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verbreitet. Aber erst die Griechen traten erobernd, Kolonien gründend und civilisatorisch auf, zunächst auf der Ost-, später an der Süd- und Nordküste. 735 gründete angeblich Theokles aus Athen [* 2] mit Euböern von Chalcis die Kolonie Naxus an der Mündung des jetzigen Alcantara. Dann wurde 734 (alle ältern Gründungsdaten können höchstens angenähert gelten) Syrakus [* 3] von Doriern aus Korinth, [* 4] 732 Messana-Zankle (Messina) [* 5] von Chalcis und Kyme, 730 Leontini und Catana von Theokles, 728 Megara-Hybläa (am Busen von Agosta) von Megara, 690 Gela (Terranova) von Rhodus und Kreta aus, 664 Acrä (Palazzolo) und (vielleicht) Henna (Castrogiovanni) von Syrakus, 648 Himera (bei Termini) von Messana, 644 Casmenä (Scicli südwestlich von Modica), 628 Selinus von Megara-Hybläa, 599 Camarina (südlich von Vittoria) von Syrakus, 582 Akragas oder Agrigentum (Girgenti) von Gela aus angelegt.
Der Nordosten geriet so unter chalkidischen, der Süden unter dor. Einfluß. Die Sikeler und Sikaner wurden zum Teil den Griechen, den Sikelioten, zinspflichtig und bebauten ihre Äcker als Halbfreie, während in den Städten der griech. Adel als Grundbesitzer (in Syrakus Gamoren genannt) herrschte. Andere Teile der ältern Bevölkerung [* 6] zogen sich in das bergige Innere zurück. Die Phöniker wichen an die Westküste, wo sie Panormos (Palermo), [* 7] Soloeis (Solanto), Motye (Isola di San Pantaleo) u. a. hielten.
Aber um die Mitte des 6. Jahrh. v. Chr. stockte die Hellenisierung der Insel und des Westens überhaupt, wohl infolge des engern Bündnisses, in welches die Italiker mit den Karthagern getreten waren. Gleichzeitig erschütterten Verfassungskämpfe die griech. Kolonien. Um 500 herrschten in den bedeutendsten Städten Tyrannen, von denen Gelon von Syrakus und Theron von Agrigent, verschwägert und verbündet, die griech. Herrschaft vor dem ihr drohenden Untergange bewahrten, als gleichzeitig mit dem zweiten Perserkriege die Karthager, wahrscheinlich im Einverständnis mit Xerxes, über die Hellenen des Westens herfielen.
Die Schlacht bei Himera 480 rettete nicht bloß diese Städte, sondern das ganze Hellenentum S.s vor dem Barbarentum der Karthager. Es begann die kurze Blütezeit, nur getrübt durch die Vernichtung der chalkidischen Städte der Ostküste durch Gelon und Hiero I. Doch Verfassungskämpfe der einzelnen Stadtgemeinden, deren wachsende Demokratisierung, dazu der sich stets geltend machende Gegensatz dorischer und ionisch-achäischer Städte mußten eine Katastrophe herbeiführen; der große athenische Feldzug gegen Syrakus (415-413) beschleunigte sie noch.
Nach der Niederlage Athens strebte Syrakus als erste griech. Seemacht nach der Herrschaft über ganz S. und über Unteritalien. Die Karthager brachen von ihren alten westl. Besitzungen nach dem Osten vor. Selinus und Himera wurden 409 zerstört, 406 Agrigent genommen, 405 Gela und Camarina besetzt und tributpflichtig gemacht, 396 Messana geschleift. Diese Ereignisse brachten Dionysius I. zur Herrschaft von Syrakus (s. d.). An die Geschichte dieser Stadt knüpfen sich fortan die Geschicke von ganz S., auch nach der Invasion des Epirotenkönigs Pyrrhus und nach dem ersten Punischen Kriege.
