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einen Lohn gäbe, bestritt also jede sittliche Weltordnung, in geradem Gegensatz zu der herrschenden Lehre [* 2] des Brahmanismus, der an seine Anhänger hohe sittliche Anforderungen stellte und ihnen eine große Anzahl religiöser Pflichten auferlegte, die bis auf den heutigen Tag meist streng beachtet werden und in den Gṛhyasūtra (s. Sūtra, Bd. 15) und den Gesetzbüchern aufgezeichnet sind. Der Brahmanismus forderte ein streng sittliches Leben und legte für Verstoße dagegen Bußen und Sühnungen auf; in zweifelhaften Fällen entschieden Gottesurteile (vgl. Schlagintweit, Die Gottesurteile der Indier, Münch. 1866). Die zehn Gebote, die für alle vier Kasten gelten, werden zusammengefaßt unter die fünf Regeln: kein lebendes Wesen zu beschädigen, die Wahrheit zu sprechen, nicht zu stehlen, rein zu sein und die Leidenschaften zu bezähmen. Die täglichen Gebete, Darbringungen und Waschungen waren streng geregelt; es wird gefordert, daß jeder sich in seiner Kaste halte und die Brahmanen, «die Götter auf Erden», als höchste und beste Kaste anerkenne. Trotz allem aber war von einem priesterlichen Druck im Brahmanismus nicht viel zu spüren.
Am Ende dieser Periode, zur Zeit als Buddha und Mahāvīra auftraten, befand sich Indien in sehr günstigen Verhältnissen. Wir finden mächtige Fürsten, Staaten mit wohlgeordneten Finanzen und vortrefflicher Rechtspflege, in denen Handel und Gewerbe blühten. Das Leben war ein üppiges und fröhliches. Von dem Zuge der Wehmut und Entsagung, der durch einen Teil der Litteratur dieser Zeit geht, ist in der Schilderung des öffentlichen Lebens nichts zu spüren. Ein Erlöser des Volks war also nicht nötig, und als solchen Buddha aufzufassen, wie es lange geschehen ist, ist durchaus verkehrt.
Buddha war, wie erwähnt, nur einer unter vielen Lehrern, die damals in Indien auftraten. Er war ein philosophisch gebildeter Mann, und seine Lehre knüpft unmittelbar an die Systeme des Sāṃkhya und Yōga an und hat zum Teil genau dieselben technischen Ausdrücke wie die Upanishad. So findet mau bei ihm die oben erwähnten Ausdrücke «Nichtwissen», «Begehren», «Name», «Form» alle wieder, und seine Lehre, die in dem Worte Nibbāna (Sanskrit Nirvāṇa) gipfelt, hat kein anderes Ziel als die Vernichtung der Seelenwanderung, ist also eine rein indische und muß als solche beurteilt werden.
Buddha war auch nicht der erste, der die Autorität der heiligen Schriften der Brahmanen, der Veda, verwarf. Das hatten lange vor ihm andere gethan, wie Kautsa, der die Veden für sinnlos erklärt hatte. Was Buddha seinen großen Erfolg verschaffte, war gewiß in erster Linie seine ganze Persönlichkeit, die Art seines Verkehrs mit dem Volke und die Gunst der Fürsten, deren er sich zu erfreuen hatte. Daß der Buddhismus schließlich ganz aus Indien vertrieben wurde, daran trägt vor allem die Spaltung in Sekten und Verfolgungen durch brahmanisch gesinnte Könige die Schuld, seinen Hauptsitz hatte er in Magadha, dem Heimatlande Buddhas, gehabt, überhaupt im östl. Indien, einschließlich Bengalen. Gerade in Bengalen aber kam seit dem 7. Jahrh. n. Chr., veranlaßt durch Brahmanen, die König Ādisūra aus Kanaudsch im nordwestl. Indien hatte herbeiholen lassen, eine antibuddhistische Bewegung in Gang, [* 3] die mit dem Siege des Vishṇuismus endete. Die Vishṇuiten verstanden es, Buddha als einen Avatāra (s. d., Bd. 2) des Vishṇu ihrem religiösen System einzuordnen, und bei den Dichtern des 11. und 12. Jahrh. erscheint Buddha als neunte Verkörperung des Vishṇu.
