Bernardo, ital. Dichter, geb. zu
Venedig,
[* 2] aus altadligem Geschlecht, studierte in
Padua,
[* 3] stand im Dienste
[* 4] des
GrafenGuido Rangone, dann in dem der Herzogin Renata von
Este und wurde 1532 Sekretär
[* 5] des Ferrante Sanseverino, Fürsten
von Salerno. Er ehelichte 1536 die schöne und geistreiche Porziade' Rossi, zog sich 1539 nach
Sorrento
zurück, teilte seit 1550 mit seinem Herrn das Los der
Verbannung, lebte seit 1554 in
Rom,
[* 6] dann am
Hofe von
Urbino, in
Venedig,
ward 1563 Sekretär des
Herzogs Wilhelm von Mantua
[* 7] und starb als Gouverneur von
Ostiglia.
Sein Hauptwerk ist «L'Amadigi» (Vened.
1560; 4 Bde.,
Bergamo 1755 u. ö.),
romantisches Epos in 100
Gesängen nach dem span. Prosaroman
«Amadis de Gaula», eine ziemlich
unglückliche Nachahmung
Ariostos in bombastischem
Stil. Für die polit. und litterar. Geschichte seiner Zeit sind seine «Lettere»
(beste Ausg.von Seghezzi und Serassi, 3 Bde.,Padua 1733-51) wichtig. Seine übrigenSchriften («I tre
libri degli amori», Vened. 1555; «Rime, Odi
e Salmi», 2 Bde., ebd. 1560; neuere Ausg.
der «Rime» von Serassi, 2 Bde.,
Bergamo 1749; «Il Floridante», Mantua 1587) sind vergessen. «Lettere
inedite di B. Tasso» gaben
Campori
(Bologna 1869, mit
Biographie) und Portioli (Mantua 1871) heraus.
Torquato, ital. Dichter, Sohn des vorigen, geb. zu
Sorrento, wurde von den
Jesuiten in Neapel,
[* 8]
Rom,
Bergamo und
Pesaro (hier mit dem Sohn des
Herzogs von
Urbino) erzogen, hielt sich
mit seinem
Vater ein Jahr lang in
Venedigauf und ging 16 J. alt nach
Padua, um dieRechte zu studieren. Seine
Neigung zog ihn unwiderstehlich zur
Poesie. Im
Alter von 17 J. trat er mit einem epischen Gedicht in 12
Gesängen: «Rinaldo»
(Vened. 1562), hervor, das Beifall gewann. Tasso verweilte einige Zeit an der
UniversitätBologna, wo er gegen 1563 sein Epos
von der Eroberung
Jerusalems zu entwerfen begann, kehrte 1564 nach
Padua zurück, um auf Einladung Scipione
Gonzagas in die
Akademie der «Eterei» einzutreten, und setzte seine philos.
Studien, besonders
Platos, fort. 1565 trat er in den Dienst des Kardinals Luigi von
Este und nahm seinen dauernden Aufenthalt
in Ferrara,
[* 9] gewann bald auch die Gunst vonHerzog Alfonso II. und dessen beiden Schwestern, Lucrezia,
spätern Herzogin von
Urbino, und Leonore, und nahm, von ihnen ermuntert, die
Arbeit an seinem Epos auf. Ende 1570 reiste er
im Gefolge des Kardinals wieder nach
Frankreich, aber mit der Behandlung unzufrieden, verließ er dessen Dienst und trat,
nach kurzem Aufenthalt in
Rom, 1572 in den des
Herzogs selbst. 1573 verfaßte er für die Aufführung bei
Hofe das Schäferspiel «Aminta», die glänzendste Leistung, welche
diese dramat. Gattung hervorgebracht hat. 1575 las Tasso den letzten
Gesang seines großen Gedichts dem
Herzog vor, dessen Familie
darin in der Gestalt Rinaldos von
Este verherrlicht war.
Aber er hielt es noch nicht für vollendet, begann die Durchsicht mit
Beratung von Freunden und angesehenen Litteraten, die
zwei Jahre dauerte und niemals beendet wurde. In Ferrara
stand er in hoher Gunst; aber er fühlte sich am
Hofe bald nicht mehr
wohl; melancholisch und reizbar von Natur, glaubte er sich allenthalben von
Intriguen der Neider umgarnt.
Er trat in geheime Unterhandlung mit den Medici, ging nach
Rom, wo er ganz den
Studien und der Verbesserung seines Werkes leben
wollte, und kam 1576 nach Ferrara zurück, mit der
Absicht, sich
baldigst wieder zu entfernen. Er fühlte, daß seine
Stellung unhaltbar geworden sei.
