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herrschenden und unterdrückten Klassen gaben die Romane von A. Scheller (Michajlow), P. Sassodimskij, N. Bashin u. a. Zwei frühere Vertreter dieser Richtung wandten sich später mit mehr Glück der tendenzlos-realistischen Schilderung zu, K. Stanjukowitsch in seinen «Erzählungen aus dem Seeleben», Dm. Giers in seinen «Memoiren eines Militärs» u. a.
Eine andere Gruppe, gemäßigt-liberaler Richtung, folgte den Traditionen der Novellistik der vierziger Jahre (besonders Turgenews), jedoch ohne die Vorbilder zu erreichen. Der bedeutendste und fruchtbarste davon, P. Boborykin, ein guter Beobachter des Petersburger Lebens, nimmt in seinen letzten Arbeiten die franz. Naturalisten zum Muster;
E. Markow verficht die Vorzüge des Landlebens gegenüber dem schädlichen Einfluß der Stadt;
Wass. Nemirowitsch-Dantschenkos zahlreiche Romane stehen zurück hinter den Schilderungen seiner Reisen;
S. Terpigorew (Atawa) behandelt in seinen Feuilletons den allmählichen Ruin und den Leichtsinn des Adels nach der Bauernbefreiung;
am engsten an Turgenew schließt sich an der begabte I. ^[Ilja] Salow, der besonders durch den Kontrast des idyllischen Landlebens und der traurigen Bauernverhältnisse wirkt.
Die komischen Seiten des russ. Kaufmannslebens schildert der überaus fruchtbare Humorist N. Lejkin.
Nach der nihilistischen Bewegung Anfang der sechziger Jahre war in einigen Werken der ältern Novellistenschule ein verdammendes Urteil über die progressiven Tendenzen der jungen Generation ausgesprochen worden, so in Turgenews «Väter und Söhne» und Pissemskijs «Aufgeregtem Meer», die Stürme des Unwillens bei der russ. Jugend hervorriefen, ferner in Dostojewskijs «Vergehen und Strafe» und Gontscharows «Abgrund». Allmählich bildete sich eine ganze reaktionäre Schule, in deren Werken den idealistisch-konservativen höhern Kreisen die ungläubigen, umstürzlerischen niedern Klassen zur Folie dienten. Vertreter dieser schablonenhaften, im «Russ. Boten» erscheinenden Novellistik sind unter andern A. N. Ljeskow (Stebnizkij), Wssew. Krestowskij, B. Markewitsch.
Eine beträchtliche Rolle spielt seit den Fortschritten der histor. und besonders kulturhistor. Forschungen der histor. Roman, so von ältern Romanen die N. Kostomarows und D. Mordowzews (aus der kleinruss. Geschichte), A. Tolstojs «Fürst Serebrjanyj» (Iwan der Schreckliche),
L. Tolstojs «Krieg und Frieden» (Napoleonische Zeit),
Turgenews Novelle «Zwei Porträts» (18. Jahrh.), später G. Danilewskijs, E. Karnowitschs, Graf Salias de Tournemires Werke und endlich die auf einen weniger verwöhnten Geschmack berechneten Romane Wssew. Solowjews.
Die jüngste Novellistenschule tritt Ende der siebziger Jahre auf. In ihren Werken spiegelt sich die der Begeisterung der Reformenzeit folgende Entnüchterung und der Pessimismus der russ. Gesellschaft wider. In der Form zeigt sich im Gegensatz zur heftigen, oft saloppen Arbeit in der Zeit der «Anklagelitteratur» das Streben nach künstlerischer Abrundung. Die ersten Vertreter dieser Schule waren A. Nowodworskij (Ossipowitsch) und der weit bedeutendere Wssew.
