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Gesamtbilanz der Aktien-Länderbanken betrug Anfang Jan. 1894: 571210821 Rubel. Für weitere Kreise begann die Reichsbank 1862 Sparkassen einzurichten, von denen 1893 bestanden: 2439 mit 1193566 Einlagen im Betrag von 611292956 Rubel. Außerdem giebt es 785 ländliche Vorschuß- und Sparkassen, 352 Konsumvereine, 50 gegenseitige Hilfsgesellschaften und 28 Begräbniskassen.
Versicherungswesen. Anfang 1894 bestanden 19 Aktiengesellschaften, die zum Teil mehrere Zweige der Versicherung betreiben. Jeden Zweig besonders gerechnet, ergeben sich im ganzen 13 Feuer-, 5 Lebens- und Renten-, 7 Transport-, 2 Unfall- und eine Glasversicherung, mit einem Grundkapital von (1893) 74,2 Mill. Rubel.
Die Prämieneinnahmen betrugen in Rubeln:
Versicherungszweige | 1892 | 1893 |
---|---|---|
Feuerversicherung | 34515439 | 34787400 |
Lebensversicherung | 7934180 | 6342400 |
Transportversicherung | 4706220 | 3907600 |
Unfallversicherung | 407927 | 467300 |
Die wichtigsten Gesellschaften sind: Die Erste Russische Feuerversicherungsgesellschaft (gegründet 1827 in Petersburg), Roßija für Transport, Leben und Feuer (1881 in Petersburg), Jakor (der Anker, für Transport, Leben und Feuer; 1872 in Moskau), die Petersburger Gesellschaft für Feuer-, Lebens- und Rentenversicherung (1858), die Moskauer Feuerversicherungsgesellschaft (1858), die Feuerversicherungsgesellschaft Salamander (1846 in Petersburg), die Wolga (für Transport und Feuer; 1871 in Nishnij Nowgorod).
Nur den unbeweglichen Besitz (also Gebäude) versichern vier gegenseitige staatlich-kommunale Gesellschaften; davon eine für 19 Gouvernements, in denen das Semstwo noch nicht eingeführt ist, eine weitere (seit 1864) für 35 Gouvernements bei den Verwaltungen der Semstwa, dann eine für die Städte (seit 1861) und endlich eine für die Weichselgouvernements (seit 1870), zusammen mit (1892) 8333031 Versicherungen und einer versicherten Summe von 647,8 Mill. Rubel.
Münzwesen. Die Münzprägung findet im Münzhofe (in der Petersburger Festung) statt. 1893 wurden Gold-, Silber- und Kupfermünzen geprägt im Nennwert von 6791289 Rubel gegen 4610951 Rubel 1892 und 6464668 Rubel 1891. Im J. 1894 hatte Rußland einen Fonds von 312500000 Rubel Gold, 7500000 Rubel Silber und 625000000 Rubel Kredit. Die Einheit des Geldsystems bildet der Rubel (s. d.). Kupfermünzen werden geprägt zu 5, 3, 2, 1, ½ und ¼ Kopeken. Silbermünzen kommen im Verkehr fast gar nicht mehr vor. Da die Kreditbillets nicht eingelöst werden, so hat eine Papierwährung, die starken Schwankungen unterworfen ist. An Hypothekenbriefen waren im ganzen im Umlauf 1444598955 Rubel Kredit, ferner 90068550 Rubel Metall und 7203900 deutsche Reichsmark. Von dieser Summe entfallen auf Staatsanstalten 17, auf Privatanstalten 83 Proz. und von den letztern wieder 32 Proz. auf Aktienbanken.
Maße und Gewichte. Längenmaße sind: der Fuß (= 0,30479 m) von 12 Zoll zu 10 Linien;
der Arschin (= 0,71119 m) zu 16 Werschok;
der Saschen zu 7 Fuß oder 3 Arschin.
Wegemaß: ein Werst (= 1,06679 km) zu 500 Saschen. Feldmaß: die Dessätine (= 1,09252 ha) zu 2400 Quadrat-Saschen. Getreidemaß: der Tschetwert (= 2,099 hl) von 8 Tschetwerik zu 8 Garnzy (Einzahl Garnez);
dem Gewicht nach bei Roggen 354, bei Weizen 380, bei Gerste 290, bei Hafer 240 russ. Pfund.
Flüssigkeitsmaß: Wedro (= 12,299 l) von 10 Kruschka. Handelsgewicht: das Pfund (= 409,5 g) von 96 Solotnik zu 96 Doli;
das Pud (= 16,3805 kg) von 40 russ. Pfund;
der Berkowez zu 10 Pud.
Verkehrswesen. Die Meere und Seen bilden eine schiffbare Fläche von mehr als 800000 qkm, die Flüsse und Kanäle geben Wasserstraßen von mehr als 100000 km, darunter 20000 km für Dampfschiffahrt. Die Binnenschiffahrt wird sehr durch die Kanäle gefördert. 1892 fuhren auf den innern Gewässern (außer Finland und Kaukasus) 22064 Fahrzeuge mit einer gesamten Tragfähigkeit von 410,5 Mill. Pud. Darunter waren 1824 Dampfschiffe mit 9,22 Mill. Pud Tragkraft, und 20240 Schiffe mit einer Tragkraft von 401,29 Mill. Pud.
Die beiden letzten Zählungen ergaben:
Jahr | Gesamtzahl | Dampfschiffe | Segelschiffe |
---|---|---|---|
1884 | 21341 | 1246 | 20095 |
1891 | 22064 | 1824 | 20240 |
Von den 1824 Dampfschiffen waren 70 Proz. Raddampfer. Fast die Hälfte der Gesamtzahl hat eine Maschinenkraft von 20 bis 60 Pferdestärken, die stärksten erreichen 500. Die Segelschiffe sind fast ausschließlich aus Holz (98,9 Proz.). Von den Dampfschiffen sind zwei Drittel, von den andern Schiffen die meisten in Rußland gebaut. Von den 1824 Dampfschiffen gehören der Krone 112, Aktiengesellschaften 429, andern Gesellschaften und Handlungshäusern 225, Privatpersonen 1028. Von den 20240 Segelschiffen gehören der Krone 23, Aktiengesellschaften 693, andern Gesellschaften und Handelshäusern 2169, Privatpersonen 17355.
Die Bewegung der Schiffe, Dampfschiffe und Flöße auf den Hauptwasserstraßen im J. 1892 zeigt folgende Tabelle:
Wasserstraßen | Schiffe überhaupt | Darunter Dampfschiffe | Flöße |
---|---|---|---|
Marienkanalsystem | 53868 | 6915 | 48422 |
Wyschnewolozsches Kanalsystem | 12531 | 3081 | 42769 |
Tichwinsches Kanalsystem | 4845 | 312 | 6031 |
Herzog-Alexander-von-Württemberg-Kanalsystem | 724 | 10 | 166 |
Wolga (Fluß) | 19678 | 7726 | 25922 |
Dnjepr-Bug-Kanalsystem | 2005 | 380 | 85149 |
Dnjepr (Fluß) | 117 | 1 | 442 |
Oginskisches Kanalsystem | 269 | - | 33397 |
Beresinakanalsystem | 24 | - | 10440 |
Augustowokanalsystem | 115 | - | 1486 |
Weichsel (Gebiet) | 3176 | 1008 | 1516 |
Die wichtigsten Flußhäfen sind an der Wolga: Nishnij Nowgorod, Zarizyn, Rybinsk, Kasan, Jaroslawl, Samara, Kostroma, Saratow, Kineschma;
an der Newa: Petersburg;
am Don: Rostow, Kalatschew;
an der Dwina: Archangelsk;
am Dnjepr: Kiew, Jekaterinoslaw, Krementschug, Alexandrow, Nikopol, Tscherkassy, Cherson, Kachow;
an der Kama: Perm. Den Verkehr der wichtigsten Flußgebiete im Europäischen Rußland (außer Finland und Polen), mit der Zahl der Schiffe und Flöße, die 1892 darauf beladen wurden, zeigt die folgende Tabelle:
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Flußgebiete | Schiffe | Flöße | Geladene Güter in Tausend Pud | Rubel |
---|---|---|---|---|
Wolga | 35576 | 60941 | 461613 | 95944 |
Newa1 | 13463 | 27366 | 191980 | 8077 |
Dwina | 2048 | 3816 | 26019 | 6680 |
Dnjepr2 | 14866 | 8399 | 158054 | 39863 |
Düna | 2901 | 8997 | 64980 | 1869 |
Riemen | 2758 | 10901 | 59903 | 2799 |
Weichsel3 | 5 | 480 | 4951 | 344 |
Don | 4535 | 985 | 30287 | 18689 |
Dnjestr | 1787 | 622 | 12881 | 5136 |
Narowa4 | 1436 | 855 | 11224 | 562 |
Onega | 100 | 55 | 1033 | 302 |
1 Mit dem Ladoga- und Onegasee. 2 Mi dem südlichen Bug. 3 Der westl. Bug mit seinem Nebenfluß. 4 Mit dem Peipus- und Pskowschen See.
Seeschiffahrt. Der Grund zur russ. Handelsflotte wurde 1694 von Peter d. Gr. gelegt, doch ging sie lange über die Küstenschiffahrt nicht hinaus und erhob sich erst seit Mitte des 19. Jahrh. zu einer wirklichen Bedeutung. 1858 waren 1099 Schiffe mit 104560 Registertons, 1880: 4465 Schiffe, darunter schon 268 Dampfschiffe, 1892: 2870 Segelschiffe mit 240030 Registertons vorhanden, wovon 2418 in Rußland gebaut waren. 1894 kamen aufs Weiße Meer 460 Schiffe mit 23964 t Gehalt, auf die Ostsee 629 mit 84939 t Gehalt, aufs Schwarze und Asowsche Meer 1131 mit 131137 t Gehalt, aufs Kaspische Meer (1889) 1131 mit 70708 t Gehalt. In den Häfen liefen ein von Auslandsreisen 733 Schiffe mit 124692 t, von Küstenfahrten 10054 Schiffe mit 706226 t.
Zahl der Dampfschiffe in den verschiedenen Meeren:
Meere | Zahl der Dampfschiffe | Ladefähigkeit in Registertons | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
1873 | 1883 | 1894 | 1873 | 1883 | 1894 | ||
Weißes Meer | 4 | 6 | 9 | 946 | 1480 | 1992 | |
Ostsee | 23 | 45 | 48 | 4780 | 16826 | 18690 | |
Schwarzes u. Asowsches Meer | 110 | 114 | 146 | 47898 | 44687 | 89190 | |
Kaspisches Meer | 13 | 47 | 125 | 3549 | 15100 | 53559 |
Von 326 Dampfschiffen waren nur 65 in Rußland gebaut; die übrigen vorwiegend in Großbritannien (137), dann in Schweden (67) und Österreich-Ungarn (34). 149 (mit 72967 Registertons) waren Fracht-, 78 (36558) Fracht- und Passagier-, 46 (25185) Passagier-, 17 (9669) Cisternen-, 35 (19022) Fracht- und Cisternendampfschiffe.
Verkehr von Handelsschiffen in russ. Häfen (außer dem Kaspischen Meer und Stillen Ocean) in den letzten Jahren:
Jahre | Schiffe überhaupt Zahl der Schiffe | Ladefähigkeit in Registertons netto | Darunter Dampfschiffe Zahl der Schiffe | Ladefähigkeit in Registertons netto |
---|---|---|---|---|
1884-88 | 22790 | 12359334 | 14268 | 107222098 |
1889 | 23843 | 14906222 | 16820 | 13544560 |
1890 | 21958 | 14446700 | 15788 | 13243050 |
1891 | 21446 | 13916150 | 15324 | 12678508 |
1892 | 16909 | 11445250 | 11767 | 10355228 |
1893 | 20193 | 15235528 | - | - |
Der größte Schiffsverkehr kam 1893 auf die Ostsee (9646 Schiffe mit 5576926 Registertons), der kleinste auf das Weiße Meer (1200 Schiffe mit 443604 Registertons). Unter der Gesamtzahl der 1893 eingelaufenen und ausgelaufenen Schiffe waren unter russ. Flagge 2439 Schiffe (12 Proz.) mit 1226968 Registertons (8 Proz.);
unter großbritannischer 5424 Schiffe (5768740 Registertons), darunter 5380 Dampfer (5759362 Registertons);
unter deutscher 2171 Schiffe (1126340 Registertons), darunter 1792 Dampfer (1036646 Registertons);
unter dän. Flagge 1681 Schiffe, unter griechischer 1178, unter norwegischer 1164, unter türkischer 928, unter französischer 258, unter österreichisch-ungarischer 252, unter holländischer 203, unter belgischer 32, unter spanischer 14, unter Flaggen der andern Staaten 4449 Schiffe.
