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Generalgouvernements: neben den schon genannten sieben nämlich noch die von Kiew [* 2] und Wilna. [* 3] Außerdem giebt es noch, aber nur als Ehrenamt, einen Generalgouverneur von Moskau. [* 4] (Über Flächenraum, Bevölkerung [* 5] u. s. w. der Generalgouvernements, Gouvernements, Gebiete, Departements, Stadthauptmannschaften s. die betreffenden Artikel.)
Jedes Gouvernement zerfällt wieder in Kreise [* 6] (ujězdy), die Gebiete in Bezirke (okruga). Der innern Provinzial- und Polizeiverwaltung steht der Gouverneur vor mit einer Kanzlei; ihm zur Seite befindet sich eine Gouvernementsregierung mit Abteilungen für Medizinal- und Bauwesen, ein Kameralhof für Steuersachen, eine Gouvernementsacciseverwaltung (für Branntwein-, Zucker- und Tabakaccise), eine Domänenverwaltung, ein Kontrollhof, ein Vermessungscomptoir, eine Post- und Telegraphenverwaltung, Schuldirektion, ein geistliches Konsistorium der russ. Kirche, eine Militärverwaltung, eine Gendarmerieverwaltung (geheime Polizei). Für mehrere Gouvernements zusammen bestehen Bezirksverwaltungen für Militärsachen, Zölle, Eisenbahnen, Chausseen und Kanäle und in einigen Gouvernements Apanagenverwaltungen, so daß jedes Ministerium ein oder mehrere selbständige, voneinander unabhängige Organe im Gouvernement hat.
Die Selbstverwaltung wurde zuerst von Katharina II. ständisch organisiert und dem Adel und den Städten übertragen, doch schlug sie nicht Wurzel. [* 7] Nur die Adelsmarschälle hatten für die Selbstverwaltung einige Bedeutung erlangt. Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft wurden aber die Befugnisse des Adels auf dessen eigene Standesangelegenheiten beschränkt und in den 34 Gouvernements und etwa 340 Kreisen des eigentlichen Rußland die sog. Landschaftsinstitutionen (zemskija učreždenija) eingeführt, die für die lokalen ökonomischen Interessen sorgen sollten.
Ursprünglich wurden die Mitglieder der Kreislandversammlung von drei Wahlkollegien gewählt: dem Kollegium der Gutsbesitzer, dem der Stadtbewohner und dem der Landgemeinden, wobei bei den erstern beiden Kategorien ein Census für die Wähler festgesetzt war. Durch das Gesetz vom 12. (24.) Juni 1890 ist aber eine Standesvertretung eingeführt und die Zahl der Wahlkollegien auf zwei beschränkt worden: des erblichen und persönlichen Adels einerseits, und aller Wähler andererseits, mit Ausschluß der Personen des Bauernstandes, die überhaupt keinen Wahlkörper mehr bilden.
Die Auswahl der Abgeordneten der Bauerngemeinden erfolgt jetzt durch die Wolostversammlungen, und die Gewählten unterliegen der Bestätigung des Gouverneurs. Gleichzeitig damit ist die Zahl der bäuerlichen Abgeordneten von 38 Proz. der Gesamtzahl auf 31 Proz. gesunken, und die Gesamtzahl der Abgeordneten überhaupt um 23 Proz. verringert worden. Die Adligen nehmen jetzt 57 Proz. der Gesamtzahl ein, statt früher nur 42,4 Proz. Das Präsidium führt der Adelsmarschall.
Das Kreislandamt besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Mitgliedern, welche die Kreislandversammlung aus ihrer Mitte auf drei Jahre wählt. Dieselbe wählt aus ihrer Mitte die Delegierten zu der Gouvernementslandversammlung, von der das Gouvernementslandamt gewählt wird. Endlich werden eine Reihe Kommissionen aus Beamten der Krone und Delegierten der Selbstverwaltung (Landschaft, Adel, Städte, Bauern) gebildet. So die Kommissionen für Bauernsachen, Wehrpflichtsbehörden, für städtische Angelegenheiten, Gefängniskomitees, für öffentliche Gesundheitspflege, für Einquartierung, Truppenmärsche u. a. Über die Kommunalverwaltung der Städte s. Gorod; über den Adel s. Dienstleute und Russischer Adel.
