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Hauptwerk: Waddell, The Buddhism of Tibet or Lamaism (Lond. 1895);
vgl. auch Pander, Das Pantheon des Tschangtscha Hutuktu.
Ein Beitrag zur Ikonographie des Lamaismus (hg. von Grünwedel, Berl. 1890).
Ein besseres Geschick in Indien ist dem Zeitgenossen und Rivalen Buddhas beschieden gewesen, Mahāvīra, dem Stifter der Sekte der Dschaina (Sanskrit Jaina). Zum Untergang des Buddhismus in Indien mag auch seine Toleranz beigetragen haben. Der Dschainismus, so ähnlich er sonst dem Buddhismus ist, kennt solche Toleranz nicht. Er verbietet, daß ein Gläubiger einem Ungläubigen Speise oder Kleidung darreiche, ihn ermahne oder bediene. Und wenn Buddha eine scharfe Formulierung des Nirvāṇa vermieden hatte, lehrte der Dschina, daß die von den Banden des Körpers befreite, geläuterte Seele in den Himmel [* 2] des Dschina gelange, wo sie ihr wahres Wesen, das Erkenntnis ist, wiedererlange und in ewiger Ruhe genieße. Im Gegensatz zu Buddha legte der Dschina großes Gewicht auf die Ascese, und der Hungertod wird auch den Laien als verdienstlich empfohlen, die Digambarasekte fordert ihn für den, der die höchste Stufe der Erkenntnis erlangt hat (s. Dschain, Bd. 5; vgl. Hardy, Der Buddhismus, Münster [* 3] i. W. 1890). Auch der Dschainismus ist frühzeitig in Sekten gespalten worden, die seiner Ausbreitung hinderlich gewesen sind. Ihm wie dem Buddhismus verdankt die ind. Kunst ihre ältesten und großartigsten Denkmäler (s. Indische Kunst, Bd. 9).
Ein so gefährlicher Feind auch der Buddhismus zu Zeiten dem Brahmanismus gewesen ist, so bezeichnet er doch keineswegs, wie meist geglaubt wird, einen Wendepunkt in der Geschichte der ind. Religion, schon deswegen nicht, weil er vorwiegend auf den Osten Indiens beschränkt geblieben ist. Der Brahmanismus ging seinen Entwicklungsgang ungestört weiter. Das neutrale Brahma, das die Spekulation an die Spitze der Götter gestellt hatte, konnte dem Volke nicht genügen. Es wurde zu einem männlichen Brahma umgebildet, und dieser Gott Brahma wurde offiziell der höchste Gott, der aber nie einen weit verbreiteten Kultus gehabt hat (s. Brahma, Bd. 3). Die alten vedischen Götter wurden zu Welthütern, deren jedem eine Himmelsgegend untersteht. Zu den sieben alten Göttern, denen diese Rolle zugewiesen ist, Indra, Varuṇa, Agni, Jama, Sūrja, Vāju, Soma, ist als achter Kubera, der Gott des Reichtums, getreten, Soma ist ganz zum Mondgott geworden.
Die Götter, die immer mehr hervortreten und schließlich die allein herrschenden werden, sind Çiva, der Fortsetzer des vedischen Rudra, und Vishṇu. Ihr Emporkommen läßt sich noch nicht genau verfolgen, weil uns die ältesten sektarischen Werke zum Teil überhaupt noch nicht bekannt sind, zum Teil noch der kritischen Durchforschung warten. Streitbare Brahmanen, wie Kumārila im 7. Jahrh. und Çaṃkarātschārja im 9. Jahrh., müssen als Hauptbegründer des Neo-Brahmanismus angesehen werden, der im Laufe der Jahrhunderte einen immer stärker ausgeprägten sektarischen Charakter annahm und den man in dieser Form Hinduismus zu nennen pflegt. Bereits im Mahābhārata (s. d., Bd. 11) sind Çiva und Vishṇu die herrschenden Götter; ihnen wird als dritter Brahma beigefügt, und diese drei hat die Spekulation für identisch erklärt und alle drei für einen Gott. Diese Dreieinigkeit des Hinduismus, die Trimūrti (s. d., Bd. 15), die ihren Ausdruck in der heiligen Silbe Om (s. d., Bd. 12) gefunden hat, ist Dogma für alle Sekten im Brahmanismus.