Der Schiffsverkehr im J. 1893 nach Schiffahrtsgebieten und Flaggen:
Schiffahrtsgebiete | Unter russischer Flagge | Unter fremder Flagge | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Überhaupt | Mit Ladung Schiffe | Überhaupt | Mit Ladung | |||||
Schiffe | Registertons | Schiffe | Registertons | Schiffe | Registertons | Schiffe | Registertons | |
Angekommen | Angekommen | |||||||
Weißes Meer | 228 | 20412 | 216 | 16890 | 381 | 201864 | 35 | 20206 |
Ostseegebiet | 646 | 232414 | 493 | 173524 | 4177 | 2562906 | 2828 | 1702542 |
Schwarzes und Asowsches Meer | 351 | 363836 | 269 | 300462 | 4329 | 4260058 | 928 | 801202 |
Abgegangen | Abgegangen | |||||||
Weißes Meer | 210 | 19464 | 209 | 19358 | 381 | 201864 | 381 | 201864 |
Ostseegebiet | 672 | 239270 | 587 | 207218 | 4151 | 2542336 | 3295 | 1917660 |
Schwarzes und Asowsches Meer | 332 | 351572 | 315 | 337990 | 4335 | 4239332 | 3902 | 3948126 |
Über die Eisenbahnen s. Russische Eisenbahnen.
Chaussierte Straßen werden fast nur zu militär. Zwecken gebaut. 22 Gouvernements haben überhaupt keine solchen Straßen, und in den Gouvernements, wo es dergleichen giebt, kommen auf eine Quadratwerst nur 6 Schaschen (= 12,8 m) Chaussee. Die bedeutendsten Heerstraßen sind:
1) der sibir. Trakt (6375 km) von Petersburg über Nowgorod, Moskau, Nishnij Nowgorod, Kasan, Perm, Jekaterinburg, Tobolsk, Omsk, Tomsk nach Irkutsk;
2) die Straße der Ostseeprovinzen (825 km) von Tauroggen an der preuß. Grenze über Mitau, Riga, Jurjew (Dorpat), Narwa nach Petersburg;
3) die weißruss. Straße über Pskow, Dwinsk (Dünaburg), Kowno, Augustowo nach Warschau, von wo sie sich nach Kalisch fortsetzt, während eine Straße nach Krakau und eine andere nach Lemberg führt;
4) die große Weststraße zwischen Moskau und Warschau;
5) die große Südstraße von Moskau über Tula, Orel, Kursk nach Charkow, von wo die Odessa-, die Krim- und die Kaukasusstraße ausgeht. Die übrigen Straßen zerfallen in Gouvernements-, Kreis- und Dorfstraßen, sind oft sehr mangelhaft und bei nassem Wetter kaum passierbar. Dagegen ist der Verkehr im Winter auf Schlitten sehr lebhaft.
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Post. Die Zahl aller Post- und Telegraphenämter (mit Einschluß von Finland) beträgt 6767, darunter ein Hauptamt, 50 Provinzialverwaltungen und 6716 Ortsämter;
die Zahl der Briefkästen 11133;
der Poststationen 4099 mit 37505 Pferden;
der Angestellten 52236, darunter 16431 Beamte, 11926 Packer, 4141 Posthalter, 19645 Schreiber, Postillone u. a. Am Ende des Jahres hatten Touren zurückgelegt 10046035 Pferde (die Personenbeförderung erfolgt nur in Form der Extrapost, s. d.), von denen 3788996 Postsendungen und Staffetten beförderten;
insgesamt wurden im Laufe des Jahres zurückgelegt 72406760 Werst.
Postverbindung haben in Rußland jährlich einmal 2, monatlich einmal 4, zweimal 5, wöchentlich einmal 148, zweimal 948, dreimal 413, viermal 559, fünfmal 87, täglich einmal und häufiger 3601 Orte. Die Gesamtzahl der Postsendungen betrug 401641329 im Wert von 3954018095 Rubel, und zwar 356917709 im Wert von 3823270210 im innern und 44723620 im Wert von 130747885 Rubel im internationalen Verkehr. Sie verteilen sich folgendermaßen:
Postsendungen | Innerer Verkehr | Internationaler Verkehr Abgang | Ankunft |
---|---|---|---|
Briefe " " | 158,125 | 10,673 | 12,216 |
Postkarten " " | 22,220 | 1,496 | 2,442 |
Kreuzbandsendungen " " | 22,656 | 4,612 | 5,490 |
Eingeschriebene Sendungen " " | 15,537 | 1,050 | 1,017 |
Geld-und Wertpakete " "2 | 12,554 | 0,208 | 0,196 |
Wert Mill. Rubel | 3740,607 | 71,591 | 48,107 |
Wertsendungen Mill. Stück | 2,269 | 0,041 | 0,036 |
Wert Mill. Rubel | 82,663 | 5,625 | 5,425 |
Pakete ohne Wertangabe Stück | 1074301 | 6,784 | 62,057 |
Zeitungsabonnements Mill. Stück | 122,481 | 1,022 | 4,154 |
An Postmarken wurden verkauft 144380283 Stück im Werte von 8955238 Rubel, Stempelcouverts 10417150 Stück für 793234 Rubel, Postkarten 21293199 für 666 750 Rubel, Kartenbriefe 316932 für 22088 Rubel, Kreuzbänder 101320 für 2297 Rubel. Die Gesamteinnahme der Post (einschließlich Finlands) betrug 31569681, die Ausgabe 25793211 Rubel. Den Hauptposten bilden unter den Einnahmen die Postwertzeichen (10439605), dann die Versicherung (3746495); unter den Ausgaben die Gehälter der angestellten Personen (10998615) und der Zuschuß zum Halten von Postpferden auf den Stationen (6324755 Rubel).
Telegraph. Rußland hat 346 Telegraphen- und 1578 Post- und Telegraphenämter, ein Amt auf 10017 Quadratwerst und 55278 E. 954 Ämter befördern innere und internationale, 1006 nur innere Telegramme; dazu kommen 3 Semaphoren- und 5 Kontrollstationen. Die Gesamtlänge der Telegraphenlinien beträgt (1891) 115672, die Leitung 286184 Werst; die Zahl der Telegramme (1891) 57609176; davon sind 11961765 innere und internationale, 44319317 Eisenbahn-, 1119128 Polizei- und Militär-, 208966 Transittelegramme.
Die Länge des Telephonnetzes beträgt (außer Finland) 1891: 2131 Werst mit 17422 Werst Leitung. In 15 Städten ist der Betrieb in den Händen des Staates, in den andern in den Händen von Privatgesellschaften. Die Gesamtzahl der jährlichen Abonnenten beträgt 6655, und es wurden 112691 Telegramme durch Telephon befördert.
Verfassung. Das Russische Reich ist eine völlig uneingeschränkte Monarchie. Der Kaiser nennt sich Selbstherrscher (samoderžec) aller Reußen, Zar von Polen und Großfürst von Finland und ist höchster Gesetzgeber und Regent, wie auch, seit Peter d. Gr., höchstes Oberhaupt in allen geistlichen Angelegenheiten. Seit 1797 ist die erbliche Thronfolge in gerade absteigender Linie nach dem Recht der Erstgeburt und dem Vorzug der männlichen vor der weiblichen Linie festgesetzt.
Jeder russ. Herrscher muß mit Gemahlin und Descendenten der russ.-griech. Kirche angehören. Kinder aus einer vom Kaiser nicht für ebenbürtig anerkannten Ehe sind nicht successionsfähig. Der Thronfolger ist mit vollendetem 16. Jahre volljährig, die übrigen Glieder des Hauses werden es erst mit zurückgelegtem 20. Jahre. In Bezug auf Finland ist der Kaiser an die bestehende Konstitution gebunden. Die besondern polit. Institutionen des frühern Königreichs Polen sind nach den Unruhen von 1830 und 1863 ganz aufgehoben worden.
Die oberste Leitung der Staatsgeschäfte befindet sich in den Händen des Kaisers selbst. Die obersten Reichskörperschaften sind:
1) Der Reichsrat, die höchste beratende Behörde, 1801 gegründet, 1810 organisiert; der Präsident desselben und die Vorsitzenden der Departements (drei, früher fünf) werden jährlich ernannt. Zum Forum des Reichsrats gehören die Begutachtung aller im Entwurf an ihn gelangenden Gesetze, Verordnungen und Berichte, die Revision und Feststellung des Budgets. Sein Plenum umfaßt die vom Kaiser berufenen volljährigen Großfürsten, sämtliche Minister und außerdem eine Anzahl vom Kaiser berufener Militär- und Civilbeamter der drei ersten Rangklassen. Bei dem Reichsrat besteht die Reichskanzlei, an deren Spitze der Reichssekretär steht, und in deren fünf Sektionen ebenso viele Staatssekretäre die Leitung haben.
2) Das Komitee der Minister, aus den Ministern, den drei Vorsitzenden der Departements des Reichsrats und andern vom Kaiser ernannten Gliedern bestehend, ist oberster Rat des Kaisers in Administrativangelegenheiten, welche die Kompetenz der Minister übersteigen.
3) Der Rat der Minister, begründet 1861, aber seit der Krönung Alexanders III. nicht mehr berufen.
4) Der Senat wurde von Peter d. Gr. 1711 errichtet und 1718 definitiv organisiert, zunächst als oberste Autorität für alle Civil- und Militärsachen und deshalb mit dem Prädikat dirigierend (pravitelstvujuščij) ausgestattet. Bis Alexander I. (1802) hatte er mit Unterbrechungen die Direktion aller Staatsangelegenheiten. Gegenwärtig stehen ihm nur noch zu die Registrierung und Veröffentlichung der Gesetze und Verordnungen, die richterliche Entscheidung letzter Instanz über Civil- und Kriminalsachen, die Entscheidung in zweiter und letzter Instanz in Sachen, die von Kommerzgerichten entschieden sind, und in Vermessungssachen, die Entscheidung bei Klagen über Minister, Gouverneure und Gouvernementsregierungen u. s. w. Der Senat ist somit eine die innern Angelegenheiten des Staates überwachende Behörde sowie oberste Justizbehörde und Kassationshof. Der Kaiser ernennt die Senatoren, deren Anzahl nicht bestimmt und sehr groß ist.
5) Der Heilige Synod (s. Synod) bildet das höchste Gericht und die oberste Behörde für alle Angelegenheiten der griech.-russ. Kirche. Bei dem Synod bestehen eine Kanzlei, eine Direktion der Unterrichtsanstalten für den orthodoxen Klerus und eine Direktion für Verwaltung und Buchführung unter alleiniger Leitung des Oberprokurors, der die Rechte eines Ministers,
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den Vortrag beim Kaiser und Sitz und Stimme im Reichsrat und Ministerkomitee hat.
Unter den Centralstellen der Administration nehmen die Staatsministerien den ersten Rang ein. Die einzelnen Minister walten voneinander unabhängig unter direktem Vortrage beim Kaiser, haben Sitz und Stimme im Reichsrat, im Ministerkomitee, im Ministerrat und im Senat. Jedes Ministerium besteht aus drei Hauptabteilungen: das oder die Departements, das Ministerconseil (die Direktoren und andere Glieder unter Vorsitz des Ministers umfassend) und die Kanzlei. Die Minister, ihre Adjunkten und die Direktoren werden vom Kaiser ernannt. Gegenwärtig giebt es, mit Einschluß der Generalkontrolle, 11 Ministerien.
1) Das Ministerium des kaiserl. Hauses, das dem Hofstaat zugezählt ist.
2) Das Ministerium des Äußern mit zwei Archivdirektionen (eine in Petersburg, eine in Moskau; letztere mit den Akten bis 1801), drei Departements für asiat., innere und ökonomische Angelegenheiten.
3) Das Kriegsministerium, an dessen Spitze der Kriegsminister und in allen ökonomischen und Gesetzgebungsangelegenheiten der Kriegsrat unter seinem Präsidium stehen. Zu diesem Ministerium geboren das Obertribunal der Militärjustiz, die Kanzlei, der Generalstab; außerdem die sieben Generaldirektionen der Artillerie, des Geniewesens, der Intendanz, des militär. Sanitätsdienstes, der Militärjustiz, der Militärschulen und der irregulären Truppen.
4) Das Ministerium der Marine mit dem Admiralitätsrat hat die zwei Departements des persönlichen und der hydrogr. Angelegenheiten, die Direktion des Marinesanitätsdienstes, das Obermilitärtribunal der Marine, den Marine-Generalstab und das technische Komitee.
5) Das Ministerium des Innern umfaßt die sieben Departements der allgemeinen Angelegenheiten, der Polizei, der wirtschaftlichen Angelegenheiten des Semstwo, des Medizinalwesens, der fremden (nicht griech.-russ.) Kulte, der Post und des Telegraphenwesens; ferner eine Abteilung für die Angelegenheiten der Bauernemancipation, eine solche für das Versicherungswesen (seit 1894), das Centralkomitee für Statistik, die Generaldirektion für Angelegenheiten der Presse, die Baudirektion und die Hauptverwaltung der Gefängnisse. Zum Ressort dieses Ministeriums gehören auch die Gouverneure und Generalgouverneure der einzelnen Reichsgebiete.
6) Das Ministerium des öffentlichen Unterrichts umfaßt ein wissenschaftliches Conseil, ein Departement des Unterrichts, die Direktion verschiedener wissenschaftlicher Anstalten und die Kuratoren der zwölf Lehrbezirke (Petersburg, Moskau, Riga, Kiew, Kasan, Charkow, Wilna, Odessa, Orenburg, Warschau, Kaukasien und Westsibirien).