Die Bauerngemeinde ist die einzige ständische Gemeinde. Mitglieder können nur Bauern sein; in Großrußland alle, die Anteil haben am Gemeindelande, in den übrigen Teilen die Bauernwirte und Delegierte der Arbeiter. Die Gemeindeversammlung wählt den Ältesten (starosta) sowie die niedern Polizeidiener, die Hundert- und Zehnt-Männer. Wo der Grund und Boden Gemeindebesitz ist, da bilden mehrere Dorfgemeinden eine Samtgemeinde (volost). Jede Dorfgemeindeversammlung (selskij schod) wählt Delegierte.
Diese Delegiertenversammlung (volostnoj schod) wählt den Ältermann (volostnoj staršina), der mit den Gemeindeältesten die «Wolostverwaltung» bildet. Die Ältesten sind Vertreter der Gemeinden und handhaben zugleich die Polizei. In großen Dörfern und in den Teilen des Reichs, wo kein Gemeindebesitz ist, fallen Dorf und Gesamtgemeinde zusammen. Die Bauerngemeinde (s. auch Mir) hat eine Strafgewalt über ihre Mitglieder. Ihre frühere große Selbständigkeit wird aber seit 1890 durch Einführung von Bezirkshauptleuten eingeschränkt, die die Aufsicht über die Bauerngemeinden führen und neben administrativen auch richterliche Befugnisse haben.
Die Polizei ist militärisch organisiert, in Petersburg [* 8] mit Benutzung des Londoner Vorbildes. Sie steht daselbst unter dem Stadthauptmann, dem eine Reihe Behörden beigeordnet sind. In Moskau steht ein Oberpolizeimeister an der Spitze, in den Gouvernementsstädten, vielen Kreisstädten und Flecken besteht eine Stadtpolizei, in allen übrigen Kreisen ist Land- und Stadtpolizei vereinigt. An der Spitze der städtischen Polizei steht ein vom Gouverneur ernannter Polizeimeister, neben ihm ein von der Stadt gewähltes Kollegium. An der Spitze der Kreispolizei steht ein Kreisrichter (ispravnik), neben ihm ein vom Adel, den Stadtverordneten und den Bauerngemeinden gewähltes Kollegium.
Rechtspflege. (S. auch Russisches Recht.) Durchgreifende Änderungen auf dem Gebiet der russ. Rechtspflege, die sehr im argen lag, traten unter Alexander II. ein, deren Grundzüge in dem Ukas vom 29. Sept. enthalten sind: Unabhängigkeit der richterlichen von der exekutiven, administrativen und legislativen Gewalt; Einführung der Jury, des mündlichen Verfahrens und Öffentlichkeit der Verhandlung; Gleichheit aller Russen vor dem Gericht und damit Aufhebung des frühern Brauchs, wonach jeder nur von seinesgleichen gerichtet werden konnte; Aufhebung der alten und Gründung neuer Gerichtshöfe. In erster Instanz fungieren Friedensrichter, welche auf drei Jahre nach einem niedrigen Bildungs- und Vermögenscensus von der Kreislandversammlung gewählt werden. Diese entscheiden in Civilstreitigkeiten, wo es sich nicht um Immobilien handelt und das Objekt des Streites nicht über 500 Rubel wert ist; in Strafsachen, wenn die Strafe nicht über 1½ Jahr Gefängnis, drei Monat Arrest oder 900 Rubel Geldbuße hinausgeht. Von dem Urteil des Friedensrichters kann an die Friedensrichterversammlung des Bezirks appelliert werden. Seit 1890 wird jedoch wieder die Ersetzung der gewählten Friedensrichter durch von der Administration ernannte ¶
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sowie die Übertragung richterlicher Befugnisse auf Administrativbeamte durchgeführt. Für alle andern Straf- und Civilprozesse ist das Bezirksgericht zuständig, mit Geschworenen in den Kriminalfällen, welche den Verlust der Standes- oder bürgerlichen Rechte nach sich ziehen. Staatsverbrechen werden vom Appellhof abgeurteilt, dem dann zwei Adelsmarschälle sowie ein Stadthaupt (Bürgermeister) und ein Gemeindeältester beigegeben sind. Überdies ist der Appellhof zweite und letzte Instanz für alle von den Bezirksgerichten gefällten Civil- und Kriminalurteile.
