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Tschetschenzen, zu unterwerfen; doch fand es heftigen Widerstand in der Thätigkeit Schamyls (s. d.).
Im Innern R.s trug unter Kaiser Nikolaus I. alles das Gepräge des strengsten militär. Absolutismus. In diesem Sinne wurde die militär. Kraft des Staates mächtig gesteigert, der Unterricht uniformiert, das System der polizeilichen Gewalt, der genauesten Überwachung, der Absperrung gegen das Ausland aufs eifrigste ausgebildet. Das Streben, die verschiedenen Nationalitäten des Reichs zu russifizieren, gab sich nicht allein in dem Verfahren gegen Polen kund, sondern auch in dem, was in den Ostseeprovinzen geschah, und in den neuen Organisationen, denen 1836 die Kalmücken und Donischen Kosaken unterzogen wurden. Die Juden wurden massenweise gewaltsam aus den Grenzprovinzen in das Innere R.s verpflanzt. Die Hebung des Ackerbaues, die Bildung von Handelsgesellschaften, die Förderung einzelner Zweige der Industrie, die Begünstigung der Dampfschiffahrt, die ersten Eisenbahnbauten und ähnliches, wobei man die Mitwirkung fremder Kräfte nicht entbehren konnte, waren Zugeständnisse an die Überlegenheit der abendländ. Civilisation. Unter den Versuchen, die innere Gleichheit und Einheit herzustellen, erregten am meisten Aufsehen die Maßregeln auf religiösem Gebiet, durch welche alle christl. Konfessionen und die Juden bedroht waren. Durch Ukase vom 5. Juli und 19. Okt. 1831 wurde in Polen der Bau neuer kath. Kirchen verboten und bald darauf eine Anzahl kath. Kirchen dem griech. Kultus zugewiesen. Zu gleicher Zeit trat eine strengere Praxis bei gemischten Ehen ein. Mit einem einzigen Akte wurden 1839 3-4 Mill. unierter griech. Christen der orthodoxen russ. Kirche einverleibt. Doch gelang es selbst den äußersten Gewaltmaßregeln nicht, den Widerstand der Unierten zu brechen. Sodann ward durch einen Ukas die griech. wie die röm. Geistlichkeit ihres Grundvermögens beraubt und durch Staatszuschüsse abgefunden. Diese Eingriffe verursachten Konflikte mit Papst Gregor XVI., welche bei einer Zusammenkunft des Kaisers mit dem Papst in Rom (13. Dez. 1845) beseitigt wurden. Auch die prot. Kirche in den Ostseeprovinzen hatte unter demselben System zu leiden. 1841 begann durch Täuschungen und Vorgaukelung materieller Vorteile eine griech.-orthodoxe Propaganda in Livland, der in einigen Jahren gegen 100000 Bauern zum Opfer fielen. Bereits 1832 war den Ostseeprovinzen trotz der ihnen von Peter d. Gr. zugesicherten Gewissensfreiheit das russ. Gesetz aufgezwungen, das den Austritt aus der griech. Kirche unter Androhung schwerer Strafen verbietet und Kinder aus gemischten Ehen unbedingt der griech. Kirche zuspricht. Die kirchliche Propaganda ward überhaupt als das wichtigste Mittel der nationalen Umschmelzung betrachtet. Auch in die Verhältnisse der Leibeigenschaft wurden Eingriffe gemacht: die Leibeigenen durften Güter ihrer Grundherren bei der Zwangsversteigerung erstehen und überhaupt Grundbesitzer werden.