Dazu kamen Gewissenszweifel und der
Wahn, daß er
vor derInquisition angeklagt sei. Diese Aufregung machte sich Luft;
er warf in den Gemächern der Herzogin von
Urbino, während er mit ihr von den Verfolgungen seiner Feinde sprach, ein
Messer
[* 10] nach einem
Diener. Der
Herzog ließ ihn verhaften, gab ihm aber bald die
Freiheit mit der
Bedingung, daß
er sich ärztlicher Behandlung unterziehe. Er ging zum
Inquisitor in Ferrara und ward absolviert, dann mit dem
Herzog nach
dessen Villa Belriguardo; aber ihm entstanden neue Zweifel, ob die
Absolution gültig sei.
Mit Erlaubnis des
Herzogs nahm er Wohnung im Franziskanerkloster zu Ferrara. Es war ein
Anzeichen
von
Geistesstörung, daß er in dem
Wahn, man trachte ihm nach dem Leben, 20. Juli von hier entfloh. Durch abgelegene Gegenden
gelangte er verkleidet mit großen Mühsalen zu seiner Schwester nach
Sorrento. Durch die Sorgfalt ihrer Pflege begann
er die innere Ruhe wieder zu erlangen.
Bald bereute er die Flucht und wendete sich an den
Herzog und die Prinzessinnen, um
ihr Wohlwollen wieder zu erlangen. Er ging auch zurück; aber sein altes Übel kehrte wieder, und er entwich zum zweitenmal.
Vergebens suchte er in Mantua,
Padua undVenedig Zuflucht; auch in
Urbino und
Turin,
[* 11] wo er die beste
Aufnahme
fand, verließ ihn seine
Unruhe nicht. Er sehnte sich nach Ferrara zurück und hielt die nochmalige Vermählung des
Herzogs
mit Margareta Gonzaga für den schicklichsten Zeitpunkt der Rückkehr. Bei der Ankunft sah er sich jedoch bitter getäuscht;
er glaubte sich zurückgesetzt, ja gemieden.
Laut ergoß er sich in Schmähungen gegen Alfonso und dessen
Hof,
[* 12] so daß der
Herzog im März 1579 ihn in das
Annen-Hospital bringen und als einen Irrsinnigen verwahren ließ.
Dies Vorgehen hat die unerwiesene Behauptung veranlaßt, Tasso habe durch seine Liebe zur Prinzessin Leonore die Ehre
des herzogl. Hauses verletzt.
Goethe hat dies benutzt, indem er in seinem «Tasso» das Verhältnis
des Dichters zum
Hofe zu Ferrara vom Standpunkte eines tiefern psychol.
Konflikts aus dramatisch behandelte. Der wirkliche
Wahnsinn, der den Dichter, wenigstens von Zeit zu Zeit, ergriff, und sein unzurechnungsfähiges Betragen sind mehr als
hinreichend, Alfonsos Maßregeln zu erklären, der ihn nie als Verbrecher, sondern nur als Gemütskranken
behandelte.
T.s Zustand wechselte oft. Er fand auch jetzt ruhige Augenblicke, in denen er sich bald in herrlichen Versen, bald in philos.
Betrachtungen aussprach. Ein neuer
Schlag für ihn war die Nachricht, daß sein Gedicht «Gerusalemme liberata»
ungenau und verstümmelt zu
Venedig im Druck erschienen sei (1580; verbesserte Ausg., Parma
[* 13] 1581). Inzwischen hatte Tasso die
mächtigsten
Personen aufgeboten, um zu seinen Gunsten zu vermitteln, und endlich überließ Alfonso im Juli 1586 auf dringendes
Bitten den Dichter nach mehr als siebenjähriger Haft seinem Schwager, Vincenzo Gonzaga, der ihn so zu
bewachen versprach, daß Alsonso nie etwas von ihm zu befürchten habe. In Mantua fand Tasso die freundlichste
Aufnahme; hier
vollendete er den von seinem
Vater begonnenen «Floridante» und arbeitete sein
Trauerspiel «Torrismondo» von neuem um. 1587 besuchte
er
Bergamo und wendete sich nach
Rom, wo er von Scipione Gonzaga und mehrern Prälaten so aufgenommen wurde,
daß er neue Hoffnungen faßte. Allein
¶
mehr
nichts ging in Erfüllung, und er begab sich 1588 nach Neapel, um den vergeblichen Versuch zu machen, das eingezogene Vermögen
seiner Eltern zu erhalten. Hier beschäftigte er sich mit einer gänzlichen Umarbeitung seines großen Gedichts, kehrte nach
Rom zurück und lebte eine Zeit in Florenz,
[* 15] Mantua und Neapel, immer unstet und unruhig, sich und andern
mißtrauend, krank und arm. Die Umarbeitung seines Werkes «Gerusalemma conquistata»
(1593 gedruckt) und die Dichtung «Le
[* 16] sette giornate del mondo creato» entstanden in dieser
unglücklichen Zeit. Da fand er einen neuen Gönner.
