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1) Der arktische Landstrich im Norden
[* 2] des Polarkreises hat über acht
Monate lang Winter, so daß das
Meer von Ende September
bis Mitte Juni mit
Eis
[* 3] bedeckt ist. Der kurze
Sommer vermag, obwohl die
Sonne
[* 4] teils gar nicht, teils
nur für kurze Zeit untergeht,
nur eine dürftige
Vegetation vom Tundracharakter (s.
Tundra) zu erhalten. Die Zwergbirke ist häufig;
Grünerlengesträuch wird erst im Bereich der nördlichsten
Birken- und Nadel
wälder häufig. Von Bodenkultur kann nicht die
Rede sein.
Die Tierwelt ist auf Renntiere, Eisbären, Füchse und anderes Pel
zwild, auf Seehunde, Eidergänse, Strandvögel
und Fische
[* 5] beschränkt, welche
letztere die Nahrung der übrigen einheimischen
Tiere, des
Menschen und
des ihn begleitenden
Hundes bilden.
2) Die zweite (kalte) Vegetationszone breitet sich am Westabhang des Urals aus und umfaßt die Gouvernements Archangelsk, Wologda, Olonez bis zum Onegasee, Wjatka und Perm. Hier ist die Heimat der sibir. Nadelhölzer: [* 6] sibir. Tanne, [* 7] Zirbelkiefer, Lärche, Fichte [* 8] zusammen mit Birke und nordischen Gesträuchen. Im Holzreichtum liegt hier der Wert des Landes. Der Winter dauert streng anhaltend 6-7 Monate, und das Gefrieren des Quecksilbers ist etwas Gewöhnliches. Je östlicher desto kälter. In Perm unter 58° nördl. Br. liegt der Schnee [* 9] zu Ende November schon mannshoch.
Die atmosphärischen Niederschläge sind mäßig und in östl.
Richtung abnehmend. Gewitter kommen nicht
selten
vor, sind aber meist von kurzer
Dauer. Die mittlere Jahreswärme für die ganze Zone kann man zu etwa 3° C. annehmen.
Dies ist die nördlichste russ. Kulturzone für den Anbau von Gerste,
[* 10] Hafer
[* 11] und Roggen. Im Norden
dürftig und unsicher im Erfolg, wird der Getreidebau gegen die Südgrenze hin umfangreich und ergiebig.
Auch Kartoffeln
und Flachs sind wichtige Kulturpflanzen. Neben Raubwild, den
Bären, Vielfraß
,
Wölfen, Füchsen und Luchsen
tritt schon das
Edelwild auf, wie
Elen,
[* 12]
Rehe, wilde Schweine.
[* 13] Die Zucht der Haustiere beginnt gleichfalls und nimmt südwärts
an
Umfang zu.
3) Die dritte (gemäßigte) Vegetationszone reicht vom westl. Olonez einerseits bis Kurland [* 14] und Polen, andererseits über Moskau [* 15] bis Tambow und Kasan, [* 16] allgemein bis zur Südgrenze der Kiefer und der Laubhölzer gegenüber den Steppenlandschaften. In ihr herrscht noch Wald, aber vom baltischen Charakter; ihr Winter hat durchschnittlich 10° Kälte als Januarmittel, dabei hat sie schon deutlich hervortretende Frühlings- und Herbstzeit, trockne und heiße Sommer, meist sehr beständige Witterung, ebenfalls vorherrschende Ost- und Westwinde, verhältnismäßig geringe Niederschläge, selten Gewitter, und bei einer mittlern Jahreswärme von etwa 5,5° C. eine reichere Flora und Fauna als die andern Zonen.
Unter den Bäumen herrscht hier besonders die Linde vor, der echt mittelruss. Baum, dessen Juliblüte die Hauptweide für die häufig gehaltenen Bienen abgiebt. Auch liegt hier das vornehmste Gebiet des Ackerbaues, und zu den Getreidearten der nördl. Zone kommt noch der Weizen. Außerdem ist der Hanfbau von Bedeutung. Für die Obstkultur eignet sich dieser Landstrich schon mit Erfolg. Die Tiere des nördl. Landstrichs sind meistenteils auch über diesen mittlern verbreitet, unter den Raubtieren namentlich der Wolf. Unter den Wiederkäuern besitzt diese Zone noch eine sehr seltene Tierart in dem großen Urwalde von Bjelowjesh (s. Bjelowjesher Heide), den Auerochsen oder Wisent, welcher übrigens auch noch im Quellgebiet des Kuban im Kaukasus vorkommt; auch das Elentier findet sich hier sowie in den großen Wäldern Litauens, Livlands und Esthlands, überhaupt in der Waldregion des nördlichen R.s und in den großen Wäldern Sibiriens.