Bei dem 1839 von neuem ausgebrochenen Krieg zwischen der Pforte und dem Vicekönig von Ägypten verständigte sich Rußland mit dem brit. Kabinett und half den Julivertrag von 1840 abschließen, wodurch Frankreich isoliert und die orient. Verwicklung im Sinne der verbündeten vier Großmächte geschlichtet ward. Der Krieg im Kaukasus, wo 1845-54 Fürst Woronzow kommandierte, dauerte in derselben Weise wie früher mit sehr wechselndem Erfolge fort. Ein neuer Polenaufstand, der über das preuß., österr. und russ. Polen verzweigt war, wurde frühzeitig entdeckt und verlief 1846 in vereinzelte Ausbrüche. Von den Folgen der franz. Februarrevolution 1848 blieb zwar Rußland ziemlich unberührt, aber für die Ruhe in Polen mußte immer gefürchtet werden. Den deutschen Interessen trat Rußland nach Kräften entgegen, namentlich in der schlesw.-holstein. Sache. Die Unruhen in der Walachei gaben dem Kaiser Nikolaus Veranlassung, im Einverständnis mit der Pforte die Donaufürstentümer zu besetzen (Sommer 1848) und den vorteilhaften Vertrag von Balta-Limani (1. Mai 1849) zu erlangen, wodurch unter anderm für die nächsten sieben Jahre den Russen wie den Türken gestattet wurde, im Falle einer Bewegung sofort einzurücken. Kurz darauf errang die russ. Politik einen nicht minder bedeutsamen Triumph. Österreich war nicht im stande, die aufständischen Magyaren niederzuwerfen, und bat um russ. Hilfe. Schon im Dez. 1848 war eine Abteilung Russen in Siebenbürgen eingerückt; jetzt, nach Abschluß eines förmlichen russ.-österr. Bündnisses, setzte sich Mai 1849 Fürst Paskewitsch in Bewegung, um den erschöpften Streitkräften der Magyaren den letzten Stoß zu geben. Bei Világos 13. Aug. 1849 streckte Görgey vor den Russen die Waffen. Das Zerwürfnis zwischen Österreich und Preußen gab dem Kaiser Nikolaus Gelegenheit, zu Warschau Juni und Okt. 1850 als Schiedsrichter zwischen beiden Mächten aufzutreten und für die Wiederherstellung des Deutschen Bundestags zu wirken. In der schlesw.-holstein. Frage unterstützte Rußland entschieden die Ansprüche Dänemarks, und die russ. Diplomatie brachte endlich das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 zu stande, wodurch die Erbfolge im dän. Gesamtstaate dem Prinzen Christian von Glücksburg zugesprochen wurde. Diese Erfolge bezeichneten den Höhepunkt des russ. Einflusses. Als in Frankreich die Republik beseitigt und im Widerspruch mit den Verträgen von 1814 und 1815 das Kaisertum in der Person Napoleons III. wiederhergestellt wurde, versuchte Kaiser Nikolaus vergeblich Österreich und Preußen zu einem gemeinsamen Schritte gegen dasselbe zu bewegen.
Bei dieser übermächtigen Stellung R.s in Europa hielt Kaiser Nikolaus den Augenblick für geeignet, im Orient rascher und unverhüllter den Zielen der russ. Politik entgegenzugehen. Auf Andrängen des franz. Gesandten Lavalette hatte die Pforte 8. Febr. 1852 den lat. Christen rücksichtlich der Heiligen Stätten in Jerusalem Konzessionen gemacht, indem sie die Schlüssel zur Kirche in Bethlehem dem griech. Patriarchen abnahm und dem katholischen übergab, wodurch die griech. Kirche sich als zurückgesetzt ansah. Damals that Österreich einen entscheidenden Schritt, um seinen Einfluß in Konstantinopel wiederherzustellen, indem es aus Anlaß der Wirren in Montenegro u. s. w. verschiedene Forderungen bei der Pforte geltend machte, die auch sofort Febr. 1853 gewährt wurden. Um so mehr fühlte Kaiser Nikolaus sich gedrängt, diese Erfolge Österreichs und Frankreichs durch eine unzweifelhafte Demütigung der Türkei zu verdunkeln. Seine Pläne gingen aber noch weiter: er ließ der brit. Regierung durch ihren Gesandten in Petersburg, Sir Hamilton Seymour, einen Vorschlag über die Teilung des Osmanischen Reichs machen. Der Beihilfe Preußens und Österreichs glaubte er auf alle Fälle sicher zu sein; Frankreich aber sollte wie 1840 isoliert werden und ganz leer ausgehen. Nach längern
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Verhandlungen (Jan. bis April 1853) lehnte Großbritannien diese Vorschläge ab. Inzwischen war jedoch die russ. Politik schon energisch vorgegangen. Am 28. Febr. 1853 erschien Fürst Menschikow als außerordentlicher Botschafter in Konstantinopel, wo er mit schroffer Rücksichtslosigkeit auftrat. Am 16. März übergab er eine Note, welche wegen der Heiligen Stätten Beschwerde führte und Garantien für die Rechte der griech. Kirche forderte. Als die Pforte, von England und Frankreich ermutigt, diese Forderung verweigerte, brach Menschikow die diplomat. Beziehungen ab, und der Zar verkündete, nachdem ein der Pforte gestelltes Ultimatum abgelehnt war, in einem Manifest vom 26. Juni, daß er seine Truppen in die Donaufürstentümer einrücken lasse, um für die Wiederherstellung der Rechte R.s und der griech. Kirche ein Pfand in Besitz zu nehmen.
