am freiesten vor dem Einzelrichter. An die mit der Urteilverkündung schließende Hauptverhandlung der ersten Instanz kann
sich, wenn die mit dem
Urteil unzufriedenen Beteiligten ein Rechtsmittel einlegen, ein weiteres
Verfahren in höherer Instanz
anschließen. Dasselbe umfaßt entweder den ganzen Prozeßstoff
(Appellation,
Berufung) oder nur die Rechtsfrage (Nichtigkeitsbeschwerde,
Revision). LetztereBeschränkung tritt insbesondere da ein, wo in erster Instanz Laien erkannt haben
(s.
Berufung).
Ist gegen das verurteilende Erkenntnis kein Rechtsmittel eingelegt oder zulässig, so folgt der
Strafvollzug (s. d.). In diesen
Hauptzügen stimmen die Österr. Strafprozeßordnung vom und die mit dem Gerichtsverfassungsgesetz vom am ins
Leben getretene Deutsche
[* 2] Strafprozeßordnung vom überein. Während indes erstere neben strengerer Durchführung
des
Anklageprincips bei größerer Einheitlichkeit der Strafgerichtsverfassung ein gleichmäßigeres Rechtsmittelsystem hat,
leidet die Deutsche Strafprozeßordnung vermöge der doppelten Gestalt der Laienbeteiligung (s.
Schwurgericht und Schöffengericht) an einem verschieden ausgebildeten Rechtsmittelsystem: gegen Schöffenurteile
Berufung und Revision, gegen
Strafkammer- und Schwurgerichtsurteile nur Revision.
Daran knüpfen sich fortdauernde Reformbestrebungen,
welche teils nach Einführung der
Berufung gegen Strafkammerurteile, teils nach Ersetzung der Schwurgerichte durch Schöffengerichte
streben. Erstere sind der Verwirklichung näher. Die diesbezügliche
Vorlage an den
Reichstag, die auf eine
Beschleunigung des
S. abzielte, scheiterte im Dez. 1896 nur an der Frage der Richterzahl der
Strafkammern in erster Instanz.
Litteratur, über den frühern gemein-deutschen S. vgl. Mittermaier,
DeutschesStrafverfahren (2
Tle., Heidelb. 1840-45);
Zachariä, Handbuch des deutschen
S. (2 Bde., ebd. 1861-68): über das deutsche
Strafprozeßrecht seit 1877: von Holtzendorff, Handbuch des Strafprozeßrechts (2 Bde.,
Berl. 1877-79);
Glaser, Handbuch des S. (Bd. 1
u. 2, Lpz. 1883
u. 1885);
Geyer, Lehrbuch des gemeinen Strafprozeßrechts (ebd.
1880);
Stenglein, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Stuttg. 1887);
Hellweg, Der Reichsstrafprozeß (4. Aufl., Berl.
1890);
John, Das deutsche Strafprozeßrecht in Holtzendorffs
«Encyklopädie der Rechtswissenschaft)),
Tl. 1 (5. Aufl. 1890); Binding, Grundriß des deutschen Strafprozeßrechts (3. Aufl., Lpz.
1892); Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts (Freib. i. Br. 1892); E.
Ullmann, Lehrbuch des deutschen S.
(Münch.
1893), und die Kommentare der Strafprozeßordnung, vornehmlich von Löwe (9. Aufl., Berl.
1897), Stenglein (3. Aufl.,
Münch. 1897) und John
(Erlangen
[* 3] 1884 fg.); auf die Österr. Strafprozeßordnung
von 1873: die Kommentare von Mayer
(Wien
[* 4] 1878-84) und Riehl (ebd. 1884) und
Ullmann, Lehrbuch des österr. Strafprozeßrechts
(2. Aufl., Innsbr. 1882); Rulf,
Österreichischer S. (2. Aufl., Lpz. 1888).
früher Kriminalrecht oder Peinliches
Recht genannt, im objektiven
Sinne der
Inbegriff
derjenigen Rechtssätze, durch welche die Ausübung des staatlichen S. begrenzt und sein
Bestand festgestellt wird; im subjektiven
Sinne das
Recht zu strafen. In letzterm
Sinne kommt es
an sich auch einzelnen
Personen
zu: dem
Vater,
Lehrer, Lehrherrn (Züchtigungsrecht),
Beamten, der Geistlichkeit (Disciplinarstrafrecht). Aber wenn von S. ohne weiteres die Rede ist,
so wird darunter das S. des
Staates verstanden. Dies S. hat es, im Gegensatz zum bürgerlichen (Civil-)Recht, mit dem strafbaren
Unrecht im Gegensatz zum Civilunrecht (s.
