mehr
beriefen sich auf das «innere Licht» [* 2] als in Verzückungen und Visionen sich offenbarend und mißbrauchten den Grundsatz, daß der Wiedergeborene nicht sündige, als Freibrief zu den gröbsten Ausschweifungen. Diese letzte Richtung ist die bekannteste, weil sie ein Bündnis einging mit gleichzeitigen revolutionären Bestrebungen auf polit. und socialem Gebiet.
Obwohl die Bewegung der Widerstand hier und da zu heftigen Erregungen Anlaß gab, so hielt sich doch die überwiegende Anzahl durchaus in den Schranken der bürgerlichen Ordnung und kam nur wegen abweichender Lehre [* 3] mit den Gesetzen in Konflikt. Als die ersten Vertreter eines revolutionären Anabaptismus dagegen traten bald nach Beginn der Reformation die Zwickauer Propheten hervor, an ihrer Spitze Thomas Münzer (s. d.), Martin Cellarius, Markus Stübner, Nikolaus Storch u. a. Auch in Süddeutschland und der Schweiz [* 4] zeigten sich ähnliche Bewegungen. Es traten Hans Hutt (Hut), [* 5] Ludwig Hetzer, Hans Denk (s. d.) und E. Langenmantel in Augsburg, [* 6] Balthasar Hubmayr, Konrad Grebel u. a. in Basel [* 7] und Zürich [* 8] auf.
Gleichzeitig finden sich Widerstand in München, [* 9] Konstanz, [* 10] im Neckarthal und in der Rheinpfalz; auch in Westfalen, [* 11] Holstein und den Niederlanden breitete sich die Bewegung aus. In Sachsen, [* 12] Franken und Thüringen wurde dieselbe zugleich mit dem Bauernaufstand unterdrückt. Besonders bemerklich machte sich Melchior Hofmann (Hoffmann), ein Kürschner aus Schwaben, der den Anabaptismus 1527 in Kiel, [* 13] 1528 in Emden [* 14] verbreitete und 1540 in Straßburg [* 15] im Gefängnis starb. Der von ihm als Bischof eingesetzte Bäcker Joh. Matthieszoon (Matthys) aus Haarlem [* 16] entsandte neue Apostel, darunter zwei nach Münster, [* 17] wo sie an dem evang. Prädikanten Rotmann und den Bürgern Knipperdollinck und Krechting begeisterte Mitarbeiter fanden, denen sich 1533 die Schneider Bockold (s. Johann von Leiden) [* 18] und Matthys selber zugesellten. Nachdem erst dieser, dann Bockold an die Spitze der immer fanatischer werdenden Münsterer Rotte getreten waren, wurde in phantastischen Formen unter den größten Gewaltthätigkeiten und Ausschweifungen das «Reich der Widerstand» errichtet, dem der mit Heeresmacht heranziehende Bischof von Münster ein Ende bereitete.
Die in Deutschland, [* 19] der Schweiz und Österreich [* 20] zerstreuten «stillen» oder gemäßigten Widerstand hatten inzwischen (1526) Zuflucht und Mittelpunkt bei den Herren von Lichtenstein in Nikolsburg (Mähren) [* 21] gefunden und ein Teil von ihnen sich in den Schlattner Artikeln (1527) vereinigt. Dort haben sie jahrzehntelang ihr Leben nach ihren religiösen Grundsätzen eingerichtet und blühende Gemeinwesen gebildet, die erst seit Ende des 16. Jahrh., dann im Dreißigjährigen Kriege vernichtet worden sind. Aus Mähren verjagt, fristeten zersprengte Glieder [* 22] der «Gmain» noch in das 18. Jahrh. hinein ihr Leben in Ungarn [* 23] und Siebenbürgen. Eine im 18. Jahrh. gegründete Kolonie «Hutersthal» in Taurien besteht noch. (S. Baptisten und Taufgesinnte.)
Vgl. Erbkam, Geschichte der prot.
Sekten im Zeitalter der Reformation (Hamb. und Gotha [* 24] 1848).
Über die Münsterschen Widerstand: Hase, [* 25] Neue Propheten (3. Aufl. 1893);
Cornelius, Geschichte des Münsterschen Aufruhrs (2 Bde., Lpz. 1855‒60);
Ludw. Keller, Geschichte der Widerstand und ihres Reiches zu Münster (Münster 1880).
Über Wesen und Schicksale der stillen Täufer: Keller, Ein Apostel der Widerstand [Hans Denck] (Lpz. 1882);
ders., Die Reformation und die ältern Reformparteien (ebd. 1885);
Egli, Die Züricher Widerstand (Zür. 1878);
Jos. Beck, Die Geschichtsbücher der Widerstand in Österreich-Ungarn [* 26] (in den «Fontes rerum austriacarum», 2. Abteil., Bd. 43, Wien [* 27] 1883);
Egli, Die St. Galler Täufer (Zür. 1887);
Loserth, Der Anabaptismus in Tirol [* 28] (Wien 1892);
ders., Der Kommunismus der mährischen Widerstand im 16. und 17. Jahrh. (ebd. 1894);
Bahlmann, Die Widerstand zu Münster.
Eine bibliogr. Zusammenstellung (Münst. 1894); Müller, Geschichte der Bernischen Täufer (Frauenf. 1895); Lüdemann, Reformation und Täufertum in ihrem Verhältnis zum christl. Princip (Bern [* 29] 1896).