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Noch aber hatte die attische Bühne nicht aufgehört, die Grundformen der christlichen zu bestimmen. Die drei Zugänge hatten sich zu drei Durchsichten von prächtiger röm. Architektur erweitert, deren wandelbare Ferne, namentlich die der mittlern, fort und fort die dekorative Ortsbestimmung [* 2] übernahm. Auch die Emporbühne der Galerien und Balkone war noch nicht verschwunden. Die großen Rollwände oder der teilbare Vorhang, welcher die Hinterbühne verhüllte oder plötzlich eröffnete, bot Gelegenheit zur Entfaltung glänzender dekorativer Effekte.
In dem ital. Operntheater des 17. und 18. Jahrh. wurden außer dem Proscenium, der architektonischen Umrahmung des Bühnenraums, seitliche Coulissen (s. d.) aufgestellt, die nach hinten vorrückend durch einen Hintergrund abgeschlossen wurden. Der Bühnenraum erhielt dadurch eine außerordentliche Vertiefung, so daß sich sowohl für größere Schauspielermengen als für Maschinerie genügender Platz bot. Berühmt waren namentlich die venezianischen [* 3] in San Crisostomo war z. B. die Bühne gegen 20 m breit und 23 m tief.
Die ital. Maler, namentlich der Bologneser Schule, verstanden es, durch Coulissen und Versetzstücke auf der Bühne großartige Raumwirkungen zu erzeugen, die an sich schon eine Sehenswürdigkeit boten. Durch ital. Meister ausgebildet, errichteten deutsche Architekten in den «Stadeln» die scenia di comedia zu Ulm, [* 4] Augsburg, [* 5] Nürnberg [* 6] u. s. w. Aber dies deutsche Theater des 17. Jahrh. benutzte eine «Scena oder Brucken», welches der modernen flachen Bühne gleicht. Sie hat Vorhänge, ein hinter 6 Fuß hoher Wand verstecktes Orchester, prismatische Seitencoulissen und hinter dem teilbaren «hintern Rahmen» (Rückwand) einen offenen «Graben» bekommen, von wo aus, wie bei den modernen mechanischen Theater, bewegliche Erscheinungen, Schiffe, [* 7] Seeungeheuer u. s. w. von unten her auf Rollen [* 8] fahrend bewegt werden. Ferner hat sie seitlich durch die Coulissen gedeckte Hebwerke, sowie noch heute das Flugwerk im Oberammergauer Spiel, auf dem der Engel auf und nieder schwebt, der Heiland gen Himmel [* 9] fährt; sie hat Obermaschinerie («Zwerchbalken») mit kunstreicher, durch wassergefüllte Glaskugeln verschärfter Ober-, Unter- und Seitenbeleuchtung u. s. w.
Die Ansprüche an die ergänzende Phantasie des Publikums wurden geringer; man suchte dem Beschauer die scenischen, meist phantastischen Vorgänge durch mechan. Bühneneinrichtungen vorzuführen. In den Opern und Jesuitenspielen hat sich die Erfindungskraft 100 Jahre lang an den reichsten architektonisch oft sehr bemerkenswerten Dekorationen sowie an den verwickeltsten Mechanismen versucht. So entstand im Laufe des 18. Jahrh. die Bühne mit darunterliegendem Keller, der sog. Untermaschinerie in 2-4 übereinanderliegenden Abteilungen, mit Freifahrten, Schlitzen, Versenkungen, Klappen im Bühnenpodium, welches meist schräg nach vorn abfallend ausgeführt wurde, mit einem hohen Aufbau und darüber befindlichen Schnürboden zum Emporziehen der Soffiten, d. h. derjenigen Dekorationsstücke, die den Bühnenraum nach oben abschließen und aus senkrecht hängenden, nach den Principien der Theaterperspektive (s. d.) bemalten Flächen bestehen, ferner mit Maschinengalerien längs der Seitenwände und vielen dieselben oberhalb verbindenden Brücken. [* 10] Diese Räume waren angefüllt mit Vorrichtungen zur Bewegung der Dekorationen und Personen und mit Beleuchtungskörpern.
