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an eine einzelne Klasse der Bevölkerung. [* 2] Die portugiesische, der provençalischen entstammende Hofdichtung war seit Alfons X. vereinzelt auch in Castilien gepflegt worden, aber stets in der fremden Sprache, [* 3] so unter Pedro I. von dem sagenberühmten Macias, zahlreicher unter Enrique II., vereinzelt bis unter Enrique III. Unter Juan I., seit 1379, tritt die castilische Sprache an die Stelle der fremden, und damit entfaltete sich zugleich eine erstaunliche Produktivität, die sich in den Sammlungen der Cancioneros (s. d.) nur bruchstückweise spiegelt.
Ihr Charakter ist wesentlich der gleiche: Gesellschaftsdichtung mit konventioneller Empfindung, affektiertem Liebesleid, Glossen, spitzfindige Fragen und Antworten, Schimpfgedichte, in künstlicher Mannigfaltigkeit der Strophe, des Reims [* 4] und Refrains, für ernstere Gegenstände anstatt der alten Cuaderna via die anspruchsvoll rasselnde Form der Arte mayor. Volkstümlicher bleiben nur die schon von Juan Ruiz gepflegten religiösen Lieder und Serranillas (Pastorellen).
Bald nach 1400 führte dann ein Sevillaner genuesischer Abstammung, Francisco Imperial, die sehr äußerlich Dante nacheifernde Allegorie ein, mit außerordentlichem Erfolg; Moral, Liebe, Trauer, Politik kleideten sich in das Gewand der Vision; wer sie pflegte, durfte sich poeta nennen. Auf die ältesten Trovadores, wie Lopez de Ayala, Pero Ferrus, Villasandino, folgen Hunderte und aber Hunderte von Namen: die Höfe von Castilien und Aragon bilden die großen, die Häuser des Hochadels kleinere Centren, neben den galanes de la corte beteiligen sich Geistliche, Mönche, niederster Adel, Schmarotzer aller Art, die oft genug die Kosten der Unterhaltung tragen müssen.
Den meist geringen poetischen, jedoch nicht unbedeutenden kulturhistor. Wert zeigt am besten der Cancionero de Baena in dem bunten Treiben am Hofe Juans II. (Vgl. Puymaigre, La Cour littéraire de Don Juan II, 2 Bde., Par. 1873.) Auf der Höhe der Bewegung treten zwei Persönlichkeiten besonders hervor, der Marques de Santillana und Juan de Mena. Jener, der gebildetste Mann seiner Zeit, ist graziös natürlich in seinen leichten Serranillas, gehaltvoll in mehrern seiner größern Dichtungen, der erste Spanier, der den poet.
Dialog ausgebildet und, wenn auch ohne Nachwirkung, das ital. Sonett und Horaz nachgeahmt hat; Mena, von Dante und Lucan bestimmt, gelehrt und überladen, verfolgt hochgesteckte Ziele mit verkehrten Mitteln. Unter den jüngern sind die namhaftesten zwei Verwandte Santillanas, Gomez Manrique («Cancionero de G. M.», 2 Bde., Madr. 1885), der über den zierlichen wie den ernsten Ton verfügt, und der formreine Jorge Manrique. Während der aragonesische Hof die [* 5] Schule nach Neapel [* 6] verpflanzte, übernahmen auch die Portugiesen die Modedichtung zurück in etwas veränderten Formen zugleich mit der castilischen Sprache.
Außerhalb der Hauptrichtungen stehen des Fernan Perez de Guzman gesund histor. «Loores de los Claros Varones de Castilla», seine, Santillanas und anderer Spruchdichtung, einzelne didaktisch-populäre Dichtungen mit Motiven der ältern Zeit, wie die anonyme «Danza de la muerte», zum Teil auch die polit. Satire, die seit Juan II. gehässig aufwächst. In vollem Gegensatz aber zu den Interessen des Hofes blühte in den niedern Schichten die Romanzendichtung; ihrem Ton verstand sich Rodriguez del Padron (um 1440) überraschend glücklich anzupassen (vgl. Zeitschrift für roman. Philologie, XVII, 544), und trotz der Verachtung Santillanas für diese Gattung war ihre Beliebtheit so stark, daß sie eine Anzahl der spätern Dichter höfisch travestierte oder glossierte. Mit der Hofpoesie berühren sich die Anfänge des Dramas.
