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Fort Preußen, [* 2] Torney, Grünhof und Westend (früher Friedrichshof), die seit Aufhebung der Festung [* 3] (1873) besonders nach der Stadt zu weiter ausgebaut sind. Über die Oder führen vier Brücken, [* 4] darunter eine eiserne Eisenbahnbrücke, über die Parnitz drei Brücken, darunter zwei eiserne Eisenbahnbrücken.
Bauten. Das Königs- (s. Tafel: Thore II, [* 1] Fig. 3) und das Berliner [* 5] Thor, um 1730 aus Sandstein erbaut, sind erhalten. Am Königsplatz steht eine Bronzenachbildung des 1793 von den pommerschen Ständen errichteten Standbildes Friedrichs d. Gr. von Schadow, dessen Original aus Marmor sich im Landhause befindet; vor dem Theater [* 6] das 1848 errichtete Standbild Friedrich Wilhelms III. in Marmor von Drake, vor dem Königsthor das Denkmal des 1831 verstorbenen Oberpräsidenten Sack und an der Kreuzung des Parade- und Königsplatzes das Denkmal Kaiser Wilhelms I. in Bronze [* 7] und Tiroler Marmor von Hilgers.
Die Stadt hat sieben evang. Kirchen, darunter die St. Peter- und Paulskirche, die älteste Kirche Pommerns, 1124 auf Veranlassung des Bischofs Otto von Bamberg [* 8] für die zum Christentum bekehrten Wenden angelegt und mehrmals wieder aufgebaut, mit Resten älterer Steinbildhauerei, und die große got. Jakobikirche, 1187 von dem Ritter Beringer aus Bamberg errichtet und im 18. Jahrh. neu aufgebaut, eine neue kath. Kirche, altluth., Baptistenkapelle und schöne Synagoge (1873). Von weltlichen Gebäuden sind zu nennen: das königl. Schloß, jetzt Sitz von Behörden, 1346 vom Herzog Barnim III. gegründet, 1575-77 in ital. Stil neu erbaut und später erweitert, das alte Rathaus, 1245 vom Herzog Barnim I. erbaut, das neue Rathaus (1879), die Börse (1832-34), Johanniskloster (Asyl), Waisenhaus, Konzert- und Vereinshaus (1884), Arsenal oder Artilleriezeughaus, früher Kirche (1336) des ehemaligen St. Marien-Nonnenklosters und der Schweizer-, vormals Loytzenhof, mit Façade aus dem 16. Jahrh.
Bevölkerung. [* 9] S. hatte 1867: 73 714, 1880: 91 756, 1885: 99 543, 1890: 116 228, 1895: 140 724 (67 982 männl., 72 742 weibl.) E., d. i. eine Zunahme seit 1890 von 24 496 Personen oder 21,08 Proz., darunter 130 704 Evangelische, 5628 Katholiken, 1542 andere Christen und 2850 Israeliten. Rechnet man zu der Einwohnerzahl von 1890 noch diejenige der umliegenden Ortschaften, welche durch wirtschaftliche Interessen mit S. verbunden sind, nämlich Bredow (13 541 E.), Grabow (15 784), Züllchow (7017), Nemitz (3194) und Frauendorf (3009), so ergiebt sich für Groß-Stettin eine Gesamteinwohnerzahl von rund 183 300 E. Die Zahl der Geburten betrug 1896: 5122 (darunter 153 Totgeburten), der Eheschließungen 1254, der Sterbefälle 3600. In Garnison liegen das Grenadierregiment König Friedrich Wilhelm IV. (1. pommersches) Nr. 2, Infanterieregiment Nr. 148, Stab, [* 10] die 1. bis 3. Abteilung des 1. pommerschen Feldartillerieregiments Nr. 2 und das Pionierbataillon Nr. 17.
Verwaltung. Die Stadt wird verwaltet von einem Oberbürgermeister (Geh. Regierungsrat Haken, 18000 M.), einem Bürgermeister (Giesebrecht, 10 450 M.), 20 Magistratsmitgliedern (9 besoldeten) und 63 Stadtverordneten. Ferner besteht eine königl. Polizeidirektion, Berufsfeuerwehr von 100 Mann, darunter 25 Mann der Packhofsfeuerwehr, eine Gasanstalt, ein Wasserwerk, Kanalisation und ein Schlacht- und Viehhof. Der Haushaltplan (1897/98) weist eine Einnahme und Ausgabe von 16 080 931 M. nach; unter den Ausgaben sind 1 945 691 M. für Schulverwaltung und 777 157 M. für Armen- und Wohlthätigkeitspflege.
