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unbedingt garantiert und Sonderbünde halb und halb erlaubt. Auf Zureden der Alliierten mußte die S. 1817 der Heiligen Allianz beitreten, auch sich 1823 zur Beschränkung der Preßfreiheit, des Asylrechts u. s. w. verstehen. Die ehemals regierenden Städte erhielten auch jetzt wieder ein Übergewicht in der Vertretung. Die unmittelbaren Volkswahlen in die Großen Räte wurden mehr oder weniger eingeschränkt, so daß fortan diese Behörden großenteils sich selbst ergänzten. Die Mißbrauche der Gewalt riefen indes eine wachsende Opposition hervor. Liberale Führer (wie P. Usteri, die Gebrüder Pfyffer u. a.), Vereine und Zeitungen bemühten sich, das polit. Leben zu verjüngen. Die franz. Julirevolution von 1830 brachte in die liberale Bewegung einen kräftigen und nachhaltigen Impuls.
Binnen wenigen Monaten änderten im Herbst 1830 und Anfang 1831 12 Kantone ihre Verfassungen in demokratischem (liberalem) Sinne (Volkssouveränität, Rechtsgleichheit, Trennung der Gewalten, Volksrechte). Im Jan. 1831 fügte sich die Aristokratie in Bern; [* 2] länger dauerten die Spaltungen in Schwyz (s. d.); in Basel [* 3] (s. d.) blieb es bei der Trennung in zwei Halbkantone. Unbeweglich blieben nur Uri, Unterwalden und Wallis. Im ganzen umfaßte die Regeneration im liberalen Sinne ein Drittel der Kantone vollständig, ein zweites Drittel nur teilweise.
Der Kampf der liberalen Partei war nach den Juliereignissen und der Herstellung neuer Verfassungen in den einzelnen Kantonen auf eine Reform der Bundesverfassung gerichtet. Um diese ins Werk zu setzen und ihre Verfassungen gegen die Reaktion zu schützen, vereinigten sich März 1832 die Kantone Zürich, Bern, Luzern, [* 4] Solothurn, [* 5] St. Gallen, Aargau und Thurgau zum «Siebner-Konkordat». Hierauf beschloß die Tagsatzung die Revision der Bundesverfassung.
Allein nun stemmten sich die reaktionär gesinnten Kantone Basel, Uri, Schwyz, Unterwalden, Wallis und Neuenburg, [* 6] die 14. Nov. den Sarner Bund bildeten, mit aller Macht dagegen. Der bis zum zu stande gebrachte Entwurf einer neuen Bundesakte entsprach weder den Zielpunkten der sog. radikalen, noch denjenigen der konservativen Partei und wurde deshalb in der Volksabstimmung von 1833 verworfen. Der Sarner Bund aber wurde nach einigen Excessen in Schwyz und Basel durch energisches Einschreiten der Tagsatzung (Aug. 1833) aufgelöst.
Nach den Ereignissen von 1830 war die S. das Asyl zahlreicher polit. Flüchtlinge, von denen einzelne von da aus auf ihre Heimatländer einzuwirken suchten. Nach dem sog. Savoyerzug kam endlich auf die dringenden Noten des Auslandes ein Tagsatzungsbeschluß gegen die ihr Asylrecht mißbrauchenden Flüchtlinge zu stande. Spione und Polizeispitzel bereiteten der S. große Verlegenheiten und bewirkten die Ausweisung vieler Flüchtlinge. 1836 erfolgte sogar eine Grenzsperre Frankreichs gegen die S. wegen eines Zollstreites. Nach dem Straßburger Attentat führte die Rückkehr Ludwig Bonapartes (Napoleon III.) nach dem Thurgau, wo er seit 1832 das Bürgerrecht besaß, zu neuem Zwiespalt. Frankreich, von den andern Mächten unterstützt, forderte dessen Ausweisung, und es wäre, da die Tagsatzung für das Asylrecht der S. eintrat, zum Kriege gekommen, wenn nicht Ludwig Bonaparte die S. verlassen hätte.