Bedeutender als die Lyrik der vornehmen Kreise [* 7] ist ihre Geschichtschreibung. Lopez de Ayalas «Cronica de Don Pedro I» verbindet mit den äußerlichen Darstellungskünsten des Livius vertiefte Anschauung und abgestufte Sprache, und die Porträte, [* 8] die Perez de Guzman in seinen «Generaciones y semblanças» zeichnet, sind nach Form und Gehalt meisterhaft. Neben den Reichschroniken, unter welchen die von Juan II. noch besonders hervorzuheben ist, stehen die Geschichten einzelner Persönlichkeiten und Ereignisse und vergegenwärtigen eine glänzende, ziellose, adelsherrliche Kraftfülle, wie die «Cronica» von Don Alvaro de Luna, von Pero Niño, der «Passo honroso» des Suero de Quiñones.
Das Bildungsbedürfnis der höhern Schichten bethätigt sich in einer großen Anzahl von Übersetzungen: Seneca, Livius, Sallust, Virgil, Ovid, Lucan, Dante, die lat. Werke Boccaccios und Petrarcas und vieles andere, zum Teil nach ital. Zwischengliedern, in der Auswahl noch teilweise mittelalterlich gerichtet. Als Übersetzer oder Auftraggeber stehen die ersten Namen der Zeit voran, Ayala, Santillana, der Großmeister Heredia, der Bischof Alonso de Cartagena, der unglückliche Prinz Carlos de Viana. Dabei entwickelte sich, ähnlich wie in Frankreich, eine unerfreuliche Neigung zu Fremdwörtern und latinistischer Wortstellung, welche noch so ausgezeichnete Schöpfungen wie die «Celestina» beherrscht, oft ganz unerträglich wirkt, wie in der «Arte Cisoria» (Madr. 1879) und den «Trabajos de Hercules» des unrechtmäßig berühmten Enrique de Villena. Der «Amadis» fand in dieser Zeit, soweit wir wissen, keine Nachfolge, wohl aber stammen sicher noch daraus manche der populär gehaltenen Rittergeschichten (Volksbücher),
die das folgende Jahrhundert druckte, zum Teil in Italien [* 9] umgestaltete franz. Stoffe. Eigene Versuche in der Novelle, höfisch, empfindsam, doch nicht ohne Reiz, schließen sich an Boccaccios «Fiametta» an, so des Rodriguez del Padron «Siervo libre de Amor» («Obras de R. d. P.», Madr. 1884) und des Diego de San Pedro «Cárcel de Amor». Auch philosophische, moralische und selbst technische Themata werden allegorisch oder novellistisch eingekleidet, so in der «Vision delectable» des Alfonso de la Torre, in Juan de Lucenas «Vita Beata», in Juan de Flores' «Grisel y Mirabella».
Die originellste Behandlung aber erfuhr ein oft erörtertes Thema unter Don Juan II. in dem Buch des Erzpriesters von Talavera, Alfonso Martinez, «De los vicios de las malas mujeres», dessen ergötzliche Satire das Bindeglied zwischen dem Erzpriester von Hita und der «Celestina» darstellt. Die früher viel genannte Briefsammlung des angeblichen Cibdareal ist eine Fälschung des 17. Jahrh.; wie diese Stilart beschaffen war, zeigen einerseits die Einlagen des Tristan und Amadis, andererseits die kleine Sammlung des Chronisten Fernando del Pulgar. - Über die ganze Zeit vgl. Amador de los Rios, Historia critica de la literatura española, Bd. 4-7, und Menendez y Pelayo, Antologia de poetas liricos castellanos, Bd. 2-5.
