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Nach ihrem Sieg bei Rieti rückten die Österreicher, ohne mehr ernstlichen Widerstand gefunden zu haben, 24. März in Neapel [* 2] ein, um dann auch Calabrien und Apulien zu besetzen. Gegen die nicht entflohenen Carbonari und Konstitutionellen begannen Ferdinands neue reaktionäre Minister eine blutige Verfolgung. Gleichzeitig hatte das Land unter Erdbeben, [* 3] dem Ausbruch des Vesuvs von 1822 und Orkanen zu leiden; die schon in den Friedensjahren 1815-20 verdoppelte Staatsschuld wuchs infolge der im ganzen 600 Mill. Frs. kostenden österr. Einlagerung und der Betrügereien der Minister. An Stelle der Österreicher, deren letzte 10000 Mann erst Febr. 1827 abzogen, setzte noch Ferdinand eine Schweizertruppe.
Die Regierung von Ferdinands Sohn Franz I. (s. d., 1825-30) zeichnete sich nur durch die um sich greifende Zuchtlosigkeit am Hofe und die wachsende Feilheit der Beamten und des verarmten Adels aus. Ferdinand II. (s. d., 1830-59) wollte völlig Selbstherrscher sein, gestützt auf wohlgeordnete Finanzen und ein gutes Heer, unabhängig von Österreich [* 4] und Frankreich, die ihm beide ihre Schutzherrschaft aufdrängten. Nachdem jedoch ein gemeinsames Vorgehen gegen Tunis [* 5] (1833) und Eheschließungen engere Beziehungen Neapels mit Sardinien [* 6] und mit Toscana angebahnt und die Sicilianer sich unter Ferdinands sanftem Bruder Leopold einige Jahre zufrieden gefühlt hatten, brachte die Ehe Ferdinands mit einer Habsburgerin wieder ein näheres Verhältnis zu Österreich zu Wege.
Gleichzeitig wurde Leopold aus Mißtrauen von Palermo [* 7] zurückgerufen und das ganze Reich straff unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt. Als aber die schon 1835 erschienene Cholera aufs neue und viel stärker 1837 wie in Neapel so auch auf S. ausbrach, zerrissen hier alle Bande der Ordnung, und der Glaube, die Neapolitaner wollten die Sicilianer durch Massenvergiftung schwächen, erzeugte ein wildes Morden auf der Insel. Nachdem diesem Ferdinands Polizeiminister del Carretto ein Ende gemacht, wurde der letzte Rest sicil.
Selbstverwaltung vernichtet; nur die Freiheit von der Aushebung blieb S. Auf dem Festland setzte Ferdinand 1840 die Einheit von Maß und Gewicht durch und bemühte sich namentlich auch um die Verbesserung der Marine. Nachdem die Unternehmung von Cosenza (März 1844) und die der Brüder Bandiera (Juni 1844) gescheitert waren, erhob sich Aug. 1847 ein Aufstand zu Reggio; auch dieser ward niedergeschlagen. Aber das durch Pius' IX. Liberalismus angefachte Feuer ward durch die geheime Presse [* 8] ebenso wie durch die beschränkten Accise- und Zollerleichterungcn und die dürftige Amnestierung geschürt; zwischen Insel und Festland ward die Empörung verabredet, S. sollte mit der Forderung seiner Verfassung von 1812 beginnen, Neapel mit dem Verlangen der seinigen von 1820 folgen.
Dem Beispiel Palermos, das sich erhob und 4. Febr. die königl. Truppen zum Abzug zwang, schlossen sich Girgenti, Catania, Caltanisetta, Trapani und Messina [* 9] an. Daraufhin veröffentlichte 10. Febr. Ferdinand eine schon 29. Jan. zugesicherte Verfassung, welche der mit Serracapriola und C. Poerio ins Kabinett berufene Boselli nach franz;. Muster zugeschnitten hatte. In Neapel war darüber Jubel, in S., wo man sich um die zugesicherte Sonderstellung geprellt sah, tiefe Verstimmung.