In den Tempeln von Ceylon [* 4] siebt das Bild des Vishṇu neben dem Buddhas, und Vishṇu gilt als der Patron der Insel. Heute giebt es im eigentlichen Indien keine Buddhisten mehr. Von den über 7 Millionen, die der Census auffuhrt, kommen fast 6900000 auf das 1886 annektierte Birma, der Rest auf die Grenzländer bei Birma und die Länder am Fuße des Himalaja. Um so größere Verbreitung hat er außerhalb Indiens gefunden, freilich in einer Gestalt, die die ursprüngliche Lehre kaum noch erkennen läßt.
Die Entartung tritt am deutlichsten hervor im Kultus. Buddha hatte die Volksgötter bestehen lassen, ihnen aber eine untergeordnete Rolle zugewiesen. Brahma Sahampati und seine Götterwelt erscheinen beständig in buddhistischen Schriften. Wenn ein frommer Buddhist in Gefahr ist, wird der Thron [* 5] des Indra heiß; Indra muß aufstehen und dem Bedrängten zu Hilfe kommen. Als böses Princip erscheint Māra, der Todesgott, dessen Gestalt im Laufe der Zeit immer realistischer geworden ist (vgl. Windisch, Māra und Buddha, Lpz. 1895). Aber alle Götter traten ganz zurück hinter dem Buddha selbst; einen eigentlichen Kultus kannte der alte Buddhismus nicht.
Fast die einzige Feier war die des Upōsatha, d. h. Fasttages, die zweimal im Monat stattfand, zur Zeit des Voll- und des Neumondes. Auf Ansage des Ältesten versammelten sich sämtliche Mönche eines Distrikts an einem bestimmten Orte; selbst Kranke brachte man dahin, wenn sich keine geeignete Person fand, die die Erklärungen des Kranken überbringen konnte, oder die Gemeinde versammelte sich am Krankenbett. In dieser Versammlung, an der nur Mönche teilnehmen durften, wurde der Pātimokkha vorgetragen, ein Werk, das wohl das älteste des ganzen Tipiṭaka (s. d., Bd. 15) ist. Es enthält ein Verzeichnis von mehr als 200 Verstößen gegen die Sittlichkeit und Ordenszucht; jeder Mönch, der sich eines dieser Verstöße bewußt war, mußte dies bekennen, worauf ihm eine Sühne auferlegt wurde.
Außer der Upōsathafeier gab es nur noch eine jährlich einmal wiederkehrende Feier, die Pavāraṇā, «Einladung». Sie fand statt am Ende der Regenzeit. Jeder Mönch bat in ehrfurchtsvoller Haltung am Boden sitzend seine Brüder, ihm anzugeben, ob er irgend etwas gefehlt habe, und versprach dies zu sühnen. Da der Buddhismus keinen Gott kannte, mußte ihm auch das Gebet fremd sein. Sehr frühzeitig aber kam die Verehrung heiliger Stätten und von Reliquien auf. Schon sehr alte Texte sprechen davon, daß vier Orte wert seien gesehen zu werden, der Geburtsort Buddhas, der Ort, wo er die Erleuchtung empfing, wo er zuerst gepredigt und wo er ins Nirvāṇa eingegangen sei, und die Pilgerfahrt dahin wird als verdienstlich gepriesen. Es wird ferner berichtet, daß unmittelbar nach Buddhas Tode seine Reliquien an mehrere Fürsten und Adlige verteilt wurden, die darüber Topen (s. d., Bd. 15) errichteten und ihnen zu Ehren ein Fest feierten.
