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durchgeführt. Dem Königreich Polen gab er 1818 eine Verfassung und selbständige Verwaltung. Alle Zweige der Kultur erfuhren Schutz, Aufmunterung und Unterstützung. Aber manche Enttäuschung, die Alexander erlebt, die mystische und frömmelnde Richtung, die sich seiner bemächtigte, und der Einfluß Metternichs wirkten zusammen, jene reformatorischen Bestrebungen allmählich zu verdrängen. Der Aufstand Griechenlands gegen die Türken wurde anfangs von Alexander begünstigt, und verließ sogar der russ. Gesandte Stroganow Konstantinopel. [* 2]
Als aber zu gleicher Zeit Revolutionen in Italien [* 3] und Spanien [* 4] ausbrachen, und der Kaiser einen allgemeinen Umsturz zu fürchten begann, trat er auf den Kongressen zu Troppau, [* 5] Laibach [* 6] und Verona [* 7] 1821 und 1822 den Anschauungen Metternichs, welcher jede Art von Revolution mit Gewalt niederschlagen wollte, bei und gab die Griechen preis. Alexander starb und gleich nach seinem Tode brach eine Verschwörung aus, an deren Spitze hohe Offiziere standen, und die kein geringeres Ziel hatte als die Beseitigung des regierenden Hauses Romanow und die Einführung einer neuen Staatsverfassung republikanischer Art. Eine Akte des verstorbenen Kaisers hatte den ältern Bruder Konstantin, der eine morganatische Ehe eingegangen war, nach dessen Verzichtleistung von der Thronfolge ausgeschloßen und diese auf den jüngern, Großfürsten Nikolaus, übertragen.
Als diese Akte jetzt öffentlich bekannt gemacht wurde, sträubte sich der designierte Nachfolger anfangs, den Thron [* 8] zu besteigen, bis ihn die wiederholte und unumwundene Erklärung Konstantins, daß er auf sein Recht verzichte, bewog, 24. Dez. die Krone anzunehmen. Diese eigentümliche Verwicklung gab den Verschworenen Anlaß, den neuen Kaiser Nikolaus I. (1825-55) als Usurpator darzustellen und unter dem Scheine einer Erhebung für Konstantin, als den rechtmäßigen Herrscher, einzelne Abteilungen des Heers zu ihren Zwecken zu verführen. So brach von einigen Garderegimentern unterstützt, ein Aufstand in Petersburg [* 9] aus, der jedoch durch die Entschlossenheit des Kaisers unterdrückt ward. (S. Dekabristen.)
Bald nach seiner Thronbesteigung bot sich für Nikolaus I. der Anlaß zu einem Kriege gegen Persien [* 10] dar. Der Friede zu Gulistan (1813) hatte den Persern ihre Gebiete am Kaukasus gekostet und der russ. Kriegsflotte das Kaspische Meer geöffnet. Der Sohn des Schah Feth-Ali, der talentvolle und tapfere Abbas-Mirza, wollte jetzt die Einbuße Persiens wieder gut machen. Er fiel ins russ. Gebiet ein und suchte die Bekenner des Islam zum Glaubenskriege gegen die Russen zu entflammen.
Aber General Paskewitsch schlug den Feind bei Jelisawetpol spielte den Krieg sogleich auf pers. Gebiet hinüber und eroberte hier das feste Kloster Etschmiadzin Am 1. Okt. fiel die Festung [* 11] Sardarabad, und darauf ergab sich 13. Okt. das feste Eriwan, welches das Hauptbollwerk der Perser gegen Rußland gewesen war. Ohne Widerstand drangen die Russen jetzt in die Provinz Aserbeidschan vor und nahmen Täbris, die Hauptstadt derselben, in Besitz. Persien bat nun um Frieden. Der Präliminarvertrag ward 5. Nov. zu Täbris und der Friede selbst zu Turkmantschai unterzeichnet. Rußland gewann die armenischen Provinzen Nachitschewan und Eriwan, 80 Mill. Rubel Entschädigung und große Handelsvorteile. Nun schien der Augenblick gekommen, energisch gegen die Türken vorzugehen. Zwar waren in dem Vertrage zu Akjerman die russ. Forderungen gewährt. Allein die Türken beeilten sich nicht, diese Bedingungen zu erfüllen, und es kam zum Russisch-Türkischen Krieg von 1828 und 1829 (s. d.), wodurch Rußland zum Herrn der Ostküste des Schwarzen Meers wurde sowie freien Durchgang durch den Bosporus [* 12] und die Dardanellen erlangte.
