[* ] der glänzende, feine und weiche, dabei außerordentlich feste Faden, den die Raupe des
Seidenspinners erzeugt, indem sie sich zur Verpuppung einspinnt (s. Seidenraupe und Tafel: Seidenraupe und Seidenzucht). Nach
vollendetem Wachstum treibt die Raupe vor der Verpuppung aus zwei auf der Unterlippe jederseits mit je einer Öffnung mündenden
Spinndrüsen ein Sekret heraus, welches, an der Luft erstarrend, zwei sich miteinander vereinigende Fäden
bildet (eine Abbildung derselben s. Gespinstfasern, Fig. 5). Aus dem so
entstandenen Faden, der hauptsächlich aus Fibroin (s. d.) besteht, bildet sie eine dichte, eiförmige, zuweilen mehr
walzenförmige Hülle, Cocon oder Galette.
Die Gesamtlänge des Fadens, aus dem dieses Gespinst zusammengesetzt ist, beträgt über 3000 m, die nutzbare Fadenlänge
jedoch nur 3-600, in seltenen Fällen bis zu 900 m, da weder das äußere Fadengewirr noch der innerste
pergamentartige Teil zur Herstellung guter S. verwendbar ist. Nachdem die Puppen in den Cocons (s. Fig. 16 der genannten Tafel)
getötet sind, werden die letztern sortiert. Die festesten, seidenreichsten der zum Abhaspeln tauglichen Cocons
liefern das stärkste und schönste Material, die Organsin- oder Orsoyseide, aus welcher meist die Kette der seidenen Gewebe
hergestellt wird (Kettenseide); aus den von mittlerer Güte wird die Trama- oder Einschlagseide, aus den geringsten die Pelseide
gewonnen.
Die sog. Doppelcocons
[* ]
(Fig. 15), in denen zwei Raupen sich gemeinschaftlich
eingesponnen haben, deren Fäden durcheinander gewirrt liegen, ferner die Cocons, welche infolge der
Fäulnis der in ihnen gestorbenen Puppe braune Flecke zeigen, diejenigen, welche bei der Aufbewahrung schimmlig geworden,
von Insekten angefressen oder sonst schadhaft sind, sowie die von dem ausgeschlüpften Schmetterling durchbohrten (nicht durchbissenen)
Cocons
[* ]
(Fig. 19), endlich die Choquettes, d. h. die Cocons kranker Raupen, sind für bessere Fabrikate
nicht zu verwenden.
Der einfache
Coconfaden von 0,013 bis 0,026 mm Dicke und von weißer bis hochgelber Farbe, von dem 2570-3650 m ein Gramm wiegen,
ist infolge seiner Zusammensetzung aus zwei runden Fäden nicht völlig kreiscylindrisch, sondern merklich abgeplattet; derselbe
läßt sich, angespannt, um 15-20 Proz. seiner natürlichen Länge ausdehnen.
Die Reißlänge beträgt im Mittel 32 km. Um die die Fadenwindungen des Cocons verklebende leimartige Substanz aufzuweichen,
legt man dieselben in heißes Wasser, worauf man sie mittels Reisigbesen umrührt und schlägt, so daß die lockern äußern
Windungen mit dem Fadenanfang an den Besen hängen bleiben; statt der letztern werden nach neuern Verfahren
mechanisch bewegte Bürsten angewendet. Die hängen gebliebene Fadenmasse bildet die Florett- oder Flockseide, Bassinat, Bourrette
oder Frison (ital. Bavella, verdeutscht Basel),
die mit den übrigen Abfällen zu Florettgarnen verarbeitet wird. Die von der Florettseide
befreiten Cocons
[* ]
(Fig. 17), deren Fadenanfang gefunden ist, bringt man in einen
am Haspel befindlichen Trog mit warmem Wasser, worin sie während des Abwickelns schwimmen.
Die Arbeit des Haspelns (öfters, obwohl unrichtig, Spinnen genannt) geschieht auf der in der nachstehenden Abbildung veranschaulichten
Maschine, der Seidenhaspel. Durch das Glasauge b ^[img] geführt, vereinigen sich die Fäden der in dem
Trog a schwimmenden Cocons (nach der Art der herzustellenden S. je 3-20) zu den Fäden cc, die sich kreuzen, worauf sie,
durch die Glasaugen d geleitet, zu dem Laufstock i gelangen, dessen schwingende Bewegung die schraubenförmige Aufwicklung
des Fadens auf den Haspel k bewirkt; der letztere erhält seinen Antrieb von einer Riemenscheibe und ist
zur Regulierung der Umdrehungsgeschwindigkeit mit Ausrückung und Bremse versehen. Die bis zur Puppe
[* ]
(Fig. 18) abgehaspelte
S. heißt Rohseide oder nach dem ital. grezza Grezseide (frz.
Grège).