7) Das Ministerium der Finanzen enthält die Direktion der Kreditangelegenheiten, die sechs Departements für Zölle, für direkte Steuern, für indirekte Steuern, für Industrie und Handel, für die Hauptbuchführung, für Eisenbahnangelegenheiten; ferner die Generalkasse, Reichsschuldentilgungskommission, die Fabrikation der Staatspapiere, des Papiergeldes, Stempelpapiers u. s. w. Zum Ressort des Ministeriums gehört auch die Reichsbank mit einem besondern Direktorium.
8) Das Ministerium der Justiz hat unter sich zwei Departements für die Justiz und den Personalbestand, die Kanzlei, die Verwaltung der Vermessungsangelegenheiten und eine sog. Konsultation.
9) Das Ministerium der Landwirtschaft und der Domänen zerfällt in vier Departements: für den allgemeinen Dienst, für Bergwesen, für den Ackerbau, für Forstwesen, und hat einen Bergrat, ein gelehrtes Komitee für Bergwesen und ein geolog. Komitee.
10) Das Ministerium der Wege und Verkehrsanstalten hat Abteilungen für Eisenbahnen, für Landstraßen und Kanäle und technische, gelehrte und administrative Sektionen.
11) Die Generalkontrolle des Reichs besitzt ihre besondern Kanzlei- und Archivdirektionen und in Petersburg eine Kontrollkommission, eine Sektion für die Marine-, die Eisenbahnverwaltung und in den Gouvernementsstädten Kontrollhöfe. Zu den Ministerien gesellt sich noch die Verwaltung der Hauptgestüte.
Verwaltung. Das ganze Russische Reich besteht gegenwärtig aus 77 Gouvernements, 18 Gebieten (oblasti), 2 Departements (otděly) und 1 Bezirk. Das Europäische Rußland hat 49 Gouvernements und 1 Gebiet, die sich so gruppieren:
1) Großrußland: die 20 Gouvernements: Petersburg (mit der Stadthauptmannschaft Petersburg und dem Militärgouvernement Kronstadt), Olonez, Wologda, Archangelsk, Nowgorod, Pskow, Twer, Jaroslawl, Kostroma, Wladimir, Nishnij Nowgorod, Moskau, Smolensk, Kaluga, Tula, Rjasan, Tambow, Woronesch, Kursk, Orel.
2) Kleinrußland: die 4 Gouvernements: Kiew, Poltawa, Charkow, Tschernigow.
3) Süd- oder Neurußland: die 4 Gouvernements: Taurien (mit den Stadthauptmannschaften Kertsch-Jenikale und Sewastopol), Cherson (mit der Stadthauptmannschaft Odessa), Jekaterinoslaw, Bessarabien und das Donische Gebiet.
4) Westrußland: die 9 Gouvernements: Kiew (auch zu Kleinrußland gehörig und schon dort genannt), Podolien, Volhynien, Minsk, Mohilew, Witebsk, Wilna, Grodno und Kowno.
5) Die Baltischen Provinzen: die 3 Gouvernements: Kurland, Livland, Esthland.
6) Das östliche Rußland: die 10 Gouvernements: Perm, Wjatka, Kasan, Simbirsk, Pensa, Astrachan, Samara, Saratow, Orenburg und Ufa. Dazu kommen:
7) Das Königreich Polen oder die Weichselgouvernements: die 10 Gouvernements: Warschau, Kalisch, Kjelzy, Lomsha, Lublin, Petrikau, Plozk, Radom, Suwalki, Sjedlez; sie bilden zugleich das Generalgouvernement Warschau.
8) Das Großfürstentum Finland: die 8 Gouvernements oder Läns: Åbo-Björneborg, Kuopio, Nyland, St. Michel, Tawastehus, Uleåborg, Wasa, Wiborg; sie bilden zugleich das Generalgouvernement Finland.
9) Das Generalgouvernement des Kaukasus: die 6 Gouvernements: Stawropol, Baku, Jelisawetpol, Eriwan, Kutais, Tiflis (mit dem Bezirk Sakataly);
die 4 Gebiete: Dagestan, Kuban, Terek, Kars;
der Schwarzes-Meer-Bezirk.
Das Asiatische Rußland umfaßt:
1) Sibirien: die Gouvernements: Tobolsk und Tomsk (Westsibirien);
das Generalgouvernement Irkutsk (bestehend aus den Gouvernements Irkutsk, Jenisseisk und aus dem Gebiet Jakutsk, zusammen Ostsibirien), das Amur-Generalgouvernement (bestehend aus dem Amur-, dem Transbaikalischen, dem Küstengebiet und dem Departement [otděl] Sachalin).
2) Centralasien: das Steppen-Generalgouvernement (bestehend aus den Gebieten Akmolinsk, Semipalatinsk und Semirjetschensk), das Generalgouvernement Turkestan (bestehend aus den Gebieten Syr-darja, Ferghana und Samarkand sowie aus dem Departement [otděl] Amu-darja);
die Gebiete Turgaj, Uralsk und Transkaspien.
Das Reich hat (1895) neun wirkliche
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Generalgouvernements: neben den schon genannten sieben nämlich noch die von Kiew und Wilna. Außerdem giebt es noch, aber nur als Ehrenamt, einen Generalgouverneur von Moskau. (Über Flächenraum, Bevölkerung u. s. w. der Generalgouvernements, Gouvernements, Gebiete, Departements, Stadthauptmannschaften s. die betreffenden Artikel.)
Jedes Gouvernement zerfällt wieder in Kreise (ujězdy), die Gebiete in Bezirke (okruga). Der innern Provinzial- und Polizeiverwaltung steht der Gouverneur vor mit einer Kanzlei; ihm zur Seite befindet sich eine Gouvernementsregierung mit Abteilungen für Medizinal- und Bauwesen, ein Kameralhof für Steuersachen, eine Gouvernementsacciseverwaltung (für Branntwein-, Zucker- und Tabakaccise), eine Domänenverwaltung, ein Kontrollhof, ein Vermessungscomptoir, eine Post- und Telegraphenverwaltung, Schuldirektion, ein geistliches Konsistorium der russ. Kirche, eine Militärverwaltung, eine Gendarmerieverwaltung (geheime Polizei). Für mehrere Gouvernements zusammen bestehen Bezirksverwaltungen für Militärsachen, Zölle, Eisenbahnen, Chausseen und Kanäle und in einigen Gouvernements Apanagenverwaltungen, so daß jedes Ministerium ein oder mehrere selbständige, voneinander unabhängige Organe im Gouvernement hat.
Die Selbstverwaltung wurde zuerst von Katharina II. ständisch organisiert und dem Adel und den Städten übertragen, doch schlug sie nicht Wurzel. Nur die Adelsmarschälle hatten für die Selbstverwaltung einige Bedeutung erlangt. Nach der Aufhebung der Leibeigenschaft wurden aber die Befugnisse des Adels auf dessen eigene Standesangelegenheiten beschränkt und in den 34 Gouvernements und etwa 340 Kreisen des eigentlichen Rußland die sog. Landschaftsinstitutionen (zemskija učreždenija) eingeführt, die für die lokalen ökonomischen Interessen sorgen sollten.
Ursprünglich wurden die Mitglieder der Kreislandversammlung von drei Wahlkollegien gewählt: dem Kollegium der Gutsbesitzer, dem der Stadtbewohner und dem der Landgemeinden, wobei bei den erstern beiden Kategorien ein Census für die Wähler festgesetzt war. Durch das Gesetz vom 12. (24.) Juni 1890 ist aber eine Standesvertretung eingeführt und die Zahl der Wahlkollegien auf zwei beschränkt worden: des erblichen und persönlichen Adels einerseits, und aller Wähler andererseits, mit Ausschluß der Personen des Bauernstandes, die überhaupt keinen Wahlkörper mehr bilden.
Die Auswahl der Abgeordneten der Bauerngemeinden erfolgt jetzt durch die Wolostversammlungen, und die Gewählten unterliegen der Bestätigung des Gouverneurs. Gleichzeitig damit ist die Zahl der bäuerlichen Abgeordneten von 38 Proz. der Gesamtzahl auf 31 Proz. gesunken, und die Gesamtzahl der Abgeordneten überhaupt um 23 Proz. verringert worden. Die Adligen nehmen jetzt 57 Proz. der Gesamtzahl ein, statt früher nur 42,4 Proz. Das Präsidium führt der Adelsmarschall.
Das Kreislandamt besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Mitgliedern, welche die Kreislandversammlung aus ihrer Mitte auf drei Jahre wählt. Dieselbe wählt aus ihrer Mitte die Delegierten zu der Gouvernementslandversammlung, von der das Gouvernementslandamt gewählt wird. Endlich werden eine Reihe Kommissionen aus Beamten der Krone und Delegierten der Selbstverwaltung (Landschaft, Adel, Städte, Bauern) gebildet. So die Kommissionen für Bauernsachen, Wehrpflichtsbehörden, für städtische Angelegenheiten, Gefängniskomitees, für öffentliche Gesundheitspflege, für Einquartierung, Truppenmärsche u. a. Über die Kommunalverwaltung der Städte s. Gorod; über den Adel s. Dienstleute und Russischer Adel.
Die Bauerngemeinde ist die einzige ständische Gemeinde. Mitglieder können nur Bauern sein; in Großrußland alle, die Anteil haben am Gemeindelande, in den übrigen Teilen die Bauernwirte und Delegierte der Arbeiter. Die Gemeindeversammlung wählt den Ältesten (starosta) sowie die niedern Polizeidiener, die Hundert- und Zehnt-Männer. Wo der Grund und Boden Gemeindebesitz ist, da bilden mehrere Dorfgemeinden eine Samtgemeinde (volost). Jede Dorfgemeindeversammlung (selskij schod) wählt Delegierte.
Diese Delegiertenversammlung (volostnoj schod) wählt den Ältermann (volostnoj staršina), der mit den Gemeindeältesten die «Wolostverwaltung» bildet. Die Ältesten sind Vertreter der Gemeinden und handhaben zugleich die Polizei. In großen Dörfern und in den Teilen des Reichs, wo kein Gemeindebesitz ist, fallen Dorf und Gesamtgemeinde zusammen. Die Bauerngemeinde (s. auch Mir) hat eine Strafgewalt über ihre Mitglieder. Ihre frühere große Selbständigkeit wird aber seit 1890 durch Einführung von Bezirkshauptleuten eingeschränkt, die die Aufsicht über die Bauerngemeinden führen und neben administrativen auch richterliche Befugnisse haben.
Die Polizei ist militärisch organisiert, in Petersburg mit Benutzung des Londoner Vorbildes. Sie steht daselbst unter dem Stadthauptmann, dem eine Reihe Behörden beigeordnet sind. In Moskau steht ein Oberpolizeimeister an der Spitze, in den Gouvernementsstädten, vielen Kreisstädten und Flecken besteht eine Stadtpolizei, in allen übrigen Kreisen ist Land- und Stadtpolizei vereinigt. An der Spitze der städtischen Polizei steht ein vom Gouverneur ernannter Polizeimeister, neben ihm ein von der Stadt gewähltes Kollegium. An der Spitze der Kreispolizei steht ein Kreisrichter (ispravnik), neben ihm ein vom Adel, den Stadtverordneten und den Bauerngemeinden gewähltes Kollegium.
Rechtspflege. (S. auch Russisches Recht.) Durchgreifende Änderungen auf dem Gebiet der russ. Rechtspflege, die sehr im argen lag, traten unter Alexander II. ein, deren Grundzüge in dem Ukas vom 29. Sept. enthalten sind: Unabhängigkeit der richterlichen von der exekutiven, administrativen und legislativen Gewalt; Einführung der Jury, des mündlichen Verfahrens und Öffentlichkeit der Verhandlung; Gleichheit aller Russen vor dem Gericht und damit Aufhebung des frühern Brauchs, wonach jeder nur von seinesgleichen gerichtet werden konnte; Aufhebung der alten und Gründung neuer Gerichtshöfe. In erster Instanz fungieren Friedensrichter, welche auf drei Jahre nach einem niedrigen Bildungs- und Vermögenscensus von der Kreislandversammlung gewählt werden. Diese entscheiden in Civilstreitigkeiten, wo es sich nicht um Immobilien handelt und das Objekt des Streites nicht über 500 Rubel wert ist; in Strafsachen, wenn die Strafe nicht über 1½ Jahr Gefängnis, drei Monat Arrest oder 900 Rubel Geldbuße hinausgeht. Von dem Urteil des Friedensrichters kann an die Friedensrichterversammlung des Bezirks appelliert werden. Seit 1890 wird jedoch wieder die Ersetzung der gewählten Friedensrichter durch von der Administration ernannte
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sowie die Übertragung richterlicher Befugnisse auf Administrativbeamte durchgeführt. Für alle andern Straf- und Civilprozesse ist das Bezirksgericht zuständig, mit Geschworenen in den Kriminalfällen, welche den Verlust der Standes- oder bürgerlichen Rechte nach sich ziehen. Staatsverbrechen werden vom Appellhof abgeurteilt, dem dann zwei Adelsmarschälle sowie ein Stadthaupt (Bürgermeister) und ein Gemeindeältester beigegeben sind. Überdies ist der Appellhof zweite und letzte Instanz für alle von den Bezirksgerichten gefällten Civil- und Kriminalurteile.