Die franz. Julirevolution von 1830 veränderte R.s Stellung zum Westen Europas, indem sie einen noch engern Zusammenschluß der östl. Mächte veranlaßte. Der infolge der Julirevolution erfolgende poln. Aufstand wurde niedergeworfen und gab der russ. Politik den Anlaß, auch den Schatten [* 13] polit. Existenz, den Polen noch besessen hatte, zu zerstören. Am trat an die Stelle der von Alexander gegebenen Verfassung das sog. Organische Statut, welches jedoch nicht ausgeführt wurde. Paskewitsch, der Besieger Polens, wurde als Statthalter an die Spitze der Militär- und Civilgewalt gestellt und regierte Polen nach seinem Ermessen; die poln. Armee wurde der russischen einverleibt. Die enge Verbindung mit Österreich [* 14] und Preußen [* 15] fand in den persönlichen Zusammenkünften der drei Monarchen zu Münchengrätz 1833, Teplitz 1835 und Kalisch [* 16] 1835 ihren Ausdruck.
Unterdes verfolgte Rußland mit unermüdlicher Thätigkeit seine Pläne im Orient. Durch die letzten Kämpfe war das Osmanische Reich schwer erschüttert, und nunmehr wurde es durch die Waffen [* 17] des Vicekönigs Mehemed-Ali von Ägypten [* 18] sogar in seiner Existenz bedroht. Da die Eroberung Konstantinopels durch die Ägypter der russ. Politik nicht erwünscht sein konnte, so bot Kaiser Nikolaus seine Hilfe an. Eine russ. Flotte erschien im Bosporus, landete Truppen bei Skutari, von der Donau war ein russ. Heer im Anmarsch, um Konstantinopel zu decken. Um den Konsequenzen dieser Allianz vorzubeugen, brachten England und Frankreich zwischen der Türkei [* 19] und Ägypten den Frieden von Kutahia zu stande, worauf Rußland mit der Türkei den Vertrag von Hunkiar-Skelessi schloß, worin letztere ein Defensivbündnis auf acht Jahre mit Rußland einging und sich verbindlich machte, keinem fremden Kriegsschiff die Durchfahrt durch die Dardanellen zu gestatten.
Während hier die russ. Politik über die Westmächte einen entschiedenen Sieg davontrug, war derselbe Gegensatz der Interessen auch in Persien wach geworden. Seit dem Frieden zu Turkmantschai war am Hofe zu Teheran Rußland im Übergewicht und hatte den brit. Einfluß zurückgedrängt. Schah Feth-Ali starb 1834, und es folgte ihm unter russ. Protektion Abbas-Mirzas Sohn, Mohammed-Mirza. Die russ. Diplomatie lenkte den Ehrgeiz desselben auf Eroberungszüge gegen Herat und Kandahar, um so den eigenen Einfluß bis dorthin auszudehnen und den englischen daselbst lahm zu legen. Russ.
Geld und russ. Offiziere wirkten bei der pers. Expedition gegen Herat (1837) mit. Doch scheiterte diese an der brit. Hilfe, die Herat geleistet wurde. Persien wurde gezwungen, vertragsweise allen Forderungen der engl. Politik nachzugeben (1841). Dem nämlichen Gegensatze der brit. und russ. Interessen in Asien [* 20] verdankte die verunglückte russ. Expedition nach Chiwa im Nov. 1839 ihren Ursprung. Auch im Kaukasus trat Rußland, wenngleich in verdeckter Form, die Thätigkeit Englands gegenüber. Seit dem Ende des poln. Aufstandes machte Rußland verstärkte Anstrengungen, die unabhängigen Bergvölker, namentlich die Tscherkessen und ¶
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Tschetschenzen, zu unterwerfen; doch fand es heftigen Widerstand in der Thätigkeit Schamyls (s. d.).
