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neuerdings erfolgten statist. Aufnahmen zwar keine genaue, aber doch wenigstens eine ungefähre Vorstellung. In Preußen [* 2] beliefen sich die Neueintragungen von Hypotheken 1886-91 auf 3048 Mill. M., die Löschungen auf 2370 Mill. M., woraus sich ein Mehrbetrag der Eintragungen von 678 Mill. M. im ganzen, von 135 Mill. M. für das einzelne Jahr ergiebt. Dabei wird der Verkaufswert des gesamten ländlichen Grundbesitzes offiziell auf 30 Milliarden M. und die ganze hypothekarische Verschuldung auf 10 Milliarden M. geschätzt, so daß sich der jährliche Verschuldungszuwachs nur auf ½ Proz. des Verkaufswerts beläuft.
Ein wirkliches Urteil über den Schuldenzuwachs indessen ergiebt sich erst aus der Kenntnis seiner Verteilung, da das Maß der Verschuldung ein sehr ungleiches ist. Eine probeweise Ermittelung in 42 preuß. Amtsgerichtsbezirken von 1883 ergab, daß ihrem Schätzungswerte nach durchschnittlich verschuldet waren die großen Allodgüter mit 53,8 Proz., die mittlern Bauerngüter mit 27,9 Proz., die kleinern Bauerngüter mit 24,1 Proz. Der hierunter nicht mitbegriffene Zwergbesitz erwies sich andererseits um dreimal so hoch belastet als die mittlern und größern Anwesen.
Durchweg weisen die östl. Provinzen eine weit höhere Verschuldung auf als die westlichen. Die beiden Extreme bilden für das Verhältnis der Schuldzinsen zum Einkommen der Landbewohner der Reg.-Bez. Köslin, [* 3] wo die Schuldzinsen 65 Proz., und die Reg.-Bez. Aachen [* 4] und Osnabrück, [* 5] wo sie nur 14 Proz. des Einkommens ausmachen; überhaupt betrug das Verhältnis in den östl. Provinzen 44-65 Proz., in den übrigen, in denen der bäuerliche Besitz vorherrscht, 14-29 Proz. Stichproben über die Verschuldungsanlässe in einzelnen Bezirken ergaben für vier Fünftel der Schuldsumme als Ursache Besitzveränderungen und nur für ein Dreißigstel Meliorationen.
Dem entsprechend sind auch die Betriebe von über 50 ha mit erheblich höhern Flächenprozenten bei den Zwangsversteigerungen als bei der Verteilung der Gesamtfläche auf die einzelne Größenklassen vertreten, während die mittlern und kleinern Betriebe hinter den Prozenten zurückbleiben, welche ihrem Anteil an der Gesamtfläche entsprechen. In typischen bäuerlichen Bezirken betragen die Personalschulden mehr als ein Viertel der Realschulden.
Ergänzt und bestätigt werden die vorstehenden Ergebnisse durch die Resultate der Ermittelungen in Baden, [* 6] Württemberg [* 7] und Hessen, [* 8] den Ländern des bäuerlichen Kleinbetriebes. Am ungünstigsten ist hier hinsichtlich der Verschuldung der Zwergbesitz gestellt. Mit dem steigenden Umfang der Besitz- und Betriebsgröße nimmt die Verschuldung durchschnittlich ab. Im allgemeinen ist die Verschuldung eine mäßige bei geringer Zunahme. Ein hoher Prozentsatz der Anwesen erwies sich sogar als völlig unbelastet.
Auch hier bildete überall Kauf und Erbteilung weitaus vorwiegend (bei drei Vierteln und mehr der Schuldsumme) die Ursache der hypothekarischen Belastung. In Bayern [* 9] war die Zahl der Zwangsverkäufe sowie der Umfang der von ihnen ergriffenen Fläche in der Zeit von 1880 bis 1893 in starker Abnahme begriffen, ebenso in Preußen, Baden und Hessen, nur daß in Preußen an der unverhältnismäßigen Beteiligung des Großgrundbesitzes durch die allgemeine Abnahme nichts geändert wurde. Allerdings dürfte die Abnahme der Subhastationen zum großen Teil durch ihre Aussichtslosigkeit verursacht sein.
Die Statistik außerdeutscher Länder läßt meistens keinen sichern Einblick zu. In Österreich [* 10] scheint die Verschuldung des bäuerlichen Besitzes im allgemeinen nicht unerheblich zu wachsen. In Frankreich aber verharrt dem Anschein nach die Schuldbelastung der ländlichen Besitzungen auf mäßiger Höhe, eine Folge teils des gesetzlichen Zwangs zu naturaler Erbteilung, teils des mangelhaft entwickelten Hypothekenrechts und der Gewohnheit größerer Anzahlungen beim Kauf. Anders in Rußland, wo die Grundverschuldung sichtlich in allen Klassen bedenklich anschwillt infolge wirtschaftlicher Mißstände und agrarpolit. Fehler.
