlichen Forschungsmethode wurden aber zugleich die Landwirte für die Agrikulturchemie gewonnen,
welche dadurch erst ihre jetzige eminente Bedeutung erhielt.
Die praktische Landwirtschaft, welche sich zuerst ablehnend gegen die Agrikulturchemie verhielt, hat deren Wert mehr und
mehr erkannt, und die landwirtschaftlichen Lehranstalten, besonders auch die Versuchsstationen, haben glücklich zwischen
Wissenschaft und Praxis vermittelt. Die letztere hat durch ihre Erfolge die Richtigkeit der Theorie dargethan, und überall
ist man gegenwärtig bemüht, das Lehrgebäude weiter auszubauen.
(lat., »Feldmesser«).
Die römischen Feld- oder Ackervermesser (auch gromatici genannt, von groma, das Meßinstrument) bildeten gegen den Ausgang
der Republik hin eine eigne Korporation und waren in der Kaiserzeit fest angestellte, auch durch hohe Besoldung ausgezeichnete
Regierungsbeamte. Sie besorgten die Vermessung und Katastrierung, die Setzung der Grenzsteine, die Anfertigung
von Grundrissen und Flurregistern. IhreDisziplin war ein Gemisch geometrischer, juristischer und religiöser Sätze aus der
Augurallehre und wurde in der Kaiserzeit in besondern Schulen gelehrt.
Von der hierher gehörigen Litteratur, die im 1. Jahrh. n. Chr. anhebt und bis ins 6. Jahrh. reicht, ist wenig und dies
Wenige verstümmelt auf uns gekommen. Außer SextusJuliusFrontinus (s. d.) sind von Schriftstellern, von deren Werken sich
Reste erhalten haben, Balbus, der ältere und jüngere Hyginus, Siculus Flaccus, MarcusJunius Nipsus, Innocentius und Agennius
Urbicus zu nennen. Die besten Ausgaben der »Scriptores gromatici« haben Blume, Lachmann und Rudorff (Berl. 1848-52, 2 Bde.)
geliefert.
Vgl. Cantor, Die römischen Agrimensoren (Leipz. 1875);
Stöber, Die römischen Grundsteuervermessungen (Münch.
1877).
L. (Odermennig), Gattung aus der Familie der Rosaceen, ausdauernde Kräuter mit unterbrochen gefiederten Blättern
und ährigen oder traubigen, terminalen Blütenständen. Etwa 20 Arten in gemäßigten Klimaten der nördlichen Erdhälfte
und Südamerikas. AgrimoniaEupatoriaL. (Agrimonia officinalisLam., gemeiner Oder- oder Ackermennig, Leberklette, Steinwurz),
mit bei der Fruchtreife rutenförmig verlängerter, unterbrochener Ähre, auf Rainen, Hügeln, in lichten Wäldern, an Hecken
etc., durch ganz Europa. Das Kraut riecht angenehm, schmeckt gelind zusammenziehend bitterlich, etwas gewürzhaft
und war früher
offizinell. Agrimonia odorata Mill. (wohlriechender Odermennig), in Südeuropa, ist größer als die vorige Art
und wirkt kräftiger.
(griech.), nächtliches Fest des Dionysos
[* 82] Agrionios, namentlich in Orchomenos, welches von Frauen gefeiert wurde.
Lange suchte man den, wie man annahm, zu den Musen
[* 83] entflohenen Gott vergeblich auf; dann folgte ein Mahl, das durch Rätsel gewürzt
war, daher Agrionien auch Sammlungen von Rätseln, Scharaden, Logogriphen bezeichnet. Ein eigentümlicher Gebrauch fand dabei
mit Jungfrauen aus dem Minyergeschlecht statt. Die bei dem Dionysostempel versammelten Jungfrauen flohen, der Priester verfolgte
sie mit einem Schwert und durfte diejenigen, welche er erreichte, töten. Die Sage knüpft diesen Gebrauch an die drei
Töchter des Minyas (Leukippe, Arsippe oder Arsinoe und Alkithoe oder Alkathoe), welche erst Verächterinnen des Dionysos waren
und dann durch ihn in Raserei versetzt und in Fledermäuse verwandelt wurden. In Argos war das Fest der Agrionia mit Sühnungen und
Totendienst verbunden.
