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Die Stämme, die in den hohen Gebirgsgegenden leben, sind heller als die übrigen, am hellsten die auf den höhern Abhängen des Hindukusch im Westen lebenden, die man «die roten Kafir» zu nennen pflegt. Die Kafir sind sehr träge; nur Jagd und Krieg gelten als würdige Beschäftigung des Mannes, so daß die Feldarbeit vorwiegend von den Frauen gethan wird, die man sogar neben die Ochsen an den Pflug [* 2] spannt. Polygamie und Sklaverei ist ihnen nicht unbekannt, aber nicht häufig. Sie sind starke Weintrinker und leidenschaftliche Tänzer. Ihre Religion ist ein Geisterdienst. Höchste Gottheit ist Imbra, unter dem eine große Zahl anderer Gottheiten steht, denen Kühe geschlachtet werden und Cedernholz verbrannt wird.
Östlich von Kafiristan findet man eine Reihe kleiner, unabhängiger Staaten, die man unter dem Namen Dardistan zusammenzufassen pflegt und deren Bevölkerung [* 3] man als Dardū (Darden) bezeichnet. Hierher gehören vor allem Tschitral, Jassin, Kandschut (Hunsa), Nagar, Ponjal, Gilghit, Tschilas und Kohistan. Die Völker, die diesen Landstrich bewohnen, sind von verschiedener, meist aber arischer Herkunft und sprechen sehr verschiedene Sprachen. In dem westlichsten Gebiete, Tschitral, sind der Hauptstamm die arischen Khō, ein großer, schöner Menschenschlag mit ovalen Gesichtern, fein geschnittenen Zügen, reichem, schönem Haar [* 4] und prachtvollen Augen, die an die Augen der Zigeuner erinnern, deren Heimat ja auch in diesen Gegenden zu suchen ist (s. Zigeuner, Bd. 16). Der Religion nach sind sie Mohammedaner.
Die Frauen sind wegen ihrer Schönheit berühmt und waren früher auf den Sklavenmärkten von Kabul, Pischawar und Badachschan sehr gesucht. Außer den Dialekten ind. Herkunft findet sich im Norden [* 5] von Tschitral auch ein iranischer Dialekt, das Jidghāh. Die Bevölkerung von Kandschut, Nagar und Ponjal bilden die Būrisch, denen auch die ackerbautreibende Masse in Jassin angehört. Diese Burisch und ihre Sprache, [* 6] das Būrischkī, sind ein ethnolog. Rätsel. Ihre Sprache, auf die ein unbekannter arischer Dialekt Einfluß gehabt hat, steht völlig isoliert da. Die Rasse ist in Kandschut reiner als in Nagar, wo Vermischung mit den benachbarten Tibetanern stattgefunden hat; dort ist rotes Haar nicht selten, und es finden sich viele Individuen von rein europ. Gesichtsfarbe.
Außer ihrer Muttersprache gebrauchen die Burisch in ihren Liedern das Schīnā, die Sprache der Schīn, wie ein Teil der Bevölkerung von Gilghit, Tschilas und Nachbarschaft heißt. Die Schin haben, obwohl sie nirgends die Mehrzahl der Bevölkerung bilden, es verstanden, ihre Sprache zu der herrschenden zu machen; auch in Ponjal wird Schina gesprochen, obwohl die Bevölkerung, wie erwähnt, zu den Burisch gehört. Das Schina muß als typisch für die gesamten Dardusprachen angesehen werden, hat aber in der Neuzeit, namentlich in Gilghit, viele Worte aus andern ind. Dialekten, dem Kaschmiri, Pandschabi und Hindi, aufgenommen; auch das Burischki hat darauf eingewirkt.
Die Schin betrachten sich überall, außer in Baltistan, wohin ein Stamm verschlagen worden ist, als die Aristokratie des Landes. Sie haben sich zum Teil mit den Burisch stark vermischt, deren Frauen sie heiraten, ohne ihnen ihre Töchter zu geben. Daher ist ihre Rasse nicht rein; unterhalb Sassin im Industhale sind die Männer klein, wohlgebaut, mit dunkler Gesichtsfarbe und dunklen Augen und scharf geschnittenen Zügen; oberhalb Sassin und um Gilghit sind sie heller, aber ohne charakteristische Züge.
