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Bevölkerung. [* 2] Venezuela [* 3] hatte 1857: 1888 148, 1873: 1 784 194, 1881: 2 075 245, 1891: 2 323 527 meist kath. E. Die 3361 Protestanten sind fast sämtlich eingewanderte Ausländer. Nirgends in Südamerika [* 4] ist die Vermischung der indian., europ. und Negerrasse so vollkommen wie in Venezuela. Weiße giebt es kaum 1 Proz., reine Neger fast gar nicht mehr, reine Indianer nur noch in den Staaten Bermudez (die Chayma und Cumanagoto), Los Andes (Reste der chibchaähnlichen Urbevölkerung) und in Guayana.
Unabhängige Indianer waren 1890 noch etwa 66000, halbcivilisierte 20000, civilisierte 240000, im ganzen 326000 vorhanden. 1891 waren 42 898 Fremde ansässig, darunter 13 223 Spanier, l0 929 Kolumbianer, 6116 brit. Unterthanen, meist von Trinidad, 3030 Italiener, fast alle kleine Handwerker und Kleingutbesitzer, 3566 Holländer von Curaçao, 2409 Franzosen, 917 Deutsche, [* 5] welche den Handel fast ganz in Händen haben und daher die Seestädte und größern Städte nahe der Küste bewohnen. Die span. Sprache [* 6] herrscht vor. Seit 1856 ist die Sklaverei aufgehoben.
Erwerbszweige. Die auf etwa 350000 qkm veranschlagte Ackerbauzone ist nur zu einem Drittel kultiviert, Palmen [* 7] steigen bis über 1000 m Höhe, Zuckerrohr und Banane bis über 2000 m. Daneben kommen von 500 m Höhe an Weizen, Gerste, [* 8] Kartoffeln vor. Das wichtigste Ackerbauprodukt ist aber der Kaffee, welcher jährlich etwa 58 Mill. kg Ertrag giebt, wovon 49 Mill. kg zur Ausfuhr gelangen. Noch größer ist der Ertrag des Rohzuckers, 77 Mill. kg, wovon jedoch nur 700000 kg ausgeführt werden.
Der größte Teil wird zur Destillation [* 9] von Branntwein (Aguardiente) verwendet. Auch Tabak [* 10] kommt mit 600000 kg jährlich zur Ausfuhr, besonders vom Nordosten und aus der Landschaft Yaracui im Staate Lara. Der Tabakbau von Barinas ist durch die Bürgerkriege fast völlig zerstört. Ein weiterer wichtiger Artikel ist Kakao, jährlich etwa 8 Mill. kg Ertrag, wovon 7 Mill. kg Ausfuhr. Der in den heißfeuchten Küstengegenden ist der beste der Erde. Mais und zahlreiche eßbare Wurzeln sind überall angebaut, Baumwolle [* 11] nur wenig, auch Indigo [* 12] ist zurückgedrängt worden.
Reis fehlt fast vollständig. Unzählig sind die Fruchtsorten. Der Viehstand war früher die wichtigste Quelle [* 13] des Reichtums, ist aber in den Revolutions- und namentlich in den Bürgerkriegen 186i-70 stark vermindert worden. Jetzt hat er sich wieder gehoben und betrug 1888: 387000 Pferde, [* 14] 300000 Maultiere, 858000 Esel, 1 929 700 Schweine, [* 15] 5¾ Mill. Schafe [* 16] und Ziegen, 8½ Mill. Rinder. [* 17] Hauptsitz der Viehzucht [* 18] sind die Llanos, welche die hundertfache Zahl ernähren könnten.
