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«Nachricht von den neuesten herculanischen Entdeckungen» (ebd. 1764) und die «Briefe an Bianconi», für den Kurprinzen von Sachsen [* 2] und dessen Gemahlin bestimmt und erst nach W.s Tode in der «Antologia Romana» 1779 herausgegeben. Diese Sendschreiben übten auf die Reinigung des Geschmacks in den dekorativen Künsten großen Einfluß. Mehrere Entwürfe zu Schriften, deren Titel in den Briefen aus den ersten röm. Jahren sich häufig genannt finden, wurden die Elemente, aus denen sein Hauptwerk erwuchs, die «Geschichte der Kunst des Altertums» (2 Quartbände, Dresd. 1764; neue Ausg. von Julius Lessing, mit Biographie W.s, Berl. 1870). W.s Vorarbeiten zu einer zweiten Ausgabe, der er bereits 1767 «Anmerkungen über die Geschichte der Kunst» vorangeschickt hatte, kamen nach Wien [* 3] und wurden bei der dort erschienenen Ausgabe 1776 benutzt. Dieses Werk ist nicht bloß Geschichte, sondern auch System der griech. Kunst, vor allem Charakteristik des Stils der griech. Plastik nach seinen wesentlichen Bestandteilen und nach den Typen und Klassen, wie sie innerhalb der Sphäre des Idealschönen zulässig sind.
Höchste Aufgabe der Kunst ist nach Winckelmann die Schönheit, der das Individuellwahre, das Charakteristische, Aktion und Affekt schlechthin untergeordnet werden muß. Die Schönheit ist ihm Idealität, d. i. Darstellung eines allgemeinen, durch Auswahl und Begeisterung aus der Natur gewonnenen Typus; sie beruht auf den normalen Proportionen, wie solche Polyklets Kanon aufstellte, auf einer «edeln Einfalt und stillen Größe» in der Aktion, auf jenen Linien des Contours endlich, in welchen kein einzelner Teil (Muskeln, [* 4] Sehnen, Adern) den sanft verschmolzenen Zug der großen Umrißkurve (das «Unbezeichnete») unterbricht.
In dem histor. Teil hat Winckelmann durch Kombination der Notizen der Alten, mit einer kritischen Auswahl röm. Denkmäler und ahnender Intuitionen da, wo ihn (wie bei der Zeit des Phidias) die Monumente im Stiche ließen, mit genialer Kunst ein Gebäude aufgeführt, dem trotz des reichen Denkmälerzuwachses der folgenden hundert Jahre und trotz der geschärften archäol. und philol. Methoden noch kein ebenbürtiges Werk an die Seite gesetzt worden ist. Winckelmann schuf die Kunstgeschichte, indem er die Perioden der Kunst nach den Grundzügen einer gesetzmäßig aufeinander folgenden Reihe von Stilformen charakterisierte und die mannigfaltigen Ursachen der Kunstblüte unter den Griechen mit histor.
Sinn analysierte. Dabei wirkte er zur Erweckung des Geschmacks und der Liebe zur Antike in weiten Kreisen hauptsächlich durch seine Schilderungen der antiken Meisterwerke (des Heraklestorso, des Apoll vom Belvedere, des Laokoon u. a.). Die Frucht langjährigen Sammelfleißes, obwohl am kühlsten aufgenommen, war der «Versuch einer Allegorie» (Dresd. 1766; aus W.s Handexemplar mit dessen zahlreichen eigenhändigen Zusätzen neu hg. von A. Dressel, 1866), mehr ein gelehrtes Repertorium bildlicher Darstellungen von Gedanken als eine begriffliche Scheidung der Arten und ihres verschiedenen Werts für die Kunst.
Auf das Gebiet der Archäologie trat Winckelmann über mit dem großen Kupferwerk «Monumenti antichi inediti» (2 Bde., Rom 1767‒68; 2. Ausg. 1821),
denen er im «Trattato preliminare» eine Übersicht der Kunstgeschichte vorausschickte. Winckelmann schuf dadurch die archäol. Hermeneutik, indem er die bei den Archäologen herrschende Erklärung aus der röm. Geschichte beseitigte und im Homer die Hauptquelle der Stoffe nachwies. Im April 1768 reiste Winckelmann in Begleitung des Bildhauers Cavaceppi von Rom [* 5] ab, um Deutschland [* 6] wieder zu besuchen. Aber beim Eintritt in die Tiroler Berge überfiel ihn eine Traurigkeit und Unruhe, die nahezu mit Symptomen einer Gemütskrankheit auftrat. Er war nur mit Mühe dahin zu bringen, seinen ital. Reisegefährten bis München [* 7] zu begleiten.
Dann reisten sie zusammen nach Wien, wo Winckelmann auch der Kaiserin vorgestellt wurde. Da alle Überredungskünste scheiterten, so reiste Cavaceppi allein weiter, während Winckelmann nach Triest [* 8] fuhr, wo er die Bekanntschaft eines kürzlich ans dem Gefängnis entlassenen Bösewichts Arcangeli machte, der sein Vertrauen gewann und in der Absicht, die von Maria Theresia ihm geschenkten Goldmünzen zu rauben, ihn in seinem Zimmer überfiel und ihm fünf Stiche beibrachte, an denen Winckelmann bald darauf, verschied, nachdem er den Kardinal Albani zum Universalerben eingesetzt.
Eine Gesamtausgabe seiner Werke wurde von Fernow 1808 begonnen und von Heinrich Meyer und Joh. Schulze vollendet (8 Bde., Dresd. 1808‒20; der Nachtrag dazu, Bd. 9‒11, enthält den schon früher veröffentlichten Teil seiner Korrespondenz), die viele philol. und archäol. Bemerkungen hinzufügten. – Eine Charakteristik W.s und seines Verdienstes gab zuerst Heyne in der «Lobschrift auf Winckelmann» (Cass. 1778). Den ganzen Kreis [* 9] seiner Schicksale, seiner Persönlichkeit, seiner Beziehungen zu Kunst und Altertum, Wissenschaft und Zeitgenossen beleuchten Goethes meisterhafte Skizzen in dem mit H. Meyer und andern zusammen gearbeiteten Werk: «Winckelmann und sein Jahrhundert» (Tüb. 1805). Eine vortreffliche Biographie W.s lieferte Justi, Winckelmann, sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen (2 Bde., Lpz. 1866‒72); vgl. noch Rosetti, W.s letzte Lebenswoche (Dresd. 1818).