Die Darden sind im allgemeinen ein im Verfall begriffenes Volk. Sie sind träge zur Arbeit, wenig widerstandsfähig gegen Krankheit und Wechsel des Klimas und vermehren sich schwach. Von Natur sind sie gutmütig; sie lieben Tanz, Gesang und Musik; ihr Nationalspiel, das sie leidenschaftlich und mit großer Geschicklichkeit betreiben, ist das Polo (s. d., Bd. 13). Da sie Mohammedaner sind, ist Vielweiberei üblich und die Ehescheidung leicht. Beim Tode eines Mannes kann der Bruder alle Frauen desselben für sich fordern, und keine darf ohne seine Erlaubnis wieder heiraten; mehrere Brüder teilen die Frauen unter sich.
Ist der Bruder beim Tode des Mannes noch ein Kind, so darf die Witwe nicht wieder heiraten, ehe er erwachsen ist und erklärt hat, ob er sie heiraten will. Dies nicht zu thun, gilt für schimpflich, und so ist es nicht selten, daß Jungen von 10 Jahren Frauen heiraten, die doppelt so alt sind. Die Frau, die im Alter von 10 bis 14 J. verheiratet zu werden pflegt, darf sich außer in Tschitral nie weigern, den Bruder ihres verstorbenen Mannes zu heiraten, was zur Folge hat, daß gegen mohammed. Gesetz oft zwei Schwestern Frauen desselben Mannes sind.
Mit dem Islam im Widerspruch steht auch, daß die Frauen sehr frei mit den Männern verkehren. Mord unehelicher Kinder ist häufig und gilt nicht als Verbrechen. In Kandschut gilt auch Ehebruch nicht als Vergehen, und die Frau wird dem Gaste zur Verfügung gestellt; in andern Gegenden ist man in diesem Punkte strenger, und der betrogene Ehemann hat das Recht, das schuldige Paar zu töten, wenn er es überrascht. Er gilt nicht als Mörder, wenn er beide tötet. Hochzeits-, Geburts- und Todesgebräuche bieten mancherlei Altertümliches, namentlich in Gilghit.
Die Schin sind als geizig verrufen; sie verbergen ihr Geld und ihre Wertsachen im Gebirge und tragen keine Bedenken, sich den Schatz eines andern anzueignen, wenn sie ihn durch Zufall entdecken. Der Islam hat außer in Kandschut und Ponjal den Weingenuß sehr eingeschränkt, aber nicht vermocht, die alte Religion auszurotten. Das Volk glaubt an viele Geister, an Magik, Wahrsagung und die Wirksamkeit von Zaubersprüchen, die jeder mit Messingschnallen an seiner Kleidung befestigt trägt. Die Wahrsager sind meist Frauen, die ihr Gewerbe ganz in der Weise der Schamanen betreiben. Sehr eigentümlich und ganz in Widerspruch mit den Sitten der brahmanischen Inder ist die Abneigung der Schin gegen die Kuh, die für unrein gilt.
Baltistan und Ladach, die nach Osten hin an Dardistan sich anschließen, sind von Völkern der mongol. Rasse und tibetanischen Ursprungs bewohnt. In Baltistan macht sich der Einfluß der Darden sehr stark sichtbar. Die Balti sind ein Mischvolk aus Tibetanern und Darden, von denen ein Stamm der Schin, der sich selbst wie die Zigeuner Rōm nennt, von den Balti Brokpa, «Hochländer», genannt wird, unter ihnen lebt, hier aber nicht, wie die Schin sonst, das herrschende Volk ist. Dem Namen nach sind diese Brokpa teils Buddhisten, teils Mohammedaner, in Wirklichkeit Animisten. Die Bewohner von Ladach (s. d., Bd. 10), das ebenso wie Baltistan und Gilghit unter der Herrschaft des Maharadscha von Kaschmir [* 7] steht, sind ein kleiner, häßlicher und sehr schmutziger, aber arbeitsamer und gutmütiger Menschenschlag. Ihrer Religion nach sind sie Buddhisten. Die Polyandrie ist bei ihnen üblich.
