Besondern Aufschwung nahm das Ablaßwesen durch die
Kreuzzüge. Die
Teilnahme an ihnen als ein die
Kirche besonders förderndes
Werk wurde als
Ersatz aller
Genugthuungen angesehen. Es entwickelte sich die
Theorie von der Befugnis des
Papstes, einen allgemeinen Ablaß an die Verrichtung eines bestimmten religiösen Werks zu knüpfen. Die aus der
Praxis hervorgegangene
Gewohnheit wurde dann dogmatisch begründet durch
Alexander von Hales (s. d.). Hierarchisches
Interesse
hatte schon den
PapstInnocenz III. 1215 bewogen, den vollkommenen Ablaß(indulgentiae plenariae) dem
Papst
vorzubehalten.
Unter diesen Plenarablässen nimmt seit 1300 die erste
Stelle ein der von
Bonifacius VIII. eingeführte Jubiläumsablaß, welcher
ursprünglich nur alle 100 Jahre wiederkehren sollte, bald aber in jedem vom
Papst bestimmten
Jubeljahr gespendet wurde. Bekanntlich
gab der durch
Tezel (s. d.) und andre schamlos geübte Ablaßkram den
äußern
Anlaß zur
Reformation. Den
Angriffen der
Reformatoren gegenüber belegt das Tridentinum mit dem
Anathema jeden, welcher
leugnet, daß der
Kirche mit der
Schlüsselgewalt das
Gericht über die
Sünden und damit die
Gewalt verliehen sei, dieselben
zu erlassen. Da die
Reinigung im
Fegfeuer zu den zeitlichen
Strafen der
Sünde gerechnet wird, so hat die
Kirche, nicht ohne den
Widerspruch auch neuerer
Kirchenlehrer, ihren Ablaß auch auf das
Fegfeuer ausgedehnt.
Aber Ablaß ist seither nicht mehr zum Verkauf ausgeboten worden. Dagegen ist der Ablaß hergebracht geblieben
für bestimmte kirchliche
Handlungen, besonders als
Privilegium für bestimmte
Orden,
[* 2]
Kirchen,
Altäre und
Festzeiten. Sehr leicht wird es denen, welche
Rom
[* 3] besuchen, gemacht, überflüssigen Ablaß zu verdienen. Der Ablaß ist vollkommen
oder unvollkommen, auf Zeit oder dauernd. Seine
Wirkung ist, wenigstens in der
Theorie, auch geknüpft an die
Disposition, d. h.
die gläubige und bußfertige
Gesinnung, in der
Praxis vor allem an die Leistung der vorgeschriebenen Werke.
oder Indulgenz, eigentlich der Nachlaß einer von der Kirche auferlegten Bußleistung. Die Kirchenstrafen waren
anfänglich öffentliche Büßungen, durch die der aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossene Sünder die Aufrichtigkeit und
Beständigkeit seiner Reue bekunden sollte. (S. Buße.) Schon auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa
(325) erhielten die Bischöfe das Recht, Abgefallenen bei nachweislich ernstlicher Reue einen Teil ihrer Bußzeit nachzulassen.
Als Zeichen der Reue wurden früh sog. «gute Werke»
betrachtet: Gebet, Fasten, Almosen, Wallfahrten u. s. w. Seit dem 5. Jahrh., als die alte
Strenge der Kirchenzucht nachließ, schien eine Umwandlung der öffentlichen Kirchenstrafen in geheime
Leistungen guter Werke immer allgemeiner geboten. Diese erhielten bald den Charakter einer eigentlichen Kirchenstrafe. So
war nur noch ein Schritt, um diese Werke als förmliche Genugthuung oder Satisfaktion für die begangene Schuld zu betrachten.
Dies geschah in der Kirche des Abendlandes unter dem Einflusse der german. Rechtsanschauung, nach der die
Verletzung eines andern durch eine Buße, d. h. eine bestimmte als Äquivalent angenommene Leistung, gesühnt und damit der
Verletzte abgefunden werden konnte. Demnach trat auch bei der Kirchenstrafe die Vorstellung einer Gott, als dem gekränkten
Teile, zu leistenden Satisfaktion hervor. Die altgerman. Gesetzgebungen kannten nun sowohl die Übertragung der Bußleistung
auf andere als auch die Kompensation des Verbrechens durch Geld (Wergeld). An diese Volkssitte knüpfte
auch die Kirche an; so kamen seit Ende des 7. Jahrh. von England aus die sog.
Beichtbücher in Umlauf, die in tabellarischer Übersicht Erleichterung oder Vertauschung der Kirchenstrafen, z. B.
für Fasten Psalmengesang oder Almosen, auch Geldspenden an Kirchen und Kleriker boten.
Auch stellvertretende Büßungen kamen schon auf: ein Reicher konnte eine Bußzeit von
sieben Jahren in drei Tagen absolvieren,
wenn er die entsprechende Anzahl Männer mietete, die für ihn fasteten. Doch erschien noch im 9. Jahrh. die Meinung, als
werde Sündenvergebung durch Geld erkauft, so lästerlich, daß mehrere Provinzialsynoden die Verbrennung
der Beichtbücher anordneten. Aber die fortschreitende Veräußerlichung des Kirchentums und die größern Geldbedürfnisse
des Klerus machten den Mißbrauch immer mehr zur herrschenden Sitte.
