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mittelalterlichen Weltchroniken. Ein wichtiges Denkmal der Zeit sind endlich die Briefe des Hieronymus, die zuweilen zu bedeutenden Abhandlungen anschwellen. - Augustinus von Tagaste (353-430), der gewaltigste und tiefste Denker, der umfassendste Geist seiner Zeit, schrieb als Bischof von Hippo Regius die erste Philosophie der Geschichte vom christl. Standpunkte aus, das berühmte Werk «De civitate Dei» in 22 Büchern. Veranlassung hierzu gab ihm die Einnahme Roms durch die Westgoten, welche nach Ansicht der .Heiden durch das Christentum verschuldet war.
Von einem dogmatisch-dualistischen Standpunkte aus untersucht er die ganze Geschichte und legt sie als Kampf und Sieg des «Gottesstaates» gegenüber dem «Teufelsstaat», oder des Guten gegenüber dem Bösen dar. Die «exakte Wissenschaft wie die Spekulation des Mittelalters hat aus diesem Werte die reichste Nahrung gezogen. Ferner sind zu erwähnen seine »Confessiones», die über sein Leben bis zum 43. Jahre Aufschluß geben, sowie die «Retractationes» aus dem J. 427, in welchen er über seine litterar. Thätigkeit handelt, und seine Briefe, die die Bedeutung seiner Persönlichkeit, seines Wirkens und Thuns in helles Licht [* 2] setzen. - Von Bearbeitern der Kirchengeschichte sowie der Weltgeschichte in christl. Sinne sind hauptsächlich drei bedeutende Männer aus dem 4. und 5. Jahrh. zu nennen.
Tyrannius Rufinus aus Aquileja (etwa 345-410) bearbeitete und übersetzte etwa 492 die bis 324 reichende Kirchengeschichte des Eusebius in neun Büchern und führte sie in zwei weitern Büchern bis 395 fort. Obwohl er in diesem Werke nicht eben wissenschaftlich verfuhr, diente seine Übersetzung dem Mittelalter fast ausschließlich für die genauere Kenntnis jenes Gebietes. Sulpicius Severus aus Aquitanien (etwa 365-425), erst Jurist, dann schwärmerischer Verehrer des beil.
Martin von Tours, [* 3] verfaßte um 400 in glänzendem Stile seine zwei Bücher «Chronica» («Historia sacra»),
eine Bearbeitung der Geschichte der Welt von der Schöpfung bis auf seine Zeit (400), die für gebildete Kreise [* 4] berechnet war. Dieses lebendig und schön geschriebene und zugleich wissenschaftliche Werk war zu wenig auf die Erbauung berechnet und ist daher im Mittelalter fast verschollen gewesen. Sonst hat Severus das Leben und die Wunder des heil. Martin in zwei Werken beschrieben, die zu den gelesensten des Mittelalters zählen. Der span. Presbyter Paulus Orosius schrieb um 417 als Weiterführung des Buches III von Augustins «De civitate Dei» seine sieben Bücher «Historiarum adversus paganos». Es ist eine Weltgeschichte vom apologetisch-christl. Standpunkte, gegliedert nach den vier Weltmonarchien, der babylonischen, macedonischen, karthagischen und römischen, bestimmt zur Widerlegung des Vorwurfs, daß das Christentum schuld sei an dem mit der Völkerwanderung hereinbrechenden Unglück, während der heidn. Kultus das Glück der Welt gesichert habe. Orosius beginnt mit Adam und schließt mit dem J. 417; er erzählt hauptsächlich nach Livius, Justinus und Hieronymus’ Übersetzung des Eusebius. - Im 5. und 6. Jahrh. erhielt die Chronik des Hieronymus Fortsetzungen von teilweise provinzieller Art durch den Aquitanier Prosper bis 455, von dem Spanier Idacius (Hydatius) bis 468 und dem Illyriker Marcellinus Comes bis 534 (Ausgabe von Roncalli, «Vetustiora latinorum scriptorum chronica», Padua [* 5] 1787). Ebenfalls dem 6. Jahrh. gehört Cassiodorius (s. unten) mit seinem «Chronicon» an, von Adam bis 519, beruhend auf Eusebius, Hieronymus, Prosper u. a. Ferner schließen sich die Verfasser zweier berühmten Volksgeschichten an. Der Ostgote Jordanes verfaßte 551 das Werk «De origine actibusque Getarum», dem Cassiodors gleichnamiges Werk zu Grunde liegt.