Kaschmir hat 2543952 E.; davon sind 1793710 Mohammedaner, 703199 brahmanische Inder, ¶
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einschließlich 11399 Sikh, und 29608 Buddhisten, die im nordöstl. Teile sitzen. Die Männer sind große, starke, wohlgebaute Gestalten; ihre Gesichtsfarbe ist meist oliv, oft aber auch heller; die Frauen zeichnen sich durch ihre Schönheit aus. Das Volk ist sehr lebenslustig, aber unzuverlässig; die Brahmanen unterscheiden sich von denen des übrigen Indiens besonders scharf dadurch, daß sie Fleisch essen, außerdem auch in ihrer Kleidung. Kaschmir war in alter Zeit berühmt wegen seiner Zauberei, die heute sehr eingeschränkt ist, im Volke aber noch vielen Glauben findet. Die Sprache, das Kaschmiri, unterscheidet sich von allen andern neuind.-arischen Dialekten durch seine eigentümlichen Lautgesetze, vor allem die gebrochenen Vokale ö, ü, ṻ. Am reinsten wird es von den Frauen und dem gemeinen Volke der Hindu gesprochen; in der Sprache der Brahmanen haben viele Sanskritworte, in der der Mohammedaner sehr viele pers. und arab. Elemente Aufnahme gefunden. - Die Arier bilden die Hauptmasse der Bevölkerung auch in Dschamu, wo Dōgrī gesprochen wird, in Kumaon und Garhwal.
Sehr gemischt ist die Bevölkerung von Nepal. Die herrschende Klasse sind die Gorkha (s. d., Bd. 8), Arier, die erst am Ende des 12. Jahrh. in Nepal einwanderten und deren Sprache das Parbatija ist. Sie sind orthodoxe Hindu. Die Urbevölkerung bilden Tibetaner in vielen Stämmen, unter denen besonders hervorzuheben sind die Nēwār, deren Sprache, das Nēwārī, zur Schriftsprache ausgebildet worden ist. Die Newar sind fast die einzigen Handwerker in Nepal. Sie arbeiten in Eisen, [* 9] Kupfer, [* 10] Messing und sind als Glockengießer bekannt; auch als Zimmerleute sind sie thätig, gebrauchen aber merkwürdigerweise fast nie eine Säge, [* 11] sondern spalten das Holz [* 12] mit Meißel [* 13] und Hammer. [* 14] Sie verfertigen ferner ein starkes Packpapier und mehrere Arten von berauschenden Getränken; ihre Frauen weben zwei Arten von baumwollenem Tuch, das auch exportiert wird. Sie sind, wie auch die übrigen einheimischen Stämme, meist Buddhisten; der Übertritt zum Brahmanismus wird aber immer häufiger. - Von andern Stämmen sind noch zu nennen die Gurang, Magar und Khu, die zusammen die Mehrheit des einheimischen Heers bilden, und die Bhōt oder Bhōtia, die in Nepal nur in einzelnen Gegenden, besonders nördlich von Katmandu, sitzen, dagegen die Hauptbevölkerung bilden von Bhotan, das nach ihnen benannt ist.
Bhot ist das Sanskritwort Bhota, «Tibetaner», das aus dem tibetanischen Bod-pa entstanden ist, dem einheimischen Namen des Volks. Der Name besagt also schon, daß die Bewohner Tibetaner sind. Die Bhot sind Buddhisten, und der Lamaismus lastet schwer auf ihnen. Gesetzlosigkeit und Beamtenwillkür herrschen in dem Lande und verhindern jeden regelmäßigen Betrieb der Landwirtschaft. Über ihre eigentümliche Regierung, die praktisch ohnmächtig ist, s. Bhotan (Bd. 2). Die Bhot sind geschickte Tischler und verstehen ihre Häuser bequem und schön zu bauen ohne Anwendung von Eisen. Sie sind dem Trunke ergeben und sittlich sehr tief stehend; Polyandrie ist auch bei ihnen herrschend.
Ganz tibetanisch ist auch die Bevölkerung von Sikkim. Die Nong oder Leptscha bilden die Hälfte der Einwohner; die andere Hälfte besteht ans Bhot und Limbu.