Brahma ist der Schöpfer, Vishṇu der Erhalter, Çiva der Zerstörer. Schon auf alten Bildwerken wird die Trimūrti abgebildet als ein Körper mit drei Köpfen, in der Mitte Brahma, rechts Vishṇu, links Çiva. Vishṇu und Çiva werden auch allein als ein Gott verehrt unter dem Namen Harihara, der schon seit dem 6. Jahrh. n. Chr. als einheitlicher Gott abgebildet erscheint und eine eigene Mythologie hat. Seit dem 14. Jahrh. ist der Kultus des Harihara im Dekan, besonders in Maisur, weit verbreitet, und heute ist Harihara einer der populärsten Götter der Tamulen. Die gewöhnliche Deutung der Trimūrti ist aber bei den Hindus die, daß einer der drei Götter, am seltensten Brahma, der höchste ist, und so teilt sich Indien bis auf den heutigen Tag in die zwei Hauptreligionen der Çaivās (Anhänger des Çiva) und Vaishṇavās (Anhänger des Vishṇu), die in eine Unzahl von Sekten zerfallen und als heilige Bücher die Purāṇa (s. d., Bd. 13) und Tantra ansehen. Die meisten Purāṇa sind vishṇuitisch, das Bhavishga-Purāṇa dient dem Kultus der Sonne, [* 4] die im 9. Jahrh. von sechs verschiedenen Sekten verehrt wurde, deren eine die aufgehende, untergehende und Mittagssonne zusammen als eine Trimūrti verehrte.
Für alle çivaitische Sekten charakteristisch ist die Verehrung des Lingam (s. d., Bd. 11), d. h. des Phallus. Im Dienste [* 5] des Çiva hat sich auch der sog. Çaktidienst entwickelt, die Verehrung der Göttinnen. In der alten ind. Religion spielt der Dienst der Göttinnen gar keine Rolle. Außer Ushas, der Morgenröte, treten nur noch die Apsaras (s. d., Bd. 1) hervor; in einem Liede des Rigveda wird die Araṇjānī, die Göttin des Waldes, verherrlicht, von Sūrjā, der Tochter des Sonnengottes, werden Mythen erzählt.
Dem Indra, Varuṇa und Agni werden Frauen zugeteilt, Indra sogar mehrere; aber diese Götterfrauen stehen ganz zurück hinter den männlichen Gottheiten. Anders ist es im Hinduismus. Hier erhält jeder der drei obersten Götter eine Frau zugeteilt, Brahma die Sarasvatī (s. d., Bd. 14), Vishṇu die Çrī oder Lakschmī (s. d., Bd. 10), Çivā die Umā oder Pārvatī oder Kālī oder Durgā (s. d., Bd. 5). Jede dieser Göttinnen wird angesehen als die fruchtbare, schöpferische Seite des Gottes und als seine Çakti, d. h. «Energie», «Kraft», [* 6] «Macht», oder Prakṛti, d. h. «Natur», bezeichnet.
Auch diese drei Göttinnen hat man zu einer Trimūrti zusammengefaßt. Außerdem kennt der Hinduismus noch Energien anderer Götter, deren Zahl zwischen 7 und 16, auch mehr, schwankt, die «Mütter» (Sanskrit mātaras oder mātṛkās),
auch «Weltenmütter» (Sanskrit lōkamātaras) genannt, die bei Beginn heiliger Handlungen zusammen mit dem Gott Gaṇēça (s. d., Bd. 7), dem Sohne des Çiva, angerufen und mit Darbringungen von Blumen, Wohlgerüchen, Betel, Gewändern u. dgl. verehrt werden, nachdem man sie auf Bilder, Zeug oder Haufen von unenthülstem Korn gemalt hatte. Weibliche dämonische Elemente sind ferner die Joginī (Hexen) u. a. Die Verehrer dieser Çakti heißen Çāktā, und ihre heiligen Schriften sind die Tantra. Die Litteratur der Tantra ist sehr umfangreich, aber noch fast gar nicht erforscht. Wie die Çakti selbst alle der Çakti des Çiva untergeordnet werden, so stehen auch die Tantra durchweg im Dienste des Çiva und seiner Frau, so daß der Çaktidienst nur eine Abart ¶
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des Çivaismus ist. Die Tantra sind ihrem Hauptinhalt nach Handbücher der Zauberei und Geheimkunst. Sie lehren, wie man Zauberkräfte erlangen kann durch bestimmte Sprüche, mystische Silben und Buchstaben, Diagramme, [* 8] magische Kreise; [* 9] sie geben Anleitung, um die Stimmen der Tiere kennen zu lernen, wie man Krankheiten hervorrufen und heilen, bestimmte Dämonen für sich gewinnen oder vertreiben kann; Astrologie [* 10] und Alchimie spielen darin eine Rolle. Sie werden alle zurückgeführt auf eine Upanishad (s. d.), die Kaula-Upanishad, und die Bräuche, denen die Çāktā «der linken Hand» [* 11] folgen, heißen die Kaulabräuche.