Cassiodor hatte die Goten mit den Goten gleichgestellt und versuchte in seiner Volksgeschichte eine Aussöhnung der Römer [* 6] init ihren got. Beherrschern anzubahnen. Der Auszug des Jordanes ist wie das Hauptwerk geographisch-historisch und von hohem Werte für die Geschichte der ältern Zeit. Das Frankenreich fand seinen Historiker an dem Bischof Gregor von Tours (538-594), der 591 seine zehn Bücher der «Historia Francorum» vollendete. Der lat. Schriftsprache unkundig, hat Gregor hier in der roman. Volkssprache ein an Frische und Naivetät unvergleichliches Denkmal der geistlichen wie der weltlichen Verhältnisse des Merowingerreichs hinterlassen.
Der geistliche Standpunkt beherrscht ihn vollständig: er will den Sieg des rechten Glaubens über Ketzerei und Heidentum durch seine Darstellung verherrlichen. Endlich ist noch zweier Geschichtschreiber der brit. Inseln zu gedenken. Gildas Sapiens aus Bath (etwa 516-573) schildert in seinem Werke «De excidio Britanniae» die Drangsale und Leiden [* 7] seiner Heimat seit der angelsächs. Eroberung, indem er sie als eine von Gott verhängte Strafe nachzuweisen sucht (Ausgaben von I. Stevenson, Lond. 1838, und San-Marte, Berl. 1844). Beda, Presbyter in Northumberland (674-735), vollendete 731 das bedeutendste seiner Werke: «Historia ecclesiastica gentis Anglorum», in fünf Büchern.
Diese Schrift gründet sich auf die besten erreichbaren
Quellen und giebt in verhältnismäßig reiner
Sprache
[* 8] eine vortreffliche
Übersicht über die
Kirchen- und Gelehrtengeschichte der angelsächs.
Reiche bis 731. In diesem
Sinne blieb es für lange Zeit
das unerreichte
Muster einer treuen und vorurteilslosen Gcschichtsdarstellung. Auf dem Gebiete der
Encyklopädie
u. s. w. bleiben, wenn man von dem Neuplatoniker Martianus
Capella absieht, dessen Werk
«De nuptiis Philologiae et Mercurii»
die sieben freien Künste behandelt und von größtem Einfluß auf die christl. Litteratur
des Mittelalters war, wenigstens zwei bedeutende Erscheinungen aus sehr später Zeit.
Magnus
Aurelius
Cassiodorius Senator (etwa 480-575), der Begründer der wissenschaftlichen
Richtung des
eben begründeten Benediktinerordens, war seit 540 unausgesetzt thätig für die
Bildung und Belehrung der Mönche, nachdem
er vorher im Dienste
[* 9] der ostgot. Könige eine große histor.-polit. Wirksamkeit auch litterarisch entfaltet hatte. Seine
Briefe,
Erlasse und
Verfügungen liegen in den «Varia» gesammelt vor
(Ausgabe von
Th. Mommsen, Berl. 1894). Seine spätern Werke dienen hauptsächlich dem Zweck, die Klöster
nicht bloß zu
Stätten der christlichen
, sondern auch der klassischen Wissenschaft zu machen.