Von dem in Palermo als provisorische Regierung waltenden Generalkomitee ward die neue Verfassung 3. Febr. verworfen und aufs neue die landeseigene von 1812 gefordert. S. war nicht weiter zu bringen als zur Annahme einer Personalunion, wogegen sich Ferdinand 22. März verwahrte; so wurde der Riß zwischen Neapel und S. nur um so tiefer. Der erfolgreiche Aufstand in der Lombardei trieb aber auch Neapel in die nationale Bewegung hinein; der König sah sich zur Berufung eines nationalen und freisinnigen Kabinetts unter Vorsitz Carlo Troyas 3. April gezwungen.
Die seit der Pariser Februarrevolution sich steigernde Aufregung schwoll infolge von Pius' IX. Allokution vom 29. April und erreichte ihren Höhepunkt in den Verhandlungen der 29. April gewählten Kammer mit dem König über den Wortlaut seiner Eidesleistung. Während derselben kam es zwischen Radikalen und Schweizern 15. Mai zu einem Barrikadenkampf in Neapel; der Sieg war auf Seite der letztern. Der König löste sofort Kammer und Nationalgarde auf und befahl G. Pepe die Zurückführung der nach Oberitalien [* 10] entsandten Truppen.
Die Mehrzahl dieser entsprach dem königl. Befehl, Pepe widersetzte sich. Gleichzeitig ward die Flotte von Triest [* 11] zurückgerufen. Das gefügige Ministerium, das Ferdinand nun einsetzte, berief eine neue Kammer; die Wähler sandten die alte. Aber der Rückschlag zeigte sich bereits in Gewaltthätigkeiten von Beamten, Offizieren und Polizei. Doch blieb Ferdinand vorläufig noch maßvoll und rüstete nur mit Eifer gegen S., wo das Parlament 13. April den Thron [* 12] für erledigt erklärt und Ferdinand und sein Haus entsetzt hatte.
Ein Aufstand der Radikalen in Calabrien wurde blutig niedergeschlagen und die Sammlung der Truppen unter Filangieri und einer Flotte bei Reggio bewerkstelligt, während das Parlament von Palermo nach längern Verbandlungen Ferdinand, den zweiten Sohn Karl Alberts von Sardinien, unter dem Namen Karl Amadeus 11. Juni zum König wählte. Dies und Radetzkys Siege in Oberitalien bewirkten, daß in der Umgebung des Königs die Reaktionspartei völlig die Oberhand gewann.
Während das neapolit. Parlament vertagt wurde (5. Sept.), begann die Beschießung Messinas, das Filangieri, der 6. Sept. über den Faro gegangen war, überwältigte und niederbrannte, um dann gegen Palermo vorzudringen. Als sich die Insel von Sardinien, England und Frankreich im Stich gelassen sah, löste sich das Parlament auf, und die Unabhängigkeitsregierung legte ihre Gewalt in die Hand [* 13] des Municipalrats nieder. Dieser vereinbarte 9. Mai mit Filangieri die Unterwerfung auf Bedingungen, die Ferdinand nicht erfüllte. Selbst Filangieri, welcher trotzdem die Statthalterschaft übernahm, ward 1854 entfernt, als er die Insel durch Milde zu gewinnen suchte. Indessen war die ergänzte neapolit. Kammer auf den einberufen, ihren Beschlüssen aber die Bestätigung verweigert worden, worauf sie aufgelöst wurde. Ein Teil der Abgeordneten floh; gegen die Gebliebenen und sonstige Mißliebige begann das alte Spiel gerichtlicher Scheinverhandlungen; furchtbar waren besonders zwei Riesenprozesse gegen die angeblichen Anstifter der Unruhen vom und die Mitglieder des Einheitsbundes. Die Macht der Polizei wurde durch Einsetzung von Überwachungs-, sog. Skrutiniumskommissionen außerordentlich erweitert; das Ausland meinte man durch Hinweis auf die milden Gesetze, Begnadigungen und ¶
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menschlichen Vorschriften für die Gefängnisse zu täuschen. Thatsächlich herrschte schamlose Willkür und Grausamkeit unter der fanatischen und habgierigen Richter- und Beamtenschaft. Dieselbe Verderbtheit durchzog das Zoll- und Steuerwesen wie die Verwaltung; das Ausland suchte man über den Stand der Finanzen durch amtliche Lügen irrezuführen. Diesem aber öffnete Gladstone die Augen. Das schon vorher gespannte Verhältnis zu England verschlimmerte sich hierdurch und noch mehr durch die russenfreundliche Haltung Neapels während des Krimkrieges.