Die künstlerische Gestaltung des modernen Theater wurde zuerst in Italien [* 11] versucht, wo Palladio (s. d.) im Teatro Olimpico zu Vicenza äußerst geistvoll sich bemühte, die antike Einrichtung wieder aufzunehmen, indem er ein mit drei Thoren sich öffnendes prachtvolles Scenenhaus und von diesem aus fünf nach hinten sich verengende Gaffen in Reliefperspektive [* 12] errichtete. Die Zuschauer saßen auf steil aufsteigenden, im Flachbogen gebildeten Stufen. Das Teatro Farnese in Parma [* 13] (von Alcotti 1618) ist schon in einen oblongen Saal eingebaut, dessen eine Hälfte durch ein Proscenium abgeteilt wurde, während die andere hufeisenförmig drei Ränge umgeben. Das Theater hinter den Uffizien zu Florenz [* 14] von Buontalenti (geb. 1536, gest. 1608) und seinen Schülern Giulio Parigi und Migliori brachte die Bühneneinrichtung auf jene Höhe, die die zeitgenössische Oper zu fordern begann.
Berühmt waren im 18. Jahrh. die Theater zu Venedig, [* 15] bei welchen die Versenkungen, plötzlichen Verwandlungen, Wechsel der Prospekte zuerst zu vollendeter Durchführung kamen. Giacomo Torelli (geb. 1608, gest. 1678), Francesco Guitti (baute 1638 das Theater zu Ferrara), [* 16] Micchetti glänzten als Baumeister sowohl wie als Maler von Dekorationen. In Bologna entwickelte sich darauf die Schule der Theaterbaumeister, welche im 18. Jahrh. fast alle Bühnen Europas beherrschte. So errichteten Tomaso Giusti 1686 das Theater zu Hannover, [* 17] Francesco Saturini das zu München; [* 18] Alessandro und Girolamo Mauro, namentlich aber die gefeierte Familie Galli Bibiena (s. d.) brachten das System zur Blüte. [* 19]
Der Zuschauerraum war in den von den Italienern gebauten Theater (Teatro reale zu Mantua [* 20] von Galuzzi, zu Prag [* 21] von Giuseppe G. Bibiena, Teatro Manzoni zu Pistoja, Communale zu Bologna [1756-63], Pergola zu Florenz von Antonio G. Bibiena und zahlreichen andern) meist hufeisenförmig im Grundriß behandelt. Der Hof [* 22] saß im Parterre, die erste Reihe Logen war für die Hofdamen, die obern für die meist geladenen Zuschauer bestimmt. Das Proscenium war bereits in moderner Weise ausgestaltet, die Bühne sehr geräumig.
Großartig und bisher nicht wieder erreicht war die scenische Einrichtung, in der phantastische Architekturen die Hauptrolle spielten. Auch nach Frankreich, England, Spanien, [* 23] Rußland brachten Italiener die Bauart ihrer Theater; die alte Comédie française im Faubourg St. Germain baute aber 1687 François Dorbay (gest. 1697). Auch hier waren schon die Logen in drei Ränge verteilt, der hintere stark erhöhte Teil des Parterre aber für Stehplätze eingerichtet. Das bescheidene Proscenium ragte weit in den Saal hinein, weil auf beiden Seiten der Bühne die bancs du théâtre standen, bevorzugte Sitzreihen, die für die Schauspieler selbst auf der Bühne nur 5 m frei ließen. Die Opernhäuser im Louvre, in Versailles [* 24] waren dagegen ganz nach ital. Weise eingerichtet. In der Mitte des 18. Jahrh. begann das Theater dem Klassicismus und mit diesem größerer Einfachheit und Strenge sich zuzuneigen. Francesco Scipione Maffei (s. d.) führte diesen Geschmack zuerst am Teatro Filarmonico zu Verona [* 25] durch, Giovanni Nicolo Servandoni (geb. 1695, gest. 1766) und sein Lehrer Giovanni Paolo Panini (geb. 1691, gest. 1765) brachten ihn in Paris, [* 26] Dresden, [* 27] London [* 28] und damit in der ganzen Welt zum Siege, namentlich in Hinsicht auf die scenische Einrichtung; das neue Theater zu Versailles (1770 von Gabriel) zeigt ihn bereits vollkommen durchgeführt. (Vgl. Gurlitt, Geschichte ¶
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des Barockstils, Stuttg. 1886-88.) Als Typus des ital. Operntheaters kann das völlig erhaltene Theater zu Bayreuth [* 30] (von Giuseppe Galli Bibiena, geb. 1696, gest. 1757 zu Berlin, [* 31] erbaut 1747), das Opernhaus zu Berlin (1741-43 erbaut von G. von Knobelsdorff) und das Residenztheater zu München (1760 von Cuvillier) gelten. Die neuere, auch im Innern antikisierende Bauweise zeigt sich im Théâtre de l'Odeon (1782 erbaut von Wailly und Peyre). Seitdem hat der Fortschritt im Theaterbau [* 32] in der bessern Ausgestaltung der Nebenräume und Treppen [* 33] bestanden.