4) Die letzte Zone ist die der Grassteppen, ausgedehnt über das Unterlaufsgebiet der Wolga, des Don und Dnjepr, am letztern Flusse nur noch bis zum 50.° nördl. Br., und sich in Bessarabien bis zur Donaumündung vorschiebend. Die südl. Krim [* 17] nimmt Teil an der Mittelmeerflora. Ein kalter stürmischer Winter wechselt hier mit einem heißen, stets längere Zeit über 20° C. im Monatsmittel haltenden und trocknen Sommer; der blumenreiche Frühling tritt rasch ein, überall blühen Tulpen und andere Zwiebelgewächse, Adonis vernalis L., Iris.
Abgesehen von den traurigen Salzwüsten in der Provinz Astrachan und weiterhin am südl. Fuße des Urals ist das Land da, wo die schwarze Erde («Tschernosem») den Boden bildet, einer reichen Getreidekultur fähig, und die Sommerhitze beschleunigt die Reife von Mais, Melonen u. s. w. Die Viehzucht [* 18] ist die Hauptnahrungsquelle der meist asiat. nomadisierenden Bevölkerung. [* 19] Neben den gewöhnlichen Haustieren tritt auch das Kamel auf. Charakteristisch für die Steppen sind die Saigaantilope, Jerboas und Schakale. (S. auch noch Europa, [* 20] Sibirien, Krim, Kaukasus u. s. w.)
Bevölkerung. Eine Volkszählung im westeurop. Sinn soll in Rußland erst 1896 stattfinden. Bis dahin sind von Zeit zu Zeit amtliche Abschätzungen (Revisionen) vorgenommen worden. Solcher Revisionen liegen zehn vor: die erste (1722) ergab 14 Mill., die vierte (1782) 28 Mill., die siebente (1815) 45 Mill., die zehnte (1858) 74 Mill. E. Die Bevölkerung in den J. 1885 und 1894 betrug:
Gebiete | Flächenraum qkm | Bevölkerung 1885 | 1894 | Einw. auf 1 qkm 1885 | 1894 |
---|---|---|---|---|---|
Europ. Rußland (ohne Polen und Finland) | 4926667,0 | 81725185 | 94650213 | 16,59 | 19,21 |
Polen | 127318,9 | 7960304 | 9221218 | 62,76 | 72,43 |
Finland | 373611,9 | 2176421 | 2460457 | 5,83 | 6,59 |
Kaukasien | 472554,1 | 7284547 | 8596026 | 15,42 | 18,19 |
Sibirien | 12518487,3 | 4313680 | 5066332 | 0,34 | 0,40 |
Centralasien | 4011365,1 | 5327098 | 6355428 | 1,33 | 1,58 |
Russisches Reich: | 22430004,3 | 108787235 | 126349674 | 4,85 | 5,63 |
Es ergiebt sich also 1894 gegen 1885 ein Zuwachs von 17562439 Seelen.
Die Dichtigkeit der Bevölkerung ist sehr verschieden: im allgemeinen kommen auf 1 qkm 5,63 E.;
in dem mittlern, westl. und südwestl.
Teil des Europäischen R.s ist die Dichtigkeit am stärksten und ¶
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nimmt nach Norden, Osten und Süden ab. Im äußersten Norden und in den wüsten Steppen Centralasiens wird sie ganz gering. Der dichter bevölkerte Strich geht im Europäischen Rußland durch die Gouvernements Bessarabien, Podolien, Kiew, [* 22] Tschernigow, Poltawa, Charkow, Kursk, Woronesch, Orel, Kaluga, Tula, Rjasan, Pensa, Tambow, Moskau, Simbirsk und Kasan, wo 35-75 E. auf 1 qkm kommen. In den poln., im Moskauer und in den südwestl. Gouvernements kommen sogar manchmal 85 E. auf 1 qkm.