Diese älteste Art der Reliquienverehrung war also keine kirchliche, sondern eine private, und das blieb sie noch lange. Der große Glaubensheld der südl. Buddhisten, Açōka (s. d., Bd. 1), im 3. Jahrh. v. Chr. berichtet in der vierten seiner Inschriften, daß er dem Volke Götterwagen, Elefanten und andere göttliche Schauspiele gezeigt habe unter dem Schall [* 6] der Trommeln. Der König also ist es auch hier, der die Feier einrichtet, nicht die Geistlichkeit. Aus dem 7. Jahrh. n. Chr. erfahren ¶
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wir von dem chines. Pilger Hiouen-tschang, daß unter dem Feigenbaume bei Buddhagajā, wo Buddha die Erleuchtung kam, sich alljährlich Fürsten und Behörden am Todestage des Buddha versammelten, den Baum mit wohlriechendem Wasser und Milch besprengten, Lampen [* 8] anzündeten und Blumen streuten, wobei Musik erschallte. Neben dem Baume stand eine Statue Buddhas, ringsherum Klöster, Topen und sonstige Monumente. Damals war der Kultus schon ein ganz äußerlicher und üppiger geworden, was begreiflich ist, da ja damals bereits die Schule des Mahājāna dem Buddhismus Götter gegeben hatte.
Von körperlichen Reliquien des Buddha sind Haare, [* 9] Nägel [* 10] und Knochen, [* 11] vor allem aber der Augenzahn verehrt worden, dessen wunderbare Geschichte in einem um 310 in Elu abgefaßten, um 1200 ins Pāli übersetzten besondern Werke geschildert worden ist. Bilder und Statuen des Buddha aus Holz, [* 12] Stein, Gold, [* 13] Messing waren sehr zahlreich; zu ihnen traten später die der Dhjānibōdhisattvā und des Buddha der Zukunft Mettejja, im nördl. Buddhismus auch die der Dhjānibuddhā.
Berühmt sind die buddhistischen Felsentempel. Abdrücke von Fußstapfen Buddhas werden an verschiedenen Stellen gezeigt. Am berühmtesten ist der Abdruck auf dem Adams-Pik in Ceylon, den schon der chines. Pilger Fa-hian im 5. Jahrh. erwähnt. Zu ihm pilgern nicht bloß die Buddhisten, sondern auch die Çivaïten, die ihn für eine Fußspur Çivas halten, und die Mohammedaner, die glauben, daß Adam ihn hinterlassen habe. Außerdem waren Reliquien Überreste von Kleidern Buddhas, sein Betteltopf, den Fa-hian noch in Pischavar sah, u. s. w. Die Zahl der Feiertage wurde erheblich vermehrt. Entsprechend unsern Sonntagen wurden monatlich vier Feiertage eingesetzt. Die beiden Upōsathatage wurden Feste auch für die Laien. Arbeit und Handel ruhen, die Schulen und Gerichtshöfe sind geschlossen, Jagd und Fischfang verboten. Die Laien kleiden sich festlich, begeben sich zu einem Mönch oder einer Nonne und erklären während dieses Tages die fünf, besonders fromme die acht Gebote (s. Buddha, Bd. 3) zu befolgen, die sie hersagen.
Dann hören sie die Predigt und verbringen den Tag in stiller Beschaulichkeit, recht fromme unter Fasten. Feiertage waren ferner das Neujahrsfest, der Todestag des Buddha, das Frühlingsfest und der Tag, an dem Māra, der buddhistische Teufel, von Buddha überwunden worden ist. Fa-hian schildert uns die Bilderprozession, die alljährlich in Patna am achten Tage des zweiten Monats stattfand und ein großes Volksfest war. Auf Ceylon ist heute das größte aller Feste, das Aehalakelija, d. h. Āschāḍhafest, das am Vollmonde des Monats Āschāḍha (Juni, Juli) gefeiert wird, dem Tage, an dem Buddha zuerst gepredigt haben soll und an dem die viermonatige Regenzeit beginnt.
Die Zahl und Zeit der Feste ist je nach den Ländern sehr verschieden. Im Lamaismus werden alle regelmäßigen, vorher erwähnten Feste streng beachtet. Außerdem sind aber in jedem Monate mehrere Tage bestimmten Gottheiten und Heiligen gewidmet, und in jedem Monat wird ein großes Fest gefeiert meist mit Volksbelustigungen, Tänzen, Maskeraden, Schauspielen u. dgl. Die Zahl der Tempel [* 14] ist dort eine sehr große, in Gestalt wechselnd von der einfachen Kapelle bis zu dem riesigen, drei Stock hohen Dom von Lhassa in Tibet.