Für die meisten Verwendungsarten, wie die Weberei, Strumpfwirkerei, Spitzenfabrikation, Posamentierarbeit, zum Stricken, Sticken,
Häkeln u. s. w., muß die S. gezwirnt, d. h.
es müssen zwei oder mehr Fäden durch Zusammendrehen vereinigt werden; aber auch in solchen Fällen, wo einfache Rohseidenfäden
zur Verwendung kommen, erhalten diese eine mehr oder minder starke Drehung, wodurch sie an Rundung, Zusammenhang und Dichtigkeit
gewinnen. Da nämlich in der Rohseide die Coconfäden gerade ausgestreckt nebeneinander liegen, nur zusammengehalten
durch ihren natürlichen Klebstoff, welcher bei dem später stattfindenden Kochen oder Entschälen der S. (s. unten) aufgelöst
und entfernt wird, so würde alsdann ohne vorgängige Drehung der Faden sich in lauter lose Fädchen spalten und somit unbrauchbar
werden. Das Zwirnen, Filieren oder Moulinieren der S. zerfällt in die Operationen des Spulens, Drehens,
Doublierens und Zwirnens im eigentlichen Sinne. Die erste derselben, das Abwinden der Rohseidensträhne auf hölzerne Spulen,
forlaufend
817
geschieht nach der ältesten Methode derart, daß die Spule auf einem senkrechten Draht hängt und durch Streichen mit der flachen
Hand umgedreht wird, während die andere Hand den Faden von dem auf einer Garnwinde befindlichen Strähn zuleitet. Eine Vervollkommnung
dieses primitiven Verfahrens war die Anwendung des Spulrads; in neuerer Zeit haben in europ.
und amerik. Moulinieranstal- ten säst aÜgemein Spulmaschinen von einfacber Konstruktion Eingang gefunden.
Zum Drehen der einzelnen Fäden dient die nämliche Maschine, welche zum eiaentlichen Zwirnen angewendet wird. Das Doublieren,
d. H.Zusammenlegen und gemein- same Aufspulen zweier oder mehrerer gedrehter oder ungedrehter Nohseidenfäden als Vorbereitung
zum Zwirnen geschieht entweder durch bloße Handarbeit, oder mittels des Epulrads, oder besser mittels
der Doubliermaschine, deren Einrichtung nur wenig von derjenigen der Spulmaschine abweicht. Zum eigentlichen Zwirnen dient
die Seidenzwirn- mühle. auch Spinnmühle oder Filaror^um genannt, eine Maschine, welche auf jeder Seite 2 - 3 Etagen mit je 60 Spindeln
enthält, die mit einer Geschwindigkeit von 2000 bis 2500 Touren in der Minute umlaufen.
In den letzten Jahrzehnten ist man mit Erfolg bestrebt gewesen, den Arbeits- prozeß dadurch zu vereinfachen, daß man mehrere
Operationen, z. V. das Drehen und das Doublieren der Nohseidenfäden oder das Zwirnen derselben und das Haspeln der
fertigen S., wodurch diefe für den Handel in Strähne von bestimmter Größe und be- stimmter Fadenzabl gebracht wird, einer
Mascbine überträgt. Man ist sogar so weit gegangen, alle Ar- beiten, vom Abhaspeln der Cocons bis zum Drcbcn oder Zwirnen
der Nohseidenfädcn von einer Ma- schine in ununterbrochener Reihenfolge verrichten lassen zu wollen,
doch haben diese weitgehenden Kom- binationen bisher keine günstigen Nefultate ergeben.
Die gezwirnte S. kommt in ungcmcin verfchiede- dener Beschaffenheit vor, je nachdem zu derselben bessere oder geringere,
feinere oder gröbere Rohseide verwendet und diese mit oder ohne vorläufige Drehung aus mehr oder weniger Fäden ein- oder
zweimal, stärker oder schwächer gezwirnt wird. Die Zwirnung ist in allen Füllen um fo schärfer, je
feiner die Fäden sind. Die zu Or gansin verwendete Rohseide wird von 3 bis 8 Cocons abgehaspelt; sie erhall vor dem Zwirnen
eine starke Nechtsdrehung und wird aus zwei, seltener aus drei Fäden lwonack man zwei- und dreifädige
Orgcinsin unterscheidet) links gezwirnt.