In keinem Lande ist das Übergewicht der ländlichen Bevölkerung (86 Proz.) über die städtische (14 Proz. der Gesamtbevölkerung) so stark wie in Rußland. Das Städteleben ist am meisten entwickelt im äußersten Westen R.s und in Polen, am wenigsten im äußersten Norden, Nordosten, in Sibirien und in Finland. Es giebt 1317 Städte, darunter die Hauptstädte Petersburg [* 23] und Moskau, und 5366072 Flecken und Dörfer. Zu den ältesten Städten gehören: Nowgorod, Pskow, Kiew, Jaroslawl, Moskau, Smolensk, Tschernigow;
ferner (diese jedoch nicht von den Russen, sondern von andern Völkern begründet) Eriwan, Tiflis, Warschau, [* 24] Riga [* 25] und Kasan. 16 Städte haben über 100000, 62 über 20000, 589 von 5000 bis 20000 E. Folgende Städte haben über 50000 E.:
Städte | 1885 | 1894 |
---|---|---|
Petersburg | 861303 | 1043287 |
Moskau | 753469 | 944519 |
Warschau | 454298 | 524930 |
Odessa | 240213 | 303180 |
Charkow | 171416 | 199210 |
Kiew | 165561 | 188306 |
Riga | 175332 | 183769 |
Lodz | 113413 | 160569 |
Kasan | 139915 | 134197 |
Saratow | 122829 | 124214 |
Taschkent | 121410 | 121530 |
Kischinew | 120074 | 118715 |
Wilna | 102845 | 109410 |
Baku | 45679 | 105985 |
Tiflis | 89551 | 105174 |
Astrachan | 70554 | 103613 |
Samara | 75478 | 96898 |
Rostow a. Don | 61256 | 90399 |
Minsk | 58399 | 89516 |
Tula | 63928 | 87930 |
Orel | 78091 | 79999 |
Jaroslawl | 34799 | 79732 |
Jekaterinodar | 39610 | 77538 |
Dwinsk (Dünaburg) | 69033 | 77523 |
Cherson | 67349 | 75036 |
Berditschew | 77223 | 74819 |
Nikolajew | 67249 | 72818 |
Nishnij Nowgorod | 66585 | 70408 |
Helsingfors | 43439 | 64852 |
Bjelostok | 50726 | 62789 |
Witebsk | 54676 | 62210 |
Kowno | 50439 | 62135 |
Bobrujsk | 57444 | 60419 |
Shitomir | 55875 | 59698 |
Jelisawetgrad | 58496 | 59314 |
Woronesch | 56177 | 56318 |
Krementschug | 41625 | 55986 |
Kokan | 54043 | 54989 |
Simferopol | 36503 | 54514 |
Reval | 51277 | 53412 |
Orenburg | 56371 | 53144 |
Lublin | 39908 | 51916 |
Grodno | 39826 | 51038 |
Jekaterinoslaw | 46876 | 50990 |
Kaluga | 40102 | 50958 |
Kursk | 49657 | 50839 |
Taganrog | 56047 | 50499 |
Dem Geschlecht nach waren (1885) 54063353 männl. und 53888042 weibl. E. Auf 100 Männer kommen im eigentlichen Rußland (außer Polen und Finland) 101, in Polen 96, im Kaukasus 114, in Finland 104, in Sibirien 107 und in Centralasien 111 Frauen. Dem Beruf nach zerfällt die Bevölkerung in den erblichen Adel (700000), in den geistlichen Stand (600000), den persönlichen Adel und den Beamtenstand (400000), in Kaufleute, städtische Gewerbetreibende u. a. (8½ Mill.), Dorfbewohner (112 Mill.) und Militärstand (5 Mill.). Die Bewegung der Bevölkerung im J. 1891:
Gebiete | Geburten | Todesfälle | Überschuß |
---|---|---|---|
Rußland | } 4702629 | 3283808 | 1418821 |
Polen | } | ||
Finland | 82128 | 50715 | 31413 |
Kaukasien | 304321 | 220008 | 84313 |
Sibirien | 215042 | 150174 | 64868 |
Centralasien | 147217 | 103430 | 43787 |
Summe | 5451337 | 3808135 | 1643202 |
Bei einer Verteilung auf die Bevölkerung der Gouvernements und Gebiete sind auf 1000 E. 47 Geburten und 33 Todesfälle zu rechnen, im Europäischen Rußland betragen diese Ziffern 48 und 33. Im allgemeinen kommen in Rußland (ohne Sibirien und Centralasien) auf 100 geborene Mädchen 108,7 Knaben, und auf 100 Geburten überhaupt 2,9 uneheliche. In den J. 1881-90 wurden jährlich im Durchschnitt geboren 3419902 beiderlei Geschlechts, darunter 1752116 Knaben und 1667786 Mädchen. Von der Gesamtzahl waren 90951 unehelich. In demselben Zeitraum starben jährlich durchschnittlich 2496323 Personen, darunter 1284047 männl. und 1212281 weibl. Ehen wurden jährlich im Mittel geschlossen 657790. Der jährliche Zuwachs der Bevölkerung war 923574. Die Auswanderung betrug 1816-52: 50000; 1853-89: 350000; 1890: 85239 und 1892: 74620 Personen.