Eine dritte Instanz giebt es nicht. Nur wenn ein Urteil ungesetzlich erscheint, kann die Kassation beim Kassationshofe, d. i. dem Senat, nachgesucht werden. Beamte werden, mit Ausnahme der untersten Klassen, von dem Appellhofe gerichtet; bei Ministeranklagen fungiert ein eigener höchster Gerichtshof. Es besteht eine Staatsanwaltschaft, und in Strafsachen ist die Verteidigung durch Advokaten zulässig. Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ist nur in bestimmten Fällen ausgeschlossen.
Durch Ukas vom 20. Nov. wurde das neue Gesetzbuch für den Civil- und Kriminalprozeß sowie das neue Polizeistrafgesetz über die von den Friedensrichtern zu verhängenden Strafen sanktioniert. Durch die Verordnung vom 17. (29.) April 1863 wurden die barbarischen Körperstrafen der Plette (pletj, s. Knute) und des Spießrutenlaufens abgeschafft, ebenso die Brandmarkung. Die körperlichen Strafen sind als ordentliche Strafen aufgehoben und dürfen nur noch von Kollegialgerichten (nicht von den Friedensrichtern) in äußersten Fällen als Strafverwandlungsmittel angewendet werden.
Ferner bei Soldaten, welche durch Urteil des Disciplinargerichts in die Klasse der «Bestraften» versetzt worden sind, wird noch die Prügelstrafe vermittelst Ruten angewendet. Endlich kann die Rutenstrafe von den Bauerngerichten und den Bauerngemeindeversammlungen gegen Bauern verhängt werden und nach dem Gesetz von 1890 auch von den Landhauptleuten. Personen weiblichen Geschlechts, Adel, Geistliche, Ehrenbürger, Kaufleute und alle, die eine Kreis- oder höhere Schule besucht haben, sind von der Körperstrafe durchaus ausgeschlossen. Die Todesstrafe kommt außer bei der Militärjustiz nur bei Verbrechen des schwersten Hochverrats, des Attentats auf den Kaiser, in Anwendung. Die Verbannung nach Sibirien, die seit dem 17. Jahrh. vorkommt und unter der Kaiserin Elisabeth an die Stelle der Todesstrafe trat, ist noch ein sehr gewöhnliches Strafmittel und wird auch auf administrativem Wege verhängt (s. Administrative Strafen).
Finanzen. Die Staatseinnahmen betrugen 1726: 10 Mill. Rubel, 1782: 40 Mill., 1801: 80 Mill., 1839: 163 Mill. Seit 1862 wird jährlich das Reichsbudget veröffentlicht, ebenso der Bericht der Reichskontrolle über die Finanzwirtschaft jedes Jahres. In abgerundeten Millionen Kreditrubeln betrugen die ordentlichen Einnahmen 1864: 400, 1874: 560, 1880: 652, 1885: 776, 1890: 943, 1892: 978, 1893: 1046;
die Ausgaben 1874: 543, 1880: 694, 1885: 866, 1890: 877, 1892: 984, 1893: 938. Außerordentliche Einnahmen (Anleihen) 1890: 105, 1892: 203;
außerordentliche Ausgaben (Eisenbahnbauten) 1890: 178, 1892: 214, 1893: 174. Das Deficit wurde gedeckt aus dem Überschuß der ordentlichen Einnahmen und den Kassenbeständen (über 300 Mill.).
Die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben nach dem Budget von 1895:
Einnahmen | Mill. Rubel |
---|---|
Direkte Steuern: | |
Grundsteuer | 47,9 |
Handelssteuer | 40,6 |
Coupon- u. Rentensteuer | 13,0 |
Indirekte Steuern: | |
Getränke | 277,9 |
Tabak | 31,7 |
Zucker | 39,2 |
Naphtha | 17,0 |
Zündhölzer | 6,5 |
Zölle | 148,0 |
Stempel- und andere Gebühren | 63,5 |
Regalien | 42,3 |
Domänen u. Kapitalien | 247,9 |
Ablösungszahlungen der Bauern | 87,8 |
Rückzahlungen | 71,3 |
Außerordentliche Einnahmen | 7,1 |
Zusammen | 1141,7 |
.
Ausgaben | Mill. Rubel |
---|---|
Staatsschulden | 221,0 |
Zahlungen für Eisenbahngesellschaften | 56,4 |
Höchste Regierungsbehörden | 2,4 |
Heiliger Synod | 13,6 |
Hof | 11,7 |
Auswärtiges | 4,9 |
Krieg | 271,2 |
Marine | 54,9 |
Finanzen | 144,3 |
Ackerbau und Domänen | 31,4 |
Inneres | 86,8 |
Volksunterricht | 23,6 |
Wegekommunikationen | 152,7 |
Justiz | 26,1 |
Reichskontrolle | 5,4 |
Hauptverwaltung der Staatsgestüte | 1,5 |
Zusammen | 1107,9 |
Die außerordentlichen Ausgaben (Eisenbahnbauten) werden 1895 betragen 94 Mill. Rubel und werden gedeckt aus den Überschüssen der ordentlichen Einnahmen und aus den Kassenbeständen (Überschüssen früherer Jahre), die jetzt bereits über 400 Mill. betragen und zur Disposition des Finanzministers stehen. Zu den außerordentlichen Ausgaben werden nach den Regeln vom nur gerechnet: Ausgaben, die hervorgerufen sind durch Krieg, allgemeine Notstände, vorzeitige Tilgung von Schulden, Eisenbahnbauten und außerordentliche Vermehrung des rollenden Materials.
Alles, was früher dahin gehörte: Hafenbauten, Verbesserung der Eisenbahnen, Neubewaffnung des Heers, ist zu den laufenden Ausgaben gerechnet. Zu den außerordentlichen Einnahmen werden gerechnet: Anleihen, Einnahmen aus Kreditoperationen, Einzahlungen in die Reichsbank auf ewige Zeiten, Übergabe von Specialmitteln an die Reichskasse, Veräußerungen bedeutender Immobilien, Rückzahlungen der Eisenbahnen. Dagegen wird der Ersatz der Kriegskosten zu den ordentlichen Einnahmen gerechnet.
Seit dem Krimkrieg bestand ein chronisches Deficit, das durch den Russisch-Türkischen Krieg von 1877 bedeutend vermehrt wurde und erst 1888 aufhörte; seitdem schließt das Budget stets mit Überschüssen. Erreicht wurde dies durch Einführung neuer Steuern;
doch auch nach Beseitigung des Deficits werden immer neue Steuern eingeführt, so noch 1894 die Quartiersteuer;
ferner wurden neu eingeführt die Grund-, die Coupon- und Renten-, die Erbschaftssteuer, die Steuer von Eisenbahnbillets und vom Frachtverkehr, die Steuer von Versicherungspolicen;
erhöht: die Handels- und Gewerbesteuer und die Immobiliensteuer in den Städten sowie die Stempelsteuer;
dagegen aufgehoben die Kopfsteuer und die Salzaccise.
Ein wichtiges Mittel zur Erhöhung der Einnahmen wurde die seit 1887 im großen Stile durchgeführte Verstaatlichung verschiedener Eisenbahnen (im ganzen 23 Linien mit einer Länge von rund 16000 km), unter denen, als in den J. 1894 und 1895 angekauft, die Linien der großen Eisenbahngesellschaft von Nishnij Nowgorod nach Petersburg und Warschau, der Baltischen Bahn, der Linien Riga bis Orel und das System der Südwestbahn (allein 8800 km) zu erwähnen sind.
Weitere Mittel zur Entlastung des Budgets boten die Konvertierungen sämtlicher 6-, 5- und 4½prozentigen auswärtigen und innern Anleihen in
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4prozentige Rente und zwar wurden von 1889 bis 1893 insgesamt 875559807 Rubel Goldanleihen, 38281000 Rubel Silberanleihen, 453774800 Rubel Papieranleihen in auf 4 Proz. Zinsen gestellte 910448375 Rubel Gold- und 454000000 Rubel Papieranleihen umgewandelt. 1894 wurden noch im Umlauf befindliche 483 Mill. Rubel 5prozentige Bankbillets und 532 Mill. 5prozentige Orientanleihen zur Konversion in 750 Mill. 4prozentige Staatsrente (Teil einer Anleihe von 1120 Mill., deren Kapital und Zinsen in Kreditrubel zahlbar) aufgerufen und ferner wurde aus einer zum Kurse von 95 Proz. emittierten 3½prozentigen Goldanleihe die Rückzahlung von 73,3 Mill. 5prozentiger Goldobligationen verstaatlichter Eisenbahnlinien bewirkt.
Diese 73,3 Mill. Goldrubel setzten sich zusammen aus 10,59 Mill. 5prozentige Obligationen für die Bahn Poti-Tiflis, 4,45 Mill. Rjashsk-Morschansk, 1,106 Riga-Mitau, 9,016 Orel-Witebsk, 1,29 Donez-Steinkohlenbahn, 4,824 Warschau-Terespol, 5,216 Brest-Grajéwo, 24,195 Baltische Eisenbahn, 6,803 Losowaja-Sewastopol, 3,877 Riga-Dwinsk und 1,935 Mill. für die Bahn Tambow-Koslow. Gegenwärtig (März 1895) werden gegen ältere 4prozentige in 80 und 40 Jahren zu amortisierende Anleihen der Jahre 1887 und 1891: 200 Mill. Rubel 4prozentige Rentenanleihe unter ½prozentigem Kursgewinn angeboten, deren Tilgung fakultativ ist, wodurch der Staat die Amortisationsquoten spart. Durch die Konvertierungen der Jahre 1888-94 wurden jährliche Ersparnisse von 13 Mill. Rubel Metall und 30 Mill. Rubel Kredit gemacht. Gegenüber diesen großen Erfolgen der russ. Finanzverwaltung ist hervorzuheben, daß 1891 eine hauptsächlich auf den franz. Markt berechnete Emission einer 3prozentigen Goldanleihe von 500 Mill. Frs. völlig mißglückte.
Die Staatsschulden betrugen 3840,4 Mill. Kreditrubel. Infolge des Erwerbes und des Baues von Eisenbahnen betrugen sie 5589 Mill. Rubel Kredit; sie sind also um 1748 Mill. während der Regierung Alexanders III. gestiegen. Dagegen betrugen die Zinsen 1881: 237,8 Mill. Rubel und sind bis 1895 nur auf 257,3 Mill. gestiegen.
Der Metallfonds betrug 1881: 291,1 Mill. Rubel, 649,5 Mill. Rubel ohne die 92,1 Mill. der 3½prozentigen Anleihe. 1881 schwankte der Kurs von 7,58 bis 8,16, 1888 von 7,45 bis 10, 1893 von 7,36 bis 7,56 für den halben Imperial.
Das Papiergeldsystem ist ein altes Übel. Beim Tode Katharinas II. cirkulierten 200 Mill. Rubel in Papier (Assignaten). Während der Kriege gegen Frankreich und die Türkei erfolgten weitere Emissionen. 1815 stand der Kurs 1 Rubel Silber = 4 Rubel 18 Kopeken Assignaten. Unter der Verwaltung des Grafen Cancrin (1823-44) wurden allmählich die Finanzen in Ordnung gebracht, der Kurs der Assignaten auf 3 Rubel 50 Kopeken Papier normiert und dieselben 1843 durch Reichskreditbillets ersetzt, welche stets gleichen Kurs mit Silber und Gold haben und stets eingewechselt werden sollten. Da jedoch die Deficits durch Papiergeldemissionen gedeckt wurden, so stieg die Masse der Kreditbillets rasch, und als durch den Krimkrieg eine außerordentliche Vermehrung eintrat, begann der Kreditrubel im Verhältnis zum Metallrubel zu fallen, während der Staat die Gleichheit aufrecht erhielt, insofern als alles auf Silberrubel Stipulierte in Kredit gezahlt wurde.
Die Einlösung der Kreditbillets wurde aufgehoben. 1853-57 ergab sich eine Vermehrung der Kreditbillets um 400 Mill. Es wurden nun zunächst in großer Anzahl 4⅓prozentige ^[ausgeschrieben: viereindrittelprozentige] Schatzscheine emittiert, die Kapitalien der Kirchen und Stiftungen in Renten verwandelt, die bisherigen Banken aufgehoben und die Reichsbank (1859) errichtet. Handel und Industrie belebten sich; es wurden zahlreiche Privatbanken und Aktiengesellschaften gegründet, umfassende Eisenbahnbauten und die Ablösung des Bauernlandes begonnen, sowie zahlreiche Anleihen im Aus- und Inlande abgeschlossen. Infolge des poln. Aufstandes sank der Kurs wieder, ebenso infolge des orient. Krieges. Die jetzige günstige wirtschaftliche und Finanzlage hat den Kurs wiederum in die Höhe gehen lassen und ihn gefestigt, aber eine Einlösung der Kreditbillets wird noch nicht ins Auge gefaßt. Am waren 1196 Mill. Kreditrubel im Umlauf.
Über das Heerwesen, die Marine, Militärbildungsanstalten und Festungen s. Russisches Heerwesen.