In den J. 1833-39 fanden zahlreiche kirchliche Bewegungen statt. Während der Restauration von 1814 und 1815 hatte die Römische Kurie [* 7] die schweiz. Gebiete des Bistums Konstanz [* 8] von diesem abgelöst und gegen den Willen der beteiligten Stände mit Graubünden zu dem Doppelbistum Chur-St. Gallen vereinigt, die Bistümer Lausanne [* 9] und Basel umgestaltet und den Kantonen ungünstige Konkordate aufgedrängt. Die kleinen schweiz. Bistümer, die keinem Metropolitanverbande mehr angehörten, wurden unmittelbar dem päpstl.
Nuntius unterstellt. In Freiburg [* 10] und Wallis kehrten die Jesuiten zurück; die Klöster bevölkerten sich wieder. Um sich der Übergriffe der Hierarchie zu erwehren, lösten 1833 die Kantone Graubünden und St. Gallen das Doppelbistum auf, und vereinigten sich in Baden [* 11] Gesandte von Bern, Luzern, Solothurn, Basel-Land, Aargau, Thurgau und St. Gallen zu einer Konferenz, welche die Rechte des schweiz. Episkopats dem Nuntius gegenüber wahren und ein gemeinsames liberales Staatskirchenrecht begründen sollte.
Der Papst verdammte die Reformartikel der Badener Konferenz in einer heftigen Bulle was den Klerus ermutigte, den Regierungen zu trotzen und das kath. Volk gegen die Neuerungen aufzuwiegeln. Im Aargau kam es 1835 und im Bernischen Jura 1836 zu Tumulten, die zwar durch militär. Demonstrationen leicht gedämpft wurden; jedoch mußten die Regierungen dem Druck Frankreichs und Österreichs nachgeben und den Reformplan der Badener Konferenz fallen lassen.
An diese kirchlichen Bewegungen reihen sich Verfassungswirren und revolutionäre Versuche bald von liberaler, bald von klerikaler Seite. (S. Schwyz, Wallis, Zürich, [* 12] Tessin.) Der wichtigste dieser «Putsche» war der namentlich von den Klöstern geschürte Aufstand der aargauischen Freiämter (s. Aargau), der jedoch durch den Sieg der Regierungstruppen bei Villmergen unterdrückt wurde. Darauf beschloß der Große Rat des Kantons auf Antrag von Augustin Keller die Aufhebung sämtlicher Klöster. Als im Aug. 1843 die Mehrheit der Tagsatzung, nach einigen Konzessionen des Aargaus, die Klosteraufhebung billigte, legten die Kantone Luzern, Freiburg, Zug und die Urkantone Protest ein und bildeten im Herbst 1843 eine Sonderverbindung. Inzwischen hatte im Kanton Luzern [* 13] die klerikale Partei, geführt von Joseph Leu und Siegwart Müller, mit Hilfe der Bauern eine revidierte Verfassung durchgesetzt, wodurch der Staat alle Hoheitsrechte über die Kirche verlor. Ja, es wurden sogar 1844 die Jesuiten förmlich an die höhern Lehranstalten des Kantons berufen, nachdem der durch zahlreiche Volkspetitionen unterstützte Antrag des Aargaus auf Ausweisung der Jesuiten aus der ganzen S. von der Tagsatzung abgelehnt worden war. Die Liberalen suchten diese Berufung durch Gewalt zu hindern, aber ihr planloses Unternehmen, der erste Freischarenzug, scheiterte 8. Dez. Die Härte, womit nun die Luzerner Regierung ihren Sieg ausnutzte, steigerte die Aufregung gegen die Jesuiten. Zwar mißlang auch der zweite, besser organisierte, von Rob. Steiger und Ulrich Ochsenbein geführte Freischarenzug gegen Luzern (März 1845) durch die Niederlage der Freischaren 31. März und 1. April, aber die Grausamkeit der Sieger steigerte die Erbitterung auf das äußerste und machte der Unentschlossenheit ein Ende. In der Waadt war schon im Febr. 1845 die unschlüssige Regierung gestürzt und durch eine entschieden liberale ersetzt ¶
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worden; im April fand derselbe Umschwung in Zürich, im Febr. 1846 in Bern statt, das nun als zeitweiliger Vorort an die Spitze der liberalen Partei trat.