Schenkungen an Kirchen und Klöster geschahen immer allgemeiner in der Absicht, die Sünden dadurch abzukaufen; bischöfl. und
päpstl. Urkunden erteilten reichliche Privilegien an Kirchen, die jedem, der zu ihrer Stiftung oder Erhaltung
einen Beitrag gab, einen Teil der Buße erließen, bisweilen selbst Vergebung aller Sünden boten. Viele Kirchen sind besonders
im 10. und 11. Jahrh. auf diese Weise entstanden. Im 11. Jahrh. erscheint unter Papst Alexander II. auch der Name für Ablaß (Indulgentia).
Man gewährte mit der Zeit den Ablaß selbst für das Besuchen einer gewissen Kirche an gewissen Tagen, für das Anhören einer
Predigt, für bestimmte Gebete und gewisse fromme Leistungen u. dgl. Teils die immer schreiender hervortretenden Mißbräuche
in der Handhabung des Ablaß, teils hierarchisches Interesse bestimmten zwar Papst Innocenz III.
1215, die Bischöfe in der Übung des Ablaß zu beschränken, und der vollkommene Ablaß (indulgentia plenariae) wurde allmählich
dem röm. Bischofe vorbehalten.
Aber um so rücksichtsloser übte dafür Rom selbst dieses Ablaßwesen, das allmählich zur förmlichen Besteuerung der Christenheit
ausartete. So wurde z. B. auf dem Reichstage zu Nürnberg
[* 4] 1466 ein Ablaß vorgeschlagen, um Geld zum Türkenkriege
aufzubringen. Die Scholastik begründete den Ablaß auch theoretisch. Man behauptete, daß Christus, Maria und die Heiligen sich
überschüssige Verdienste vor Gott erworben und diesen «unendlichen» Schatz
«überverdienstlicher» Werke (Opera supererogationis, s. d.) der Kirche zur Übertragung an solche überlassen hätten, die
dieser Gnade für würdig erachtet würden. Die Art, in der Leo X. 1514 und 1516, angeblich zur Führung
des Türkenkrieges, in Wahrheit zum Bau der Peterskirche in Rom und zur Bestreitung der Kosten seines luxuriösen Hofhaltes,
den Ablaß handhabte, wurde einer der Hauptanstöße zur Reformation. (S. Tezel.)
In dem Streite Luthers gegen den Ablaßhandel kam die scholastische Ablaßtheorie allseitig zur Sprache.
[* 5] Die berühmten Sätze, welche Luther an die Schloßkirche zu Wittenberg
[* 6] schlug (s. Reformation), waren noch nicht
gegen den Ablaß selbst, sondern nur erst gegen dessen Mißbrauch gerichtet. Einen Schritt weiter ging Luther schon in dem bald
nachher verfaßten «Sermon von und Gnaden», in dem er die scholastische Lehre
[* 7] von der Satisfaktion, als
drittem Stücke des Bußsakraments (s. Buße), verwarf und dadurch dem ganzen Ablaßwesen seine Begründung entzog.
Die scholastische Lehre wurde aber durch eine Bulle Leos X. vom bestätigt. Hiernach werden durch die priesterliche
Absolution sowohl die Schuld als die ewigen (Höllen-)Strafen erlassen; dagegen bedarf es zum Erlasse der
zeitlichen Strafen einer vom Sünder selbst noch zu leistenden Genugthuung, welche die Kirche zu bestimmen hat. Unter diesen
zeitlichen Strafen sind nicht bloß die kirchlichen, nach dem kanonischen Rechte auferlegten Bußen, sondern auch göttliche
Strafen zu verstehen, und zwar teils irdische, teils
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mehr
Fegefeuerstrafen. Der Ablaß ist entweder ein vollkommener oder ein unvollkommener. Bei jenem werden alle zeitlichen
Sündenstrafen nachgelassen, bei diesem nur ein Teil. Das Maß der unvollkommenen Ablaß wird nach der Zeit bestimmt. Wie in der
alten KircheTage, Quadragenen (die Zeit der vierzigtägigen Fasten) oder Jahre von der Bußzeit nachgelassen
wurden, so werden jetzt von einer bestimmten Zahl von Tagen, Quadragenen oder Jahren verliehen. Den Seelen im Fegefeuer können
Ablaß direkt nicht verliehen werden; wer aber einen Ablaß gewinnt, kann ihn fürbittweise (per modum suffragii)
einem Verstorbenen zuwenden, und diese Fürbitte gilt als immer wirksam.
Die Kirchenversammlung zu Trient
[* 9] hat manche Mißbräuche, namentlich die Geldgewinnste beseitigt. Ihre Verordnung
aber, bei der Verleihung der Ablaß Maß zu halten, ist in Vergessenheit geraten. Die Ablaß sind jetzt viel zahlreicher und leichter
zu gewinnen als früher. Auch kommt noch in neuern päpstl. Erlassen die Formel vor, daß für dieses oder jenes «gute
Werk» «vollkommene Sündenvergebung» verheißen wird. –
Vgl. von röm.-kath. Seite: Beringer, Die Ablaß, ihr Wesen und Gebrauch
(9. Aufl., auf Grund der Arbeiten von Ablaß Maurel und J. Schneider, Paderb. 1887);
von prot. Seite: E. Bratke, Luthers 95 Thesen
und ihre dogmenhistor.