«wahn-» mit dem lautlich zunächst stehenden, aber unverwandten
Substantiv «der
Wahn» in Zusammenhang gebracht und als mit
ihm zusammengesetzt empfunden. Gewöhnlich aber sind es Wörter aus fremden
Sprachen, die von der Volksetymologie betroffen werden, wie
z. B. im Volksmunde aus unguentum Neapolitanum ein umg(e)wendter Napoleon, aus arcubalista
Armbrust
[* 2] gemacht worden ist. –
Vgl.
Andresen,
Über deutsche Volksetymologie (5. Aufl., Heidelb. 1889).
Volksklubs und Vereinshäuser für
Männer und Frauen aller
Stände, mit Lesezimmern,
Bibliothek,
Garten,
[* 3] Speise- und Unterhaltungsräumen, in denen jedermann ohne Trink- und Verzehrungszwang einen freundlichen Aufenthalt finden,
Geselligkeit pflegen und auf Verlangen auch einfache billige
Verpflegung unter
Ausschluß von
Wein,
Branntwein
und andern stark alkoholischen Getränken finden kann. Die Volksheime wurden zuerst in
Dresden
[* 4] 1888 begründet vom
Verein«Volkswohl».
Sie sind keine
Volksküchen und Wohlthätigkeitsanstalten, sondern Klubhäuser, die unter der Selbstverwaltung der Mitglieder
stehen und ihre Kosten durch den Betrieb selbst decken sollen. Der Vereinsbeitrag beträgt jährlich
mindestens 2 M., die von Unbemittelten vierteljährlich mit 50
Pf. entrichtet werden können. Der
DresdenerVerein«Volkswohl»,
der im
Sommer 1897 schon über 5600 Mitglieder zählte, hat vier Volksheime errichtet, in denen im Winter Vortragsabende,
Unterrichtskurse und gesellige Veranstaltungen abgehalten werden. Die
Dresdener Volksheime haben bisher wenig Nachahmung
gefunden, mehr die schon im Winter 1886 ins Leben gerufenen
Volksunterhaltungsabende. –
Vgl.
Böhmert, Die
Reform der Geselligkeit
und der Wirtshäuser (in den «Volkswohl-Schriften», Heft 5, Lpz.
1890) und die von
Böhmert herausgegebene Wochenschrift
«Volkswohl» (Lpz. 1876 fg.).
oder Kaffeeschenken, Erholungs- und Erfrischungsstätten, welche hauptsächlich
zur Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs ins Leben gerufen worden und von England ausgegangen sind. In fast allen
StädtenGroßbritanniens
haben seit 1875 meist
Aktiengesellschaften die Gründung von Volkskaffeehäuser übernommen; eine besondere Monatsschrift «The
Coffee
PublicHouse News», seit einiger Zeit u. d. T. «The
Temperance Caterer» erscheinend, giebt Nachricht über die englischen Volkskaffeehäuser. In
Deutschland
[* 5] wurde das erste Volkskaffeehaus nach engl.
Muster 1882 in
Bremen
[* 6] eingerichtet, dem 1883 ein zweites in Königsberg
[* 7] folgte; in größerm Maßstabe unternahm eine gemeinnützige Gesellschaft die Einrichtung von Volkskaffeehäuser in
Hamburg,
[* 8] wo es deren zur Zeit 16 giebt, in denen 1896 neben andern Getränken allein 1601783 TassenKaffee,
Kakao,
Thee oder
Milch zu 5
Pf. die Tasse verschänkt wurden. Seit 1889 wurden auch Volkskaffeehäuser in
Berlin
[* 9] eingerichtet, die 4‒5 Proz.
Dividende geben, und auch in andern größern
Städten, wie
Frankfurt
[* 10] a. M.,
Cassel, Köln,
[* 11]
Breslau
[* 12] u. s. w., werden Volkskaffeehäuser mit gutem
Erfolge betrieben.
Anstalten, die für die unbemittelten
Klassen durch Darreichung einer gesunden und
kräftigen Kost eine billige
Ernährung ermöglichen, wie sie solche nirgends, insbesondere auch nicht aus eigenen
Mitteln
sich zu beschaffen im stande sind. Sie sind in der Regel ständige Einrichtungen, die von einem
Verein oder einer Gemeinde
betrieben werden, und haben mit den
Suppenanstalten (s. d.) oder ähnlichen
für Zwecke der Armenunterstützung
bestimmten Einrichtungen nichts gemein.