Arglist und Delikt) zu thun. Der Gesetzgeber kann nicht jedes Unrecht strafen;
Strafe
tritt nur da ein, wo der Zwang des Civilgesetzes zur Niederhaltung des Unrechts nicht ausreicht. Die
Grenzen
[* 5] des S. sind keine absoluten; sie sind andere bei andern Kulturverhältnissen und Volksanschauungen.
Die Untersuchung der Frage, woher dem
Staate das
Recht kommt, über seine
Angehörigen bei gewissen Handlungen
Strafen in Form
von empfindlichen Übeln zu verhängen, hat zu der
Aufstellung von sog.
Strafrechtstheorien (s. d.) geführt.
Ein staatliches S. existiert in den Anfängen menschlicher Kultur so wenig wie der
Begriff«Staat» im heutigen
Sinne. Das S.
ruht bei den Blutsverbänden, welche dasselbe nicht nur ihren
Angehörigen, sondern auch denjenigen gegenüber in
Anspruch
nehmen, welche an ihren
Angehörigen gefrevelt haben.
Dies
Recht ist vielfach von theokratischen
Anschauungen beeinflußt, von dem
Gedanken, daß die Gottheit durch den Frevel beleidigt
sei, daß der Getötete keine Ruhe habe, bis der auf ihm lastende
Bann durch rächende
Vergeltung gelöst ist. Aus dieser
Anschauung
wird das
Recht zu strafen zu einer Pflicht (Blutrache, s. d.).
Dieser Zustand enthielt den
Keim zu ständiger
Fehde zwischen den beteiligten Volksgemeinschaften. Die damit verbundenen Übelstände
führten zu gewissen Vereinbarungen mit Einschränkungen des unbedingten Racherechts: Flucht,
Asyl,
Loskauf, Sühnegeld. An
Stelle des vereinbarten Sühnegeldes trat, je intensiver die Gefährdung des öffentlichen Friedens durch die Übelthat
war, die von den interessierten größern Volksgemeinschaften auferlegte
Buße
(Komposition), und damit
sind die Anfänge gerichtlicher Intervention und staatlicher
Strafe gegeben, die zwar anfangs noch die Bedeutung einer Privatstrafe
zu Gunsten des Verletzten hat, allmählich aber durch die öffentliche
Strafe verdrängt wird. In
Deutschland
[* 6] war die
Anschauung,
daß das
Deutsche Reich das röm. Kaisertum fortsetze, und die staatsrechtliche,
unerträgliche Zersplitterung von erheblichem Einfluß einerseits auf die Behandlung des römischen, für die ethischen
Anschauungen
deutscher Nation wenig geeigneten S., andererseits auf die Ausbildung einer geordneten
Strafgesetzgebung (s. d.).
ÜberInternationales
Strafrecht s. d. -
Vgl. von
Bar, Handbuch des S. (Bd. 1, Berl.
1882);
ders., Grundriß des gemeinen deutschen S. (Bd. 1, 5. Aufl.,
ebd. 1897);
Merkel, Lehrbuch des deutschen S. (Stuttg. 1889);
ders.,
Über den Zusammenhang zwischen der
Entwicklung des
S.
und der Gesamtentwicklung der öffentlichen Zustände (Straßb. 1889);
Brunner,
Quellen und Geschichte des deutschen
Rechts,
und Geyer und Merkel, Strafrecht (in von Holtzendorffs
«Encyklopädie der Rechtswissenschaft», Lpz. 1890);
Berner, Lehrbuch des deutschen S. (17. Aufl., ebd. 1895);
von
Liszt, Lehrbuch des deutschen S. (8. Aufl., Berl. 1897);
Stintzing,
Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft
(Münch. und Lpz. 1880
u. 1884);