Das wichtigste ist eine allgemeine Encyklopädie «Institutiones divinarum et humanarum litterarum», die dem Mangel einer christl. Universität in Rom [* 10] abhelfen sollte, welche er mit Papst Agapet hatte begründen wollen. Da letztere nicht zu stände kam, schrieb Cassiodor eine geistliche und eine weltliche Encyklopädie für alle Kleriker unter obigem Titel; er sucht ihnen hierin das notwendige Wissen zu vermitteln. Das letzte seiner Werke: «De orthographia», ¶
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ein Auszug aus ältern Quellen, schrieb er im 93. Lebensjahre. - Die letzte wissenschaftliche Gestalt des ausgehenden Altertums ist der Bischof Isidorus von Sevilla [* 12] (etwa 560-636),
welcher das Wissen seiner Zeit in mehrere Kompendien brachte, ohne Kritik, aber aus wertvollen Quellen. Sein Hauptwerk sind die «Etymologiae» oder «Origines» (20 Bücher), eine kurze Übersicht über alle Wissenschaften mit besonderer Betonung [* 13] der Wortableitungen. Es besteht lediglich aus aneinander gereihten Excerpten von teils ganz unwissenschaftlicher Art; aber das Mittelalter hat aus diesem Werke einen nicht geringen Teil seines Wissens geholt. Ebenfalls von größtem Einfluß für die spätere Zeit wurde die Schrift «De natura rerum», deren Hauptinhalt die mathem. Geographie bildet. Neben mancherlei theol. Schriften verfasste Isidor noch eine kurze Chronik Spaniens unter der Gotenherrschaft sowie eine Weltchronik nach den sechs Weltaltern. - Beiträge zur philosophischen Forschung lieferten unter den christl.-lat. Schriftstellern, abgesehen von vielfachen philos.
Erörterungen zur Gestaltung und Begründung des Dogmas, schon Arnobius und Lactantius in ihren apologetischen Werken. Ferner vor allen Augustinus namentlich in seinen Jugendschriften «Contra Academicos», «Soliloquia», «De musica», «De quantitate animae», nach ihm auch Salvianus (gest. nach 495),
der strafende Ethiker seines Zeitalters («De gubernatione Dei», «Contra avarititam»),
Cassiodorius («De anima») und Claudianus Mamertus (gest. 477, «De statu animae»),
während der christl. Charakter des Boëthius (gest. 525) bis jetzt nicht sicher steht. Auf dem Gebiete der
Dichtkunst sind an erster Stelle die poet. Bearbeitungen von einzelnen Teilen der Bibel
[* 14] zu erwähnen. Der span. Presbyter Christlich
-lateinische
Vettius
Aquilianus Juvencus hat hier den Anfang gemacht, indem er um 330 seine «Evangeliorum
libri IV» schrieb, eine Umdichtung des Matthäusevangeliums in einfacher, besonders dem Virgil nachgebildeter Sprache (Ausgabe
von Christlich
-lateinische
Marold, Lpz. 1886, und I. Huemer, Wien
[* 15] 1891). Claudius Marius Victor aus Marseille,
[* 16] der ersten Hälfte des 5. Jahrh.
angehörend, besingt in seiner «Alethia» (3 Bücher) die in der Genesis erzählten Ereignisse bis zum
Untergang von Sodom und Gomorrha in ziemlich freier, echt dichterischer Weise.
Sein an kühnen Bildern und Vergleichen reiches Werk gehört unter die reizvollsten frühchristl. Gedichte (Ausgabe von Christlich
-lateinische
Schenkl,
Wien 1888). Ebenfalls in Gallien am Anfang des 5. Jahrh. dichtete Cyprianus. Er verfaßte eine poet. Übertragung der
meisten geschichtlichen Bücher des Alten Testaments und hielt sich dabei eng an den Bibeltext, so daß die umfangreiche Dichtung
recht eintönig ist. Erhalten haben sich die Bücher des Heptateuchs (Ausgabe von R. Peiper, Wien 1891). Zu derselben Zeit schrieb
der Römer Sedulius in Griechenland
[* 17] das «Paschale carmen».
