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Sirenen
(grch. Seirenes), dämonische Wesen der griech. Mythologie, ursprünglich wohl den Harpyen, Erinnyen, [* 2] Keren, Empusen u. s. w. nahe verwandte Höllengeister, welche nach dem dämonistischen Volksglauben mittags erscheinen und die um diese Zeit Ruhenden im Schlafe peinigen oder morden (vgl. Crusius im «Philologus», Bd. 50, S. 93 fg., und Rohde, Psyche, Freib. i. Br. 1894, S. 373). In der Odyssee werden zwei S. erwähnt, die auf einer Insel im fernen Westen hausend die vorüberfahrenden Schiffer durch ihren bezaubernden Gesang anlocken und dann töten; Odysseus entgeht der Gefahr, indem er die Ohren seiner Gefährten mit Wachs verstopft, so daß sie nichts von den bezaubernden Tönen vernehmen, und sich selbst an den Mastbaum seines Schiffs festbinden läßt, um der schmeichlerischen ¶
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Lockung nicht folgen zu können. Dann treten sie, gewöhnlich drei an der Zahl, in der Sage vom Zuge der Argonauten und andern Sagen auf, mit verschiedenen Namen bezeichnet und an verschiedenen Stellen der Küste Italiens [* 4] lokalisiert. Die spätere Sage wußte zu berichten, daß sie, nachdem Odysseus (oder die Argonauten) ihnen entronnen seien, sich selbst ins Meer gestürzt hätten und in Klippen [* 5] verwandelt worden seien. Als ihr Vater wird gewöhnlich Acheloos, als ihre Mutter eine Muse genannt.
Ferner wurde erzählt, daß sie mit Persephone [* 6] Blumen gepflückt hätten, als diese von Pluton [* 7] geraubt wurde, und daß sie von den Musen [* 8] in einem Wettkampf des Gesangs besiegt und ihnen ihre Federn ausgerupft worden seien. In der Odyssee sowie auch in einzelnen Kunstwerken späterer Zeit erscheinen die S. als Jungfrauen ohne Flügel. In der nachhomerischen Litteratur und in ältern Kunstdarstellungen findet man sie als Vögel [* 9] mit Frauenköpfen; mit der Zeit erhalten sie mehr und mehr menschliche Gliedmaßen und Gestalt überhaupt und werden dann schließlich als Frauengestalten, nur mit Vogelklauen und Flügeln dargestellt. Auf Grabmälern stellten die Griechen oft das Bild einer Sirene [* 10] als Symbol des Todes auf. –
Vgl. Schrader, Die S. (Berl. 1868);
Bolte, De monumentis ad Odysseam pertinentibus (ebd. 1882).