Diese veranlaßte auch Napoleon, Cavours Klagen gegen Neapel auf dem Pariser Kongreß von 1856 zur Erörterung zu bringen. Napoleon ging auf diese Beschwerden Sardiniens um so bereitwilliger ein, als eine wenn auch nicht starke Partei in Unteritalien Umtriebe für Lucien Murat machte. Da Ferdinand den Vorstellungen Englands und Frankreichs Gehör [* 15] verweigerte, wurden die Gesandten abberufen; der König schiffte 1857 eine größere Anzahl der polit. Sträflinge nach Amerika [* 16] ein, die aber nach England entkamen, wo sie mit Begeisterung aufgenommen wurden; im übrigen jedoch schien er, gestützt auf die Ostmächte, der Entrüstung Europas, welche Cavour und die Flüchtlinge unabhängig schürten, ungestraft zu trotzen. Allein während neue Unruhen, zuerst die Erhebung Bentivegnas in S. (1856), dann der Angriff des Soldaten Milano auf Ferdinand, endlich der von Mazzini angestiftete Zug Pisacanes nach Sapri, schreckliche Explosionen in Neapel und ein furchtbares Erdbeben (Dez. 1857) in der Gegend östlich von Palermo das Königreich heimsuchten, griff die Fäulnis im Beamtentum und Heer immer mehr um sich. So war der Staat reif zum Zusammenbruch, als Ferdinand an den Folgen der ihm von Milano beigebrachten Wunde starb.
Seinem Sohne Franz II. (s. d.) fehlte die Erfahrung wie Thatkraft und die Zähigkeit, um des Vaters Platz auszufüllen. Zudem verlor er seine festeste Stütze, die Schweizerregimenter, welchen ihre Kantone, des Schimpfes endlich satt, ihren Schutz entzogen und die sich nun unter Meuterei auflösten. Da Frankreich und England, deren Gesandte nach Ferdinands Tod zurückgekehrt waren, sich gegenseitig an einer Einmischung in Unteritalien und S. verhinderten, sah sich Cavour durch Franz' II. Zurückweisung in die Notlage versetzt, einen Angriff der durch die Abtretung von Savoyen und Nizza [* 17] gegen ihn erbitterten Bewegungspartei auf S. Vorschub zu leisten, damit sie sich nicht gegen ihn selbst wende. So konnte Garibaldi (s. d.) seinen berühmten Zug der Tausend unternehmen. Am in Marsala gelandet, entriß er ganz S. bis zum 28. Juli den Neapolitanern.