Man hat die tibetanischen Stämme von Baltistan an bis Sikkim als Himalajavölker und ihre Sprachen als Himalajasprachen zusammengefaßt, Bezeichnungen, die nicht zu empfehlen sind, da ja fast in allen Himalajaländern auch Arier sitzen. Auch sind sie weder ethnographisch noch linguistisch als Einheit anzusehen, da sie zum Teil starke Mischungen mit Ariern erfahren haben. Ihre Sprachen sind nicht mit dem Tibetanischen identisch, sondern durchaus selbständig; als tibetanisch kann man sie nur insofern bezeichnen, als sie derselben Sprachklasse angehören und, wie es scheint, alle mit dem Tibetanischen die nächste Verwandtschaft haben. Die Zahl der Angehörigen dieser Völker ist bisher nicht sicher ermittelt. Der Census von 1891 giebt sie für die brit. Besitzungen auf 245270 an; ganze Länder, wie Nepal, Bhotan, Sikkim sind überhaupt 1891 nicht mitgezählt worden.
Dasselbe wie von den Himalajavölkern gilt auch von den Lohitavölkern (s. d., Bd. 11) in und um Assam. Während die ersten zum Tibetanischen hinneigen, scheinen die letzten näher zum Birmanischen zu gehören. Aber auch hier ist keine Einheit vorhanden, und die Zahl der Stämme und Sprachen ist eine außerordentlich große, und sie sind noch wenig erforscht. Eine eigene Stellung nehmen ein die Khāsi, ein starker, großer Menschenschlag mit heller, oft rötlicher Gesichtsfarbe, flachem, rundem Gesicht [* 15] und schrägen Augen.
Sie sitzen in dem Höhenzuge, der die beiden Thäler von Assam trennt; ihre Zahl ist (1891) 178637, ihre Sprache, die ganz isoliert dasteht, zerfällt in drei Dialekte; Verwandtschaft mit dem Mon in Pegu und dem Khmer in Kambodscha, die man hat finden wollen, bleibt noch näher zu beweisen. Sie sind in mehrere Gemeinden eingeteilt, deren Häupter gewählt werden. Unter ihren Sitten ist die eigentümlichste die Stellung, welche sie der Frau geben. Der Mann heiratet in die Familie der Frau, so daß diese oder ihre Mutter als Familienhaupt betrachtet wird.
Das Vermögen, das der Mann in die Ehe bringt, fällt nach seinem Tode an seine Familie zurück, und zwar wird es samt seiner Asche nach der Verbrennung des Leichnams seiner jüngsten Schwester als der Erbin ausgehändigt. Das während der Ehe erworbene Vermögen fällt an die Witwe und die Kinder. In den südl. Teilen des Landes sind aber Kinder die Erben jeder Art von Vermögen; ist die Ehe kinderlos, so fällt das Vermögen an den nächsten Verwandten, der die Totengebräuche vollzogen hat.
Dieser erhält es auch, wenn die Kinder noch zu jung sind, um diese Gebräuche zu erfüllen, muß es ihnen aber nach Abzug der Unkosten zurückzahlen, sobald sie erwachsen sind. Ehescheidung ist leicht; die Kinder bleiben der Mutter. Die Toten werden verbrannt und die Asche unter Dolmen vergraben, die aus vier aufrechten Steinplatten bestehen, über die eine fünfte gelegt ist. Die Asche der Kinder wird von der des Vaters getrennt zusammen mit der Asche der Mutter beigesetzt. Ihre Religion ist ein Geisterdienst; das Schicksal lieben sie nach dem Aussehen von zerschlagenen Eiern zu befragen. - Enger zusammen zu gehören scheinen die Stämme, die man die Katschāri- oder Bōdo- (Båṛå-)Gruppe nach dem zahlreichsten Stamme genannt hat. Das sind die Katschari oder Bodo, die Garo, die Tripura (Tipperah), die Mētsch, die Lālung, die Kōtsch und kleinere Stämme, zusammen 609415 Individuen, die ihre Sprache noch sprechen. Die Kotsch, die nach Bengalen hineinreichen und nicht weniger als 2364000 zählen, sind fast ganz zum Brahmanismus bekehrt worden und haben mit ihrer alten Religion auch ihre alte Sprache gegen das Bengali aufgegeben, so daß nur noch 8107 ¶