Für den zweckentsprechenden Betrieb der Volksküchen ist erforderlich, daß 1) zu ihrer Leitung und
Verwaltung möglichst viele, allen
Ständen angehörige freiwillige Kräfte herangezogen werden;
2) die Betriebsräume entweder durch die Gemeindeverwaltung oder von anderer Seite unentgeltlich zur
Verfügung gestellt werden;
3) in ihren Einrichtungen alles strengstens hintangehalten wird, was den
Gedanken einer Almosenspende wachrufen und das Ehrgefühl
des
Arbeiters verletzen könnte;
4) namentlich während der Wintermonate morgens, mittags und abends
Speisen verabreicht werden;
5) die Portionenpreise, für die eine große Mannigfaltigkeit einzuführen ist, nach dem Selbstkostenpreise bemessen
und bei der
Wahl der
Speisen dem
Geschmack der Besucher alle
Rechnung getragen wird;
6) die Benutzung der Anstalt für größere industrielle Unternehmungen, für gemeinnützige
Vereine u. s. w. ermöglicht
wird und 7) etwaige Überschüsse zur
Bildung eines Pensionsfonds für die bezahlten
Arbeitskräfte der Anstalt oder aber zu
einem gemeinnützigen Zwecke verwendet werden.
Die erste deutsche Volksküche wurde unter städtischer
Unterstützung 1849 in
Leipzig
[* 13] gegründet, der 1870 eine zweite nachgefolgt ist. Nach diesem Vorbilde hat man ähnliche Anstalten
in rascher Aufeinanderfolge in fast allen größern deutschen
Städten sowie auch in Basel
[* 14] und
Wien
[* 15] eingerichtet. Am beachtenswertesten
sind die
Berliner
[* 16] Volksküchen, die 1866 durch einen von Lina Morgenstern
[* 17] ins Leben gerufenen
Verein gegründet und
im Laufe der Jahre auf 15 vermehrt wurden.
Hierzu ist noch eine Frauenküche getreten. Die Portionenpreise bewegen sich zwischen 25 und 5
Pf. In
Baden
[* 18] stehen die Volksküchen unter
der Leitung des
Badischen Frauenvereins. –
Vgl. LinaMorgenstern, Die Volksküchen (Berl. 1883);
dies., Zuverlässiges
Hilfsbuch zur Gründung, Leitung und
Kontrolle von Volksküchen und andern gemeinnützigen Massen-Speiseanstalten (ebd. 1892);
Häckel,
Die städtische Speiseanstalt zu
Leipzig (Lpz. 1880);
Festschrift für die
Stuttgarter Volksküchen (Stuttg. 1882);
Jahresbericht des
Vorstandes des bad. Frauenvereins für 1896; Jahresbericht des
Vereins der
Berliner Volksküchen für 1894.
die Wissenschaft, die sich mit allen Äußerungen des Volkslebens, alten Gebräuchen, Sagen, Liedern u.s.w.
beschäftigt, etwa gleichbedeutend mit Folk-Lore (s. d.) und
Völkerpsychologie (s. d.).
Bezeichnung für diejenigen strophischen, durch den
Gesang verbreiteten Gedichte, die in allen
Kreisen des
Volks bekannt und beliebt sind. Die Dichter des echten Volkslied sind selten bekannt, da sie
ohne litterar. Ehrgeiz
nur für das Bedürfnis und aus dem
Herzen des
Volks dichteten und nicht für Aufzeichnung ihrer
Namen
und Verse sorgten; doch sind neuerdings auch Erzeugnisse der Kunstdichtung so populär geworden, daß sie als Volkslied gelten
können, wie
Goethes «Heidenröslein»,Uhlands «Guter Kamerad», Heines «Lorelei»,
Eichendorffs «Zerbrochenes Ringlein». Da während des ganzen Mittelalters
die
Bildung der verschiedenen
Stände annähernd gleichartig war, spielte das Volkslied damals eine weit größere Rolle als heutzutage,
es deckte sich zeitweilig mit dem gesamten poet. Schaffen unseres
Volks; leider ist uns das deutsche Volkslied des Mittelalters,
eben weil es nicht aufgeschrieben wurde, erst aus dem 14. und 15. Jahrh.
in reichern Resten bekannt.