Wappen, Flaggen, Orden. Das Wappen des Kaisertums Rußland ist ein zweiköpfiger rot bewehrter schwarzer Adler, der in den Klauen Scepter und Reichsapfel hält und dessen Köpfe diamantene Kaiserkronen tragen; darüber schwebt eine ebensolche, aber größere Krone, aus der zwei blaue Bänder herabfallen. Auf der Brust des Adlers ist in rotem, goldgerändertem Schild der heil. Georg in silberner Rüstung mit blauem Mantel auf silbernem Rosse, mit einer goldenen Lanze einen goldenen, grüngeflügelten Drachen tötend (Moskau). Um den Schild schlingt sich die Kette mit dem Kreuz des Andreasordens.
Auf den Flügeln des Adlers sind je vier Wappen von einzelnen Landesteilen. (S. Tafel: Wappen der wichtigsten Kulturstaaten, [* ] Fig. 5, beim Artikel Wappen.) Das große Wappen zeigt dieselbe [* ] Figur ohne die acht kleinen Wappenschilde in goldenem Felde; Schildhalter sind die Erzengel Michael und Gabriel. Auf dem Baldachin über dem Schild steht auf Russisch die Devise «Gott mit uns», über dem Baldachin flattert das Banner R.s. Das ganze Wappenzelt umgeben im Kreise 15 Wappenschilder einzelner Landesteile, die untern neun mit Kronen bedeckt und untereinander durch Lorbeer- und Eichenzweige verbunden.
Die Landesfarben sind Schwarz, Orange, Weiß in horizontalen Streifen. Die Kriegsflagge ist weiß, durch ein blaues Andreaskreuz diagonal geteilt; die Handelsflagge Weiß, Blau, Rot horizontal gestreift. (S. Tafel: Flaggen der Seestaaten, Bd. 6, S. 862.)
An Ritterorden bestehen: der Andreasorden (s. d.), Katharinenorden (s. d.), Alexander-Newskij-Orden (s. d.), Weißer Adlerorden (s. Adlerorden), Georgsorden (s. d.), Wladimirorden (s. d.), Annenorden (s. d.) und der Stanislausorden (s. d.).
Kirchenwesen. Die Staatskirche ist die Orthodoxe oder Russische Kirche (s. d.), zu der sich 71 Proz. der ganzen Bevölkerung bekennen. Alle übrigen Religionsbekenntnisse genießen bloß Duldung; keinem Griechisch-Orthodoxen ist es gestattet, zu einer andern Religion überzutreten, die Beihilfe dazu wird kriminell bestraft; bei gemischten Ehen, in denen der eine Teil der Staatskirche angehört, muß der andere Teil sich schriftlich verpflichten, die Kinder nach dem Ritus der russ. Kirche taufen zu lassen. Die oberste Leitung der orthodoxen Kirche steht unter dem Heiligen
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Synod (s. Synod). Das ganze Reich zerfällt in 60 Eparchien oder bischöfl. Diöcesen und 1 Exarchat; an ihrer Spitze stehen 3 Metropoliten (Kiew, Moskau und Petersburg), 1 Exarch, 17 Erzbischöfe, 40 Bischöfe mit 38 Vikaren. Es giebt (1891) 695 Kathedralen, 35230 Pfarrkirchen, 18862 Kapellen mit 1858 Oberpriestern (Protojerejen), 40129 Priestern oder Popen, 12629 Diakonen, 43935 Psalmensängern und Kirchendienern, zusammen 98551 Personen; 497 Mönchs- (darunter 4 Lauren), 228 Nonnenklöster, 6865 Mönche, 7300 Nonnen, 4512 männliche und 20268 weibliche Novizen, zusammen 38945 Personen.
Den kirchlichen Zwecken wurden (1894) im Staatsbudget gewidmet 14881157 Rubel, davon 7144783 zum Unterhalt der orthodoxen Stadt- und Dorfgeistlichkeit, 1690326 für andere christl. Bekenntnisse und 50956 für den Mohammed. Kultus. An freiwilligen Spenden aus den Gemeinden flossen der orthodoxen Kirche (1891) 13659139 Rubel zu. Die meisten Klöster befinden sich in dem um Moskau gelegenen Kreise des alten großruss. Kronlandes, dann in dem alten Kiew. Nur wenige giebt es in Südrußland und bei den Kosaken, namentlich den donischen. 1881-90 traten zur russ. Kirche über 158843 (26480 Evangelische, 20398 Katholiken, 36065 Heiden und Mohammedaner und 6231 Juden).
Die Verwaltung der römisch-katholischen Kirche gehört nach Aufhebung des Erzbistums in Warschau (1867) zum Ressort des röm.-kath. Kollegiums zu Petersburg. Sämtliche kath. Kirchen des Reichs sind dem gewöhnlich zu Petersburg residierenden Erzbischof von Mohilew untergeordnet, der zugleich Metropolit aller röm.-kath. Kirchen, Präsident der geistlichen Akademie und des geistlichen Kollegiums zu Petersburg ist. Durch den Ukas vom wurden in Polen 110 Klöster aufgehoben.
Durch den Ukas vom ging das gesamte Eigentum der kath. Kirche in die Verwaltung des Staates über und die kath. Geistlichkeit wurde auf Staatsbesoldung gesetzt. So wurde die kath. Kirche im ganzen Russischen Reiche von dem röm. Stuhl so gut wie unabhängig gemacht. Außer dem Erzbischof von Mohilew bestehen in den außerpoln. Ländern noch fünf kath. Bischöfe. In jedem bischöfl. Sprengel befindet sich ein geistliches Seminar. Diese 6 Seminare, wie auch ihre 90 Schulen und etwa 200 Sekundärschulen sind der geistlichen Akademie in Petersburg untergeordnet. Es gab (1888) 5156 kath. Kirchen mit 3629 Geistlichen. - Die armenisch-gregorianische Kirche in Rußland steht unter der Leitung des im Kloster zu Etschmiadzin residierenden Patriarchen oder Katholikos und den sechs Erzbischöfen von Eriwan, Georgien, Karabagh, Astrachan und (dieser uniert) Nachitschewan-Bessarabien (s. Nachitschewan 3). Sie hatte (1888) 1275 Kirchen mit 2025 Geistlichen.
Die evangelische und zwar zunächst die lutherische Kirche (mit 1844 Kirchen und 530 Geistlichen) steht in Finland unter den drei Bischöfen von Åbo, Borgo und Kuopio und deren Konsistorien, in den übrigen Teilen des Reichs unter den Generalsuperintendenten von Petersburg, Moskau, Warschau, Kurland, Esthland, Livland, den Superintendenten von Riga, Reval und Ösel und deren Konsistorien. Die oberste Instanz bildet das Generalkonsistorium in Petersburg, welches dem Ministerium des Innern untergeordnet ist.
Die Ausbildung der prot. und reform. Geistlichkeit findet auf den Universitäten Dorpat (Jurjew) und Helsingfors statt. Die Reformierten befinden sich besonders unter der lett. Bevölkerung in den Gouvernements Wilna und Grodno, sodann auch in den Ostseeprovinzen, in Petersburg, Moskau, Archangelsk und Polen und stehen mit ihren 35 Geistlichen und 31 Kirchen unter 5 Konsistorien. Herrnhuter sind besonders in Livland und Sarepta, Mennoniten in den taurischen Kolonien an der Molotschna zu finden, wo sie etwa 15000 Köpfe stark sind; über 2000 leben in Polen. - Für die Ausbildung israelitischer Geistlicher sind seit 1847 Rabbinerschulen zu Wilna und Schitomir vom Staat angelegt.
Auch bestehen von ihm unterhaltene Schulen zu Odessa, Kischinew, Winniza, Starokonstantinow und (die bedeutendste) zu Berditschew. Es giebt (1888) 6319 Synagogen und Bethäuser mit 5673 Rabbinern und ihren Gehilfen. Außerdem noch 35 karäische Synagogen mit 35 Rabbinern. Die mohammedanische Bevölkerung mit ihren 9254 Moscheen und 16914 Muftis, Mullas und Lehrern steht unter dem Mufti von Orenburg, mit Ausnahme der Mohammedaner in Taurien und der Kirgis-Kasaken.
Geistige Kultur. Die ersten Schulen (für Geistliche) scheinen zur Zeit Iwans IV. Wassiljewitsch (1533-84) entstanden zu sein. Feodor III. gründete 1682 die geistliche Akademie in Moskau. Peter d. Gr. stiftete Kriegs- und Navigationsschulen und ließ durch Leibniz den Plan zu der Akademie der Wissenschaften entwerfen. Unter Elisabeth wurde 1755 die Universität Moskau eröffnet. Katharina II. verbreitete unter den Großen franz. Sitte und Bildung, machte sich aber auch durch Anlegung von Stadtschulen, Gymnasien und wissenschaftlicher Institute verdient.
Alexander I. suchte zuerst ein System der Unterrichtsanstalten durchzuführen und rief 1802 das Ministerium des Unterrichts ins Leben. Kaiser Nikolaus I. bemühte sich, dem Andringen fremder Bildung, soweit sie nicht rein dem praktischen Gebiet angehörte, entgegenzutreten. Die Bildung junger Russen im Ausland wurde verboten und nur einzelnen die kaiserl. Erlaubnis dazu erteilt. Die Erziehung im Hause und in Privatanstalten wurde unter öffentliche Kontrolle gestellt und als Hauptgegenstände des Unterrichts wurden russ. Sprache und Litteratur, Landesgeschichte, Volkskunde, russ. Geographie und Statistik bezeichnet.
Eine neue Epoche begann unter Alexander II. Der Unterrichtsminister Golownin (seit 1862) entwarf großartige Organisationspläne. Die starre Absperrung gegen den Westen hörte auf; neue Statuten zur Reorganisation der Universitäten (1863), zur Verbesserung der Gymnasien und Progymnasien (1864) sowie der Kreis-, Parochial-, Elementar- und Volksschulen (1864) wurden erlassen. Die Neugründung von höhern und niedern Lehranstalten (auch für Mädchen), von Realgymnasien, von Lehrerseminaren (1865), von Specialschulen u. s. w. wurde in Angriff genommen.
Das Budget für das Unterrichtswesen wurde erhöht, die Anschaffung der Lehrbücher und anderer Lehrmittel freigegeben und der Konkurrenz der Verleger und Buchhändler überlassen. Der Nachfolger Golownins, Graf D. Tolstoj (1866-80), reorganisierte das Unterrichtswesen im Sinne eines einseitigen Klassicismus, suchte Realschulen zu beseitigen und die Gründung von polytechn. Schulen zu hindern. Unter Deljanow (seit 1881) wurde umgekehrt wieder der klassische Unterricht beschränkt, die Realschulen und polytechn. Schulen vermehrt. 1884 wurde ein
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neues Universitätsstatut erlassen, das die Selbstverwaltung beseitigte.
Rußland hat mit Einschluß von Finland folgende zehn Universitäten:
Universitäten | Zahl der Fakultäten | Zahl der Docenten | Zahl der Studenten | Zahl der Hörer |
---|---|---|---|---|
Charkow | 4 | 109 | 1062 | 54 |
Helsingfors | 5 | 98 | 1716 | 41* |
Dorpat (Jurjew) | 5 | 80 | 1670 | 7 |
Kasan | 4 | 101 | 737 | 25 |
Kiew | 4 | 166 | 2179 | 121 |
Moskau | 4 | 192 | 3447 | 202 |
Odessa | 3 | 63 | 517 | 25 |
Petersburg | 4 | 184 | 2306 | 45 |
Tomsk | 2 | 18 | 289 | 13 |
Warschau | 4 | 73 | 1189 | 13 |
Zusammen | 1084 | 15112 | 546 |
* Weibliche.
Von der Gesamtzahl der Studenten (außer Helsingfors) kamen (1893-94) auf die theol. Fakultät 256, auf die historisch-philologische 774, auf die physiko-mathematische 2424, auf die juristische 3877, auf die medizinische 2520 und auf orient. Sprachen 25. Den Universitäten gleichgestellt sind zwei histor.-philolog. Institute (in Petersburg und Njeshin), das Lasarewsche Institut für orient. Sprachen (in Moskau), die Lehranstalt für orient. Sprachen beim Asiatischen Departement (s. d.), 2 kaiserl. Lyceen, eine Rechtsschule, das Konstantinowsche Feldmesserinstitut und das Demidowsche Rechtslyceum (letzteres in Jaroslawl).
Außerdem giebt es 1 Berg-, 2 technische, 1 Forst-, 2 Ingenieur-, 2 polytechnische, 1 archäol., 1 landwirtschaftliches Institut. Unter dem Militärdepartement stehen 5 höhere Lehranstalten, darunter 3 specifisch militär. Akademien (des Hauptstabes, der Artillerie und der Ingenieure), die militärjuridische und die militärmediz. Akademie, zusammen mit 1257 studierenden Offizieren; ferner die See-Akademie Nikolaus' I. Zu den höhern geistlichen Unterrichtsanstalten gehören 6 theol.