Die Çāktā zerfallen in zwei Klassen, die «Çāktā der rechten Hand» und die «Çāktā der linken Hand». Die erstern verehren die Çakti nach den Vorschriften des Veda und der Purāṇa, zuweilen mit blutigen Opfern, aber ohne anstößige Gebräuche und öffentlich. Der Çaktidienst der «Çāktā der linken Hand» dagegen ist ein geheimer und höchst obscöner. Männer und Frauen feiern ihn gemeinsam; sie bilden bei ihren Zusammenkünften einen Kreis, [* 12] «den Kreis des Bhairava» (d. h. Çiva), innerhalb dessen alle Kastenunterschiede aufhören. In seiner Mitte sitzt eine nackte Frau als Symbol der Çakti, und Trunkenheit und Unzucht stehen im Mittelpunkt der Feier. Çivaitisch sind vorwiegend auch die Thags (s. d., Bd. 15), im Dekan sehr zahlreich die Dschangamā oder Lingavat, gewöhnlich Lingaiat oder Lingajat genannt, die das Lingam an einem Teile ihres Körpers oder ihrer Kleidung tragen. Zu den Çivaiten gehören ferner die Dschōgi (s. d., Bd. 5), die als Gaukler, Zauberer, Musiker herumziehen.
Der Çivaismus hat seine Anhänger vorwiegend in den niedern Klassen der Bevölkerung; [* 13] der bessere Teil neigt zum Vishṇuismus, der ebenfalls in viele Sekten zerfällt. Die Religion des Vishṇu (s. d., Bd. 16) trägt im Gegensatz zu der des Çiva einen milden, versöhnlichen Charakter. Ihr eigen ist das System der Verkörperungen (Sanskrit Avatāra) des Vishṇu, deren zehn angenommen werden, unter denen die als Rāma (s. d., Bd. 13) und Krischna (s. d., Bd. 10) religionsgeschichtlich die wichtigsten sind. Der Vishṇuismus hat ein doppeltes Gesicht. [* 14] Einmal hat er die Neigung zur Beschaulichkeit und Spekulation, dann zu einem ausgelassenen Lebensgenuß. Man hat diese Seiten als Rāmaismus und Krischnaismus unterschieden, und danach trennen sich auch die Sekten. Unter den alten rāmaitischen Sekten ragt hervor die der Pāntscharātrā (s. d., Bd. 12) oder Bhāgavatā, die im 12. Jahrh. durch Rāmānudscha, einen Südinder, zu neuem Leben erweckt wurde.
Die Rāmānudschā sind heute eine wichtige und zahlreiche Sekte im südl. Indien. Sie glauben, daß Vishṇu das höchste Wesen ist, das von Anfang an da war und der Schöpfer aller Dinge ist, sind also monotheïstisch (Sanskrit advaita = nicht-dualistisch). Sie zerfallen in zwei Abteilungen, die sich feindlich gegenüber stehen; die eine, die südl. Schule, lehrt, daß Rāma-Vishṇu den Menschen errettet ohne sein Zuthun, ohne seinen freien Willen, wie eine Katze [* 15] ihre Jungen faßt (woher diese Lehre [* 16] die «Katzenlehre» heißt),
die andere, die nördl. Schule, daß der Mensch Rāma suchen und ihn umarmen muß, wie ein Affe [* 17] seine Mutter (woher der Name «Affenlehre»). Noch zahlreicher als die Rāmānudschā sind die Rāmānandā, gegründet von Rāmānandā im 14. Jahrh. Sie sind besonders zahlreich um Agra, verehren außer Rāma und seiner Frau Sītā auch den Affen [* 18] Hanuman (s. d., Bd. 8) und haben freiere Speise- und Kastengesetze als die Rāmānudschā, von denen sie sich sonst wenig unterscheiden. Rāmānanda hatte zwölf Schüler, unter denen berühmt ist Kabīr, der Gründer der Sekte der Kabīr Panthī, der sehr energisch gegen die Vielgötterei auftrat, nur die Verehrung von Rāma oder Vishṇu als des einen Gottes zuließ und sehr strenge Moralgesetze aufstellte. Auf Kabīrs Lehren [* 19] fußt Nānak, der Gründer der Sikh (s. d., Bd. 14), der eine Vereinigung des Hinduismus mit dem Islam anstrebte.