2) Marcus Vipsanius Agrippa, Freund, Feldherr und Schwiegersohn des KaisersAugustus, war 63 v. Chr. geboren und stand, obwohl nicht
von vornehmer Abkunft, mit dem jungen Oktavian auf sehr vertrautem Fuß. Er war dem ErbenCäsars im Streben nach der Oberherrschaft
mit Rat und That förderlich. Im J. 38 beruhigte er Gallien, besiegte 36 den SextusPompejus zur See bei Naulochos
in Sizilien und führte bei Aktion (31) die Flotte Oktavians zum Sieg. Augustus übertrug ihm die höchsten Ehrenstellen und vermählte
ihm nach des MarcellusTod seine Tochter Julia.
in welcher er die Wissenschaft für trügerische Vorspiegelung
der Schlange
[* 87] und den schlichten Glauben an das WortGottes als einzigen Weg zur Wahrheit erklärt, sowie durch sein Hauptwerk:
»De occulta philosophia« (zuerst Köln 1510,
¶
mehr
umgearbeitet 1533), bekannt gemacht, in welchem seine Platonisch-christliche Theosophie niedergelegt ist. Dieser zufolge hat
Gott aus nichts und im All drei von demselben umschlossene Welten, das Reich der Elemente, das Reich der Gestirne und das Reich
der Engel, geschaffen, die untereinander in solchem Zusammenhang stehen, daß die höhere von der niedern
abgebildet und diese durch die Kraft
[* 89] der allen gemeinsamen und alles durchdringenden Weltseele von jener beherrscht wird.
In der Kunst, sich in den Besitz der Kräfte der höhern Welt zu setzen und durch diese die niedere zu beherrschen, besteht die
Magie oder die vollkommenste Wissenschaft, erhabenste Philosophie und vollendetste Weisheit, welche als Herrschaft
über die irdischen Dinge natürliche, über die Gestirnwelt himmlische und über die Geister- oder Dämonenwelt religiöse
Magie ist. Seine Schriften erschienen zu Lyon
[* 90] 1550, 2 Bde. (deutsch, Stuttg.
1856).
Vgl. H. Morley, Life of Cornelius Agrippa von Nettesheim (Lond. 1856, 2 Bde.).
1) Agrippina, die ältere, Tochter des M. Vipsanius Agrippa und der Julia, Enkelin des Augustus,
Gemahlin des Germanicus, ausgezeichnet durch edlen und hochherzigen Charakter. Sie begleitete ihren Gemahl auf seinen Feldzügen.
Als er im Orient, wie man allgemein annahm, durch Gift einen frühen Tod fand, kehrte sie mit der Asche des Gemordeten nach Italien
zurück. Der Livia und dem Tiberius verdächtig und wegen ihrer Freimütigkeit lästig sowie von Sejanus
verleumdet und verklagt, wurde sie auf die InselPandataria verbannt, wo sie 33 n. Chr. den Hungertod starb, nach einigen freiwillig,
nach andern auf Tiberius' Befehl. Auch ihre SöhneNero und Drusus kamen als Opfer der ArglistSejans und der
Grausamkeit des Tiberius ums Leben, so daß nur einer, der nachmalige KaiserGajusCaligula, übrigblieb. Vier treffliche Porträtstatuen
von ihr befinden sich im Dresdener Antikenkabinett; die im Museum des Kapitols zu Rom befindliche sitzende Statue der (s. Tafel
»Römische
[* 91] Bildhauerkunst«,
[* 92] Fig. 12) gehört zu den Meisterwerken der römischen
Plastik. Vgl. Burkhard, Agrippina (Augsb. 1846).
2) Agrippina, die jüngere, Tochter des Germanicus und der vorigen, wußte es, nachdem sie vorher an Cn. Domitius Ahenobarbus und Crispus
Passienus verheiratet gewesen, durch die niedrigsten Künste dahin zu bringen, daß KaiserClaudius, ihr Oheim, sie zur Gemahlin
nahm, und bot nun alles auf, um ihren Sohn erster Ehe, den nachmaligen KaiserNero, auf den Thron
[* 93] zu erheben.
Als sie hierfür alles vorbereitet, wurde Claudius von ihr vergiftet und Nero als Kaiser ausgerufen. Aber auch mit Nero zerfiel
sie bald; dieser, entschlossen, sich der ihn bedrohenden Mutter um jeden Preis zu entledigen, versuchte
es zuerst, sie mittels eines dazu eingerichteten Schiffs zu ertränken; als dies aber mißlang, ließ er sie gleich darauf
(59 n. Chr.) in ihrem Landhaus ermorden. Ihr Geburtsort Oppidum Ubiorum wurde von Agrippina erweitert und ihr zu EhrenColonia Agrippinensis
oder Agrippina (das heutige Köln) genannt.
