und
Stottern,
Ausdrücke, die im gemeinen Leben häufig irrtümlich als gleichbedeutend gebraucht werden, aber
zwei wohl unterschiedene
Klassen von
Sprachfehlern bezeichnen.
(Balbuties,Dysarthria literalis) heißt das
Unvermögen, einzelne oder mehrere zusammenhängende
Laute richtig
auszusprechen oder zu artikulieren. Je größer die Anzahl dieser
Laute ist, desto mehr leidet die
Sprache
[* 4] dabei,
und während der niedrigste
Grad des Stammelns, das sog. Anstoßen mit der
Zunge, kaum auffällt, ist der höchste, das Lallen
(Lallatio), kaum noch Sprechen zu nennen. In vielen dieser Fälle können namentlich die
Konsonanten und unter diesen wieder
das
s, r und l gar nicht oder nur mit Anstrengung richtig ausgesprochen werden.
Die
Ursache dieses
Sprachfehlers liegt häufig in organischen
Abnormitäten der Sprachwerkzeuge, z. B. Hasenscharte, Wolfsrachen,
Öffnungen im
Gaumen,
Mangel des
Zäpfchens,
Fehlern der
Zähne,
[* 5] der
Zunge, des Zungenbändchens, bisweilen auch in unrichtigem
Gebrauche der genannten Organe, verursacht durch Schwäche,
Lähmung und
Krampf infolge allgemeiner
Nervenkrankheiten,
Anomalien
im
Gehirn
[* 6] oder Rückenmark, oder lediglich durch Nachahmung und daraus folgender Angewöhnung. Dazu
geneigt ist das
Kindes- und Greisenalter aus leicht begreiflichen
Gründen, allein auch schweres
Gehör
[* 7] und
Geistesschwäche
geben eine
Disposition dazu. Hinsichtlich der Behandlung ist außer der Beseitigung der ursächlichen
Momente noch eine länger
fortgesetzte sprachgymnastische Behandlung erforderlich.
Stottern (Ischophonia, Dysarthria syllabaris) nennt man das momentane
Unvermögen, ein Wort oder eine
Silbe
auszusprechen, das durch einen nicht nur die
Sprachorgane, sondern auch die Atmungswerkzeuge ergreifenden
Krampf veranlaßt
wird. Der Stotternde pflegt, wenn er bei einer
Silbe Anstoß findet, die unmittelbar vorhergehenden
Laute öfter zu wiederholen
oder unartikulierte
Töne einzuschieben, oder die
Stimme versagt ihm für einige Zeit gänzlich. Namentlich
ist es der Anschluß der
Vokale und
Konsonanten, der dem Stotternden sehr große Anstrengung kostet.
Häufig tritt das
Stottern zurück oder verschwindet momentan, wenn der Stotterer singt oder mit Pathos deklamiert und dadurch
seine
Befangenheit verliert. Das
Stottern hängt bald von körperlichen, bald von psychischen
Ursachen und
besonders von einer eingeschränkten Gewalt des Willens über die Bewegungsnerven der
Zunge und ihrer
Muskeln
[* 8] ab. Außerdem
können auch
Vererbung der
Anlage, schlechtes
Beispiel und üble Erziehung Schuld an diesem
Sprachfehler tragen.
Das
Stottern ist ein sehr verbreitetes Übel,
Klencke rechnet einen Stotterer auf 600
Menschen; Frauen stottern
seltener als
Männer. Bei der Behandlung des
Stotterns wird zwar umsichtige Bekämpfung der entferntern
Ursachen und Herbeiführung
aller
Bedingungen, die erfahrungsgemäß diesen
Sprachfehler vermindern, einen guten
Grund zur Besserung legen; vor allem aber
ist eine methodische Gymnastik der
Atmungs- und Sprachwerkzeuge, sowie
Übung in ungewohnten
Stellungen und
schnellen
Bewegungen der
Zunge als eine ganz unerläßliche Vorbedingung der
Heilung zu erwähnen.
Dieses schon den Alten
(Demosthenes) bekannte
Verfahren erfuhr durch Mad. Leigh in Neuyork
[* 9] eine systematische Ausbildung und
Anwendung, die von ihrer Erfinderin sowie von den Gebrüdern Malebouche, die es nach
Frankreich und
Holland, und von Charlier,
der es nach
Deutschland
[* 10] brachte, anfangs geheimgehalten, später aber bekannt geworden, durch Schultheß,
Bansmann und
Otto bedeutend verbessert wurde. Am besten wird die Behandlung des
Stotterns in eigens für Stotterer eingerichteten
Anstalten unter Leitung sachverständiger
Ärzte ausgeführt.