Im Innern R.s trug unter Kaiser Nikolaus I. alles das Gepräge des strengsten militär. Absolutismus. In diesem Sinne wurde die militär. Kraft [* 22] des Staates mächtig gesteigert, der Unterricht uniformiert, das System der polizeilichen Gewalt, der genauesten Überwachung, der Absperrung gegen das Ausland aufs eifrigste ausgebildet. Das Streben, die verschiedenen Nationalitäten des Reichs zu russifizieren, gab sich nicht allein in dem Verfahren gegen Polen kund, sondern auch in dem, was in den Ostseeprovinzen geschah, und in den neuen Organisationen, denen 1836 die Kalmücken und Donischen Kosaken unterzogen wurden.
Die Juden wurden massenweise gewaltsam aus den Grenzprovinzen in das Innere R.s verpflanzt. Die Hebung des Ackerbaues, die Bildung von Handelsgesellschaften, die Förderung einzelner Zweige der Industrie, die Begünstigung der Dampfschiffahrt, die ersten Eisenbahnbauten und ähnliches, wobei man die Mitwirkung fremder Kräfte nicht entbehren konnte, waren Zugeständnisse an die Überlegenheit der abendländ. Civilisation. Unter den Versuchen, die innere Gleichheit und Einheit herzustellen, erregten am meisten Aufsehen die Maßregeln auf religiösem Gebiet, durch welche alle christl. Konfessionen [* 23] und die Juden bedroht waren.
Durch Ukase vom 5. Juli und wurde in Polen der Bau neuer kath. Kirchen verboten und bald darauf eine Anzahl kath. Kirchen dem griech. Kultus zugewiesen. Zu gleicher Zeit trat eine strengere Praxis bei gemischten Ehen ein. Mit einem einzigen Akte wurden 1839 3-4 Mill. unierter griech. Christen der orthodoxen russ. Kirche einverleibt. Doch gelang es selbst den äußersten Gewaltmaßregeln nicht, den Widerstand der Unierten zu brechen. Sodann ward durch einen Ukas die griech. wie die röm. Geistlichkeit ihres Grundvermögens beraubt und durch Staatszuschüsse abgefunden. Diese Eingriffe verursachten Konflikte mit Papst Gregor XVI., welche bei einer Zusammenkunft des Kaisers mit dem Papst in Rom [* 24] beseitigt wurden.
Auch die prot. Kirche in den Ostseeprovinzen hatte unter demselben System zu leiden. 1841 begann durch Täuschungen und Vorgaukelung materieller Vorteile eine griech.-orthodoxe Propaganda in Livland, [* 25] der in einigen Jahren gegen 100000 Bauern zum Opfer fielen. Bereits 1832 war den Ostseeprovinzen trotz der ihnen von Peter d. Gr. zugesicherten Gewissensfreiheit das russ. Gesetz aufgezwungen, das den Austritt aus der griech. Kirche unter Androhung schwerer Strafen verbietet und Kinder aus gemischten Ehen unbedingt der griech. Kirche zuspricht. Die kirchliche Propaganda ward überhaupt als das wichtigste Mittel der nationalen Umschmelzung betrachtet. Auch in die Verhältnisse der Leibeigenschaft wurden Eingriffe gemacht: die Leibeigenen durften Güter ihrer Grundherren bei der Zwangsversteigerung erstehen und überhaupt Grundbesitzer werden.
Bei dem 1839 von neuem ausgebrochenen Krieg zwischen der Pforte und dem Vicekönig von Ägypten verständigte sich Rußland mit dem brit. Kabinett und half den Julivertrag von 1840 abschließen, wodurch Frankreich isoliert und die orient. Verwicklung im Sinne der verbündeten vier Großmächte geschlichtet ward. Der Krieg im Kaukasus, wo 1845-54 Fürst Woronzow kommandierte, dauerte in derselben Weise wie früher mit sehr wechselndem Erfolge fort. Ein neuer Polenaufstand, der über das preuß., österr. und russ. Polen verzweigt war, wurde frühzeitig entdeckt und verlief 1846 in vereinzelte Ausbrüche.