Die direkten Steuern betragen 34 Proz. der ordentlichen Einnahmen (114 Proz. Zuschlag zur Einkommen- und 171 Proz. zur Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer). Es besteht eine städtische Sparkasse, mehrere andere Spar- und Vorschußvereine, ein Leihhaus, 26 Orts-, 18 Betriebs- (Fabrik-), 3 Innungskrankenkassen und 30 Innungen; für wohlthätige Zwecke eine Anstalt für Blödsinnige, ein Taubstummeninstitut, eine Blinden- und Hebammenanstalt, ein städtisches und ein Privatkrankenhaus (Bethanien) u. a.
Behörden. S. ist Sitz des Oberpräsidenten, der königl. Regierung, des Landratsamtes des Kreises Randow, eines Oberlandesgerichts (Landgerichte Köslin, [* 11] Greifswald, [* 12] Stargard, [* 13] S., Stolp), [* 14] Landgerichts mit einer Kammer für Handelssachen und 15 Amtsgerichten (Alt-Damm, Bahn, Cammin in Pommern, [* 15] Fiddichow, Gartz a. O., Greifenhagen, Neuwarp, Pasewalk, [* 16] Penkun, Pölitz, Stepenitz, S., Swinemünde, Ückermünde, Wollin), eines Amtsgerichts, zweier Gewerbegerichte (für Stadtkreis S. und Kreis [* 17] Randow), eines Seeamtes, Seemannsamtes, Katasteramtes, zweier Hauptsteuerämter, einer Oberpostdirektion, königl. preuß. Eisenbahndirektion, zahlreicher Konsulate, einer Reichsbankhauptstelle sowie des Generalkommandos des 2. Armeekorps, der Kommandos der 3. Division, der 5., 6. und 74. Infanterie-, 3. Kavallerie-, 2. Feldartillerie- und 2. Gendarmeriebrigade, der 2. Artilleriedepotinspektion, eines Artilleridepots und Bezirkskommandos.
Unterrichts- und Bildungswesen. Die Stadt hat ein königl. Seminar für gelehrte Schulen, Marienstiftsgymnasium, Stadtgymnasium, König Wilhelmsgymnasium, Realgymnasium (Friedrich-Wilhelmsschule), städtisches Schiller-Realgymnasium, eine städtische höhere Mädchenschule (Kaiserin-Auguste-Victoria-Schule), private mittlere und höhere Mädchenschulen, 4 städtische Mittel- und 25 Gemeindeschulen. Die 1824 gestiftete Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde hat eine bedeutende Bibliothek und ein reichhaltiges Museum im Schloß; ebendaselbst befindet sich auch das Staatsarchiv; das Pommersche Museum enthält natur- und kulturhistor. Sammlungen, das Stadtmuseum Gemälde, Kupferstiche und Skulpturen. Das Stadttheater ist 1846 von der Kaufmannschaft erbaut und 1892 von der Stadt erworben worden.
Industrie und Handel. S. ist die wichtigste Fabrikstadt Pommerns. Bedeutend ist die Maschinenfabrikation und der Schiffbau (Stettiner Maschinenbau-Aktiengesellschaft «Vulcan», s. d., in Bredow, Oderwerke, Stettiner Maschinenfabrik und Schiffsbauwerft Aktiengesellschaft, vormals Möller & Holberg zu Grabow), die Zuckerfabrikation (Pommersche Provinzial-Zuckersiederei, Mescheriner und Bredower Zuckerfabrik, Neue Stettiner Zuckersiederei), die Fabrikation von Chemikalien und Portlandcement (Aktiengesellschaft der chem. Produktenfabrik Pommerensdorf, Union, Verein für chem. Industrie, Stettiner Superphosphat- und Chemikalienfabrik, Portlandcementfabrik «Stern», Stettiner Portlandcementfabrik, Stettin-Bredower Portlandcementfabrik, «Mercur» Portlandcement- und Thonwarenfabrik, Pommerscher Industrieverein, Stettiner Chamottefabrik),
die Papierfabrikation [* 18] (Papierstoff-Aktiengesellschaft Altdamm bei S., Pommersche ¶
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Papierfabrik «Hohenkrug»),
die Mühlenwerke (Stettiner Walzmühle, Dampfmühlen-Aktiengesellschaft),
Brauereien (Bergschloßbrauerei, Brauerei-Aktiengesellschaft «Elysium») u. a. S. ist Sitz der 3. Sektionen der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-, der Ziegelei-Berufsgenossenschaft und der Berufsgenossenschaft der Schornsteinfegermeister des Deutschen Reichs, der 4. Sektion der Brennerei-, der 5. der See- und der 6. der Fuhrwerks-Berufsgenossenschaft, ferner Sitz der Pommerschen land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Hauptartikel der Ausfuhr sind Holz, [* 20] Kartoffeln, Rohzucker und Cement, der Einfuhr Steinkohlen, Eisen, [* 21] Petroleum, Kolonialwaren, Wein und namentlich Heringe.