Die Trama besteht aus 3-12 Coconfüden und wird als ein-, zwei- und dreifädige unterfchieden. Die einfädige ist ein einfacher,
für sich mäßig stark links gedrehter Nohseidenfäden; die zweisädige ist aus zwei, die dreifüdige aus drei Noh- seidenfäden
ohne vorläufige Drehung links gezwirnt. Infolge der fchwächern Zwirnuna ist Trama weicher und flacher
als Organsin, wodurcb der gewebte Stoff die erwünschte Dichtheit erhält. Eine Mittelgattung zwifchen Organsin und Trama,
die öfters statt der erstern zur Kette seidener Gewebe verwendet wird, entsteht dadurch, daß man zwci Nohseidenfädcn stark
zusammcnzwirnt, ohne sie vorher zu drehen.
Die Marabuseide wird meist aus drei Fäden blen- dendweißer Nohseide nach Art der Trama obne Drehung der
einzelnen Fäden gezwirnt, dann ohne vorausgehendes Kochen gefärbt, endlich nochmals und zwar sehr scharf gezwirnt. Die Steisigkeit,
welche der beim Färben fast unverändert bleibende Brockhaus' Kouvmalions-Lcxikon. 14.
Aufl. XIV. ! f leimartige Überzug
dem Faden verleiht, verbunden mit der scharfen Zwirnung, giebt dieser Gattung der S. die für diefelbe
charakteristische peitsch enschnur- ähnliche Härte.
DiePelseide oder Pelo ist eine aus den Cocons der geringsten Sorte erzeugte, meist als Einlage der Gold- und Silbergespinste
dienende S., die nicht gezwirnt ist, sondern aus Fäden be- steht , die durch Zusammenlegen und Zusammen-
kleben von 8 bis 10 Coconfüden gebildet werden. Nähseide (Kusir) wird aus Nohseide von 3 bis 24 Cocons hergestellt, entweder
indem man zwei starke Nohseidensäden einzeln rechts dreht und dann links zusammenzwirnt; oder indem man zwei ungedrehte
Nobseidcmäden rechts zusammenzwirnt und dann zwei so gebildete Fäden durch eine zweite Zwirnung nach
links vereinigt; oder indem man bei letzterer Methode vor der ersten Zwirnung den Eeidenfäden eine Drebung erteilt.
Die der Nähseide ähnliche Strickseide oder Häkelseide erhält, weil sie gröber ist und für ihren Zweck weich sein muß,
schwächere Zwirnung. Die kordonnierte S. ist aus zahlreichen feinen Nohfeidcnfäden zusammen- gesetzt,
die erst einzeln gedreht, dann zu vier, sünf, sechs oder acht links zusammcngezwirnt werden, worauf man drei solcher Fäden
«durch Zwirnung nach rcchts vereinigt. Bei der Stick- oder Platt- seide liegen infolge der sehr schwachen Zwirnung nach dem
Kochen und Färben die Coconfüden sicht- bar voneinander getrennt. Der Umsang des Haspels zum Aufwinden
der fertigen S. und die Fadenzahl der Strähne waren früher in den einzelnen Industrieländern sehr ver- schieden; erst in
neuerer Zeit ist durch Negelung der- selben eine genaue Kontrolle des Fabrikationsbetrie- bes sowie die richtige Bestimmung
des Feinheits- grades, das Titrieren (von: frz. titi-6) der S., möglich geworden. Nach den
Beschlüssen des in Wien 1873 und des in Brüssel 1877 abgehaltenen internationalen Kongresses zur Herbeiführung einer einheitlichen
Garnnumerierung foll die Feinheit der Seidengarne ausgedrückt werden durch das Zehn- sache der Zahl, welche das absolute
Gewicht eines Fadcnstücks von 1000 m Länge in Grammen an- gicbt. über die Titrierung in Turin und Mailand
s. Denaro, in Frankreich s. Denier. Das Titrieren, das sowobl für Nohfeide als für filierte S. an- gewendet wird, erfolgt gewöhnlich
mit Hilfe von Zeigerwagcn von sehr exakter Ausführung; doch bedient man sich, wo es sich um die Titrierung großer Massen
bandelt, auch besonders hierfür kon- struierter, selbstthätig arbeitender Maschinen. Die S. ist so hygroskopisch, daß sie
bis zu 30 Proz. Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen kann, ohne eigentliche Nässe zu zeigen. Der
Feuchtigkeitsgehalt wird für den Handel durch die sog. Konditionierung (s. d.) festgestellt. Die rohe wie die silierte mit
dem ihr von Natur eigenen leimartigen Über- zug, der den Faden hart, steif und fast glanzlos macht, nur für
manche Zwecke verarbeitet, für welche gerade dicfe Eigenschaften erwünscht sind, wie zur Herstellung von Beuteltuch, Klcidergaze,
Krepp und Blonden. In den meisten Fällen ist die Beseitigung des Seidenleims durch Behandlung mit hei.ßer
Seifenlauge, das Kochen, Entschälen, Degom- mierön oder Degummieren, erforderlich, durch wclche bei der von Natur gelben
S. zugleich der harzige Farbstoff entfernt wird. öfters wird die ^., namentlich wenn sie in dunkeln Farben gefärbt werden
soll, durch Anwendung schwächerer Lauge 52
forlaufend
818
oder durch kürzeres Belassen in derselben absichtlich nur unvollkommen entschält, doch macht dies den Stoff leicht brüchig.
