Afrikanische
Sprachen.
Afrika
[* 2] bietet in sprachlicher Beziehung, wie bei dem am wenigsten von höherer
Kultur durchdrungenen
Weltteil nicht anders zu erwarten ist, das
Bild einer außerordentlichen Zerklüftung, und erst in neuester Zeit ist es der
Sprachforschung
(Bleek,
Lepsius,
Fr.
Müller u. a.) gelungen, auf
Grund des reichen von Entdeckungsreisenden (wie
Barth,
Munzinger,
Schweinfurth,
Nachtigal u. a.) und namentlich von
Missionären (wie Isenberg,
Kölle,
Krapf,
Moffat, H.
Hahn,
[* 3] Krönlein,
Endemann,
Wuras u. a.) gesammelten, teilweise auch schon zu
Grammatiken und Wörterbüchern verarbeiteten sprachlichen
Materials wenigstens
die nord- und südafrikanischen
Sprachen der Eingebornen in abschließender
Weise zu klassifizieren, während
die zahlreichen total verschiedenen
Sprachen Innerafrikas, soweit sie bisher näher bekannt sind, sich noch nicht mit Sicherheit
in irgend einen größern Sprachstamm
[* 4] einreihen lassen.
Von besonderer Wichtigkeit ist die namentlich in
Bleeks »Comparative grammar of
South-African languages« (Lond. 1862-69, 2
Tle.)
wissenschaftlich begründete Zusammengehörigkeit der meisten
Sprachen Südafrikas mit dem großen Sprachstamm
der sogen. Bantusprachen.
Diese in grammatischer Beziehung hoch entwickelten
Sprachen, die nach
Norden
[* 5] zu bis etwa 5° nördl.
Br. reichen und in drei Hauptgruppen zerfallen (s. Bantuvölker), zeichnen sich namentlich durch
die höchst charakteristischen artikelartigen Vorsätze aus, so in den
Namen der
Ba-suto, der
Be-tschuanen,
der
Ama-zulu, der Ama-xosa
(Kaffern), des durch
Livingstone bekannt gewordenen
Königs Mo-silikatse, der Ma-tonga, Ma-hloenga
etc. Einen ganz andern
Bau zeigen dagegen die übrigens in raschem Aussterben begriffenen
Dialekte der Hottentotten und die
mit denselben durch das häufige Vorkommen von
Schnalzlauten verwandte, jedoch grammatisch ganz unentwickelte,
gleichfalls dem Erlöschen nahe
Sprache
[* 6] der
Buschmänner.
Außerdem gehört
die Hauptsprache der
Insel
Madagaskar,
[* 7] das Malagassy, dem malaiisch-polynesischen Sprachstamm an, von dem
sich auch die
Sprachen der gegenüberliegenden
Küste von
Mosambik beeinflußt zeigen. Einen kaum minder weit als der südafrikanische
Bantustamm, aber jetzt größtenteils über sehr dünn bevölkerte Gegenden verbreiteten Sprachstamm
besitzt Nordafrika in den hamitischen
Sprachen (s.
Hamiten), deren südlichste, die
Sprache der
Galla südlich von
Abessinien,
an die nordöstlichste Bantusprache, das Kisuaheli, direkt angrenzt.
Andre Sprachen dieses Stammes ziehen sich bis an den Golf von Aden [* 8] und das Rote Meer hin, und nordwärts reichen sie mit manchen Unterbrechungen bis nach Oberägypten; von hier aus erstrecken sie sich als Sprachen der Berber und andrer nomadisierender Wüstenstämme quer durch ganz Nordafrika bis an die Westküste hin. Im Altertum gehörte diesem Sprachstamm auch die durch geschichtliche Bedeutung hervorragendste Sprache Afrikas, das Altägyptische, nebst ihrer ebenfalls ausgestorbenen Tochter, dem Koptischen, an, außerdem die Sprachen der Libyer, Numidier und andrer einheimischer Völker Nordafrikas und der Kanarischen Inseln.
Schon im
Altertum
gab es an der nordafrikanischen
Küste auch bedeutende nordsemitische (phönikische) Niederlassungen; durch
den
Islam hat sich eine südsemitische
Sprache, das
Arabische, über den ganzen nördlichen Küstenrand sowie fast über ganz
Ägypten
[* 9] verbreitet und ist als
Handelssprache und vermittelst der noch immer mächtig fortschreitenden
Propaganda des
Islam in raschem Vordringen nach
Süden zu begriffen. In
Abessinien herrschen ebenfalls südsemitische
Sprachen,
von dem jetzt ausgestorbenen, durch seine alte Litteratur hervorragenden
Äthiopischen abstammend, das schon in vorgeschichtlicher
Zeit aus Südarabien eingedrungen sein muß.