AgropyrumrepensBeauv. (TriticumrepensL., s. Abbildung),
0,3-1 m hoch, mit aufrecht stehender Ähre, fünf- bis achtblütigen Ährchen und kriechender Wurzel,
[* 97] ist ein auf leichtem,
mürbem Ackerland und in Hecken in ganz Europa, Nordasien, Nordamerika
[* 98] u. Patagonien gemeines Unkraut, dessen schwach süßlich
schmeckende, oft mannithaltige Wurzelstöcke als Rhizoma graminis offizinell sind. In Südeuropa dienen
auch die Wurzelstöcke von AgropyrumacutumR. et S., Agropyrum pungensR. et S. und Agropyrum junceumBeauv. als Queckenwurzel.
Das einzig rationelle Mittel, die Quecke vom Acker zu vertilgen, besteht in energischer Schälarbeit, d. h. die Stoppel etc.
wird auf 4-5 cm (so seicht wie möglich) mit dem drei- bis vierscharigen Schälpflug umgebrochen, mit
einer schweren eisernen Walze festgewalzt, nach einiger Zeit, sobald die Quecke wieder Leben zeigt, scharf und klar geeggt;
nach Abtrocknen der ausgeeggten Wurzeln wird wieder schwer gewalzt und nach Beginn der Ergrünung des Feldes auf 5-6 cm geschält
u. s. f., bis man mit Sicherheit ein ferneres Fortwachsen der Quecke nicht mehr zu befürchten hat.
Die Queckenwurzeln sind außerordentlich reich an Nährstoffen, ihr Zuckergehalt steigt bis 22 Proz. 100 kg enthalten durchschnittlich 5 kg
Asche und darin 13 Proz. Kali, 12 Proz. Phosphorsäure und 25 Proz. Stickstoff. Dieses Stickstoffgehalts wegen ist das übliche
Verbrennen der Quecken äußerst verwerflich, da bei dieser Manipulation die wertvollen Stickstoffverbindungen
zerstört werden. Der Wert von 1000 kg (einem Fuder) Quecken hat einen Dungwert von ca. 15 Mk. Die vom Feld abgefahrenen Quecken
sind zu kompostieren und werden dadurch unschädlich.
L. (Ackerkrone), Gattung der Karyophyllaceén mit der einzigen Art AgrostemmaGithagoL. (Kornrade,
Rade), welche als einjähriges Unkraut unter Getreide
[* 99] wächst. Sie ist zottig behaart, mit linealischen Blättern, laubartig
verlängerten Kelchzipfeln, großen, purpurroten Blüten und schwarzen, nierenförmigen, höckerigen Samen,
[* 100] welche giftiges
Githagin enthalten. Mit Radensamen gemengtes Brot
[* 101] schmeckt scharf, brennend, betäubt, wird, wenn alt, bläulich. Selbst Branntwein,
aus radehaltigem Korn bereitet, wirkt berauschender. Der Same ist besonders für Schweine
[* 102] schädlich. Agrostemma coronariaL. (Vexiernelke), aus Südeuropa, in Gärten als Zierpflanze kultiviert, sticht, wenn man an den Blumen riechen will, mit steifen
Anhängseln der Blumenblätter.
L. (Windhalm, Straußgras), Gattung aus der Familie der Gramineen, perennierende Gräser
[* 103] mit vielfach verästelter
Rispe und einblütigen Grasährchen mit spitzen, unbegrannten Hüllspelzen, die viel länger sind als die
unbegrannten Deckspelzen. Agróstis vulgarisL. (gemeines Straußgras, kleine Meddel,
[* 88]
Fig. 1), 0,3-0,6 m hoch, mit
kurzen, abgestutzten Blatthäutchen und unbegrannten Ährchen, findet sich auf dem dürrsten Land und ist für solches ein
gutes Triftgras.
Agróstis alba Schrad.
(Agróstis stoloniferaL.,Fioringras, kleine Quecke,
[* 88]
Fig. 2), 0,3 bis 0,6 m hoch,
mit langen, spitzen Blatthäutchen und unbegrannten Ährchen, wächst auf feuchten Wiesen, an zeitweise überschwemmten Stellen
und bildet auf leichtem Boden als Untergras einen zarten, dichten Rasen, der treffliches Rindviehfutter bietet. Es ist
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