Ziegen und Schafe finden sich besonders in Coro. Die Industrie ist dagegen schwach entwickelt. Die Andenstaaten fertigen Hängematten, Baumwollstoffe, Strohhüte, Thongeschirre. Gerbereien sind häufig. In den größern Städten erstehen neuerdings Fabriken, z. B. von Zündhölzern. Der Handel ist in starkem Aufschwung begriffen. Die Einfuhr kam besonders von England, Nordamerika, [* 19] Deutschland, [* 20] Frankreich und bestand aus Artikeln des täglichen Gebrauchs und des Luxus; die Ausfuhr (1893/94: 107,66 Mill. Bolivares) richtete sich besonders nach Nordamerika (mehr als die Hälfte), Frankreich, Deutschland, den Antillen, England, und bestand aus 84,77 Mill. Bolivares (Frs.) Kaffee, 9,65 Mill. Kakao, 4,1 Mill. Barrengold, 2,85, Mill. Bolivares Häute; ferner aus Tonkabohnen, Dividivi (Farbstoff), Nutzholz, Vieh, letzteres hauptsächlich nach den Antillen und Guayana. Haupthäfen sind: La Guaira, Puerto-Cabello, Maracaibo, Carupano und besonders Ciudad-Bolivar. Die eigene Handelsflotte ist unbedeutend. Eisenbahnen existierten 1888: 316, 1895: 653 km. In letzter Zeit hat sich auch deutsches Kapital an Bahnbauten beteiligt. Das Telegraphennetz ist 6237 km lang.
Verwaltung. Die Einnahmen des Staates betrugen 1894/95: 48,66 Mill. Frs., darunter 32,5 Mill. Einfuhrzölle, die Ausgaben 43,89 Mill. Frs.; die Staatsschuld 2 680 848 Pfd. St. äußere und 65 Mill. Bolivares innere. Das stehende Heer besteht aus 4000 Mann in 11 Bataillonen in 20 Garnisonen, die Nationalgarde aus 250000 Mann. Im ganzen haben sich die Zustände V.s in den letzten 20 Jahren gebessert. Hauptstadt ist Caracas (s. d.). Größere Städte sind Valencia [* 21] (s. d.), Maracaibo (s. d.), Barquisimeto (s. d.).
Seit 1893 zerfällt Venezuela in einen Bundesdistrikt mit der Hauptstadt, acht Staaten, acht Territorien und zwei Kolonien. In kirchlicher Beziehung wird Venezuela in das Erzbistum Caracas und die Bistümer Merida, Barquisimeto, Calabozo und Guayana eingeteilt. Jeder Staat hat einen Präsidenten, eine Senatoren- und Repräsentantenkammer, eigene Gerichte, ein eigenes Budget. Die Staaten beschicken den Kongreß mit je drei Senatoren und je einem Abgeordneten für 35000 Bewohner. Der Präsident und Vicepräsident werden auf vier Jahre gewählt.
Der Unterricht hat sich in den letzten Jahrzehnten gebessert; doch sind noch drei Viertel der
Bevölkerung
Analphabeten.
Außer der
Universität
Caracas und einer Art
Akademie in Merida bestanden 1891 22
Staats- und mehrere andere Kollegien
und 1566 staatliche Primärschulen, letztere jedoch vielfach nur auf dem Papier. Außerdem giebt es einige Fachschulen.
Das Wappen
ist ein geteilter Schild.
[* 22] Im ersten roten Felde der obern Hälfte ist eine Garbe, im zweiten goldenen
eine Waffentrophäe; in der untern blauen Hälfte ist ein springendes silbernes Roß. Überhöht ist
das Wappen von 7 goldenen
Sternen und zwei Füllhörnern; das
Spruchband hat die Devise: Libertad, 19 Abril 1810, 5 de Julio 1811. Die
Flagge ist horizontal gestreift:
Gelb mit dem Wappen
schild,
Blau mit sieben
Sternen und
Rot. (S.
Tafel:
Flaggen
[* 23] der Seestaaten,
beim
Artikel
Flaggen.) - An
Orden
[* 24] besteht das
Brustbild Bolivars (s. d.) in 5
Klassen und der
Verdienstorden (gestiftet 1861) in 3
Klassen.
[* 1] ^[Abb.]