Von den zentralafrikanischen
Sprachen sind die bis jetzt bekanntesten die der
Wolof am
Kap Verde, der
Fulbe
(Pul) östlich davon bis zum Tsadsee hin, und etwa von 10 bis 20° nördl.
Br. südwestlich davon das Mandingo und andre Mandesprachen
,
im
Niederland von
Sierra Leone das
Temne und Bullom, am
Kap
Palmas das
Kru, weiter östlich an der Guineaküste
die nahe miteinander verwandten
Sprachen
Odschi bei den
Aschanti,
Ga in Akra,
Ewe in
Dahomé, Jomba, Efik und das ferner stehende
Ibo; dann im Innern südöstlich von
Timbuktu das
Sonrhai, südöstlich hiervon das
Haussa, wegen seiner hamitischen
Elemente
von
Lepsius u. a. für einen westlichen
Ausläufer des hamitischen
Stammes gehalten, östlich vom
Haussa
das
Kanuri in
Bornu, nördlich hiervon das
Teda oder
Tibbu, südlich vom
Kanuri das Logone, Wandala u. a., weiter östlich das
Bagirmi, nordöstlich hiervon die Mabasprache in
Wadai, östlich hiervon das Kondschara in
Dar Fur
[* 10] und weiter südlich das Tumale,
die sechs letzten nach
Lepsius miteinander verwandt; endlich in
Ostafrika die
Gruppe der
Nilsprachen,
Dinka,
Bari,
Schilluk,
Bongo und
Oigob, und weiter stromabwärts die
Sprachen der
Barea und der schon dem
Altertum bekannten Nubier oder
Nuba.
Alle diese
Sprachen oder Sprachgruppen zeigen wenigstens in betreff ihres Wortschatzes nicht die geringste
Verwandtschaft,
weshalb
Fr.
Müller sie für ebenso viele selbständige Ursprachen
hält. Die
Fulbe
(Pul) und die Nubier
hält er zugleich ihrer natürlichen Merkmale wegen für von den übrigen zentralafrikanischen
Stämmen, als reinen Negervölkern,
geschiedene
Rassen und nimmt teils der sprachlichen, teils der natürlichen Merkmale wegen
¶
mehr
an, daß die beiden erstern sowie die Bantuvölker aus einer Vermischung mit den aus Asien
[* 12] eingewanderten Hamiten hervorgegangen
seien. Dagegen hält Lepsius zunächst aus anatomischen Gründen, namentlich der vorgebeugten Haltung des Oberkörpers wegen,
alle einheimischen afrikanischen
Rassen für verwandt und sucht insbesondere bei fast sämtlichen zentralafrikanischen
Sprachen
nachzuweisen, daß dieselben ihrem Grundcharakter nach, namentlich in betreff der Klasseneinteilung der
Substantiva, mit den Bantusprachen
identisch und nur durch die Einwirkung der hoher zivilisierten Hamiten in einen Zersetzungsprozeß
eingetreten seien; bloß die Hottentotten hält er für nach Süden abgedrängte Verwandte der Hamiten, mit denen sie sprachlich
die Unterscheidung der Geschlechter gemein haben.
Jedenfalls herrscht darüber allgemeine Übereinstimmung, daß zwischen den Hamiten und Semiten einerseits und allen oder fast
allen übrigen afrikanischen
Völkern anderseits sowohl sprachlich als kulturgeschichtlich eine tiefe Kluft liegt. Nur erstere
besitzen eine alte Schrift, Litteratur und Geschichte; was sich bei letztern von Litteratur findet, beschränkt sich auf der
neuesten Zeit angehörige christliche Erbauungsbücher, Bibelübersetzungen u. dgl. und einige Sammlungen
von Volkserzählungen und Tiermärchen.
Daß die Hamiten ebenso wie später, zum Teil schon in geschichtlicher Zeit, die Semiten aus Asien eingewandert sind, beweist teils ihre geographische Stellung, namentlich aber ihre zu dem semitischen Sprachstamm in unleugbaren Beziehungen stehende Sprache.
Vgl. die »Sprachen
karte«
[* 13] und Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft, Bd. 1 (Wien
[* 14] 1876-77);
Lepsius, Nubische Grammatik, mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas (Berl. 1880);
Cust, Sketch of the modern languages of Africa (Lond. 1884, 2 Bde.).