Nach Roms Sieg 241 teilten Rom und [* 8] Syrakus die Herrschaft, wobei freilich Rom den Löwenanteil erhielt. Im zweiten Punischen Kriege wurde sodann 212 auch Syrakus und 210 Agrigent von den Römern erobert. Die ganze Insel war nun eine römische Provinz, unter einem Prätor, später Proprätor, sie zerfiel in die zwei Quästuren von Lilybäum und Syrakus. Anfänglich suchten die Römer [* 9] den während der langen Kriege heruntergekommenen Ackerbau S.s zu heben, aber nur um die Insel desto mehr ausbeuten zu können.
Die von den Karthagern entlehnte Plantagenwirtschaft machte S. zwar zur Kornkammer Italiens, [* 10] aber auch zum Schauplatz der Sklavenkriege (s. d.), die den Wohlstand der Insel arg schädigten. S. kam unter den röm. Statthaltern immer mehr herunter. M. Ämilius Lepidus (82) wurde noch durch Verres (s. d.) überboten, der (73-71) die Insel sogar ihrer kostbarsten Statuen und Bildwerke beraubte. Auch die Bürgerkriege zwischen Sextus Pompejus und Octavianus beschleunigten den Verfall, so daß Octavian als Kaiser der Insel durch Kolonien, Gründung und Wiederherstellung von Städten aufhelfen mußte. Doch die Kraft [* 11] des Landes blieb gebrochen. Das Christentum scheint von Rom aus nach S. gekommen zu sein.
Seit Augustus' Reichsreform (27 v. Chr.) bildete die Insel S. die erste der zehn senatorischen Provinzen, dann nach der Einteilung Diocletians eine Provinz der Diöcese Italien. [* 12] 395 n. Chr. wurde sie bei der Reichsteilung zum Weströmischen Reiche geschlagen. Des Westgoten Alarich Versuch, nach S. überzusetzen, scheiterte nur an dem Untergang seiner Schiffe [* 13] im sicil. Sunde (410). Der Vandale Genserich belagerte von Afrika [* 14] aus 440 Palermo und eroberte Lilybäum (Marsala).
Der Ostgote Theodorich bemächtigte sich 493 der ganzen Insel. Zwar wurde sie 535 durch Belisar dem Byzantinischen Reiche einverleibt und Kaiser Constans II. verlegte sogar die Residenz des Ostreichs 663 nach Syrakus, wurde aber 668 hier ermordet, worauf Araber 669 die Stadt plünderten. Danach landeten 827 die Sarazenen, vom byzant. Statthalter Euphemius herbeigerufen, unter Ased ibn Forrât bei Mazzara; 831 fiel Palermo in ihre Hände, das von nun an die Hauptstadt der Insel wurde und blieb. Die Sarazenen breiteten sich inzwischen immer mehr aus, und 878 bezwang Ibrahim ibn Ahmed auch Syrakus. Die Christen behaupteten sich zuletzt nur noch in der Nordostecke der Insel, wo jedoch 901 Taormina und endlich 965 auch Rametta (südwestlich von Messina) genommen wurde.
Obschon seit 878 die ganze Insel im Besitz der Sarazenen war, gelangte sie doch zu keinem wirklichen Frieden, da der Gegensatz zwischen den Arabern und den afrik. Berbern, aus welchen die Eroberer bestanden, fortwährend zu blutigen Fehden unter denselben führte. Dazu kam noch der Wechsel der Dynastien. Zuerst herrschten die Aglabiden von Kairwan (Tunis). [* 15] Dann wurde S. unter den Fâtimiden Ägyptens ein selbständiges Emirat. Später pflanzte sich von Afrika, wo die Ziriten zur Herrschaft gelangt waren, der blutige Kampf zwischen den Sunniten und Schiiten nach der Insel herüber, und der Aufstand verschiedener Städte beschleunigte den Untergang der mohammed. Herrschaft. Doch hatte sich der Wohlstand der Insel während derselben bedeutend gehoben. Ackerbau, Industrie und Handel waren von neuem erblüht, so daß, als im 11. Jahrh. die Normannen (s. d.) S. eroberten, diese die reichste Beute fanden. 1061 schritt Robert Guiscard, Herzog von Apulien, mit seinem Bruder Roger zur Eroberung der Insel, nachdem Ibn Thimna von Syrakus schon einmal um ihre Hilfe ¶
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angesucht hatte. Messina wurde 1061 erobert, dann Traina. 1063 machten die Pisaner Beute im Hafen von Palermo; 1064 gehorchte Val Demone den Normannen, welche dann weiter nach Westen vorrückten. Nachdem auf dem Festlande auch Bari in die Hände der Normannen gefallen war, zogen sie vor Palermo, das 1072 erobert wurde. Syrakus ward 1086 genommen, 1087 Girgenti und Castrogiovanni, und 1091 war die Eroberung der Insel vollendet. Roger (Ruggiero), der von seinem Bruder S. als Grafschaft zu Lehn erhalten hatte, starb 1101. Sein Sohn Roger II. erbte 1127 bei dem Erlöschen der Linie Robert Guiscards auch das Herzogtum Apulien (Süditalien) [* 17] und ließ sich 1130 zu Palermo, der Hauptstadt seines Reichs, zum Könige von S. krönen.