Kardinal Cinzio Aldobrandini, Neffe Clemens' VIII., bewog ihn nach Rom zu kommen, um die feierliche Dichterkrönung
auf dem Kapitol zu empfangen. Im Nov. 1594 langte an; man verschob aber die Feierlichkeit bis zum Frühjahr. Während des Winters
schwand seine Gesundheit mehr und mehr. Er fühlte sein nahes Ende und ließ sich in das Hieronymitenkloster Sant' Onofrio
auf dem Janiculum bringen, wo er an einem Fieber starb und in der Kirche des Klosters bestattet
wurde. Der Kardinal Bevilacqua von Ferrara ließ ihm ein Denkmal setzen; ein glänzenderes wurde unter Pius IX. von De Fabris
über seinem Grabe aufgeführt. Seine Vaterstadt Bergamo hat ihm ein Standbild errichtet.
Mit der «Gerusalemme liberata» gedachte Tasso ein
wahres Epos nach den strengen Regeln der Kunst zu schaffen, wählte daher einen würdigen und ernsten histor. Stoff, den ersten
Kreuzzug, der in den Zeiten der kath. Reaktion und der Türkenkriege mit den Empfindungen der Gegenwart eng
verknüpft schien und dabei auch das Ideal des Rittertums in sich darstellte. Indessen, um dem größern
Publikum zu gefallen, verband er damit episodisch die Elemente des Romans, phantastische Geschichten von Liebe und Zauberei.
Allein die Religiosität der Zeit war abstrakt, ohne lebendiges Gefühl, das die Dichtung beseelen konnte, und dazu war die
Nachahmung der Alten, die Befolgung der ihnen entnommenen Regeln eine Fessel, die alle freiere Bewegung
hemmte. So ist von T.s großen Gedichten nicht eigentlich das Epos, sondern der episodische romantische Teil lebendig und
anziehend geblieben. Nicht sein Gottfried, sondern Tancred, Clorinda, Erminia und vor allen die schöne Zauberin Armida sind
seine unvergeßlichen Schöpfungen, alle erfüllt von seinem eigenen Geiste, von seiner zu Herzen gehenden
Melancholie.
Seine lyrischen Gedichte sind vielfach Gelegenheitsverse, Lobpreisungen, Galanterien, manche allerdings von großer Anmut,
«Aminta» ist ein reizendes, zartes Idyll; ganz mißlungen ist die Tragödie «Trismondo». Die zahlreichen Dialoge in Prosa
suchen Plato nachzuahmen, leiden aber an Breite
[* 17] und Schwerfälligkeit. Die Rosinische Ausgabe von T.s Werken
(33 Bde., Pisa
[* 18] 1821-31) ist die vollständigste, sehr brauchbar
die Mailänder der «Opere scelte» (5 Bde., 1823-25). Kritische Ausgaben von «Gerusalemme liberata» besorgten Orelli (Zur. 1838),
Scartazzini (Lpz. 1871; 2. Aufl. 1882) und Spagnotti (Mail.
1895),
die besten deutschen ÜbersetzungenGries (14. Aufl., 2 Bde., Berl.
1880; auch in Reclams «Universalbibliothek») und Streckfuß (4. Aufl., 2 Bde.,
Halle
[* 19] 1847). «L'Aminta e rime scelte» wurden herausgegeben von Orlandini
(Flor. 1862),
«Il Rinaldo e l'Aminta» von Mazzoni (ebd. 1884),
«I dialoghi» von Guasti (3 Bde.,
ebd. 1858-59),
«Le prose diverse» von demselben (2 Bde.,
ebd. 1875). «Auserlesene lyrische Gedichte» übersetzte
K. Förster (2. Aufl., Lpz. 1844).
Eine vollständige chronol. Ausgabe seiner sehr wichtigen Briefe lieferte Guasti l5 Bde.,
Flor. 1853-55),
mit wertvollen Abhandlungen über Tasso. Die von Graf M. Alberti herausgegebenen «Manoscritti inediti di Tasso Tasso» (Lucca
[* 20] 1837) sind unecht. - T.s Leben wurde von vielen beschrieben; so von G. Manso (Neap.
1619), am vollständigsten von P. A. Serassi (Rom 1785; neue Aufl., von Guasti, Flor. 1858).
Vgl. ferner Ranke, Zur Geschichte
der ital. Poesie (Berl. 1837);