Die Reihe der deutschen Theaterbauten des laufenden Jahrhunderts eröffnete München mit dem 1811-18 von C. von Fischer errichteten Hoftheater, Berlin mit dem 1819-21 entstandenen Schauspielhaus (von Schinkel, s. Tafel: Berliner [* 34] Bauten II, [* 29] Fig. 2), und das Mainzer Theater, 1829-33 von Möller erbaut. Diesen Hauptwerken schlossen sich vor der Revolution noch die Hoftheater in Stuttgart, [* 35] in Hannover (von Laves 1845-52) und Dresden (von Semper 1838-41, 1869 abgebrannt) an. Das Streben der Architekten dieser Bauten, namentlich Möllers und Sempers, war, das Wesen des Baues, seine innere Gestaltung zur Geltung zu bringen, während Fischer und Schinkel dieses noch hinter tempelartigen Fronten versteckten.
Auch Langhans that letzteres noch bei dem 1864-68 errichteten Neuen Theater zu Leipzig. [* 36] Seither haben fast alle größern Städte neue und wohleingerichtete Theater erhalten. Die berühmtesten Neubauten sind folgende: Stadttheater zu Riga [* 37] (1860-63, von L. Bohnstedt, 1882 abgebrannt, der Zuschauerraum erleuchtet durch hinter der aus mattem Glas [* 38] gebildeten Decke [* 39] versteckte Gasflammen; antikisierender Stil), das Hofopernhaus zu Wien [* 40] (1861-69, von van der Nüll und Siccardsburg, in franz. Renaissance, mit großartigem Treppenhaus, 3000 Sitzplätzen, vortrefflichen Ventilationseinrichtungen, Kosten: etwa 12 Mill. M.), das Opernhaus zu Frankfurt [* 41] a. M. (1880 eröffnet, ital. Renaissance, von Lucä, mit sehr breitem Proscenium, mächtigem Treppenhaus und Foyer, 2000 Sitzplätzen, Kosten: 5¼ Mill. M.; s. Tafel: Theater II, [* 29] Fig. 2), das neue Hoftheater zu Dresden, (1878 eröffnet, von G. Semper, ital. Hochrenaissance, mit zwei großartigen Treppenhäusern und sie verbindendem Foyer, mächtiger Exedra als Haupteingang, 1700 Sitzplätzen, Kosten: 4,2 Mill. M.), das Hofburgtheater zu Wien (1888 eröffnet, von G. Semper und K. von Hasenauer, mit noch weiter ausgedehnten seitlichen Treppenhäusern; s. Taf. II, [* 29] Fig. 1), das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth (nach Wagners und Karl Brandts Angaben von O. Brückwald erbaut; es hat keine Ränge, sondern 31 konzentrische, amphitheatralisch aufsteigende Sitzreihen mit 1500 Sitzplätzen, keine Seitenlogen, sondern coulissenartige Seitenwände, ferner ein unsichtbares, stufenweise bis unter einen Teil der Bühne absteigendes Orchester), das Volkstheater zu Worms [* 42] (nach Angaben von Fr. Schön, erbaut von O. March, 1889 eröffnet, mit kleiner, weit sich vorbauender, der antiken verwandter Bühne, Emporen an der Rückseite des runden Zuschauerraums, bestimmt für die Mitwirkung großer, teilweise auf einer Sängerbühne aufgestellter Menschenmengen), das Opernhaus zu Budapest [* 43] (1875-84 von Nik. Ybl erbaut; s. Taf. II, [* 29] Fig. 3, und Grundriß Taf. I, [* 29] Fig. 4), das Neue Theater zu Wiesbaden [* 44] (1892-94 von Fellner und Helmer erbaut; s. Taf. II, [* 29] Fig. 4).