Die Einfuhr zur See betrug 1896: 2 049 224 t, die Ausfuhr 676 461 t. Der Handel wird unterstützt durch eine Reichsbankhauptstelle, die Vorsteher der Kaufmannschaft, welche die Stelle einer Handelskammer vertreten, zahlreiche Versicherungs- und Dampfschiffahrtsgesellschaften, darunter die Lebensversicherungsgesellschaft «Germania», [* 22] die Preußische Nationalversicherungsgesellschaft, die See- und Flußversicherungsgesellschaften " Pommerania», «Union», Stettiner und Norddeutsche Versicherungsgesellschaft, Neue Dampfer-Compagnie, Pommersche Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Dampfschiffahrtssellschaften «Kurland», [* 23] «Arnold», «Braeunlich» u. a.
Verkehrswesen. Der Bau des einen der beiden projektierten Hafenkanäle von 1200 m Länge und 100 m Breite [* 24] nebst vorliegendem Wendebassin von 230 m Breite hat (und zwar auf Kosten der Stadt, die zunächst 16, im ganzen 30 Mill. M. für die neuen Hafenanlagen vorgesehen hat) begonnen und ist (1897) nahezu vollendet. Die anschließenden Wasserstraßen im Bezirk von S. haben ebenfalls bedeutende Verbesserungen erfahren (s. Oder). Die Reederei umfaßte an größern Seeschiffen 1895: 52 Segelschiffe mit 6941 und 90 Dampfschiffe mit 34 647 Registertons. Die Stadt S. erhält auf den Mölnwiesen einen Freihafenbezirk. 1895 kamen im Seeverkehr an (gingen aus) 4159 (4163) Schiffe [* 25] mit 1 335 664 (1 339 262) Registertons, im Flußverkehr 12 041 (12 073) Kähne mit 1 574 057 (1 575 686) t Laderaum. Regelmäßige Dampferverbindungen über Swinemünde bestehen mit Neuyork, [* 26] Frankreich, Spanien, [* 27] den Mittelmeerhäfen und allen bedeutenden Plätzen der Nord- und Ostsee.
S. liegt an den Eisenbahnlinien S.-Strasburg (60,2 km), S.-Stargard-Danzig (368 km), S.-Cüstrin-Breslau (352,5 km) und Berlin-S. (134,7 km) der Preuß. Staatsbahnen [* 28] und hat ein Postamt erster Klasse mit vier Zweigstellen, ein Telegraphenamt erster Klasse mit Zweigstelle (Börse), drei Stadtpostanstalten, ein Postamt zweiter Klasse (Stettin-Neutorney) und ein Postamt dritter Klasse (Stettin-Pommerensdorf), sämtlich mit Telegraph, [* 29] ein Fernsprechamt und elektrische Straßenbahn in der Stadt und nach Grabow.
Geschichte. S., lat. Stetinum, erst später auch Sedinum genannt, soll ehemals ein wend. Fischerdorf gewesen sein und erst nach dem Niedergange der Stadt Julin (Wollin), etwa um 830, eine größere Bedeutung erlangt haben. 1124 wurden die ersten Stettiner durch Bischof Otto von Bamberg getauft, der hier zwei Kirchen erbaute. Ende des 12. Jahrh. begann die Einwanderung von Deutschen, namentlich aus Niedersachsen. 1295 wurde S. der Sitz eines Zweiges des pommerschen Fürstenhauses, in dem Herzog Otto I. die stettinische Linie begründete, die 1464 ausstarb, worauf das Land wieder vereinigt wurde. Im Dez. 1570 wurde in S. durch Vermittlung des Kaisers Maximilian II. ein Friede zwischen Dänemark [* 30] und Schweden [* 31] geschlossen, der den Dreikronenkrieg (s. d.) beendigte.
Der Handel S.s entwickelte sich schon im Mittelalter, wo es Mitglied der Hansa wurde. Nach dem Aussterben der pommerschen Herzöge mit Bogislaw XIV. (1637) fiel S. durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges im Westfälischen Frieden an Schweden, statt vertragsmäßig an Brandenburg [* 32] (s. Pommern, Geschichte). Der Große Kurfürst belagerte S. seit Juli 1677 und eroberte die Stadt mußte sie aber 1679 wieder aufgeben. Im Nordischen Krieg wurde S. von den Russen unter Menschikow erobert und 9. Okt. an Preußen überlassen; 1720 wurde es im Frieden von Stockholm [* 33] definitiv an Preußen abgetreten. Vom bis war es von den Franzosen besetzt. S. ist der Geburtsort der Kaiserin Katharina II. von Rußland.
Vgl. Berghaus, Geschichte der Stadt S. (2 Bde., Wriezen 1875-76);
Th. Schmidt, Zur Geschichte des Handels und der Schiffahrt S.s 1786-1846 (ebd. 1875);
W. H. Meyer, S. in alter und neuer Zeit (Stett. 1887);
ders., S.s Aktiengesellschaften (ebd. 1889);
Wörl, Führer durch S. (4. Aufl., Würzb. 1890).