Was die Verschuldung, insbesondere die hypothekarische, wenn sie ein gewisses Maß überschreitet, in ungünstigen Zeiten gefährlich macht, ist, daß die fest verzinslichen Kapitalforderungen der Gläubiger zu den veränderlichen Erträgen und Kapitalwerten der belasteten Grundstücke und Betriebe in keinerlei Beziehung stehen. Auch wenn der Zinsfuß wechselt, so wechselt er aus Ursachen, die nicht in den Schwankungen der Erträge begründet liegen. Der Zins, obwohl er seinem innern Wesen nach nur einen Anteil am Wirtschaftsertrage darstellt, muß wie ein unveränderlicher Kostenbetrag unabhängig von den wirklichen Ertragsverhältnissen vorweg aus den Erträgen bestritten werden, solange die Kapitalschuld nicht getilgt ist.
Alle Schwankungen der Erträge fallen daher in ihrem vollen Betrage ausschließlich auf den Reinertragsanteil, welcher dem selbständigen Wirtschafter verbleibt, und machen dessen Einkommen um so veränderlicher, je größer verhältnismäßig die Schuld und die Zinsenlast ist, die er zu tragen hat. Ebenso übertragen sich alle Schwankungen des Bodenwerts ausschließlich auf seinen Vermögensanteil. Schuldtilgungen aber können nach der Natur des landwirtschaftlichen Betriebes, soweit sie nicht aus andern Vermögensbeständen bewirkt werden, nicht ohne Schädigung des Betriebes selbst durch Veräußerung von Kapitalsbestandteilen, sondern nur durch allmähliche Amortisation aus den laufenden Erträgen erfolgen. Hierzu kommt, daß die Hypothekengläubiger, deren Zahl eine beliebige sein kann, in dem Grundstück nur das Sicherheitspfand für eine Forderung erblicken, ihnen mithin die unmittelbare persönliche Beziehung zum Objekt selbst und seinem Bewirtschafter fehlt, wie sie beim Verpächter vorliegt. Unter diesen Umständen traf die selbstwirtschaftenden Eigentümer der Rückgang der Erträge bei hoher Verschuldung mit um so größerer Wucht.
Aber obwohl der Wohlstand der Grundbesitzer, wenigstens der großen und in den getreidebauenden Distrikten, in bedeutendem Maße seit Jahren gelitten hat, so ist doch nach Ausweis der Anbaustatistik der landwirtschaftliche Betrieb selbst bisher unter diesen ungünstigen Verhältnissen äußerlich noch nicht zurückgegangen, hat vielmehr eine fortschreitende Entwicklung behauptet, wozu die Hoffnung auf einen Umschwung der Dinge nicht wenig beigetragen haben mag. Einschränkungen in der gewohnten Lebenshaltung, Mitverwendung angesammelter Vermögensüberschüsse aus früherer Zeit, vorzeitige Abholzung vorhandener Holzbestände, Unterlassung von Neubauten sowie Beschränkung notwendiger Reparaturen, schließlich Verzicht auf Verbesserung und Ergänzung des nötigen Inventars haben vielfach, wenn auch teilweise auf Kosten zukünftiger Erträge, einstweilen über die Schwierigkeiten der Lage ¶
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hinweg-Fruchtgattungen | 1878 | 1893 |
---|---|---|
Weizen und Spelz | 2222 | 2393 |
Roggen | 5950 | 6012 |
Gerste | 1623 | 1627 |
Hafer | 3753 | 3905 |
Kartoffeln | 2758 | 3037 |
Zurckerrüben | 176 | 395 |
Runkelrüben | 331 | 456 |
Mohn, Lein und andere Handelsgewächse | 2448 | 2519 |
In der Hauptsache blieb die Fläche des Acker- und Gartenlandes gleich; in den acht östl. Provinzen Preußens [* 12] hat sich das gesamte Kulturland während der letzten 10 Jahre sogar um etwa 80000 ha vermehrt. Daß man teilweise in vermehrter Pflege der Viehzucht [* 13] während dieser ganzen Zeit Ersatz gesucht hat für die verringerte Rentabilität des Getreidebaues, unterliegt keinem Zweifel. Immerhin ist es noch nicht in dem Maße geschehen, wie es möglich gewesen wäre. Von 1883 bis 1892 stieg der Rindviehbestand von 15,8 auf 17,6, die Schweinehaltung von 9,2 auf 12,2 Mill. Stück, während zugleich die Qualität des Viehs eine fortschreitende Verbesserung erfuhr.
Nur die Schafe [* 14] gingen von 19,2 auf 13,6 Mill. Stück zurück. Allerdings darf eine sehr weitgreifende Änderung der Produktionsrichtung für Deutschland [* 15] nicht erwartet werden. Viel mehr als in England sind hier weite Gebiete durch klimatische und Bodenverhältnisse auf den Getreidebau dauernd angewiesen; teilweise fehlen auch einstweilen die sonstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen einer intensiven Pflege der Viehzucht, selbst wenn sich die Preise des Viehs und der tierischen Produkte auf der bisher erreichten Höhe auch ferner behaupten sollten.