Franz suchte zu spät Rückhalt an Victor Emanuel, ward aber von Cavour nur hingehalten. Gleichzeitig hatte er die Verfassung von 1848 wieder in Kraft [* 18] gesetzt; aber das Land glaubte den Bourbonen nicht mehr. Garibaldi, glücklich nach Calabrien übergesetzt, fand weder bei den Truppen noch von seiten der Behörden nennenswerten Widerstand; das Land begrüßte ihn als Erlöser. So konnte er schon 7. Sept. in Neapel einziehen, von wo Franz nach Gaeta geflohen war. Während der Diktator Garibaldi, immer mehr in die Hände seiner republikanischen Umgebung geraten, die Einrichtung einer geordneten Verwaltung in S. und Unteritalien unter den von ihm ernannten Prodiktatoren Mordini und Pallavicino durch unmittelbare Verfügungen störte und die Angliederung des unter Victor Emanuels Namen gewonnenen Landes an dessen Reich hinausschieben wollte, bis auch Rom und [* 19] Venetien genommen sein würden, leistete der Rest von Truppen, der Franz geblieben, am Volturno Garibaldis weiterm Vordringen tapfer Widerstand. So sahen sich Cavour und Victor Emanuel gezwungen, selbst einzugreifen, um Garibaldi vor seinen Freunden wie vor seinen Feinden zu retten.
Trotz Österreichs drohender Haltung rückte Victor Emanuel durch den Kirchenstaat, in dem Lamoricière nur kurzen Widerstand leistete, nach der neapolit. Grenze, die er ohne Kriegserklärung überschritt, wie er erklärte, um die freie Abstimmung des Südens zu schützen. Diese fand 21. Okt. statt und ergab in Neapel und S. 1302074 und 432053 Stimmen für unmittelbare Eingliederung in Victor Emanuels Reich, gegenüber 10312 und 667 republikanisch-partikularistischen und bourbonischen Stimmen.
Willig beugte sich Garibaldi der Erklärung des Landes für den König, an dessen Seite er 26. Okt. in Neapel einzog. Nachdem Capua 2. Nov. von den Piemontesen und Garibaldinern genommen war, besuchte Victor Emanuel Palermo und nahm Besitz von dem Lande. Franz, eine Zeit lang noch von der franz. Flotte geschützt, dann auch von dieser verlassen, mußte nach tapferer Gegenwehr Gaeta räumen; bald darauf fielen auch die Citadelle von Messina (12. März) und zuletzt die Bergfeste Civitella del Tronto, die sich noch für ihn gehalten. Schon vorher war, ungeachtet der Einsprachen des Bourbonen, die Einverleibung des Landes in das Königreich Italien [* 20] vom ersten ital. Parlament beschlossen und von Victor Emanuel bestätigt worden. Doch hatte die ital. Regierung noch einen schweren Kampf mit dem von Franz II. und von den Ultramontanen Frankreichs und Belgiens unterstützten Brigantentum, und daß die Folgen span. und bourbon. Mißwirtschaft noch keineswegs gehoben sind, zeigt das Fortwuchern der Camorra (s. d.) und Mafia (s. d.).
Litteratur. Giannone, Storia civile del regno di Napoli (4 Bde., Neap. 1723; Mail. 1824 u. ö.);
Colletta, Storia del reame di Napoli 1734-1825 (2 Bde., Capolago 1835 u. ö.);
J. L. ^[Jean Levesque] de Burigny, Histoire générale de la Sicile (2 Bde., Haag [* 21] 1745);
E. di Blasi, Storia civile del regno di Sicilia (17 Bde., Palermo 1811; 22 Bde., 1830);
R. Gregorio, Considerazioni sopra la storia di Sicilia (7 Bde., ebd. 1806-16);
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La Lumia, Studi di storia siciliana (2 Bde., Par. 1870);
Sanfelippo, Compendio della storia di Sicilia (7. Aufl., Palermo 1859);
L. M. Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byzant.
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Seibert, Geschichte des Königreichs Neapel 1050-1505 (Brem. 1802);
Bazancourt, Histoire de la Sicile sous la domination des Normands (2 Bde., Par. 1846);
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E. di Blasi, Storia cronologica de' Vicerè luogotenenti e presidenti di Sicilia (5 Bde., Palermo 1790-91);
Gothein, Die Kulturentwicklung Süditaliens (Bresl. 1886);
Scaduto, Stato e chiesa nelle due Sicilie (Palermo 1887);
C. Calisse, Storia del parlamento in Sicilia (Tur. 1887);
La Mantia, I Parlamenti del regno ¶