Unter ihm blühte die Insel mächtig auf; seine Flotten schlugen die Angriffe der Sarazenen und Byzantiner zurück. In dem nach seines Enkels, Wilhelms II., Tode 1189 ausgebrochenen Erbfolgestreit erklärten sich die Sicilier für Tancred, einen natürlichen Sohn des Herzogs Roger von Apulien und Vetter von Wilhelm II., gegenüber den Erbansprüchen des hohenstaufischen Kaisers Heinrich VI. Dieser überwand aber nach Tancreds baldigem Tode dessen Sohn Wilhelm III. und begründete die Herrschaft seines Hauses in beiden S. Der berühmteste hohenstaufische Herrscher in S. war Kaiser Friedrich II. (hier Friedrich I.), unter dessen Regierung S. der Sitz einer bedeutenden, nie wieder erreichten Kultur wurde.
Nach dem Untergang der Hohenstaufen behauptete vorübergehend Karl von Anjou seine Herrschaft in S., die aber 1282 durch das Blutbad der Sicilianischen Vesper (s. d.) gebrochen wurde. Messina schlug den Angriff Karls in heldenmütiger Verteidigung ab, und Peter III. von Aragonien, Eidam des Hohenstaufen Manfred, wurde als Peter I. Herr der Insel, die von nun an wieder 160 Jahre von Neapel [* 18] getrennt blieb. In dieser Zeit geriet jedoch die Insel in tiefen Verfall durch die anhaltenden Kriege mit den Anjous von Neapel, während zugleich der zur Macht gelangte Adel ein geordnetes Staatswesen unmöglich machte.
Peters I. zweiter Sohn, Jakob der Gerechte, erhielt nach seines Vaters Tode 1285 die Insel. Da er aber 1291 König von Aragonien wurde, folgte ihm 1296 auf S. sein jüngerer Bruder Friedrich II., diesem 1337 Peter II., 1342 Ludwig und 1355 dessen Bruder Friedrich III. Mit diesem erlosch 1377 die männliche Linie des aragonischen Königsstammes, und so fiel die Insel an Friedrichs III. minderjährige Erbtochter, welche 1382 nach Barcelona [* 19] entführt und 1385 mit dem Prinzen Martin von Aragonien vermählt wurde.
Dieser Martin I. war nach Marias Tode Alleinherrscher in S. (1402-9). Da er auch von seiner zweiten Gemahlin, Blanca von Castilien, keine Nachkommen hinterließ, so beerbte ihn sein Vater Martin II. von Aragonien, nach dessen Tode 1410 ein zweijähriges Interregnum eintrat. Hierauf wurde Ferdinand I., Infant von Castilien und König von Aragonien, Martins II. Oheim von mütterlicher Seite, König von S. Diesem folgte 1416 sein ältester Sohn Alfons (als König von Aragonien Alfons V.), der 1442 auch König von Neapel wurde und so das Königreich beider S. wiederherstellte.
Die Insel blieb nun mit Spanien [* 20] vereinigt (unter der aragonischen, der habsburg. und bourbonischen Dynastie), bis sie 1713 im Utrechter Frieden als Königreich S. an Victor Amadeus von Savoyen fiel. Schon 1720 gelangte sie indessen, gegen Abtretung der Insel Sardinien, [* 21] an Österreich [* 22] (Karl VI.), 1735 aber nebst Neapel durch den Wiener Frieden an den span. Infanten Don Carlos. Als dieser 1759 König von Spanien (Karl III.) wurde, überließ er S. und Neapel als Secundogenitur seinem dritten Sohne Ferdinand.