In der Tat drang schon 2. Juli 1853 ein russ. Heer unter Fürst Michail Gortschakow in die Moldau und Walachei ein. Alle Vermittelungsversuche blieben erfolglos, und auch eine in Wien 21. Juli 1853 eröffnete Konferenz der Großmächte zog sich bis April 1854 hinaus, ohne eine Ausgleichung herbeizuführen. Inzwischen hatten seit Okt. 1853 die Feindseligkeiten zwischen Rußland und der Türkei begonnen, und 12. März 1854 traten auch die Westmächte in den Krieg gegen Rußland (den sog. Krimkrieg oder Orientkrieg, s. d.) ein, der nun große Dimensionen annahm. Im Sept. 1854 faßten die verbündeten Franzosen, Briten und Türken, denen sich später die Sardinier anschlossen, festen Fuß in der Krim und begannen die Belagerung von Sewastopol (s. d.). Mitten in diesen Schwierigkeiten starb Kaiser Nikolaus 2. März 1855. Sein Sohn und Nachfolger Alexander II. (1855-81) setzte den Krieg fort, da die abermaligen Friedenskonferenzen zu Wien März und April 1855 ohne Resultat blieben. Nach dem Fall Sewastopols (10. Sept. 1855) wurden unter Vermittelung Österreichs die Unterhandlungen aufgenommen und führten 30. März 1856 zum Abschluß des (dritten) Pariser Friedens (s. d.).
Der Orientkrieg hatte Rußland in den Zustand tiefster Erschöpfung versetzt, und so war es natürlich, daß die russ. Politik in den nächsten Jahren sich von jeder thatkräftigen Einmischung in die europ. Verwicklungen zurückhielt, dagegen aber im Orient eine lebhafte Thätigkeit entwickelte. Obwohl Persien, seitdem der brit.-pers. Krieg (1856-57) unter franz. Vermittelung beigelegt war, sich mit den Westmächten in engere Beziehungen setzte, wußte doch Rußland seinen Einfluß am Hofe von Teheran zu behaupten. Während des Krieges der Westmächte gegen China (1857-60) nahm eine vermittelnde Stellung ein und gewann auf diesem Wege große Vorteile. Durch die Verträge von Aigun 28. Mai 1858, von Tientsin 13. Juni 1858 und von Peking 14. Nov. 1860 wurde China dem russ. Handel eröffnet und zugleich ein großer Teil der Mandschurei, das sog. Amurland, an Rußland abgetreten. Auch ward 1863 eine ständige russ. Gesandtschaft in Peking errichtet. Durch den Handelsvertrag vom 26. Jan. 1855 wurde der Verkehr mit Japan eröffnet und durch den Vertrag vom 7. Mai 1875 die Insel Sachalin an Rußland abgetreten, das dafür die Kurilen an Japan überließ.
