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deren Organ, die Staatsgewalt. Mit dem zweckmäßigen Verhalten dieser beschäftigt sich die Volkswirtschaftspolitik, die in Unterabteilungen zerfällt: Agrar-, Gewerbe-, Handels- und Verkehrspolitik, Socialpolitik (s. d.). Als dritter Teil pflegt endlich noch die Finanzwissenschaft angefügt zu werden, deren Gegenstand der Staatshaushalt bildet, der von größter Bedeutung für die Volkswirtschaft selbst ist. Verwandte Disciplinen sind die Wirtschaftsgeschichte, die Wirtschaftsstatistik u. s. w. Zuweilen wird die Volkswirtschaftslehre (mit Ausschluß der Finanzwissenschaft) auch gegliedert in einen allgemeinen und einen speciellen Teil; dieser enthält das nur auf bestimmte Hauptthätigkeitszweige (Landwirtschaft, Gewerbe, Handel u. s. w.) Bezügliche, während jener die Grundbegriffe und das bei allen Wiederkehrende umfaßt.
Die Volkswirtschaftslehre gehört zu den Socialwissenschaften (s. Sociologie); sie betrachtet gesellschaftliche Erscheinungen, d. h. Vorkommnisse und Thatsachen, die aus dem Zusammenleben der Menschen hervorgehen. Dabei kann sie aber nicht das Verhalten des Einzelnen außer Betracht lassen, denn dieses ist ja das Element der volkswirtschaftlichen Erscheinungen. So geht die gesellschaftliche Thatsache z. B. des Marktpreises aus zahllosen Wertschätzungen Einzelner hervor; die Erklärung des Marktpreises, seine Höhe und Bewegung u. s. w. müßte unvollständig bleiben, solange nicht geklärt ist, wie der Einzelne bei seinen Wertschätzungen, Anerbieten u. s. w. vorgeht, d. h. welche psychischen Vorgänge und praktischen Erwägungen Angebot und Nachfrage beherrschen.
Wirtschaftliche Fragen wurden bereits im Altertum behandelt (Aristoteles, Plato, Xenophon); im Mittelalter treten sie als Beiwerk in theologischen, ethischen u. s. w. Schriften auf; nur das Münzwesen [* 2] erhält frühzeitig eine eigene Behandlung (Oresmius, gest. 1382). Eingehender werden Forschung und Darstellung seit Ende des 16. Jahrh. und im Laufe des 17. Jahrh. (Bodinus, Serra, Mun u. a.); es entwickelt sich das Merkantilsystem (s. d.) mit scharfer Betonung [* 3] und häufig arger Übertreibung der Bedeutung des Geldes oder der Edelmetalle für die Volkswirtschaft, sowie absolutistischem, auf Erweiterung des Thätigkeitskreises von Fürst oder Staat abzielendem Charakter.
Hauptvertreter in praktischer Hinsicht ist Colbert (s. d.) in Frankreich, weshalb man auch von Colbertismus spricht. Das zweite System bildet der von Quesnay (s. d.) begründete Physiokratismus (s. d.), der von einer Überschätzung der Produktivität der Landwirtschaft ausging. Von größerer Bedeutung, wenngleich vieles den Physiokraten entlehnend, ward das von Adam Smith (s. d.) begründete dritte, das Industriesystem, das die Arbeit im allgemeinen als Quelle [* 4] des Reichtums bezeichnete.
Die sog. klassische Schule zeichnet sich durch präcise Fassung der theoretischen Grundlehren sowie durch Abneigung gegen Eingriffe des Staates in die wirtschaftlichen Dinge aus. Dies wurde theoretisch und praktisch verfochten durch die sog. Freihandelsschule (s. Freihandel und Freihandelspartei); zum Teil war das sehr verdienstlich, insofern es sich um die Abschaffung veralteter Einrichtungen handelte, zum Teil führte es zu schlimmen Einseitigkeiten, namentlich auf handels- und socialpolit.
Gebiete. Infolgedessen entstand in Deutschland [* 5] durch List (s. d.), in Amerika [* 6] durch Carey (s. d.) eine protektionistische Gegenströmung (s. Schutzzollsystem); ferner später eine nationalökonomische Richtung, welche überhaupt die Auswüchse der freien Konkurrenz durch staatliches Eingreifen beseitigen will (s. Socialpolitik). Wissenschaftlich hochbedeutsam ist die in Deutschland durch Roscher, Knies u. a. angeregte und vertretene histor. Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen, die namentlich Anlaß gab zum Entstehen einer reichen, die Einzelheiten des wirtschaftlichen Lebens geschichtlich und statistisch erforschenden Litteratur. Ihr gegenüber steht in der neuesten Zeit eine andere Richtung, namentlich von österr. Nationalökonomen (C. Menger, von Böhm-Bawerk u. a.) vertreten, welche wieder die deduktive Forschung in den Vordergrund stellt. Von bedeutender Einwirkung ist auch der Socialismus (s. d.).
Mit dem Wachsen der socialen Bewegung und der Komplikation der wirtschaftlichen Angelegenheiten infolge des Kulturfortschritts hat die Volkswirtschaftslehre auch eine wachsende Beachtung sich erobert; insbesondere erfährt sie Pflege auf den Universitäten, wo sie, was das Deutsche Reich [* 7] anbelangt, in der Regel der philos. Fakultät, bisweilen auch der juristischen, zugewiesen ist; an den Universitäten Straßburg [* 8] und Würzburg, [* 9] welche eine rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät besitzen, ist sie dieser, in München [* 10] der staatswirtschaftlichen Fakultät zugeteilt.
Von den größern Lehr- und Handbüchern sind namentlich die Werke von Roscher, Wagner, Schäffle, Menger u. a. zu nennen. Besondere Erwähnung verdienen: das von G. von Schönberg unter Mitwirkung einer großen Anzahl von Gelehrten herausgegebene Handbuch der polit. Ökonomie (3. Aufl., 3 Bde., Tüb. 1890‒91; 4. Aufl. 1896 fg.); ferner das von Conrad, Elster, [* 11] Lexis und Loening herausgegebene Handwörterbuch der Staatswissenschaften (6 Bde., Jena [* 12] 1890‒94; 1. Supplementband, 1895), endlich das im Erscheinen begriffene, auf etwa 30 Bände berechnete Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften (Leipzig, [* 13] seit 1893), hg. von K. Frankenstein.
Für die Geschichte der Volkswirtschaftslehre sind wichtig aus neuerer Zeit: Eugen Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Socialismus (3. Aufl., Lpz. 1879);
Kautz, Theorie und Geschichte der Nationalökonomie, Tl. 2 (Wien [* 14] 1860);
Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland (Münch. 1874);
Eisenhart, Geschichte der Nationalökonomik (2. Aufl., Jena 1891);
Mor. Meyer, Die neuere Nationalökonomie (4. Aufl., Minden [* 15] 1885);
Ingram, A history of political economy (Edinb. 1888);
Geschichte des Socialismus in Einzeldarstellungen (Stuttg. 1895 fg.).