In dem ersten Buche werden nach Sitte der Zeit Ereignisse des Alten Bundes zu Christus in typologische Beziehung gesetzt, in den vier folgenden die Jugendgeschichte Christi, seine Wunder und Reden und endlich sein Tod hauptsächlich nach Matthäus erzählt. Das Gedicht ist kurz, anschaulich und lebendig und hat im Mittelalter in höchstem Ansehen gestanden (Ausgabe von I. Huemer, Wien 1885). Der Karthager Blossius Ämilius Dracontius verfaßte, um durch den Vandalenkönig Gunthamund Befreiung aus dem Gefängnis zu erlangen, gegen Ende des 5. Jahrh. das höchst anziehende Epos «Laudes Dei», dessen erstes Buch die Schöpfungsgeschichte poetisch schön darstellt; das zweite und dritte behandeln das Sichtbarwerden der Gnade Gottes auf Erden. Um dieselbe Zeit schrieb derBischof von Vienne, Alcimus Ecdicius Avitus, ein größeres Epos über die Erscheinung der Sünde in der Welt. In freiem Anschluß an die Bibel erzählt er die Schöpfung, den Sündenfall und die Strafe Gottes; hieran schließt sich eine Schilderung der Sintflut und des Durchzugs der Juden durchs Note Meer.
Dies Epos verrät ein stark rhetorisches Element, aber auch eine nicht geringe Phantasie (Ausgabe von N. Peiper, Berl. 1883)." Im J. 544 vollendete der röm. Subdiakonus Arator seine Umdichtung der Apostelgeschichte: «Acta apostolorum», in zwei Büchern. Der Dichter offenbart hier seinen Hang zur mystischen Auffassung und typologischen Auslegung und wird daher vielfach dunkel, das epische Element tritt viel zu sehr zurück (Ausgabe von Migne, «Patrologie», 68). Apologetischen Charakter trägt auch die Poesie des Afrikaners Commodianus (um 250),
der als erster unter den christl. Dichtern in volksmäßig rhythmischen, nicht quantitierenden Hexametern «Instructiones» in zwei Büchern und ein «Apologeticum» schrieb. Im ersten Gedicht wendet sich Commodian gegen die Religionen der Heiden und Juden und sucht dann die Christen zu wirklich christl. Leben anzuleiten. Das zweite Gedicht sucht die christl. Wahrheiten gegen dic Andersgläubigen zu verteidigen. Der größte unter den christl. Dichtern ist der Spanier Aurelius Prudentius Clemens, 348 geboren.
Sein «Cathemerinon» sind Hymnen zu verschiedenen Tages- und Jahresabschnitten der Christen; in der «Apotheosis» erweist der Dichter die Göttlichkeit Christi, die «Hamartigenia» handelt von der Entstehung der Sünde, die «Psychomachia» besingt den Kampf der Tugenden und Laster, in den Büchern «Contra Symmachum» tritt Prudentius als kühner und begeisterter Apologet für das Christentum ein, in der Sammlung «Peristephanon» besingt er den Ruhm von Märtyrern, das «Dittochaeon» endlich giebt Erklärungsverse zu biblischen Bildern.
Überall zeigt sich bei ihm Schwung, Kraft [* 18] und Phantasie. Um 410 schrieb der Gallier Orientius (Bischof von Auch?) sein «Commonitorium», das in einfacher Sprache und in herzlichem Tone ohne die gewohnte gallische Rhetorik den Leser von den Lastern abmahnt und zum Wege der Tugend führen will (Ausgabe von R. Ellis, Wien 1888). Prosper (etwa 400-463) von Aquitanien machte sich zum Vorkämpfer des Augustinischen Lehrbegriffs. Das Epos «De ingratis» richtet sich gegen die Semipelagianer, und seine Epigramme bringen Sentenzen aus Augustin in Verse (Ausgabe bei Migne, «Patrologie», 51). Der Ire Columban (etwa 540-615) hat mehrere Gedichte hinterlassen, welche seiner asketischen Richtung entsprechen und röm. Lebensweisheit mit christl. Lehre [* 19] verbinden (Ausgabe von Migne, «Patrologie», 80; von W. Gundlach, Berl. 1894). Endlich sind die Dichter zu erwähnen, welche entweder Gedichte persönlichen Inhalts verfaßten oder Märtyrer und Heilige besangen. Hiermit begann Papst Damasus (305-384), der kleine Aufschriften auf röm. Heiligengräber verfaßte (Ausgabe von M. Ihm, Lpz. 1895). Dann ist hier neben Prudentius besonders Paulinus Nolanus zu erwähnen, geb. 353 in Burdigala, gest. 431 als Bischof von Nota, von dem ¶