Von den Folgen der franz. Februarrevolution 1848 blieb zwar Rußland ziemlich unberührt, aber für die Ruhe in Polen mußte immer gefürchtet werden. Den deutschen Interessen trat Rußland nach Kräften entgegen, namentlich in der schlesw.-holstein. Sache. Die Unruhen in der Walachei gaben dem Kaiser Nikolaus Veranlassung, im Einverständnis mit der Pforte die Donaufürstentümer zu besetzen (Sommer 1848) und den vorteilhaften Vertrag von Balta-Limani zu erlangen, wodurch unter anderm für die nächsten sieben Jahre den Russen wie den Türken gestattet wurde, im Falle einer Bewegung sofort einzurücken.
Kurz darauf errang die russ. Politik einen nicht minder bedeutsamen Triumph. Österreich war nicht im stande, die aufständischen Magyaren niederzuwerfen, und bat um russ. Hilfe. Schon im Dez. 1848 war eine Abteilung Russen in Siebenbürgen eingerückt; jetzt, nach Abschluß eines förmlichen russ.-österr. Bündnisses, setzte sich Mai 1849 Fürst Paskewitsch in Bewegung, um den erschöpften Streitkräften der Magyaren den letzten Stoß zu geben. Bei Világos streckte Görgey vor den Russen die Waffen.
Das Zerwürfnis zwischen Österreich und Preußen gab dem Kaiser Nikolaus Gelegenheit, zu Warschau [* 26] Juni und Okt. 1850 als Schiedsrichter zwischen beiden Mächten aufzutreten und für die Wiederherstellung des Deutschen Bundestags zu wirken. In der schlesw.-holstein. Frage unterstützte Rußland entschieden die Ansprüche Dänemarks, und die russ. Diplomatie brachte endlich das Londoner Protokoll vom zu stande, wodurch die Erbfolge im dän. Gesamtstaate dem Prinzen Christian von Glücksburg zugesprochen wurde. Diese Erfolge bezeichneten den Höhepunkt des russ. Einflusses. Als in Frankreich die Republik beseitigt und im Widerspruch mit den Verträgen von 1814 und 1815 das Kaisertum in der Person Napoleons III. wiederhergestellt wurde, versuchte Kaiser Nikolaus vergeblich Österreich und Preußen zu einem gemeinsamen Schritte gegen dasselbe zu bewegen.
Bei dieser übermächtigen Stellung R.s in Europa [* 27] hielt Kaiser Nikolaus den Augenblick für geeignet, im Orient rascher und unverhüllter den Zielen der russ. Politik entgegenzugehen. Auf Andrängen des franz. Gesandten Lavalette hatte die Pforte den lat. Christen rücksichtlich der Heiligen Stätten in Jerusalem [* 28] Konzessionen gemacht, indem sie die Schlüssel zur Kirche in Bethlehem dem griech. Patriarchen abnahm und dem katholischen übergab, wodurch die griech. Kirche sich als zurückgesetzt ansah.
Damals that Österreich einen entscheidenden Schritt, um seinen Einfluß in Konstantinopel wiederherzustellen, indem es aus Anlaß der Wirren in Montenegro [* 29] u. s. w. verschiedene Forderungen bei der Pforte geltend machte, die auch sofort Febr. 1853 gewährt wurden. Um so mehr fühlte Kaiser Nikolaus sich gedrängt, diese Erfolge Österreichs und Frankreichs durch eine unzweifelhafte Demütigung der Türkei zu verdunkeln. Seine Pläne gingen aber noch weiter: er ließ der brit. Regierung durch ihren Gesandten in Petersburg, Sir Hamilton Seymour, einen Vorschlag über die Teilung des Osmanischen Reichs machen. Der Beihilfe Preußens [* 30] und Österreichs glaubte er auf alle Fälle sicher zu sein; Frankreich aber sollte wie 1840 isoliert werden und ganz leer ausgehen. Nach längern ¶