Garschin; dann folgen J. ^[vermutlich Jeronim] Jassinskij (M. Bjelinskij), M. Albow. Die extremen Vertreter dieser Richtung, wie Petropawlowskij (Koronin), A. Ertel u. a. erwarten, an der Intelligenz der Städte und ihrer Moral verzweifelnd, vom russ. Bauer das Heil der Zukunft. Doch sind nicht alle jüngern Schriftsteller diesem Pessimismus verfallen, eine ganze Anzahl geht ihre eigenen Wege, so z. B. der hervorragendste von ihnen Wl. Korolenko, der optimistische Humorist I. ^[Ignatij] Potapenko, Mamin (Sibirjak), der die sibir. Bergarbeiter, Fürst D. Golizyn (Murawlin), der die Schwächen der höhern Gesellschaft schildert. - Als neue Litteraturgattung hat sich seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre eine eigene Art von gedrängten pointierten humoristischen Feuilletons ausgebildet, in denen besonders A. Tschechow hervorragt. Von schriftstellernden Damen der neuesten Zeit sind zu nennen die aus dem Volk stammende Valentine Dmitrijewa (realistische Bauernerzählungen), A. Winizkaja, Olga Schapir, Marie Krestowskaja (Tochter Wssew. Krestowskijs).
Der Schöpfer des modernen russ. Dramas ist Alexander Ostrowskij. Seine reiche Thätigkeit begann in den vierziger Jahren unter Gogols Einfluß, wurde aber später durchaus selbständig. Sein Hauptgebiet ist das Moskauer Kaufmannsleben, dessen patriarchalische Sitten er eingehend studiert hatte und in ihren Licht- und Schattenseiten mit vollendeter Natürlichkeit und Treue und genialer Beherrschung der Sprache [* 2] schilderte. Verdiente Erfolge hatten auch seine historischen «Dramat. Chroniken».
Von erschütternder Wirkung ist Pissemskijs Bauerndrama «Bitteres Los», schwächer seine spätern tendenziösen Schauspiele. Turgenews dramat. Werke treten hinter seinen novellistischen zurück. Im histor. Drama ist A. Tolstojs Trilogie («Tod Iwans des Schrecklichen», «Zar Feodor Iwanowitsch», «Zar Boris») eine bedeutende poet. Leistung. Gutgezeichnete Typen des Landadels vor der Reform giebt A. Palm (1823-85). Von Schülern Ostrowskijs sind nennenswert: A. Potjechin, I. ^[oder J., Vorname nicht eruierbar] Tschechow und Ostrowskijs Mitarbeiter Nik. Solowjew. Großen Erfolg hatten Anfang der sechziger Jahre die ersten (tendenziösen) Arbeiten Victor Krylows, der aber später ein Vielschreiber wurde. Endlich sei erwähnt Dm. Awerkijew als einseitig nationaler Schilderer altruss. Lebens.
Die lyrische Poesie seit den vierziger Jahren weist, wenn auch keine Größen wie Puschkin und Lermontow, so doch eine ganze Reihe mehr oder weniger bedeutender Dichter auf. Derjenige, dessen Dichtungen den Stimmungen, Hoffnungen und Idealen der Nation in den fünfziger und sechziger Jahren den gewaltigsten Ausdruck gaben, war Nik. Nekrassow, zugleich einer der hervorragendsten Schilderer des Volkslebens. I. ^[Iwan] Nikitin ist Volksdichter im Charakter Kolzows, an ihn und Nekrassow schließen sich an: I. ^[Iwan] Surikow und Sp. Droshshin.