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mehr
Das älteste erhaltene deutsche Volkslied ist das Hildebrandslied (s. d.),
das schon seine springende Darstellung als rechtes Volkslied erweist. Daß es auch volkstümliche Liebeslieder gab, wäre nicht zu
bezweifeln, auch wenn uns nicht der erhaltene Name «winileod» ihre Existenz seit dem 8. Jahrh.
verbürgte. Später drangen aus den Versen der Vaganten (s. d.), die oft auch deutsche Lieder in ihrem
Repertoire gehabt haben, Lieblingsgattungen dieser Studentenpoesie, namentlich das Kneiplied und der poet. Wettgesang in
die deutsche Volksdichtung ein.
Als mit der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. in hölfisch-ritterlichen Kreisen zum erstenmal eine weltliche Kunstpoesie in deutscher
Sprache
[* 20] aufkam, schloß sich diese trotz aller roman. Einflüsse in
ihren schönsten Erzeugnissen an das lebendige deutsche an. Dem Nibelungenlied, der Gudrun und andern Epen aus der deutschen
Heldensage liegen alte epische Volkslied zu Grunde. Die ältesten einstrophigen Lieder des bayr.-österr. Minnesangs, die teils anonym,
teils unter dem Namen des Kürenbergers, Dietmars von Aist u. a. erhalten sind, zeigen
in ihrer köstlichen Einfachheit und Natürlichkeit überraschende Anklänge an die noch heute in jenen Gegenden blühenden
improvisierten Schnadahüpfl.
Die einstrophigen, meist lehrhaften Sprüche unter Spervogels Namen geben ein Bild der volkstümlichen Gnomik. Mehrstrophige
Volkslied wurden wohl meist zum Tanz gesungen; unter den Gedichten Gottfrieds von Neifen sind einige einfache
Balladen dieser Art erhalten; aber auch die Lieder Neidharts, die Tanzleiche Tannhäusers, Ulrichs von Winterstetten u. a. lassen
den Charakter der volksmäßigen Tanzpoesie durchschimmern. Seine Beziehungen zur Natur schöpfte der Minnesang aus dem Volkslied Walthers
schönste Lieder sind in Anlehnung an das Volkslied, freilich mit der technischen Meisterschaft reifster
Kunst gedichtet.
Als um 1300 das Kunstinteresse des Adels verschwand und der philiströse Meistergesang (s. d.) das Erbe der höfischen Kunstdichtung
antrat, da konzentriert sich das eigentliche poet. Leben der gesamten Nation im V., das im 14. und 15. Jahrh.
seine höchste Blüte
[* 21] erreicht. Es wirkt zwar unbeholfen und roh, aber dafür entschädigt seine naive
Ursprünglichkeit und sein stofflicher Reichtum. Im 14. Jahrh. berichtet uns die wertvolle
Limburger Chronik, welch eine Fülle kurzer neuer Lieder aufkam und sich schnell verbreitete.
Sehr wesentlich waren dabei die Melodien, die man meist nach dem Inhalt des Gedichts, für das sie zuerst verwendet waren,
benannte; besonders beliebt waren der Hildebrandston, auf den man das umgearbeitete Hildebrandslied sang,
der Herzog-Ernst-Ton, die BernerWeise, die ursprünglich in Liedern von Dietrich von Bern
[* 22] üblich war; dann der Benzenauer, der
Bruder-Veits-Ton, ein altes Landsknechtslied, der BruderClaus, der Papierton, der Ton vom Schuttensamen, vom Lindenschmied,
der Wisbeckenton, der von Wilhelm von Nassau u. s. w. Die Beliebtheit
dieser Weisen war so allmächtig, daß die geistlichen Lieder der Zeit, um populär zu werden, sich gern an die Melodie und
oft parodisch auch an die Anfangsworte sehr weltlicher Volkslied anschlossen; so sang man weltlich «Innsbruck,
[* 23] ich muß dich lassen»,
geistlich «O Welt, ich muß dich lassen»; weltlich
«Den liebsten Buhlen, den ich han, der liegt beim Wirt im Keller», geistlich «Den liebsten Buhlen, den ich han, der ist in Himmels
Throne». Noch das prot. Kirchenlied konnte sich von diesem Brauch nicht
losmachen; es erschienen im 16. Jahrh.
ganze Sammlungen solcher geistlicher «Gassenbauer, Reiter-
und Bergliedlein».