Geschichte. Venezuela wurde schon 1498 von Columbus auf seiner dritten Reise entdeckt; dauernde Ansiedelungen wurden von den Spaniern jedoch erst um 1520 angelegt; bald darauf übertrug Karl Venezuela der Familie Welser einen Teil des Landes als Lehn. Seit 1546 bildete Venezuela die Generalkapitanie von Caracas. Nachdem schon 1806 ein Aufstand unter ¶
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Miranda niedergeschlagen war, erhob sich Venezuela 1811 von neuem gegen die span. Herrschaft und erklärte seine Unabhängigkeit. Es war nach blutigen Kämpfen unter Miranda und Bolivar (s. d.) gegen die Spanier seit 1821 ein Bestandteil der Föderativrepublik Columbia [* 26] (s. d.) bis zum wo sich diese definitiv in drei selbständige Freistaaten Venezuela, Neugranada und Ecuador auflöste. Die ersten Präsidenten waren: José Antonio Paëz (s. d.), seit 1835 Vargas, seit 1830 abermals Paëz, seit 1843 Carlos Soublette.
Unter diesem wurde eine Reform der Verfassung bewirkt und durch den Madrider Vertrag vom die Unabhängigkeit der Republik Venezuela von Spanien [* 27] anerkannt. Seit 1846 entstand ein Rassenkrieg zwischen der weißen und der farbigen Bevölkerung, infolgedessen Tadco Monágas Präsident ward. Dieser erregte durch schlechte Verwaltung große Unzufriedenheit und übergab nach Ablauf [* 28] seiner Periode die Präsidentschaft seinem Bruder José Gregorio Monágas, der sie 1855 wiederum seinem Bruder überlieferte.
Dieser brachte eine neue Staatsverfassung zu stande, die verkündigt wurde; aber bald brach eine Bewegung aus, die Monágas zur Abdankung nötigte. General Castro übernahm provisorisch die Präsidentschaft und berief einen «großen Nationalkonvent» zusammen. Aus dieser Versammlung ging die Verfassung vom hervor, die verkündet wurde. General Juliano Castro wurde zum Präsidenten gewählt, aber schon im August gestürzt und durch Pedro Gual ersetzt.
Der im April 1860 eröffnete Kongreß proklamierte Manuel Felipe Tovar zum Präsidenten. Im Aug. 1860 begannen jedoch neue Unruhen der Föderalisten, und da Tovar von seiner eigenen Partei aufgegeben wurde, übernahm der alte Paëz Ende Aug. 1801 die Präsidentschaft mit diktatorischer Gewalt, legte sie aber zu Gunsten Juan Chrisostomo Falcons nieder, den die Repräsentanten zum provisorischen Präsidenten proklamierten. Gegen diese Wahl erklärte sich General Leon de Febres Cordcro und organisierte eine Gegenregierung.
Doch behielt Falcon die Oberhand und berief zum 10. Dez. einen konstituierenden Kongreß, der eine neue föderalistische Verfassung beschloß, auf Grund deren Falcon abermals zum Präsidenten gewählt wurde. Im Okt. 1867 brachen bei Caracas ernste Unruhen aus; bemächtigten sich die Insurgenten Caracas' und schlug General Monágas die Anhänger Falcons, der schon früber aus dem Lande geflohen war, bei Puerto-Cabello. Bei der 18. Okt. stattfindenden Präsidentenwahl erhielt Monágas die Majorität, starb aber schon 18. Nov.; die Wahl fiel darauf auf seinen Sohn José Ruperto Monágas, der sich indessen als höchst unfähig erwies.
General Antonio Guzman (s. d.) Blanco setzte 1870 eine neue Revolution in Scene, nahm 27. April nach dreitägigem Kampfe Caracas und ließ sich durch einen nach Valencia einberufenen Kongreß zum provisorischen Präsidenten wählen. Im Aug. 1871 kam es in verschiedenen Staaten aufs neue zu heftigen Parteikämpfen, doch schlug Guzman Blanco die Aufrührer bei San Fernando de Apure aufs Haupt und besiegte 1872 den General Salazar. Hierdurch erlangte d!e Revolution vorläufig ihren Abschluß, und Guzman wurde 1873 auf weitere vier Jahre zum Präsidenten gewählt.