Akademien, darunter 4 orthodoxe (in Petersburg, Moskau, Kiew und Kasan) mit 839 Studenten, 1 römisch-katholische (in Petersburg) und 1 armenische (in Etschmiadzin). Zu den Mittelschulen gehören: 180 Gymnasien und 59 Progymnasien mit 4942 Lehrern und 68680 Schülern;
95 Realschulen mit 19249 Schülern;
55 Geistliche Seminarien mit 17250 Schülern;
188 Geistliche Schulen mit 29829 Schülern;
27 Militärgymnasien mit allgemeinen und speciellen Kursen, 2 Militärschulen mit allgemeinen Bildungskursen;
14 Junkerschulen mit 3474 Schülern. An Fachschulen giebt es: 3 mit Mittelschulcharakter (für Topographie, Artillerie und Ingenieurwesen) bei zwei Militärakademien;
10 Feldscherschulen, 16 Handelsschulen, 2 kaiserl. Konservatorien (in Petersburg und Moskau), 1 musikalisches Institut (in Warschau), 1 Hofsängerkapelle (in Petersburg), 27 Musik-, 3 Theater- und musikalisch-dramatische, 1 Opernschule, 1 kaiserl. Kunstakademie mit Kunstschule, 8 Zeichenschulen und Zeichenklassen, 1 elektrotechnisches Institut, 56 technische und Gewerbeschulen, 16 Schulen für Obst-, Gartenbau und Bienenzucht, 21 Schulen für Land- und Forstwirtschaft, 55 Ackerbauschulen;
40 mediz., klinische und Veterinärinstitute und Schulen;
1 seetechnische Schule und 46 andere Seeschulen und Schifferklassen.
Für den höhern und mittlern weiblichen Unterricht bestehen 9 (meist pädagogische) Anstalten, 26 weibliche Institute der Kaiserin Marie, 149 Staatsgymnasien und 196 Progymnasien, 28 mediz., Hebammen- und Feldscher-, 2 Hauswirtschaftsschulen, 2 Fröbelkurse u. s. w. Endlich sind vorhanden 40589 niedere und Elementarschulen mit 2240329 Schülern, darunter 1870399 Knaben. Die gesamten Ausgaben der Regierung für die Volksbildung betragen jährlich gegen 40 Mill. Rubel; 1894 kamen auf Hochschulen 7294473, auf Mittelschulen 19576208, auf niedere Schulen 7403612, auf Bibliotheken, gelehrte Gesellschaften u. s. w. 1694916 Rubel.
Unter den wissenschaftlichen Anstalten nimmt den ersten Rang ein die kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Petersburg, mit der die Sternwarte in Pulkowa und das Meteorologische Institut in Petersburg und Pawlowsk verbunden ist. Daran schließen sich die Archäologische Kommission, das Geologische Komitee, viele kaiserl. Gesellschaften und Privatgesellschaften der verschiedensten Art sowie zahlreiche reich ausgestattete Museen. Unter den Bibliotheken ist die bedeutendste die kaiserl. Öffentliche Bibliothek in Petersburg. (S. auch die Artikel Petersburg, Moskau, Odessa u. s. w.)
Litterarische Produktion. In R. (außer Finland) wurden 1893: 10242 Werke in 33875201 Exemplaren gedruckt, davon in russ. Sprache 7782 in 27224903 Exemplaren, in ausländischen Sprachen und in den Sprachen der russ. Fremdvölker 2460 in 6650298 Exemplaren. Die russ. Werke zerfielen ihrem Inhalt nach in: theologische 1058, Nachschlagebücher 701, Schulbücher 675, schönwissenschaftliche 629, medizinische 618, geschichtliche 307, rechtswissenschaftliche 254, Kinderschriften 241, landwirtschaftliche 238, dramatische 229, statistische 209;
6 Gruppen (darunter Technik, Naturwissenschaften, Militaria, Pädagogik) weisen je 100-200 Werke auf, 7 Gruppen (Geographie, Astronomie, Philosophie u. a.) je 50-100, 11 Gruppen (Handel, Finanzen, Mathematik, Sprachwissenschaft u. s. w.) je 2-50. Es gab (1893) in 152 Städten 656 Buchdruckereien und in 222 Städten 619 Buchhandlungen.
Über den russ. Buchhandel s. Buchhandel (Bd. 3, S. 673 b), über die russ. Preßverhältnisse s. Preßgesetzgebung (Bd. 13, S. 380 a).
Zeitungswesen. Die erste russische Zeitung wurde 1703 von Peter d. Gr. gegründet: die «Vědomosti» (Nachrichten) in Moskau, aus denen die «Sanktpeterburgskija Vědomosti» hervorgingen, die seit 1714 ununterbrochen erscheinen und das Organ der Petersburger Akademie der Wissenschaften sind. Die «Moskovskija Vědomosti» wurden 1756 begründet als Organ der Moskauer Universität. 1769-74 erschien eine Anzahl satir. Journale, wie «Vsjakaja Vsjačina» (Buntes Allerlei),
an dem die Kaiserin (Katharina II.) mitwirkte. Der hauptsächlichste Journalist jener Zeit war aber Nowikow (s. d.). Karamsin gab schon 1791-92 das «Moskovskij Žurnal» heraus, wichtiger wurde aber der von ihm 1802 gegründete «Věstnik Evropy» (s. Europäischer Bote). Der Krieg mit Frankreich rief hervor Glinkas patriotischen «Russkij Věstnik» (1808-21). Weitere Zeitungen von Bedeutung waren: Gretschs «Syn Otečestva» (Sohn des Vaterlandes, 1812 fg.),
«Russkij Invalid» (1813 fg.),
Polewojs «Moskovskij Telegraf» (1825-34),
Gretsch und Bulgarins «Sěvernaja Pčela» (Nordische Biene; reaktionär). Eine freiere Bewegung der Presse trat während des
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Krimkrieges und besonders nach der Thronbesteigung Alexanders II. ein. Der «Sovremennik» (Zeitgenosse, 1836-66) nahm unter Tschernyschewskij (1853-62) eine radikale Richtung an. Den Absolutismus bekämpfte (freilich vom Auslande her) der «Kolokol» (s. Herzen). Sein Einfluß wurde gebrochen durch Katkow (s. d.),
der seit 1863 in den «Moskovskija Vědomosti» das nationale Russentum mit der Selbstherrschaft energisch zu vertreten begann. In liberalem Sinne wirkten der «Golos» (s. d.) und die Monatsschrift «Otečestvennyja Zapiski» (Vaterländische Memoiren, 1839-84). Beide, wie auch der «Sovremennik», wurden unterdrückt. Das beste Witzblatt war die «Iskra» (Funke, 1859-73).
Die wichtigsten gegenwärtig erscheinenden Tageblätter sind: in Petersburg «Pravitelstvennyj Věstnik» (Regierungsbote; amtlich),
«Novoje Vremja» («Nowoje Wremja», s. d.; national),
«Novosti» (Neuigkeiten; börsenfreundlich),
«Birževyja Vědomosti» (Börsenzeitung),
«Graždanin» («Grashdanin», s. d.; konservativ),
«Peterburgskaja Gazeta», «Peterburgskij Listok», «Svět» (Licht),
«Russkij Invalid», «Syn Otečestva» (Organ des Kriegsministeriums); in Moskau die «Russkija Vědomosti» (liberal),
«Moskovskija Vědomosti» (konservativ),
«Moskovskij Listok», «Russkij Listok»; in der Provinz (alle unter Präventivcensur) der «Kijevljanin» und «Kijevskoje Slovo» (in Kiew),
«Novorossijskij Telegraf» (in Odessa),
«Južnyj Kraj» (in Charkow),
«Varšavskij Dnevnik» (in Warschau; offiziös),
«Vilenskij Věstnik» (in Wilna),
«Rižskij Věstnik» (in Riga),
«Kronstadtskij Věstnik» (in Kronstadt; offiziös in Marineangelegenheiten). Außerdem hat jedes Gouvernement eine Gouvernements- und gewöhnlich auch eine (kirchliche) Eparchialzeitung.
Der Wissenschaft dienen die «Zapiski» (Memoiren) der Universitäten und Gelehrten Gesellschaften, das «Žurnal Ministerstva narodnago prosvěščenija» (Journal des Unterrichtsministeriums) und verschiedene Fachzeitschriften. Populäre Wissenschaft, Litteratur, Kunst, Belletristik, Politik pflegen die in dicken Monatsheften erscheinenden Revuen, wie «Věstnik Evropy» (1866 von Staßjulewitsch neu begründet),
«Russkaja Mysl» (Russische Idee),
«Russkij Archiv», Sěvernyj Věstnik (Nordischer Bote),
«Russkoje Obozrěnije» (Russische Rundschau),
«Russkoje Bogatstvo» (Russischer Reichtum);
die Geschichte «Istoricěskij Věstnik», «Kijevskaja Starina»;
die Ethnographie «Živaja Starina» (Lebendes Altertum);
die Kunst überhaupt der «Artist».
Illustrierte Wochenblätter sind: «Vsemirnaja Illjustracija») (Illustrierte Welt),
«Niva» (Flur; 100000 Aufl.),
«Sěver» (Nord);
Witzblätter: «Budilnik» (Wecker),
«Oskolki» (Splitter),
«Strekoza» (Grille),
«Šut» (Hanswurst).
Eine gesonderte Stellung nehmen die Zeitschriften der Slawophilen (s. d.) ein.
In deutscher Sprache erscheinen 42 Zeitungen: die «Sankt Petersburger Zeitung» (s. d.),
der «St. Petersburger Herold», die «Moskauer Deutsche Zeitung», die «Odessaer Zeitung», u. a. in Petersburg (7),
Moskau (1) und Odessa (2),
ferner in Lodz (3),
Saratow (1) und in den Ostseeprovinzen (28). Hier erscheinen in Riga die «Baltische Monatsschrift» (1859 fg.),
die «Düna-Zeitung», «Rigaer Tageblatt», «Rigasche Börsen- und Handelszeitung», «Rigasche Rundschau», «Rigasches Kirchenblatt» u. a.;
in Jurjew (Dorpat) die «Baltische Wochenschrift» und die «Neue Dörptsche Zeitung»;
in Reval der «Revaler Beobachter» und die «Revalsche Zeitung»;
kleinere Zeitungen in Mitau (2),
Libau (2),
Fellin, Goldingen, Pernau, Wesenberg, Windau und Arensburg. In französischer Sprache erscheinen 8 Zeitungen, darunter das «Journal de St. Pétersbourg» (s. d.),
«La Russie Commerciale» und «Revue Commerciale» (in Odessa);
in polnischer Sprache 65: in Warschau die Tagesblätter «Gazeta Polska», «Gazeta Warszawska», «Kurjer Codzenny»,»Słowo»,»Wiek», die Unterhaltungsblätter (meist illustriert) «Biesiada», «Błuszcz», «Tygodnik illustrowany», «Ziarno», «Zorza»),
die Monatsblätter «Ateneum» (1876 fg.),
«Biblioteka Warszawska» (1841 fg.),
«Wisła» (ethnographisch) u. a., endlich Zeitungen in Kalisch, Kjelzy, Lublin, Petrikau, Radom und Petersburg (die Wochenschrift «Kraj»);
in lettischer Sprache 9: in Mitau «Latweeshu Awisses», «Tehwlja» (Vaterland),
in Riga «Deenas Lapa» (Tageblatt),
«Balss» (Stimme),
«Baltijas Wehstnesis» (Baltischer Bote),
«Mahjus Weesis» (Hausfreund),
in Moskau «Austrums» (Osten; monatlich) u. a.;
in esthnischer Sprache 11: in Jurjew (Dorpat) «Olewik» (Unsere Zeit),
«Postimees» (Postillon; sechsmal wöchentlich),
in Reval «Walgus» (Licht; dreimal wöchentlich),
«Eesti Postimees» (Esthnischer Postillon),
«Tallina Söber» (Revaler Freund),
Zeitungen in Arensburg, Fellin und Narwa;
in armenischer Sprache 6: in Tiflis «Nor Dar» (Neue Ära; täglich),
«Adsagank» (Echo; dreimal wöchentlich),
«Achpjur» (Quelle),
«Murtč» (Hammer) u. a., in Etschmiadzin «Ararat»;
in georgischer Sprache 5: in Tiflis «Iverija» (täglich),
«Meurne» (Landwirt),
«Moambe» (Bote),
«Džedžili» (Flur),
in Kutais «Mzkemsi» (Hirt);
in finnischer Sprache (mit Ausschluß von Finland) «Inkeri» (Newa) in Petersburg;
in hebräischer Sprache «Hameliz» in Petersburg und «Hazefira» in Warschau;
in russ. und tatarischer Sprache «Perevodčik-Terdžiman» (Übersetzer) in Bachtschisarai;
in russ. und sartischer Sprache «Turkestanskaja Gazeta» in Taschkent;
in russ. und kirgisischer Sprache eine Beilage zu «Akmolinskija Oblastnyja Vědomosti» in Omsk.
Im J. 1894 erschienen in Rußland (außer Finland) 779 Zeitungen (gegen 743 im J. 1893), davon 623 in russ., 156 in andern Sprachen; 524 unter Präventivcensur, 255 ohne solche; 113 täglich, 93 mehrmals wöchentlich, 221 wöchentlich, 102 mehrmals monatlich, 170 monatlich, 54 mehrmals im Jahre und 26 in unbestimmten Terminen.