Diese Wendung der Dinge erweckte in den ultramontanen Kantonen große Besorgnis. Im Sept. 1845 trat auch Wallis dem Sonderbunde von 1843 bei, und dieser rüstete zum Widerstand. Die Bestimmungen des Bundesvertrags von 1815 über Sonderbünde waren so lax, daß der Vorschlag Zürichs auf Auflösung des Sonderbundes auf der Tagsatzung im Sept. 1846 nicht die zum Beschlusse erforderliche Mehrheit erhielt. Erst nachdem in Genf [* 15] die herrschende klerikale Partei im Okt. 1846 durch einen Aufstand abgesetzt und auch in St. Gallen eine Änderung des Systems herbeigeführt worden war, kam ein gültiger Tagsatzungsbeschluß zu stande, der die Auflösung des Sonderbundes aussprach. An diesen Beschluß knüpfte sich dann im September ein weiterer für Ausweisung der Jesuiten und Vornahme der Bundesreform.
Nachdem eine Proklamation an das Volk der Sonderbundskantone und die Absendung von Kommissären dahin erfolglos geblieben war, sammelte die Tagsatzung eine Armee von nahezu 100000 Mann unter dem Oberbefehl Dufours und beschloß 4. Nov. die Vollziehung ihres Dekrets vom 20. Juli durch Waffengewalt (Sonderbundskrieg). Ihr gegenüber standen unter dem Oberbefehl des Graubündeners Salis-Soglio 37000 Mann der sieben Sonderbundskantone, die noch durch einen Landsturm von 47000 Mann unterstützt werden sollten.
Durch Überschreitung der Grenzen [* 16] des Kantons Tessin und einige anfangs glückliche Einfülle in die kath. Freiämter des Aargaus wurden die Feindseligkeiten von den Truppen des Sonderbundes eröffnet. Der Angriff von seiten der Tagsatzung erfolgte durch das Einrücken eines Teils der eidgenössischen Truppen in den ganz isolierten Kanton Freiburg. Nach einem kurzen Gefecht kapitulierte die Stadt. Die Jesuiten flohen, die Regierung zerstreute sich, und eine neue ward gebildet. Jetzt wandte sich die Hauptmacht der Eidgenossen gegen Luzern. Zug unterwarf sich ohne weiteres 21. Nov. Am 23. Nov. kam es in der Nähe von Luzern am Rooter Berge, bei Gislikon, Donau und Meierskappel zum Gefecht. Die Sonderbundstruppen wurden geschlagen, und Luzern kapitulierte; die Führer des Sonderbundes, die Regierung von Luzern und die Jesuiten flohen. Bald darauf unterwarfen sich Unterwalden, Uri, Schwyz und Wallis.
Im Verlauf dieser Kämpfe beteiligten sich fortwährend die Großmächte, mit Ausnahme Großbritanniens, an den innern Angelegenheiten der S. auf eine die Selbständigkeit der Eidgenossenschaft gefährdende Weise. Schon 1846, bei der Umwälzung in Genf, kam es zwischen Österreich [* 17] und Frankreich zu Verhandlungen über eine event. Intervention. Da Frankreich nur mit England gemeinschaftlich handeln wollte, so benutzte Palmerston die Gelegenheit, die Entscheidung der Sache so lange zu verzögern, bis es keinen Sonderbund mehr gab und die Vermittelung von selbst wegfiel.