Eine dritte Instanz giebt es nicht. Nur wenn ein Urteil ungesetzlich erscheint, kann die Kassation beim Kassationshofe, d. i. dem Senat, nachgesucht werden. Beamte werden, mit Ausnahme der untersten Klassen, von dem Appellhofe gerichtet; bei Ministeranklagen fungiert ein eigener höchster Gerichtshof. Es besteht eine Staatsanwaltschaft, und in Strafsachen ist die Verteidigung durch Advokaten zulässig. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ist nur in bestimmten Fällen ausgeschlossen.
Durch Ukas vom 20. Nov. wurde das neue Gesetzbuch für den Civil- und Kriminalprozeß sowie das neue Polizeistrafgesetz über die von den Friedensrichtern zu verhängenden Strafen sanktioniert. Durch die Verordnung vom 17. (29.) April 1863 wurden die barbarischen Körperstrafen der Plette (pletj, s. Knute) und des Spießrutenlaufens abgeschafft, ebenso die Brandmarkung. Die körperlichen Strafen sind als ordentliche Strafen aufgehoben und dürfen nur noch von Kollegialgerichten (nicht von den Friedensrichtern) in äußersten Fällen als Strafverwandlungsmittel angewendet werden.
Ferner bei Soldaten, welche durch Urteil des Disciplinargerichts in die Klasse der «Bestraften» versetzt worden sind, wird noch die Prügelstrafe vermittelst Ruten angewendet. Endlich kann die Rutenstrafe von den Bauerngerichten und den Bauerngemeindeversammlungen gegen Bauern verhängt werden und nach dem Gesetz von 1890 auch von den Landhauptleuten. Personen weiblichen Geschlechts, Adel, Geistliche, Ehrenbürger, Kaufleute und alle, die eine Kreis- oder höhere Schule besucht haben, sind von der Körperstrafe durchaus ausgeschlossen. Die Todesstrafe kommt außer bei der Militärjustiz nur bei Verbrechen des schwersten Hochverrats, des Attentats auf den Kaiser, in Anwendung. Die Verbannung nach Sibirien, die seit dem 17. Jahrh. vorkommt und unter der Kaiserin Elisabeth an die Stelle der Todesstrafe trat, ist noch ein sehr gewöhnliches Strafmittel und wird auch auf administrativem Wege verhängt (s. Administrative Strafen).
Finanzen. Die Staatseinnahmen betrugen 1726: 10 Mill. Rubel, 1782: 40 Mill., 1801: 80 Mill., 1839: 163 Mill. Seit 1862 wird jährlich das Reichsbudget veröffentlicht, ebenso der Bericht der Reichskontrolle über die Finanzwirtschaft jedes Jahres. In abgerundeten Millionen Kreditrubeln betrugen die ordentlichen Einnahmen 1864: 400, 1874: 560, 1880: 652, 1885: 776, 1890: 943, 1892: 978, 1893: 1046;
die Ausgaben 1874: 543, 1880: 694, 1885: 866, 1890: 877, 1892: 984, 1893: 938. Außerordentliche Einnahmen (Anleihen) 1890: 105, 1892: 203;
außerordentliche Ausgaben (Eisenbahnbauten) 1890: 178, 1892: 214, 1893: 174. Das Deficit wurde gedeckt aus dem Überschuß der ordentlichen Einnahmen und den Kassenbeständen (über 300 Mill.).