III. Mittel zur Abhilfe. Unter solchen Umständen entsteht die wichtige Frage: Was kann und soll geschehen, um den Gefahren der Lage wirksam zu begegnen? Kann überhaupt etwas geschehen und wenn ja, welche Gründe rechtfertigen ein Eingreifen des Staates?
Soweit es sich nur um Privatvermögensverluste handelt, welche sich aus dem Rückgang der Preise und der Rente ergeben, und um einen hiermit in Zusammenhang stehenden Besitzwechsel bei den landwirtschaftlichen Gütern, kann nicht beansprucht werden, daß der Staat ihn unter allen Umständen abwende, da eine allgemeine Vermögens- und Einkommensgarantie mit den Grundlagen der Privatwirtschaftsordnung unverträglich ist, eine solche Garantierung in Bezug auf einzelne Klassen der Bevölkerung [* 16] auch eine Ungerechtigkeit gegen die übrigen in sich schlösse.
Wohl aber ist es gerechtfertigt, wenn der Staat vorübergehende Störungen, die einzelne Volkskreise mit dauernden und unverhältnismäßigen Verlusten und Schädigungen bedrohen, auszugleichen oder zu mildern sucht, und sicherlich ist es seine Aufgabe, einer Schädigung der Gesamtinteressen des Landes und Volkes, einer Erschütterung der gesamten Volkswirtschaft nach Möglichkeit vorzubeugen. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß auch bei den wirtschaftlich am meisten entwickelten Kontinentalstaaten Europas die industriellen und Handelsinteressen keineswegs von der ausschlaggebenden Bedeutung für ihre fernere Entwicklung sind, daß der Staat einer über die privaten Vermögensverluste der jeweiligen Grundbesitzer hinausgreifenden Schädigung der ländlichen Bevölkerungskreise, einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion selbst mit Gleichgültigkeit zusehen könnte.
Ein solcher Rückgang würde bei dem entscheidenden Übergewicht, das der innere Markt für sie behauptet, die schwersten Erschütterungen der ganzen Volkswirtschaft oder wenigstens ganzer Landesteile nach sich ziehen, da für die ausfallenden Erträge und für die ihrer bisherigen Beschäftigung und ihres Erwerbes ganz oder teilweise direkt oder indirekt beraubten Volksteile ein ausreichender Ersatz auf den übrigen Produktions- und Erwerbsgebieten nicht erwartet werden kann. Andererseits kann dem Staate weder der Beruf noch die Fähigkeit zugesprochen werden, die Wirkungen einer tiefgehenden Wandlung in den allgemeinen Produktions- und Absatzverhältnissen durch äußerliche Maßregeln schlechtweg zu paralysieren. In dieser Richtung blindlings unternommene Versuche würden stets nur mit einer Schädigung der Gesamtheit und seiner eigenen Existenz endigen.
Die Maßregeln des Staates können in verschiedener Richtung auf eine günstigere Gestaltung der Reinertragsverhältnisse einzuwirken suchen. Zunächst bietet sich die Möglichkeit einer begrenzten Einwirkung auf die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse teils durch Zölle oder verwandte Maßregeln, teils durch sonstige Beeinflussung der Angebotsverhältnisse zu Gunsten der Verkäufer und Produzenten. Daneben vermag er die Bestrebungen der Produzenten, soweit sie sich auf Verminderung der Produktionsauslagen richten, in gewissem Umfange zu unterstützen.
Eine Verbesserung der Agrargesetzgebung, insbesondere die Unterstützung einer zweckmäßigen Kreditorganisation, ist im stande, der Zunahme der Verschuldung entgegenzuwirken und sowohl hierdurch als auch durch Herabdrückung zu hoher Zinssätze eine Ermäßigung der wachsenden Zinsenlast zu fördern. Eine zweckmäßige und gerechte Regulierung des Abgabenwesens und der Anforderungen für öffentliche Zwecke kann unverhältnismäßigen Steuerdruck beseitigen.
Endlich vermag der Staat durch Unterstützung von Meliorationen und durch Förderung der Bestrebungen zur Verbreitung technisch-ökonomischer Kenntnisse, insbesondere durch Unterstützung des landwirtschaftlichen Unterrichtswesens, die Produktivität des landwirtschaftlichen Betriebes in weitem Umfange mittelbar zu steigern. Aber alle staatlichen Maßregeln haben zur notwendigen Voraussetzung, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung selbst ihrerseits alles aus eigener Initiative thut, was geeignet und notwendig ist, um die Anpassung der Produktionsverhältnisse an die veränderten Absatz- und Preisverhältnisse zu fördern. Andernfalls würden sich jene nur als ein Hemmnis fortschreitender Entwicklung erweisen. Wollte der Staat die Folgen wirtschaftlicher Fehler des einzelnen abwenden, so würde er völlig feinen sittlichen Beruf verleugnen.
Von dem nächstliegenden Mittel, den Agrarzöllen, haben die meisten europ. Kontinentalstaaten ¶