Die S., welche weiß bleiben oder in den zartesten Farben gefärbt werden soll, wird nach dem Kochen geschwefelt. Während
bei der Verarbeitung der gehaspelten S. ein wirklicher Spinnprozeß nicht stattfindet, da der Rohseidenfaden
aus einer Anzahl langer, pa- rallel nebeneinander liegender Fäden besteht, sind die unter dem Namen Florett- oder Galettseid
e ifrz.
Fleuret oder Filoselle) zusammengefaßten Materialien als Gespinste im eigentlichen Sinne zu bezeichnen, da jeder Faden aus
vielen einzelnen kur- zen Fasern durch Zusammendrehen derselben gebil- det wird, weshalb unter Seidenspinnerei
nur die Verarbeitung der Florcttseioe zu Garnen zu ver- stehen ist. In den Florettspinnereien wird zu- nächst der Klebstoff
durch einen Fäulnisprozeß oder durch Kochen in Kali- oder Natronlauge aufgelöst, worauf man die durch Auswafchen und Stampfen
bearbeitete Masse trocknet und die Fasern durch Klopfen voneinander ifoliert.
Die nachfolgenden Operationen stnd, je nachdem dasselbe eine fein- faferige mehr oder weniger dichte Masse
oder ziem- lich lange, nur lose zusammenhängende Fäden dar- stellt, entweder der Kammgarn- und der Werg- spinnerei oder
der Baumwollfpinnerei entnommen, indem als Vorarbeit des Spinnens in dem einen Fall ein Kämmen oder .hecheln, im andern ein
Krempeln stattfindet. Obwohl die schönsten Flo- rettgarne an Feinheit, Glätte und Glanz niemals den bessern Sorten der gehaspelten
und silierten S. gleichkommen, finden dieselben ihrer Wohlfeilheit wegen ausgedehnte Verwendung.
Man benutzt sie in der Weberei als Einschlag mit einer Kette von silierter S. oder auch als Kette halbseidener Stoffe, deren
Einschlag aus Wolle besteht, außerdem zur Herstellung geringererVünder, Fransen und Schnüre, gestrickter und gewirkter Strümpfe
sowie von Näh-, Strick- und Stickseide, wozu sie eine Appretur durch Sengen, Leimen oder Glänzen erhalten und unter verschiedenen
Namen, wie Kreszentin, Cbappe (Schappe), in den Handel kommen. Das Spinnen der Florettseide geschieht teils auf
Spinnrädern, teils auf Mafchinen. Im erstern Fall bedient man sich des früher auch für die Woll- spinnerei gebräuchlichen
Handrades, wenn die Fasern kurz sind, während die langen Fasern auf dem Tritt- rade versponnen werden.
Ebenso sind bei der Ma- schinenspinnerei für kurzes und für lauges Material verschiedene Methoden in Anwendung."
Das erstere wird ganz wie Baumwolle behandelt, indem man die von der Krempelmaschine gelieferten Bänder auf der Streckmaschine
zusammenlegt (dupliert) und auszieht, dann auf eine Vorspinnmaschine bringt und das erhaltene Vorgcspinst auf einer Mulemafchine
dem Feinfpinnprozeß unterwirft. Dagegen sind für lange Florcttfcide die in der Kammgarn- und Flachsfpinnerei üblichen
Mafchi- nensysteme in Gebrauch.