Während dieser Zeit geschah viel für Handel und Verkehr sowie für Kunst und Wissenschaft, so daß sich der Wohlstand des Landes merklich hob. Durch Dekret des Kongresses vom wurden alle Klöster des Landes aufgehoben. 1877 wurde der General Linares-Alcantara zum Präsidenten gewählt, starb aber im folgenden Jahre. Sein Tod war das Signal zu einem neuen Bürgerkriege, indem Guzman Blanco die Regierung von neuem an sich riß und 1881 eine Verfassungsänderung durchsetzte, die die Rechte der Einzelstaaten zu Gunsten der Centralgewalt wesentlich beschränkte. In dieser Stellung verharrte er bis zum Ihm folgte General Joaquin Crespo, ein Indianer, der bis zum im Amte verblieb. Zu seinem Nachfolger wurde abermals Guzman Blanco erwählt, der jedoch schon Aug. 1887 zu Gunsten Lopez' zurücktrat. Neue Parteikämpfe nötigten diesen ebenfalls schon im folgenden Jahre abzudanken, worauf Rojas Paul zum Präsidenten gewählt wurde. Ihm folgte Andueza Palacio. Dieser suchte die Dauer der Präsidentschaft von zwei ans vier Jahre zu verlängern und blieb auch, obgleich diese Frage beim Ablauf seines Termins noch nicht geregelt war, im Amte; dagegen erhob sich die Partei der sog. Legalisten, an deren Spitze der General Crespo trat.
Ein Bürgerkrieg brach aus, in dem Crespo den Präsidenten Palacio vertrieb, so daß er 6. Okt. in Caracas einziehen konnte. Er schaltete zunächst als Diktator und erließ eine neue Verfassung, auf Grund deren er auf vier Jahre zum Präsidenten gewählt wurde. Ein Grenzstreit mit Großbritannien, [* 29] der bereits mehrere Jahrzehnte schwebt, nahm im J. 1895 eine bedrohliche Gestalt für an. Die Engländer beanspruchen nämlich das ganze Stromgebiet des Essequibo als zu Britisch-Guayana gehörig und hatten schon 1840 durch den Ingenieur Schomburgk einseitig die Grenze in diesem Sinne feststellen lassen.
Dagegen erhoben die Venezuelaner, die den Essequibo selbst als Grenze angesehen wissen wollen, Protest, da ihnen auf diese Weise ein etwa 180000 qkm großes Gebiet und die Herrschaft über die Orinocomündung entzogen wurde. Mehrfache Verhandlungen führten zu keinem Resultat, England rückte vielmehr seine Grenze noch weiter nach Westen vor, und endlich griff Venezuela zur Selbsthilfe, indem Jan. 1895 venezuel. Soldaten einige engl. Posten in dem streitigen Gebiet überfielen und engl. Beamte gefangen nahmen; zwar ließen sie sie auf die energische Forderung Englands wieder frei, zu einer weitern Genugthuung und zur Anerkennung der engl. Gebietsansprüche ließ sich Venezuela trotz eines engl. Ultimatums jedoch nicht herbei, da es sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten [* 30] sicher wußte, die Aug. 1895 die Einsetzung eines Schiedsgerichts in Vorschlag brachten. Da England diesen Vorschlag ablehnte, setzten die Vereinigten Staaten aus eigener Machtvollkommenheit eine parlamentarische Kommission zur Feststellung der Grenzlinie ein. Unter diesen Umständen sah England von einem gewaltsamen Vorgehen gegen Venezuela ab und verstand sich sogar zu einem Vertrage, wonach zur Entscheidung der Grenzfrage eine aus fünf Mitgliedern bestehende Kommission eingesetzt werden soll, von denen je zwei von England und Amerika [* 31] gewählt werden, während das fünfte durch Kooptation ernannt wird.
Litteratur. Spence, The land of Bolivar (2 Bde., Lond. 1878);
Jenny de Tallenay, Souvenirs de Venezuela ¶