Litteratur zur Geographie und Statistik. Possart, Das Kaisertum Rußland (2 Bde., Stuttg. 1839-41);
Stuckenberg, Hydrographie des Russischen Reichs (6 Bde., Petersb. 1844-48);
Geogr.-statist. Wörterbuch des Russischen Reichs, hg. von der Russischen Geographischen Gesellschaft, redigiert von P. Semenow (russisch, 5 Bde., ebd. 1863-85);
Wallace, Russia. (2 Bde., Lond. 1877 u. ö.; deutsch Lpz. 1878 u. ö.);
Reclus, Géographie universelle, Bd. 5 u. 6 (Par. 1880-81), sowie der Nachtrag zur russ. Übersetzung dieses Werkes von Beketow, Bogdanow, Wojejkow u. a. (Petersb. 1884);
Słownik geograficzny królewstwa polskiego i innych krajów slowianskich, hg. von B. Chlebowski, Bd. 1-13 (Warsch. 1880-93; umfaßt auch Südwest-, Westrußland und einen Teil der Ostseeprovinzen);
Leroy-Beaulieu, L'empire des Tsars (3 Bde., Par. 1881-89; deutsch, Bd. 1 u. 2, Berl. 1884-85; Bd. 3, Sondersh. 1890);
Das Russische Reich in Europa (Berl. 1884);
Roskoschny, Rußland, Land und Leute (2
mehr
Abteil. in 4 Bdn., Lpz. 1884);
Strelbizkij, Berechnung der Oberfläche des Russischen Reichs unter der Regierung Alexanders III. (russisch, Petersb. 1889);
Lewakowskij, Die Gewässer R.s (russisch, Charkow 1890);
Lanin, Russ. Zustände.
Aus dem Englischen von Dietz (2 Bde., Dresd. 1892-93). - Reisen von Pallas, Gmelin, Güldenstedt, Erman, Kohl, Blasius, Gautier, F. Weber, Guthrin u. a.;
ferner Kletke, Alex. von Humboldts Reisen im europäischen und asiatischen Rußland (2 Bde., Berl. 1855-56);
Semenow, Rußland nach den Darstellungen der Reisenden (russisch, 6 Bde., Petersb. 1864-87, zum Teil öfter);
Reiseeindrücke und Skizzen aus Rußland von Th. von Bayer* (Stuttg. 1885);
Proskowetz, Vom Newastrand nach Samarkand (Lpz. 1889);
von Moltke, Briefe aus Rußland (4. Aufl., Berl. 1893);
Reisehandbücher von Murray (4. Aufl., Lond. 1888) und Baedeker (3. Aufl., Lpz. 1892). - Ethnographie: Ethnogr. Karte von F. von Köppen (russisch, 4 Bl., Petersb. 1852);
Pauly, Description ethnographique des peuples de la Russie (ebd. 1862);
Buschen, Bevölkerung des russ. Kaiserreichs (Gotha 1862);
Die Ethnographie R.s nach A. F. Rittich (in Petermanns «Geogr. Mitteilungen», Jahrg. 1877 und Ergänzungsheft 54, Gotha 1877-78; mit 3 ethnogr. Karten). - Kultur: die Werke Haxthausens (s. d.); Russ. Fragmente. Beiträge zur Kenntnis des Staats- und Volkslebens, hg. von F. Bodenstedt (2 Bde., Lpz. 1862);
Keußler, Zur Geschichte und Kritik des bäuerlichen Gemeindebesitzes in Rußland (2 Bde., Petersb. 1876-83);
R.s Unterrichtswesen, hg. von G. Schmid, L. Strack u. a. (Lpz. 1882);
Meyer von Waldeck, Rußland, Einrichtungen, Sitten und Gebräuche (2 Abteil., ebd. 1884-86);
Hehn, De moribus Ruthenorum.
Zur Charakteristik der russ. Volksseele (Stuttg. 1892); Stepniak, Der russ. Bauer (ebd. 1892). - Finanzen, Industrie und Handel: Baer, Untersuchungen über den Zustand des Fischfanges in Rußland (Petersb. 1860);
Besobrasow, Études sur l'économie nationale de la Russie (2 Bde., ebd. 1883-86);
Thun, Landwirtschaft und Gewerbe in Mittelrußland (Lpz. 1880);
Matthäi, Die wirtschaftlichen Hilfsquellen R.s (2 Bde., Dresd. 1883-85);
Kowalewskij, Die Land- und Forstwirtschaft R.s (russisch, Petersb. 1893);
Koppen, Die Bergbauindustrie R.s (russisch, ebd. 1893);
Mendelejew, Die Fabrikindustrie und der Handel R.s (russisch, ebd. 1893);
Industries of Russia. By the Department of Trade and Manufactures (englisch von J. M. ^[John Martin] Crawford, Bd. 1, 2 u. 5, ebd. 1893). - Sammelwerke: Beiträge zur Kenntnis des Russischen Reichs (26 Bde., Petersb. 1839-71; 2. Folge, 9 Bde., 1879-84; 3. Folge, 7 Bde., 1887-90; 4. Folge, 1893 fg.);
Ermans Archiv für wissenschaftliche Kunde R.s (25 Bde., Berl. 1841-67);
Baltische Monatsschrift (Riga 1859 fg.);
Russ. Revue. Monatsschrift zur Kunde R.s (Petersb. 1872-91 und Generalregister 1892);
die Publikationen der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, der russ. Geographischen Gesellschaft, des Statistischen Centralkomitees, des Generalstabes, der verschiedenen Ministerien u. s. w.;
St. Petersburger Kalender (Petersb. 1729 fg.);
Suworins Russischer Kalender (russisch, ebd. 1872 fg.). - Bibliographie: Catalogue de la section des Russica (2 Bde., Petersb. 1872);
Kaulbars, Aperçu des travaux géographiques en Russie (ebd. 1889).
Karten. Militärtopogr. Karte des Europäischen R.s, hg. von der topogr. Abteilung des russ. Generalstabes (russisch, Maßstab 1:126000, in Kupferstich, Petersb. 1857 fg.; auf 700 Blatt berechnet); dieselbe u. d. T.: Neue Specialkarte des Europäischen R.s, redigiert von Strelbizkij (russisch, Maßstab 1:420000, Chromolithographie, Petersb. 1862 fg.; auf 177 Blatt berechnet). Auch giebt es russ. Generalstabskarten von Finland, Polen, dem Kaukasus (vgl. Schellwitz, Übersicht der russ. Landesaufnahmen [in der «Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin»]).
Ferner Karte des Asiatischen R.s und der angrenzenden Gebiete (russisch, 8 Bl., Petersb. 1883);
Schwarz, Fluß- und Gebirgskarte des Amur-, Lena-, Jenissei-Gebietes und der Insel Sachalin (russisch, ebd. 1884);
Iljin, Atlas des Russischen Reichs (russisch, Heft 1-12, ebd. 1885-93);
Kiepert, Karte des Russischen Reichs in Europa (6 Bl., 6. Aufl., Berl. 1893);
Koch und Opitz, Eisenbahn- und Verkehrsatlas von Europa. 11. Abteil.: Rußland u. a. (Lpz. 1894);
Habenicht, Orohydrogr.
Schulwandkarte von Rußland (12 Bl., Gotha 1895).
Territoriale Entwicklung. Den Grundstock des Russischen Reichs bildet das Fürstentum Moskau, das Daniel Alexandrowitsch Ende des 13. Jahrh. aus der Stadt Moskau und einigen umliegenden Dörfern errichtete. Dazu kamen: 1301 Kolomna, 1302 (durch Erbe) Perejaslawl, 1303 Moschaisk;
unter Iwan Kalita und endgültig unter Dmitrij Donskoj die Gebiete von Uglitsch, Bjeloosero und Halitsch sowie unter Dmitrij noch besonders das Großfürstentum Wladimir;
unter Wassilij I. die Fürstentümer von Murom und Nishnij Nowgorod;
unter Wassilij II. Ustjug, Susdal und Serpuchow;
unter Iwan III. das ganze Gebiet von Nowgorod (1478), das bis zur Petschora und zum Eismeer reichte, Twer (1485), Wjatka (1489), ein Teil von Rjasan (1503), Perm (1505), die Werchowschen Fürstentümer;
unter Wassilij III. die Fürstentümer Smolensk und Nowgorod-Sjewersk (durch die Kämpfe gegen Litauen 1492-1523), das Großfürstentum Rjasan (1520) und die letzte nordruss.
Republik Pskow (1510). Unter Iwan IV. gelangte durch Unterwerfung der Zartümer Kasan (1552) und Astrachan (1556) das ganze Wolgagebiet in die Hände R.s, und der Weg nach Sibirien war geöffnet: 1582 wurde von Jermak das Chanat Sibir am Irtysch erobert. Andererseits endete der Versuch, zur Ostsee zu gelangen, mit dem Verlust der finn. Küste (1583), die erst 1595 wieder zurückerlangt, während des Interregnums abermals verloren ging, im Frieden von Stolbowa (1617) an Schweden abgetreten und 1721 von Peter d. Gr. zurückerobert wurde. Im Südosten wurden die donischen, terischen und uralischen Kosaken von Rußland abhängig, worauf die Kolonisierung der Länder und die Unterwerfung der Fremdvölker folgte.
Während des Interregnums ging auch Smolensk und ein Teil von Sjewersk an Polen verloren (bestätigt im Waffenstillstand von Deulino 1618). Dafür gingen die Eroberungen in Sibirien rasch vorwärts, unter Feodor I. bis zum Jenissei. Bis Mitte des 17. Jahrh. waren die Kosaken schon bis zum Ochotskischen Meer vorgedrungen, wobei sie die einheimische Bevölkerung tributpflichtig machten. 1643 kamen sie an den Amur, doch wurde das Amurland 1689 an China abgetreten (Vertrag von Nertschinsk) und kam erst 1858 mit dem nördl. Teil der Insel Sachalin wieder an Rußland (Vertrag von Aigun), worauf 1860 auch das Gebiet rechts vom Ussuri folgte (Vertrag von Peking). 1697 wurde Kamtschatka entdeckt und eingenommen. Im Westen nimmt das
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Terrain erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. zu. Durch den Vertrag von Andrussowo 1667 kamen die Gebiete von Smolensk und Sjewersk wieder an Rußland zurück; es erhielt ferner die Ukraine links vom Dnjepr (das heutige Gouvernement Poltawa) und am rechten Ufer die Stadt Kiew. Die weitere, ziemlich unbestimmte Südgrenze bildete das Gebiet der Saporoger (s. d.). Der Versuch Peters d. Gr., sich dem Schwarzen Meer zu nähern, führte zur Eroberung Asows, zur Aufstellung einer neutralen Zone (Vertrag von Konstantinopel 1700) und zu einer festern Bestimmung der Grenzen der saporogischen Länder (die zu Rußland gezählt wurden) gegen die türk. Besitzungen (1705). Aber nach dem Frieden am Pruth (1711) mußte Asow aufgegeben werden, und die russ. Grenze verschob sich vom Dnjepr nach Norden an die Flüsse Samara und Orel (1713). Ebenso vergeblich war der Versuch, sich in Transkaukasien festzusetzen: in den Verträgen von Rescht (1729) und Gandscha (das spätere Jelisawetpol, 1735) mußte Rußland alle Eroberungen Peters (Derbent, Baku, Gilan, Masenderan, Astrabad) wieder aufgeben, und der Terek blieb die Grenze. Dagegen entriß Peter d. Gr. im Westen den Schweden die Küsten der Ostsee: Livland (mit den Inseln Ösel und Dagö), Esthland, Ingermanland, Karelien und einen Teil von Finland mit der Stadt Wiborg. Nach dem Belgrader Frieden (1739) wurde im Süden die Grenze von 1705 wiederhergestellt und als Grenze gegen die Krim der Fluß Konka bestimmt (1742). In Finland rückte die Grenze 1743 bis zum Kymmene-elf vor (Frieden von Åbo).
Eine neue Ära beginnt mit Katharina II. Nach dem ersten Türkenkriege wurden wichtige Punkte an den Mündungen des Dnjepr, des Don, an der Meerenge von Kertsch gewonnen: Kinburn, Asow, Kertsch-Jenikale (1774), dann Balta, die Krim, das Kubangebiet (1783-84), endlich nach dem zweiten Türkenkriege die Seeküste zwischen dem Bug und dem Dnjestr (Friede von Jassy 1792), womit eine feste Stellung am Schwarzen Meer erlangt war. Im Westen brachten Erwerbungen die drei Teilungen Polens: die erste Westrußland östlich vom Dnjepr und der Düna (1772), die zweite die Gebiete von Minsk, Volhynien und Podolien (1793), die dritte die jetzigen Gouvernements Wilna, Kowno und Grodno, den Oberlauf des Pripet, den westl. Teil von Volhynien (1795). Kurz vorher war das Herzogtum Kurland durch Verzicht des Herzogs Peter zu Rußland gekommen.