Im Kaukasus, wo 1856-61 Fürst Barjatinskij als Statthalter kommandierte, dauerte der Kampf gegen die unabhängigen Bergvölker (s. Kaukasische Kriege) ununterbrochen fort, und erst nach drei beschwerlichen Feldzügen kam es endlich zu einem entscheidenden Erfolge. Am 6. Sept. 1859 mußte Schamyl in seiner Bergfestung Gunib sich den Russen ergeben. Damit war die Unterwerfung des Kaukasus im ganzen und großen vollendet. In Mittelasien schritt Rußland unaufhaltsam vorwärts. (S. Russisch-Centralasien.) Der Chan von Chiwa hatte bereits 1854 den russ. Kaiser als seinen Oberherrn anerkannt. Aus weitern eroberten Ländern wurde 1867 die Provinz Turkestan mit der Hauptstadt Taschkend gebildet und 1876 die Provinz Ferghana. So verstärkte sich die Macht R.s in Mittelasien von Jahr zu Jahr zum Mißvergnügen Englands, welches bereits 1873 einen Notenwechsel hierüber eröffnete.
In der europ. Politik bewahrte Rußland nach wie vor eine maßvolle und reservierte Haltung. Nach dem Sturze des Königs Otto von Griechenland hatte Rußland mit den beiden andern Schutzmächten bei der Wiederbesetzung des griech. Throns (1862-63) mitzuwirken. Die Einladung Frankreichs zu einer diplomat. Intervention in dem Nordamerikanischen Bürgerkriege lehnte ab (Nov. 1862). Vielmehr wurden die alten Sympathien für die Vereinigten Staaten sorgsam gepflegt, und Rußland verkaufte im März 1867 seine Besitzungen im nordwestl. Nordamerika für 7 1/5 Mill. Doll. an die Vereinigten Staaten. Der poln. Aufstand gab Anlaß zu diplomat. Erörterungen. Nur Preußen stellte sich in dieser Schwierigkeit auf R.s Seite und schloß die geheime Konvention vom 8. Febr. 1863. Dagegen vereinigten sich Frankreich, Großbritannien und Österreich, auf Antrieb Napoleons III., und erließen 10. April wesentlich übereinstimmende Noten, worin sie unter Hinweis auf die Verträge von 1815 eine mildere Behandlung Polens befürworteten. Der russ. Staatskanzler Fürst Gortschakow antwortete darauf 26. bis 27. April, daß Rußland sich die Auslegung der Verträge selbst vorbehalten müsse. Bei den langwierigen diplomat. Differenzen wegen der schlesw.-holstein. Frage hatte Rußland bisher auf seiten Dänemarks gestanden. Als aber 1864 der Deutsch-Dänische Krieg ausbrach, begnügte es sich, diplomatisch zu vermitteln und an der fruchtlosen Londoner Konferenz teilzunehmen. Auch trat Alexander II. zu Kissingen 19. Juni 1864 die Erbansprüche auf Schleswig-Holstein, welche ihm als Haupt der Gottorpischen Linie des Oldenburger Hauses zustanden, an den Großherzog Peter von Oldenburg ab.
Schon seit 1864 war die russ. Regierung, wegen ihres Verfahrens gegen die kath. Kirche in Polen, mit der päpstl. Kurie in Streitigkeiten verwickelt. Bei der Neujahrscour 1866 kam es deshalb zu einer heftigen Scene zwischen Papst Pius IX. und dem russ. Geschäftsträger Freiherrn Felix von Meyendorff. Infolgedessen wurden 9. Febr. die diplomat. Beziehungen abgebrochen, und 13. März verließ Meyendorff die Stadt Rom. Darauf erklärte 4. Dez. 1866 ein kaiserl. Ukas das zwischen Rußland und dem Papst 15. Aug. 1847 abgeschlossene Konkordat für erloschen. Als im Sommer 1866 der Konflikt zwischen Preußen und Österreich zum Ausbruch kam, verharrte Rußland in einer neutralen, aber entschieden preußenfreundlichen Haltung. Mit besonderer Lebhaftigkeit nahm die russ. Diplomatie sich der aufständischen christl. Bevölkerung der Insel Kreta an und riet der Pforte, die Insel an Griechenland abzutreten, dessen König Georg I. 27. Okt. 1867 sich mit einer russ. Prinzessin vermählte. Aber England war dagegen, die Pariser Konferenz vom Jan. 1869