Die Insel, während der Napoleonischen Herrschaft einziger Besitz der Bourbonen, war ein Bestandteil des Königreichs beider S. (s. den folgenden Artikel) und teilte dessen Geschicke. 1860 wurde dieselbe durch Garibaldi von der bourbonischen Herrschaft befreit und 1861 ein Bestandteil des neuen Königreichs Italien. Das seit vielen Jahren in S. eingewurzelte Räuberunwesen, welches in der Mafia (s. d.) eine förmliche Organisation besitzt, veranlaßte 1875 das Ministerium Minghetti, der ital. Kammer ein Ausnahmegesetz zur Ausrottung dieses Unwesens vorzulegen.
Auch das Ministerium Depretis-Nicotera ergriff hiergegen strenge, aber zu keinem endlichen Erfolg führende Maßregeln. (Über diese vgl. O. Hartwig in den «Preuß. Jahrbüchern», 1877, Bd. 40; L. Franchetti e Sonnino, La Sicilia nel 1876, 2 Bde., Flor. 1877.) In neuerer Zeit (Ende 1893) fanden ernste Unruhen auf S. statt aus Anlaß der Erhöhung der Gemeindesteuer und infolge des großen Elends, in das die Bauern durch die Großgrundbesitzer geraten waren. Um die Mißstände abzustellen, wurde General Morra di Lavriano mit unbeschränkten Vollmachten versehen.
Doch ergriff die Bewegung die Provinzen Trapani und Girgenti, und an vielen Orten wurden arge Ausschreitungen verübt, so daß der Belagerungszustand über die ganze Insel verhängt wurde. Es ergab sich, daß zahlreiche ausländische Agitatoren thätig waren, und daß der internationale Socialismus bei den vorhandenen Mißständen auf S. einen nur allzu günstigen Boden gefunden hatte. Neben aller Strenge war General Morra redlich auf Erleichterung des auf der Bevölkerung lastenden Druckes bedacht. Großen Eindruck machte die Verhaftung des Abgeordneten de Felice-Giuffrida und der übrigen Häupter der von ihm gegründeten socialistischen Gesellschaft der Fasci. Völlige Ruhe ist bei der starken Bewegung im übrigen Italien, besonders in Unteritalien, nicht eingetreten.
Litteratur. Goldhann, Ästhetische Wanderungen in S. (Lpz. 1855);
Amico, Dizionario topografico della Sicilia (2 Bde., Palermo 1855);
Löher, Neapel und S. (2 Bde., Münch. 1864);
Th. Fischer, Beiträge zur physischen Geographie der Mittelmeerländer, besonders S.s (Lpz. 1876);
von Lasaulx, S., ein geogr. Charakterbild (Bonn [* 23] 1879);
Gregorovius, Wanderjahre in Italien (Bd. 3: Siciliana, 6. Aufl., Lpz. 1888);
die Reisehandbücher von Baedeker (Unteritalien) und Gsell-Fels; J. ^[oder I. ] Ellis ^[Pseudonym von: Frances Elliot], Diary of an idle woman in Sicily (2 Bde., Lond. 1881);
Schneegans, S., Bilder aus Natur, Geschichte und Leben (Lpz. 1886);
Carta geologica della Sicilia 1:500000 (Rom 1885);
Gally Knight, Saracenic and Norman remains in Sicily (Lond. 1840);
Di Marzo, Belle arti in Sicilia (4 Bde., Palermo 1858);
Hittorff und Zanth, Architecture moderne de la Sicile (2 Bde., Par. 1826-30);
Chiesi, La Sicilia illustrata nella storia, nell' arte nei paesi (Mail. 1892);
Maggiore-Perni, La popolazione di Sicilia e di Palermo del X al XVIII secolo.
Saggio storico-statistico (Palermo 1893); Pais, Storia della Sicilia e della Magna Grecia, Bd. 1 (Tur. 1894). ¶