Als dritte Periode ist die Hochblüte der castilischen Litteratur im 16. und 17. Jahrh. anzusetzen, ¶
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in welcher sich zunächst die Lyrik dem ital. und klassischen Muster zuwendete, dann der Roman und zuletzt das Drama selbständige europ. Bedeutung gewannen; zugleich die Zeit des höchsten polit. Aufschwungs. Die kraftvolle Regierung Isabellas der Katholischen und die weitere Entwicklung unter Karl V. und Philipp II. pflanzten dem Lande eine ausgesprochen militär. Denkweise ein. Mit ihr verband sich der engste Anschluß an die Kirche, die in Spanien [* 11] weniger verfallen war als im übrigen Europa [* 12] und die Siege der Nation teilte; weder Reformbewegung noch Paganismus konnten hier Boden finden. Ein streng soldatisches, kath., nationales Empfinden durchdrang die ganze Bevölkerung, und die Poesie, vor allem das Drama, ist der Ausdruck dieser geschlossenen Anschauungsweise, kräftig und eigenartig, wenn sie auch zuletzt in starrer Einseitigkeit erstirbt.
Am wenigsten originell ist die Lyrik. Zwar hat der kräftige Castillejo einzelne der höfischen Formen in der leichtern Dichtung noch ausschließlich gepflegt, und die nationale lyrisch-epische Romanze ward um die Mitte des 16. Jahrh. auch bei den Kunstdichtern außerordentlich beliebt. Aber maßgebend waren doch die Neuerungen Boscans, Garcilasos de la Vega und Mendozas, welche den Hendecasillabo (Elfsilbner), Sonett, Oktave, Terzine u. s. w. einbürgerten und den Wohlklang zum obersten Princip erhoben.
Von ihren unzähligen Nachfolgern mögen Cetina, Acuña, Gregorio Silvestre, Figueroa genannt sein; mehr nach Vollklang strebt der von dem Catalaner Ausias Marc beeinflußte Sevillaner Herrera und seine Nachfolger, wie Rioja, mehr nach Wohlklang die Salamantinische Schule, Luis Ponce de Leon, Francisco de la Torre Medrano; eng an Horaz schließen sich die beiden Argensola und ihr Schüler Villegas an. Unheilvoll für das 17. Jahrh. ward der Culteranismus Góngoras, der durch gesuchte Wortstellung und überreiche Bilderfülle den Eindruck der Tiefe und Neuheit hervorzurufen bemüht war, eine Manier, in die viele nach ihm, nur zu oft auch Calderon, verfallen sind. Wesentlich unter dem Einfluß Italiens, [* 13] Ariosts, ohne dessen Geist, und Tassos steht auch die epische Dichtung des Barahona de Soto, Lope de Vega, Balbuena u. a., und auch unter den Darstellungen zeitgenössischer Großthaten ist nur Ercilla y Zúñigas «La Araucana» nennenswert. Besser vertreten ist das komische Heldengedicht in Villaviciosas «Mosquea», Lope de Vegas «Gatomaquia».
Die Einführung des Buchdrucks (seit 1474) kam zunächst der Verbreitung des erneuerten Amadis (s. d.) zu statten. Die unendlichen Fortsetzungen und Nachahmungen, die Palmerine, Belianis, Sonnenritter (vgl. Gayangos, Libros de Caballerias, Madr. 1874), wurden um die Mitte des 16. Jahrh. in der Gunst wenigstens der höhern Lesewelt durch die Epen und mehr noch durch den Schäferroman verdrängt. Auch hier waren die Italiener vorausgegangen, aber ihrem nächsten Vorbild, Sannazaros «Arcadia», gegenüber besaß Montemayors «Diana» den Vorteil fortlaufender Erfindung und unfraglich auch höherer poet.