Die französischen Theater waren im Anfang des Jahrhunderts den deutschen entschieden überlegen. Jetzt nimmt unter ihnen die Große Oper (Opernhaus) in Paris den ersten Rang ein. Erbaut 1863-74 von Ch. Garnier, bedeckt sie einen Raum von 11 237 qm, hat für 2150 Zuschauer Raum. Großartig ist die Raumentfaltung im Treppenhaus, Festsaal, Foyer; das Ganze sollte die Pracht des zweiten Kaiserreichs in ihrer Vollendung zeigen (s. Tafel: Pariser Bauten, [* 29] Fig. 3). Berühmt ist die Comédie française, die 1782 ihren jetzigen Bau am Palais-Royal bezog.
Die übrigen neuern Pariser Theater sind meist mit großem Geschmack eingerichtet, doch übertreffen sie nicht das, was in Deutschland [* 45] in diesem Fach geleistet wird. Die Franzosen räumen das Parterre nur den Herren ein, Damen nehmen in den Logen und Rängen Platz. Großartige Theater finden sich auch in Bordeaux [* 46] (Grand Théâtre, 1871 Sitz der Nationalversammlung, 1770-80 erbaut von Louis), Lyon [* 47] (Grand Théâtre, 1817-30 von Chevanart und de Pollet erbaut, 2000 Sitzplätze; Théâtre de Bellecour, eröffnet 1879, 2800 Zuschauer, von Jules Chatron), Marseille [* 48] (Grand Théâtre, 1786 erbaut nach dem Vorbild des Odéon zu Paris, 1900 Sitzplätze) u. a. m. Die italienischen Theater, die größten der Welt, stammen meist noch aus dem vorigen Jahrhundert.
Berühmt sind namentlich die Scala zu Mailand [* 49] (1777 von Piermarini in klassischem Stil erbaut, 6 Logenreihen mit 240 Logen, 3000 Sitzplätzen), Teatro Malibran (17. Jahrh.) und Teatro Fenice (1789 erbaut von Selva, 1836 von Meduna verbessert) in Venedig, Teatro Carlo Felice in Genua [* 50] (1826 von Barabino), Teatro Pagliano zu Florenz (1854 für 4000 Zuschauer erbaut von Buonajuti), Teatro San Carlo (1737 von Medrano und Carasale erbaut, 1777 von F. Fuga erneuert, 6 Ränge, 192 Logen, mächtige Bühne) und zahlreiche andere, die meist weniger durch die Schönheit der Architektur als durch Größe und geschickte Raumverteilung wirken. Eine besondere, durch das Klima begünstigte Form sind die offenen Theater (Teatro Politeama), z. B. in Florenz (von Buonajuti), dessen Parterre auch als Cirkus [* 51] zu verwenden ist.
Die englischen Theater zeichnen sich nur zum Teil durch schöne Architektur, oft aber mehr durch sehr geschickte Raumausnutzung aus. So sind die an der Straße Strand in London gelegenen meist so an einen Abhang gebaut, daß man von der höher gelegenen Straße aus direkt den zweiten Rang betritt (z. B. im Savoy Theatre). Das größte unter den Londoner Theatern ist Covent Garden Theatre, 1858 von Borry für 3500 Zuschauer erbaut. Das älteste ist Her Majesty's Theatre (Haymarket), welches der Architekt und Lustspieldichter Vanbrugh 1705 errichtete, Nash und Repton 1816-18 vergrößerten.
Unter den 34 größeren weitern Theater von London sind viele sehenswert, einzelne neue sogar glänzend eingerichtet. Ebenso finden sich in allen größern Städten Großbritanniens trefflich eingerichtete Bühnen. An Kunstwert stehen sie aber den deutschen und französischen nach. Diesen entspricht das große Opernhaus (Kongl. Stora Teatera) in Stockholm, [* 52] 1775-82 von Adelcrantz für 1500 Zuschauer erbaut, ferner das sehr bedeutende königliche Theater zu Kopenhagen [* 53] (1874 von Petersen und Dahlerup im Renaissancestil erbaut). Hervorragend sind die Theater Belgiens, vorzugsweise Brüssels, wo das Théâtre de la Monnaie, 1817 von Damesne in klassischem, das Edentheater in neuerer Zeit von Kühnen in phantastisch reichem Stil durchgebildet wurde. In Antwerpen [* 54] sind das Théâtre royal (1834) und das ¶