Nationalitäten. Rußland umfaßt ungefähr 112 Völkerschaften. Nach der Darstellung von Rittich, von der die in den Einzelartikeln enthaltenen Angaben allerdings hier und da abweichen, zerfällt die Bevölkerung des Russischen Reichs in 56296281 Russen (s. d.; davon im Europäischen Rußland 34389871 Großrussen, 14193665 Kleinrussen und 3592057 Weißrussen, im Asiatischen Rußland 4120688 Russen überhaupt), 4971475 Polen (davon im Europäischen Rußland 4764713), 7614 Serben, 93685 Bulgaren, 7790 Czechen, also Slawen überhaupt 61196845; ferner 811051 Litauer, 623700 Schmuden oder Samogitier, 1047929 Letten, also litauische Völker überhaupt 2482680; 77132 Griechen, 648464 Rumänen, 1036 Franzosen, also von der griech.-lat. Völkergruppe zusammen 726632; 997643 Deutsche [* 26] (davon 8876 in Kaukasien, 5296 in Sibirien und Centralasien; über die deutschen Kolonien s. Deutsche Sprache, Bd. 5, S. 86 a), 273021 Schweden [* 27] (davon in Finland allein 264093), 188 Engländer, also aus der german. Gruppe zusammen 1270852; 585072 Armenier (davon in Kaukasien allein 550872), 23232 Kurden, 75909 Osseten, 656400 Tadschik, Perser, Hindu u. a., 111654 Zigeuner, also aus der iran.
Gruppe zusammen 1452267; 1736554 Georgier, Mingrelier, Lesgier und andere kaukas. Bergvölker; 2580912 Juden (davon in Kaukasien 16622, in Sibirien und Centralasien 12145), 10250 Araber (in Centralasien), also vom semit. Stamm zusammen 2591162; 302277 Karelier, 1710274 Finno-Karelier, 48028 Tschuden, 746522 Esthen, 2541 Liven, 7497 Lappen (Summa der sog. baltischen Finnen 2807139), 791954 Mordwinen, 259745 Tscheremissen, 240490 Wotjaken, 67315 Permier, 85432 Syrjanen, 2300 Ostjaken, 9897 Wogulen, 12031 Samojeden, also der Völker der ugrisch-finn. Gruppe zusammen 4276303; 2148391 Tataren, 755868 Baschkiren, 1443 Bessermjanen, 136463 Meschtscherjaken, 126023 Teptjaren, 569894 Tschuwaschen, 2455828 Kirgisen, 104162 Karakalpaken, 159500 Kuramen, 324100 Kara-Kirgisen oder Buruten, 71968 Kumüken, 95041 Nogaier, 379207 Turkmenen, 5500 Dunganen, 594200 Usbeken, 8510 Bucharen, 39000 Tarantscha, 80000 Jakuten, 135000 Sojoten, also aller Völker der türk. (turanischen) Gruppe zusammen 8190098;
407285 Kalmücken (davon im Europäischen Rußland 107531), 208000 Burjaten, also der Völker der mongol. Gruppe zusammen 615285;
63750 Tungusen, 2700 Lamuten, 2450 Mandschuren, Tschechem, Sibos, Solonen, also der Völker der ¶