Begabung. Die letzte dieser halb lyrischen Verkleidungen persönlicher Erlebnisse erschien 1633; zu nennen ist neben Montemayor sein Fortsetzer Gil Polo, Cervantes' «Galatea», Lopes «Arcadia», Balbuenas «Siglo de oro» (vgl. Rennert, The spanish pastoral romances, Baltimore [* 14] 1892). Die scharfe Beobachtung des wirklichen Lebens, wie sie Juan Ruiz und der Erzpriester von Talavera zeigten, bethätigte sich in hervorragendster Weise in der «Celestina» (s. Rojas), die trotz ihrer dem lat. Buchdrama Italiens entstammenden Form dem Roman und nicht dem Schauspiel beizuzählen ist. Unter den vielfältigen Nachbildungen, in welchen fast immer die [* 10] Figur der Kupplerin im Mittelpunkt steht, mag die «Lonza andaluza» des Delgado (Madr. 1871) hervorgehoben sein.
Nahe mit dieser Gattung verwandt ist der Schelmenroman, der 1554 durch Mendozas «Lazarilo de Tormes» lebensvoll eingeleitet wird. Ihm folgten Cervantes' «Rinconete y Cortadillo», Alemans «Guzman de Alfarache», Lopez de Ubedas «Picara Justina», Quevedos «Gran [* 15] Tacaño»; verwandt sind die Sittenbilder in Espinels «Marcos de Obregon» und in den Erzählungen des Salas Barbadillo und Francisco Santos, verbunden mit dem phantastischen Element der «Sueños» Quevedos in Velez de Guevaras «Diablo cojuelo».
Eine ganz andere Richtung findet sich im 16. Jahrh. vertreten. Schon in einigen alten Traditionen und Romanzen hatte sich die poet. Teilnahme den besiegten Mauren zugewendet; ihr entfloß die anmutige, von Montemayor und Villegas modernisierte histor. Novelle vom Abencerragen und der schönen Jarifa, dann der histor. Roman des Perez de Hita. So hatte sich die Kunst der Erzählung an mannigfachen Vorwürfen geübt, als ihr größter und reichster Meister Cervantes auftrat. Nicht nur sein genialer «Don Quixote», auch die Musternovellen sind dauernde Vorbilder in der Weltlitteratur geworden. Die span. Nachkommen haben zunächst den realistischen Roman nicht weiter gepflegt, um so eifriger die Novelle, mit Vorliebe in der ital. Rahmenform. Neben den schon genannten Sittenmalern sind noch Tirso de Molina, Montalvan, Mariana de Carvajal und Maria de Zayas hervorzuheben.
Die ital. Tragödie, selbst eine unglückliche Nachahmung Senecas, hat in Spanien im 16. Jahrh. eine Anzahl von Nachahmungen hervorgerufen, so durch Bermudez, Rey de Artieda, Virues, Leonardo da Argensola, meist roh und alle bühnenwidrig, Eigenschaften, die auch der einzigen bedeutendem unter ihnen, der «Numancia» des Cervantes, anhafteten. Die Bühne entwickelte sich hier wie überall aus dem geistlichen Schauspiel, das dort, wo es zum erstenmal seit dem 13. Jahrh. wieder auftritt, bei Gomez Manrique sehr verkümmert erscheint, auch noch bei Encina und Lucas Fernandez höchst einfach bleibt, weit entfernt von der prunkvoll phantastischen Gestalt, die es nach Lope de Vega vor allem in Calderons Autos (s. d.) gewann.
Daneben ist ein lockerer, aber unverkennbarer Zusammenhang mit dem franz. Zwischenspiel zu bemerken, der auch in der Entlehnung der Benennungen Farsa und Jornada hervortritt. Reicher entwickelt sich die Farsa schon bei Torres Naharro, der einheimische mit franz. und ital. Anregungen kombinierte, und bei dem portug. Halbspanier Gil Vicente; aber beide sind steuerlos, sobald sie einen größern Stoff zu bewältigen suchen, ebenso wie 40 Jahre nach ihnen Rueda in den Comedias die Erwartungen bei weitem nicht erfüllt hat, welche seine witzigen, bretterfertigen Pasos erweckten. Einen Fortschritt zeigen in verschiedener Hinsicht Cepedas «Conmedia selvage», eine Theaterbearbeitung der «Celestina», Carvajals «Josefina» und Cuevas histor. Dramen; zur festen Form gelangte man aber erst, als im letzten Drittel des 16. Jahrh. Madrid, [* 16] ¶