Unter Alexander I. wurde erworben: das Gebiet von Bjelostok (1807), Finland bis zum Fluß Torneå mit den Ålandsinseln (Friede von Fredrikshamn 1809), auf dem Wiener Kongreß (1815) das Herzogtum Warschau, das unter dem Namen eines Königreichs Polen unter russ. Oberherrschaft kam. Gleichzeitig fand ein Vordringen im Kaukasus statt. Schon unter Paul I. wurde Georgien einverleibt (1801). Dazu kamen im Nordwesten Mingrelien, Imeretien, Abchasien (1803-24), im Südosten die Chanate Karabagh, Gandscha, Derbent, Kuba, Baku, Schirwan, Talisch, Scheki (Vertrag von Gulistan 1813). Ein Versuch Persiens, nach dem Tode Alexanders I. das Verlorene wiederzuerobern, führte zu weiterm Verlust der Chanate Eriwan und Nachitschewan (Friede von Turkmantschaj 1828). In einem gleichzeitigen Kriege mit der Türkei erwarb Rußland die Küste des Schwarzen Meeres von der Kubanmündung bis zum Hafen Swajtoj Nikolaj nebst den Festungen Anapa, Poti, Achalzych und Achalkalaki (Friede von Adrianopel 1829). Durch denselben Vertrag erhielt Rußland Bessarabien bis zur St. Georgsmündung der Donau. Nach dem Orientkriege gingen die Donaumündungen mit dem südl. Bessarabien an Rumänien verloren (Pariser Friede 1856), doch kam das Land 1878 (aber nur bis zur Kiliamündung) durch den Berliner Vertrag wieder an Rußland. Durch den letztern erhielt auch die Gebiete von Batum und Kars in Transkaukasien. Die kaukas. Bergvölker wurden 1859-64 unterworfen (s. Kaukasische Kriege) und 1867 die Besitzungen des Schamchal von Terki einverleibt.
Die bedeutendsten Erwerbungen wurden in Mittelasien gemacht. Ein Teil der Kirgisen unterwarf sich schon 1730 und 1734 freiwillig. 1740 wurden eingenommen das Land zwischen dem Jaik (Uralfluß) und dem Aralsee und das Land zwischen dem Ischim und Irtysch, 1798 die Lücke zwischen den beiden vorhergehenden am obern Tobol und südlicher, 1802 das Gebiet am Ust-Urt zwischen dem Kaspischen Meer und dem Aralsee, 1819 der Rest des Landes nördlich vom Fluß Tschu und vom Balchaschsee, 1846-47 das Iligebiet (Semirjetschensk), 1853 das Land nördlich am Unterlauf des Syr-darja, 1854 Wjernyj, 1864-65 Taschkent, 1868 Samarkand und der obere Naryn, 1870 das Serafschanthal, 1873 das Gebiet zwischen dem Kaspischen Meer und Chiwa sowie das Land östlich am Aralsee zwischen dem Amu-darja und Syr-darja, 1876 das Chanat Kokan (jetzt Gebiet Ferghana), 1881 das Turkmenengebiet, 1884 Merw und 1885 Penschdeh.
China gegenüber wurde 1871 das Gebiet von Kuldscha besetzt, aber 1881 bis auf einen Teil im Westen wieder zurückgegeben. In demselben Jahre trat China das Land nordöstlich am Saisan-nor ab, so daß dieser See nun ganz russisch wurde. (S. auch Russisch-Centralasien.) Von Nordostsibirien aus wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. der nordöstl. Teil von Amerika (s. Alaska) in Besitz genommen, aber 1867 nebst den Aleuten gegen eine Geldentschädigung an die Vereinigten Staaten von Amerika abgetreten. Es blieben noch die Kurilen (seit etwa 1720 im Besitz R.s) übrig: diese wurden 1875 an Japan umgetauscht gegen den südl. Teil der Insel Sachalin, die nun ganz in russ. Besitz kam.
Russische Großfürsten und Kaiser.
Die Warägische Periode:
Rurik 862-879.
Oleg 879-912.
Igor 912-945.
Olga 945-957.
Swjatoslaw I. 957-972.
(Jaropolk regierte in Kiew 972-980.)
Wladimir I. 980-1015
Swjatopolk 1015-19.
Jaroslaw I., der Weise, 1019-54.
Die Periode der Teilfürstentümer:
Isjaslaw I. Jaroslawitsch von Kiew 1054-78.
Wsewolod I. Jaroslawitsch 1078-93.
Michail Isjaslawitsch 1093-1113.
Wladimir II. Monomach 1113-25.
Mstislaw I. Wladimirowitsch 1125-32.
Jaropolk Wladimirowitsch 1132-39.
Wsewolod II. Olgowitsch 1139-46.
Isjaslaw II. Mstislawitsch 1146-54.
Wjatscheslaw Wladimirowitsch und Rostislaw Mstislawitsch 1154-55.
Isjaslaw III. Dawidowitsch 1155.
Jurij I. Wladimirowitsch Dolgorukij 1155-59.
Rostislaw I. Mstislawitsch 1159-67.
Mstislaw II. Isjaslawitsch 1167-69.
Gleb Jurjewitsch 1169-71.
Herrscher aus verschiedenen Häusern 1171-94.
Rurik Rostislawitsch 1195-1202.
Wsewolod III. Jurjewitsch 1202-13.
Jurij II. Wsewolodowitsch 1213-16.
Konstantin I. Wsewolodowitsch 1216-19.
Jurij III. Wsewolodowitsch 1219-38.
Jaroslaw II. Wsewolodowitsch 1238-47.
mehr
Swjatoslaw II. Wsewolodowitsch 1246-49.
Andrej I. Jaroslawitsch 1250-52.
Alexander Newskij 1252-63.
Jaroslaw III. Jaroslawitsch 1264-72.
Wassilij I. Jaroslawitsch 1272-76.
Dmitrij (Demetrius) I. Alexandrowitsch 1276-94.
Andrej II. Alexandrowitsch 1294-1304.
Michail Jaroslawitsch 1304-19.
Jurij IV. Danilowitsch 1319-25.
Alexander Michailowitsch 1327-28.
Großfürsten von Moskau:
Iwan (Joan) I. Danilowitsch Kalita 1328-40.
Simeon Iwanowitsch, d. Stolze, 1340-53.
Iwan II. Iwanowitsch 1353-59.
Dmitrij III. Konstantinowitsch 1359-62.
Dmitrij IV. Iwanowitsch Donskoj 1362-89.
Wassilij II. Dmitrijewitsch 1389-1425.
Wassilij III. Wassiljewitsch, der Blinde, 1425-62.
Iwan III. Wassiljewitsch 1462-1505.
Wassilij IV. Iwanowitsch 1505-33.
Iwan IV. Wassiljewitsch, der Schreckliche, 1533-84.
Feodor I. Iwanowitsch 1584-98.
Boris Godunow 1598-1605.
Feodor II. Borissowitsch April bis Juni 1605.
Der (I.) falsche Dmitrij (Demetrius) 1605-6.
Wassilij V. Iwanowitsch Schujskij 1606-10.
Interregnum 1610-13.
Die Romanows:
Michail Feodorowitsch Romanow 1613-45.
Alexej Michajlowitsch 1645-76.
Feodor III. Alexejewitsch 1676-82.
Regentschaft der Sophia Alexejewna 1682-89.
(Iwan V. Alexejewitsch 1682-89.)
Peter d. Gr. 1689-1725.
Katharina I. 1725-27.
Peter II. 1727-30.
Anna Iwanowna 1730-40.
Iwan VI. 1740-41.
Elisabeth Petrowna 1741-62.
Haus Romanow-Holstein-Gottorp.
Peter III. Jan. bis Juli 1762.
Katharina II. 1762-96.
Paul 1796-1801.
Alexander I. 1801-25.
Nikolaus I. 1825-55.
Alexander II. 1855-81.
Alexander III. 1881-94.
Nikolaus II. seit Nov. 1894.
Geschichte. (Hierzu: Historische Karte von Rußland.)
Urzeit. Die frühesten Nachrichten über die Bewohner des heutigen Rußland finden sich bei Herodot, nach dessen Angabe vom Schwarzen Meere nach Norden hin die Scythen (s. d.) und die Sarmaten (s. d.) wohnten, ein Völkergemisch, dessen nördl. Bestandteile wahrscheinlich slaw. Stämme bildeten. Die letztern treten aber erst später in der Geschichte hervor und gehörten, soweit sie für N. in Betracht kommen, dem östl. Zweige der slaw. Völkerfamilie an. (S. Slawen.) Sie nahmen den westl. Teil des heutigen Rußland ein, vom Ladogasee im R. bis in das Gebiet der Steppe im S., ohne irgendwie das Meer zu berühren.
Im N. und NO. stießen sie an finn. Völker, im SO. und S. an die türk. Stämme der Wolgabulgaren, Chasaren, Petschenegen und Polowzer, im NW. an den bereits in vorhistor. Zeit aus der slawo-lettischen Volksgemeinschaft ausgeschiedenen litauischen Stamm. Die russ. Slawen zerfielen in eine Menge kleiner Völkerschaften, die nur durch das Band der Sprache geeinigt waren. Auch innerhalb der einzelnen Völkerschaften gab es keine dauernde staatliche Gewalt; nur im Kriegsfalle verbanden sich die Bezirke (Wolost) unter einem gemeinschaftlichen Anführer.
Den einzigen festen Organismus bildete die Dorfgemeinde (Mir), die erweiterte Familie, die Eigentümerin von Grund und Boden, deren Glieder in der Gemeindeversammlung (Wjetsche) gleichberechtigt über alle Gemeindeangelegenheiten entschieden. Schon früh entstanden bei den Ostslawen Städte, und schon vor dem 9. Jahrh. wurde ein lebhafter Handel nach Skandinavien und nach Griechenland betrieben. Die Handelsstraße ging nordwärts von dem Quellgebiet der Düna über den Ilmensee an den Finnischen Meerbusen der Ostsee und südwärts den Dnjepr hinab bis an das Schwarze Meer.
Warägische Periode. Auf dieser alten Handelsstraße waren schon früh die Normannen oder, wie sie hier hießen, Waräger zu Handel und Raub in das Gebiet der Ostslawen gekommen. Im 9. Jahrh. setzten sie sich in den Gegenden an der Newa und am Ladogasee fest und unterwarfen die Slawen von Nowgorod sowie verschiedene finn. Völkerschaften einem Tribut. Sie wurden zwar von den vereinigten Slawen und Finnen wieder vertrieben; bald jedoch brach innerer Hader unter diesen Stämmen aus, und dieselben beschlossen, sich von jenseit des Meers Fürsten zu holen.
Drei Brüder, Rurik, Sineus und Truwor, kamen auf den Ruf mit ihren Gefolgschaften herüber, ließen sich in den Orten Ladoga, Bjeloosero und Isborsk nieder und legten damit den Grund zu dem Russischen Reiche, wahrscheinlich schon vor dem als Gründungsjahr angenommenen J. 862. Der Name «Russen», den Schweden (Normannen) von den Finnen beigelegt (s. auch Rus), ging von der herrschenden Klasse bald aus das beherrschte Volk über. Die warägischen Fürsten und ihre Gefolgschaft, die Drushina (s. d.), verschmolzen im Laufe von zwei Jahrhunderten mit den ihnen an Zahl überlegenen Slawen.
Rurik erbte nach dem Tode seiner Brüder deren Fürstentümer, wurde dadurch alleiniger Herr der nordslaw. Stämme und verlegte nun seine Residenz nach Nowgorod. Inzwischen hatte ein anderer Waräger, Askold, der in Begleitung seines Kampfgenossen Dir an den Dnjepr gezogen war, in Kiew den zweiten slaw.-russ., vom Nowgorodschen Reiche unabhängigen Staat gestiftet. Ruriks Nachfolger, Oleg oder Olaf (879-912), der als Vormund seines Neffen Igor regierte, vereinigte indes schon 882 diesen zweiten russ. Staat mit dem ersten und erhob Kiew zur Residenz des vereinigten Reichs.
Gegen Konstantinopel unternahm er 907 einen glücklichen Zug, erzwang einen vorteilhaften Handelsvertrag, gründete mehrere Städte und ordnete das Reich. Igor (912-945) machte 941 einen vergeblichen Angriff auf Konstantinopel und rüstete sich 944 zu einem Feldzug, zu dessen Abwendung der Kaiser Romanos I. den frühern Handelsvertrag erneuerte und erweiterte. Unter Igor drang das Christentum zuerst in Rußland ein. Als er im Kampfe mit slaw. Stämmen fiel, führte seine Witwe Olga 945-957 die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Swjatoslaw, ließ sich 955 in Konstantinopel taufen, vermochte aber ihren Sohn nicht für das Christentum zu gewinnen.
Swjatoslaw (957-972) zeigte sich als kühner Eroberer, brach die Macht der Chasaren, riß die slaw. Wjatitschen von ihnen los und vereinigte dadurch alle slaw. Stämme. Er besiegte auf die Aufforderung des byzant. Kaisers Nikephoros II. die Bulgaren, drang aber weiter vor und kam bis Adrianopel. Bei Silistria wurde er vom Kaiser Johannes I. Tzimiskes geschlagen und fiel auf dem Rückzug 972 im Kampfe gegen die Petschenegen. Er hatte das Reich unter seine drei Söhne geteilt.
Der jüngste derselben, Wladimir I., vereinigte 980 wieder das Ganze und regierte bis 1015. Er vermählte sich 988 zu Cherson (bei dem heutigen Sewastopol) mit Anna, Tochter des griech. Kaisers Romanos II., ließ sich am gleichen Tage taufen, machte das Christentum zur herrschenden Religion in Rußland und bahnte hierdurch die Verschmelzung der ostslaw. Stämme zu dem russ. Volke an. Nach seinem Tode wurde das Reich unter seine acht Söhne geteilt; Swjatopolk (1015-19) nahm als Großfürst von Kiew eine hervorragende Stellung