Die beim Kämmen der Florettseide sich ergeben- den Seidenabfälle (Bourrette, Stumba) bilden das Material einer weitern, nicht
unbedeu- t end en Industrie, derVourrettespinnerei, wclche im wesentlichen nach dem Verfahren der Kammgarn- spinnerei arbeitet.
Die Abgänge derselben werden nicht versponnen, sondern als Watte, die geringsten als Polster- oder Packmaterial
oder als schlechte Wärmeleiter zur Umhüllung von Dampfleitungen u. s. w. verwendet.
Ahnlich
der Kunstwolle (s. d.) wird auch die durch Zerfasern seidener Lumpen ge- wonnene S. (Seidenshoddy) zu geringwertigen Stoffen
verwendet.
Über vegetabilische S. s. ^clspiNä und (^lo- tropiL; über Muschelseide s. d.
Die Geschichte der Seidenindustrie reicht bis in die frühesten Zeiten der Kulturentwicklung im Orient zurück.
Schon um 2000 v. Chr. war die S. den Chinesen bekannt. Eine chines. Kaisertochter soll um 150 v. Chr.
die Seidenzucht nach Japan ver- pflanzt haben, von wo sie sich weiter unter den asiat. Völkern verbreitete.
Die Griechen scheinen die S. durch den Eroberungszug Alexanders d. Gr. nach Indien kennen gelernt zu haben;
durch sie kam die Kenntnis derselben später nach Italien. Unter den prachtliebenden röm. Kaisern trieb man außer- ordentlichen
Luxus mit seidenen Geweben, die aus Indien und Persien kamen; erst im 3. Jahrh. n. Chr. sing man
in Italien an, aus importierter Rohseide Gewebe zu verfertigen. Unter dem Kaiser Iustinian brachten griech.
Mönche aus dem Morgenlande die Kenntnis der Seidenzucht und in ihren hohlen Pilgerstäben die ersten Seidenraupeneier nach
Kon- stantinopel. Durch die Araber gelangte zwei Jahr- hunderte später die Seidenzucht nach Spanien, und durch die Kreuzzüge
breitete sich dieselbe in Italien aus; Venedig und Genua trieben im 15. und 16. Jahrh, den wichtigsten
Seidcnhandel. In Frank- reich wurde diese Industrie namentlich unter Lud- wig XI. und seinen Nachfolgern gepflegt; unter Franz I.
entstanden die Fabriken von Lyon, die an Heinrich IV. und an Colbert, dem Minister Lud- wigs XIV., kräftige Förderer fanden.
Im 17. Jahrh, nahm die franz. Seidenfabrikation bereits in ganz Europa
die hervorragendste Stellung ein; nach der Aufhebung des Edikts von Nantes brachten jedoch die franz. Auswanderer ihre Kunst
nach Deutsch- land, der Schweiz, Holland, England, auch nach Dänemark, Schweden und Rußland. In Deutschland waren schon am Ausgang
des Mittelalters Mainz, Augsburg, Nürnberg der Sitz einer lebhaften Seidenindustrie. Die erste von Er-
folg begleitete Anregung zur Einführung der Sei- dcnzucht gab Friedrich d. Gr. durch Äus^tz^ng von Prämien. Von der Mark Brandenburg
aus verbreitete sich dieser Betrieb in den übrigen preuß. Provinzen. 1786 wurde die jährliche
Produktion an Rohseide im preuß. Staat auf 14000 Pfd. ge- schätzt, doch ist diese Ziffer nie wieder erreicht
wor- den. Überhaupt ist kaum irgend ein Teil Deutsch- lands, in welchem nicht früher oder später Versuche zur Einführung
der Seidcnzucht gemacht worden wären, doch hat der Betrieb nirgends größern Um- fang gewonnen, was sich außer durch die
klima- tische Beschaffenheit durch die Arbeiterverhältnisse der betreffenden Gegenden erklärt.
Österreich, das, solange es im Besitz der Lombardei und des venet. Gebietes war, eine blühende Pflanzstätte der Seiden- industric
besaß, hat mit derartigen Bemühungen nur in den am günstigsten gelegenen Landesteilcn, Tirol, dem Istrischen Küstenlande,
Dalmatien, dem südl. Ungarn, dauernden Erfolg gehabt. Die Schweiz hat hauptfächlich in Tcfsin Seidenkultur.
Im europ. Rußland hat man gleichfalls in- folge der ungünstigen Erfahrungen die Seidenzucht auf die hierfür am besten geeigneten
Gegenden be- schränkt, und ebenso wenig hat in England und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo sich
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