Übergroß war die Mannigfaltigkeit des Inhalts. Die Heldensage lebte in Bänkelsängerliedern fort. Novellenstoffe des Mittelalters
behandelten die Lieder vom Bremberger, vom Möringer, vom Tannhäuser, vom Grafen von Rom;
[* 24] der Ulinger erzählt das Blaubartmärchen.
Lieblingshelden des Volkslied sind kecke Strauchdiebe und Stegreifritter, wie Eppelein von Geilingen, der Lindenschmied,
der Schuttensamen, der Raumensattel, Albrecht von Rosenburg und der arme Schwartenhals.
Historische Volkslied begleiten die polit. Ereignisse, die Freiheitskämpfe der Schweizer und Ditmarschen, Maximilians Werbung um
das Fräulein von Bretagne, die Thaten Sickingens und Frundsbergs und dauern bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges fort,
gern illustriert auf fliegenden Blättern verbreitet. Oft nennt sich in der letzten Strophe der Landsknecht-
und Reiterlieder ein «frummer Landsknecht» als Verfasser. Den einzelnen
Festen gelten Volkslied, zumal dem Martinstage: die Martinslieder berühren sich mit der Zechpoesie, von deren Reichtum Fischarts
berühmte «Trunkne Litanei» im Gargantua einen Begriff giebt;
es gab geradezu Orden,
[* 25] Zunftgesetze der Trinker, die
Anfänge unseres Comments, wie denn unsere heutigen Studentenlieder vielfach im 15. und 16. Jahrh. wurzeln.
Rätsel- und Wunschlieder,
wie das Traugemundslied, weisen in viel ältere Zeit zurück. Das Leben der Natur wird meist besungen in Verbindung mit der
Liebe. Sie bildet natürlich das Hauptthema des Volkslied: von der derben Zote bis zur zartesten
Sehnsucht, von ausgelassener Lust bis zu tiefster Trauer, schlägt es alle Töne des Liebesliedes episch und lyrisch an.
Im Laufe des 16. Jahrh. sinkt das Volkslied schnell: es wird roh und unproduktiv; nur
die histor. Lieder reichen ins 17. Jahrh. herein; aber sie zeigen da alle Mängel
des verkommenen Geschmacks, schmücken sich kokett mit modischen Fremdwörtern und gespreizten Redensarten, und die dauernde
Popularität eines Volkslied des 18. Jahrh., des «Prinz
Eugenius» (1717), ist eine Ausnahme. Die bessern Stände wenden sich vom Volkslied ab und pflegen, wenn nicht die durch Opitz und
die Schlesischen Schulen vertretene gelehrte Kunstpoesie, dann das sog.
Gesellschaftslied.
Während der Minnesang stets nur einstimmige Weisen hatte, war im V. schon um 1500 Dreistimmigkeit des Gesangs beliebt. Durch
H. Isaac, Ludw. Senffl, Geo. Forster und andere
Meister des Kontrapunkts trat dafür im Laufe des 16. Jahrh. Vier- und Fünfstimmigkeit
ein; aus den Niederlanden, Frankreich und namentlich Italien
[* 26] drangen dazu künstliche Melodien ein, die
technische Anforderungen stellten, denen nur durch größte Übung und tüchtige Schlung zu genügen war.
So bildeten sich bereits gegen die Mitte des 16. Jahrh. «Kränzchen»,
Gesellschaften, die sich abwechselnd bei den einzelnen Mitgliedern versammelten und bei deren Zusammenkünften der jedesmalige
Bewirter einen Kranz trug. Die metrisch genauen Texte, die man zu den neuen Melodien erfand und die sich
vom alten Volkslied je länger je mehr durch zierliche Tändelei und Künstelei unterschieden, nennt man Gesellschaftslieder.
Die meisten der zahlreichen mit Musiknoten versehenen Liedersammlungen des 16. und 17. Jahrh. (so von Oeglin 1512, Ott
1533, Forster 1539 fg., das Lochheimer Liederbuch u. s. w.) enthalten neben echten Volkslied eine
wachsende Anzahl
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