Geschlechtsgüter, im weitern
Sinne von den
Vorfahren ererbte Grundstücke oder
Güter, die in der Familie
vererbt werden und bei welchen der Eigentümer in der freien
Veräußerung durch die
Rechte der nächsten
Erben überhaupt oder doch gewisser
Erben beschränkt ist. In diesem weitern
Sinne werden (bürgerliche) Erbgüter und S. im
engern
Sinne zusammen S. genannt. Erbgüter, welche vorzugsweise für Nichtadlige vorkommen, sind solche
Güter, bei welchen
die Verfügungsbeschränkung zu Gunsten der gesetzlichen
Erben ohne Unterschied des Geschlechts besteht; die Erbgüter unterliegen
auch der regelmäßigen Erbfolge.
Die S. im engern
Sinne, welche ausschließlich (mit seltenen Ausnahmen) dem
Adel gehören, pflegen nur auf männliche Nachfolger
überzugehen; die Veräußerungsbeschränkung besteht lediglich zu Gunsten der
Söhnebez.
Agnaten. Der hohe
Adel strebte dahin,
die ererbten
Güter den
Söhnen zu erhalten und dadurch der Familie die polit. und sociale
Stellung zu sichern.
Einige Zeit hindurch ließ man die
Töchter auf das Stammgut verzichten; später halfen Familienverträge oder Hausgesetze
nach, welche die
Nachfolge der
Söhne festsetzten oder bestimmten, daß ausgestattete
Töchter verzichten müßten.
Bei der Reichsritterschaft wurde es zu einer durch
Statuten gesicherten Observanz, daß die
Töchter bis
auf den ledigen
Anfall zu verzichten hätten. Für den landsässigen
Adel bildete sich ein entsprechendes Gewohnheitsrecht,
mitunter sprachen auch Landesgesetze die
Ausschließung aller Frauen von der
Nachfolge in die S. aus. Zuweilen wird die Stammgutseigenschaft
als eine Eigenschaft des Gutes angesehen, welche demselben anhaftet, auch wenn die
Besitzer demAdel nicht
oder nicht mehr angehören. Wie weit die
Beschränkungen des jeweiligen Besitzers reichen, hängt von den für das einzelne
Stammgut maßgebenden rechtlichen Bestimmungen ab. Danach bestimmt sich auch, ob die
Güter teilbar sind oder Einzelnachfolge
stattfindet.
Die Zwecke des Stammguts im engern
Sinne sind hiernach im wesentlichen die gleichen wie bei den
¶
mehr
Familienfideïkommissen (s. d.). Doch steht das Stammgut im Eigentum des jedesmaligen
Besitzers, dessen Rechte nur eingeschränkt sind durch die Rechte der Söhne oder der zur Zeit der Verfügung lebenden Agnaten;
selbst die Substanz des Stammguts kann verschuldet und demgemäß das Stammgut Schulden halber veräußert werden. Nach der
Ansicht vieler besteht bei dem Stammgut nicht die Nachfolgeex pacto et providentia majorum, sondern die
regelmäßige Erbfolge.
Nicht selten ist es zweifelhaft, ob ein Stammgut oder ein Familienfideïkommißgut vorliegt. Auch treffen die vorstehend
angegebenen Unterscheidungen nach dem geltenden Recht nicht überall zu. Die Konkursordnung §. 45 und das Einführungsgesetz
hierzu, §. 5, sprechen von S., ohne eine Begriffsbestimmung beizufügen, ebenso Art. 59 und 218 des Einführungsgesetzes
zum neuen Bürgerl. Gesetzbuch, welche das Recht der S. landesrechtlicher Regelung überlassen. – Das BadischeLandrecht spricht
in Satz 577 ca. ‒ 577 co vom Familieneigentum oder Stammgut und umschreibt Stammgut als dasjenige Vermögen, welches zu Erhaltung
eines Namens und Stammes gesetzmäßig ausgeschieden ist, offenbar indem es Vorschriften über Familienfideïkommisse geben
will.
Das Preuß. Allg. Landrecht und das Sächs. Bürgerl. Gesetzbuch schweigen von S. – S. im engern Sinne kommen insbesondere
vor in Westfalen,
[* 14] in Hannover,
[* 15] in dem frühern Kurhessen, in Württemberg,
[* 16] in Hessen.
[* 17] In einem großen
Teile von Deutschland finden sich S. im engern Sinne nicht; in einzelnen Staaten, z. B. Oldenburg
[* 18] (Gesetz vom Art.
40), sind sie sogar ausdrücklich aufgehoben. –
Vgl. Neubauer, Zusammenstellung des in Deutschland geltenden Rechts, betreffend
S. (Berl. 1879), S. 1 fg.; Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts (2. Aufl., 5 Bde.,
ebd. 1882‒85), §. 320;Roth, System des deutschen Privatrechts (3 Bde., Tüb.
1880‒86), §. 330.