Die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben nach dem Budget von 1895:
Einnahmen | Mill. Rubel |
---|---|
Direkte Steuern: | |
Grundsteuer | 47,9 |
Handelssteuer | 40,6 |
Coupon- u. Rentensteuer | 13,0 |
Indirekte Steuern: | |
Getränke | 277,9 |
Tabak | 31,7 |
Zucker | 39,2 |
Naphtha | 17,0 |
Zündhölzer | 6,5 |
Zölle | 148,0 |
Stempel- und andere Gebühren | 63,5 |
Regalien | 42,3 |
Domänen u. Kapitalien | 247,9 |
Ablösungszahlungen der Bauern | 87,8 |
Rückzahlungen | 71,3 |
Außerordentliche Einnahmen | 7,1 |
Zusammen | 1141,7 |
.
Ausgaben | Mill. Rubel |
---|---|
Staatsschulden | 221,0 |
Zahlungen für Eisenbahngesellschaften | 56,4 |
Höchste Regierungsbehörden | 2,4 |
Heiliger Synod | 13,6 |
Hof | 11,7 |
Auswärtiges | 4,9 |
Krieg | 271,2 |
Marine | 54,9 |
Finanzen | 144,3 |
Ackerbau und Domänen | 31,4 |
Inneres | 86,8 |
Volksunterricht | 23,6 |
Wegekommunikationen | 152,7 |
Justiz | 26,1 |
Reichskontrolle | 5,4 |
Hauptverwaltung der Staatsgestüte | 1,5 |
Zusammen | 1107,9 |
Die außerordentlichen Ausgaben (Eisenbahnbauten) werden 1895 betragen 94 Mill. Rubel und werden gedeckt aus den Überschüssen der ordentlichen Einnahmen und aus den Kassenbeständen (Überschüssen früherer Jahre), die jetzt bereits über 400 Mill. betragen und zur Disposition des Finanzministers stehen. Zu den außerordentlichen Ausgaben werden nach den Regeln vom nur gerechnet: Ausgaben, die hervorgerufen sind durch Krieg, allgemeine Notstände, vorzeitige Tilgung von Schulden, Eisenbahnbauten und außerordentliche Vermehrung des rollenden Materials.
Alles, was früher dahin gehörte: Hafenbauten, Verbesserung der Eisenbahnen, Neubewaffnung des Heers, ist zu den laufenden Ausgaben gerechnet. Zu den außerordentlichen Einnahmen werden gerechnet: Anleihen, Einnahmen aus Kreditoperationen, Einzahlungen in die Reichsbank auf ewige Zeiten, Übergabe von Specialmitteln an die Reichskasse, Veräußerungen bedeutender Immobilien, Rückzahlungen der Eisenbahnen. Dagegen wird der Ersatz der Kriegskosten zu den ordentlichen Einnahmen gerechnet.
Seit dem Krimkrieg bestand ein chronisches Deficit, das durch den Russisch-Türkischen Krieg von 1877 bedeutend vermehrt wurde und erst 1888 aufhörte; seitdem schließt das Budget stets mit Überschüssen. Erreicht wurde dies durch Einführung neuer Steuern;
doch auch nach Beseitigung des Deficits werden immer neue Steuern eingeführt, so noch 1894 die Quartiersteuer;
ferner wurden neu eingeführt die Grund-, die Coupon- und Renten-, die Erbschaftssteuer, die Steuer von Eisenbahnbillets und vom Frachtverkehr, die Steuer von Versicherungspolicen;
erhöht: die Handels- und Gewerbesteuer und die Immobiliensteuer in den Städten sowie die Stempelsteuer;
dagegen aufgehoben die Kopfsteuer und die Salzaccise.
Ein wichtiges Mittel zur Erhöhung der Einnahmen wurde die seit 1887 im großen Stile durchgeführte Verstaatlichung verschiedener Eisenbahnen (im ganzen 23 Linien mit einer Länge von rund 16000 km), unter denen, als in den J. 1894 und 1895 angekauft, die Linien der großen Eisenbahngesellschaft von Nishnij Nowgorod nach Petersburg und Warschau, [* 10] der Baltischen Bahn, der Linien Riga [* 11] bis Orel und das System der Südwestbahn (allein 8800 km) zu erwähnen sind.
Weitere Mittel zur Entlastung des Budgets boten die Konvertierungen sämtlicher 6-, 5- und 4½prozentigen auswärtigen und innern Anleihen in ¶