Doch erließen Österreich, Frankreich und Preußen [* 18] noch nach Auflösung des Sonderbundes an die S. eine Note vom mit der Zumutung, die kaum erst besetzten Sonderbundskantone zu räumen und Veränderungen in der Bundesakte von 1815 nur mit Einwilligung aller den Bund bildenden Kantone vorzunehmen. Die große europ. Bewegung von 1848 beseitigte jedoch alle Einmischungen von außen, so daß die S. ihre polit. Neugestaltung ungestört vollenden konnte. Schon begann eine von der Tagsatzung ernannte Bundesrevisionskommission ihre Arbeiten. Am 15. April konnte der Entwurf der neuen Bundesverfassung veröffentlicht und nach seiner Durchberatung durch die Tagsatzung 27. Juni zur Volksabstimmung vorgelegt werden. In dieser erklärte sich die Mehrheit der Kantone wie der Bevölkerung [* 19] zur Annahme und 12. Sept. erfolgte die feierliche Verkündigung.
Die S. wandelte sich in einen Bundesstaat um, mit Bundesgericht und Volksvertretung (Nationalrat) und Kantonsvertretung (Ständerat) in der Bundesversammlung. Beide Körperschaften zusammen ernannten einen Bundesrat von 7 Mitgliedern. Bern wurde Hauptstadt. Centralisiert wurden Post, Münze, Maß, Gewicht und Zölle, und das Volk erhielt erhebliche Rechte (Rechtsgleichheit, freie Niederlassung, Glaubensfreiheit, Preßfreiheit, Vereinsrecht, Petitionsrecht, Handels- und Gewerbefreiheit). Das Fürstentum Neuenburg (s. d.) verwandelte sich nach einem Aufstande der Gegner Preußens [* 20] in eine Republik.
Der Sieg über die europ. Revolution 1849 führte abermals Tausende polit. Flüchtlinge, besonders Deutsche, [* 21] Italiener und bald auch Franzosen, auf den Boden der S. Ihre Anwesenheit gab indessen einigen Nachbarstaaten Anlaß zu Beschwerden. Am ernstlichsten war der Konflikt mit Österreich, das 1853 seinen Geschäftsträger bei der Eidgenossenschaft abberief, eine Grenzsperre gegen den Kanton Tessin anordnete und alle im Lombardisch-Venetianischen Königreich wohnenden Tessiner, über 6000, aus dem Kaiserstaat auswies. Der Ausbruch der orient. Wirren bestimmte indes Österreich im Juni 1854, die strenge Grenzsperre gegen Tessin aufzuheben. Eine gefährlichere Verwicklung erstand der S., als im Kanton Neuenburg (s. d. und Preußen, Bd. 13, S. 413 b) die Royalistenpartei das frühere Verhältnis zur Krone Preußen wiederherzustellen versuchte. Doch folgte eine der S. völlig günstige Lösung.
Im ital. Kriege von 1859 hatte die S. zur Wahrung ihrer Neutralität an ihren Südgrenzen Truppenaufstellungen vorzunehmen und machte gleichzeitig durch energische Beschlüsse dem Reislaufen ein Ende. Als 1860 Frankreich Savoyen annektierte, verlangte die öffentliche Stimme in der S. die Einverleibung des Neutralitätsgebietes Faucigny und Chablais; Napoleon III. erkannte zwar die Neutralität dieser Landschaften an, verweigerte aber ihre Abtretung an die S. Eine Friedenspartei unter Dubs und Alfred Escher stand einer Kriegspartei unter Stämpfli gegenüber.
Proteste, welche die Bundesregierung gegen die franz. Annexion erhob und in London, [* 22] Berlin [* 23] und Petersburg [* 24] bei den sog. Kongreßmächten unterstützen ließ, hatten keine thatsächlichen Erfolge. Der Krieg in Italien [* 25] 1866 machte wieder eine Truppenaufstellung im Süden nötig und bewirkte durch die außerordentlichen Erfolge des preuß. Zündnadelgewehrs eine sofortige Neubewaffnung des eidgenössischen Milizheers; zugleich veranlaßte die Neugestaltung Deutschlands [* 26] die S., auch beim Norddeutschen Bunde und den süddeutschen Staaten einen ordentlichen Gesandten zu accreditieren. Die J. 1860-74 waren für die S. im ganzen eine Zeit der ruhigen glänzenden Entwicklung in materieller wie in polit. Hinsicht. Handel und Industrie blühten wieder auf, ¶