Die krischnaitischen Sekten verehren Vishṇu in seiner Verkörperung als Krischna, und zwar den jugendlichen Krischna, dessen ausgelassenes Leben mit den Hirtinnen ein beliebter Gegenstand für die Dichter gewesen, am glühendsten von Dschajadeva (s. d., Bd. 5) geschildert worden ist. Das Jugendleben Krischnas bietet einige Züge, die auffallend an christl. Erzählungen aus dem Leben Jesu erinnern. Sein Pflegevater zieht mit seiner schwangern Frau nach Mathurā, um seine Steuern zu zahlen, zur Zeit als Krischna geboren wird, was in einem Kuhstall oder einer Hürde (vgl. die Krippe) geschieht.
Wie Christus wird Krischna von einem grausamen König verfolgt, der alle männlichen Kinder zu töten befiehlt, die zu der gleichen Zeit wie Krischna geboren sind; wie Christus wird Krischna durch die Flucht gerettet, indem ihn Vasudeva, der ind. Christophorus, durch das Wasser trägt, das, obwohl angeschwollen, ihm nur bis an die Knie reicht; das Geburtsfest beider wird gefeiert und Dēvakī, die Mutter Krischnas, als Madonna lactans dargestellt (vgl. Weber, Über die Kṛishṇajanmāshṭamī, Krishṇas Geburtsfest, Berl. 1868). Eine direkte Entlehnung seitens einer der beiden Religionen ist schwerlich anzunehmen; wahrscheinlich liegt der Fall hier ebenso wie beim Buddhismus (s. Buddha, Bd. 3), daß beide Darstellungen auf eine dritte, gemeinsame Quelle [* 20] zurückgehen.
Unter den Krischnaiten ragen zwei Sekten hervor, die Anhänger des Tschaitanja (Sanskrit Caitanya) und des Vallabhātschārja (Sanskrit Vallabhācārya). Tschaitanja wurde 1485 in Bengalen geboren, und dort und in Orissa sind seine Anhänger sehr zahlreich. Er predigte die Gleichheit der Kasten und die Verdienstlichkeit der Ehe. Zu Krischna soll der Gläubige eine Liebe fühlen, wie der Jüngling zur Jungfrau, und diese Liebe soll durch Singen und Tanzen oder Beschaulichkeit entfacht werden.
Eine Ohnmacht des Gläubigen gilt für das Zeichen, daß Krischna seine Liebe angenommen hat. Tschaitanja selbst war Anfällen solcher religiösen Ekstase ausgesetzt und soll während eines solchen ertrunken sein. Nach seinem Tode wurde er für eine Inkarnation des Krischna erklärt. Gerade dem entgegengesetzten Teile von Indien, dem Nordwesten, gehören die Anhänger des Vallabhātschārja an. Derselbe wurde 1479 geboren und ließ sich nach längern Wanderungen durch ganz Indien in Benares nieder.
Die Vallabhātschārja hat man die Epikureer des Vishṇuismus genannt. Ihr System führt den Namen Pushṭimārga, «der Weg zum Wohlbefinden», und lehrt, daß man Krischna verehren soll, indem man sich den Freuden dieser Welt hingiebt. Die geistlichen Oberhäupter, Mahārādschā (Großkönige) genannt, gelten als Inkarnationen Krischnas, denen man dieselbe Ehre erweisen muß wie dem Gotte selbst. Und da Krischnas Verkehr mit den Hirtinnen als Vorbild genommen ¶