Entsprechend ist der Kultus ein prunkvoller geworden, die Anzahl der Priester enorm gestiegen. Die Priester zerfallen in vier Grade, die sich äußerlich durch den Hut [* 15] oder die Mütze unterscheiden, deren Farbe das Merkmal der beiden Sekten der «Rotmützen» und «Gelbmützen» ist. Um den Hals oder Arm oder am Gürtel [* 16] hängt der Rosenkranz, der aus 108 Kugeln von gleicher Größe besteht, deren Material nach der Wohlhabenheit des Besitzers wechselt, aber bestimmt ist nach Sekte und Gottheit.
Zwei Schnuren mit je 10 kleinen Metallringen, gewöhnlich an der 8. und 21. Kugel je einer Seite des Rosenkranzes befestigt, dienen als Zähler der Gebete. Ein Gebetcyklus umfaßt 108×10×10 = 10800 Gebete oder Formeln. Laien beten einen Cyklus täglich 5-20mal, auch weniger, Priester im Beginn ihrer Laufbahn bis zu 5000mal. Außer dem Rosenkranz trägt der Priester noch eine Gebetmaschine, eine Glocke, ein Gebetscepter, eine Trommel aus dem Schädeldache eines Menschen und eine kleinere Trommel, Amulette und kleine Bücher.
Die Glocke gebraucht er beim Gottesdienst. Er begleitet damit die Gesänge und Gebete und füllt die Pausen aus. Das Gebetscepter (Vadschra) ist ein in der Form unsern Mörserkeulen nicht unähnliches, 5-6 Zoll langes Instrument mit zwei Knöpfen, die hohl und durchbrochen sind und in eine Spitze auslaufen. Der Geistliche gebraucht es ebenfalls beim Gottesdienst. Dieser besteht aus Anrufungen der Gottheiten, Singen von Hymnen, Hersagen von mystischen Sprüchen und Formeln, Darbringung von Opfern, wie Reis, Wasser, Blumen, Weihrauch, Kuchen, Lampen u. dgl., und schließt mit einem Segensspruch. Er wird meist in tibetanischer Sprache [* 17] abgehalten, auch in der Mongolei und China, [* 18] außer in dem Haupttempel zu Peking. [* 19]
Der Gebrauch des Tibetanischen entspricht dem des Latein in der kath. Kirche. Die Musik ist sehr geräuschvoll und wird viel verwendet. Trommeln, Trompeten, Hörner und Cymbeln bilden das Orchester, und die Kapellmeister verstehen es vortrefflich, vom ohrenbetäubenden Lärm plötzlich zum völligen Schweigen überzugehen, was in den hohen Tempelräumen einen überwältigenden Eindruck macht. Beim Gottesdienst werden Kerzen angezündet, Weihrauch gebrannt und Weihwasser gesprengt.
Die Priester haben wie die Nonnen die Tonsur; sie begleiten, wie erwähnt, ihre Gebete mit Glocken und dem Schwingen des Scepters, tragen Chorröcke und Mitra, [* 20] so daß der Gottesdienst des Lamaismus genau dem katholischen gleicht, von dem manche ihn herleiten wollen, da schon im 7. Jahrh. christl. Missionen in China und an der Grenze von Tibet bestanden. Der umgekehrte Weg der Entlehnung ist aber ebenso wahrscheinlich. Vom alten Buddhismus ist das öffentliche Sündenbekenntnis beibehalten worden. Es geschieht zweimal im Monat, ist aber keine Ohrenbeichte, sondern Hersagung fester Formeln im Chor. In Tibet wie in Ceylon und Hinterindien [* 21] ist der Buddhismus ebenso nur die Decke, [* 22] unter der sich der Animismus verbirgt, wie in Indien der Brahmanismus.
Überall glaubt das Volk an unzählige böse Geister, deren Bilder in Tibet sogar in den Tempeln selbst angebracht werden. Der Lama ist zugleich der Beschwörer und Zauberer, und in Tibet wie in Ceylon und den buddhistischen Ländern Hinterindiens ist Dämonenverehrung die eigentliche Religion des Volks, über Lehre und Geschichte des Buddhismus s. Buddha, Bd. 3;
über den Buddhismus in den außerindischen Ländern s. Buddhismus;
für den Lamaismus ist jetzt das ¶