Der Nekrassowschen Richtung gehört ferner an A. Pljeschtschejew. In der Zeit der Anklagelitteratur entstand eine reiche satir. Dichtung. In Dobroljubows «Pfeife» erscheinen unter dem Namen Kusjma Prukow die Epigramme A. Tolstojs und der Brüder A. und W. Shemtschushnikow. Von den vielen satir. Blättern der Zeit ist das bedeutendste der «Funke» W. Kurotschkins. Eine Reihe von Dichtern huldigen dem Kultus der reinen Kunst, so der bedeutendste dieser Richtung A. Majkow, ferner A. Tolstoi, A. Schenschin (Fet), F. Tjutschew, J. ^[Jakow] Polonskij, L. Mej, N. Schtscherbina; von Übersetzern seien genannt: N. Gerbel, P. Weinberg, M. Michajlow. Von der jüngsten Generation ist der bedeutendste Vertreter der pessimistischen Richtung S. Nadson. Eine weniger hoffnungslose Stimmung herrscht in ¶
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den Dichtungen S. Frugs, Nik. Wilenkins (Minskij), D. Mereschkowskijs. Der reinen Kunstrichtung gehören an A. Apuchtin, K. Fofanow, A. Golenischtschew-Kutusow, S. Andrejewskij, P. Kolzow u. a.
Die russ. Geschichtsforschung und Ethnographie [* 4] zeigt seit den dreißiger Jahren ein reges Leben. Von großer Bedeutung ist die von P. Strojew in den dreißiger Jahren angeregte und geleitete archäographische Expedition gewesen; ihr Resultat war die Heimbringung einer Menge histor. Denkmäler, die das Material für die «Ausgabe der Archäographischen Kommission» lieferten. In der histor. Betrachtungsweise trat in den vierziger Jahren eine neue Epoche ein durch die im Ausland gebildeten russ. Historiker, die die Geschichte als ein organisches Ganzes auffaßten.
Die bedeutendsten Vertreter sind W. Solowjew («Geschichte Rußlands»),
Kawelin («Über die Rechtszustände des alten Rußland»),
Kostomarow u. a. In der Ethnographie beginnen die ersten wissenschaftlichen Versuche in den dreißiger Jahren: wissenschaftliche Sammlungen von Liedern, Märchen u. s. w., Beschreibungen von Sitten und Gebräuchen alter und neuer Zeit (Snegirew, Sacharow, Tereschtschenko). In dieselbe Zeit fällt die Anlage mehrerer später veröffentlichter Arbeiten, so der Sammlungen Kirjejewskijs und Dahls sowie des großruss. Wörterbuchs des letztern. Auch die kleinruss.
Ethnographie wird eifrig betrieben (Zertelews, Maksimowitschs, Sresnewskijs u. a. Sammlungen, später Kostomarows «Abhandlung über die Bedeutung der russ. Volkspoesie»). Ein erweitertes Gebiet russischer neuer (vergleichender) Methode erhielt die Ethnographie durch die Bekanntschaft mit den übrigen slaw. Stämmen seit Ende der dreißiger Jahre. Eine neue Epoche begann in den vierziger Jahren, in der unter andern Sresnewskij, Buslajew, Afanasjew wirkten.
Durch die Arbeit der Russischen Geographischen Gesellschaft kam überreicher Stoff zusammen, die wissenschaftlichen Expeditionen der Gesellschaft erzielten bedeutende Resultate, wie z. B. Semenows «Geogr. Lexikon» und in neuer Zeit die «Arbeiten der ethnogr. Expedition ins südwestl. Gebiet». Kleinere Sammlungen und zahlreiche Arbeiten, vor allem die epochemachenden Forschungen A. Wesselowskijs, veröffentlichte die zweite Abteilung der Petersburger Akademie.
Sehr reichhaltig sind auch die «Abhandlungen der Moskauer Gesellschaft für Geschichte und Altertümer» und der Moskauer «Gesellschaft von Freunden der Naturkunde, Anthropologie und Ethnographie». Von bedeutendern neuern Liedersammlungen seien genannt die von Kirjejewskij, Rybnikow, Hilferding, Scheïn, Jakuschkin, Waronzow; kleinrussische: Tschubinskij, Rudschenko, Antonowitsch und Dragomanow;
ruthenische: Golowazkij.
Märchensammlungen: von Afanasjew, Chudjakow u. a.;
Sprichwörter: Buslajew, Dahl;
gedruckte Volkslitteratur: D. Rowinskij.
Eine hervorragende «Geschichte der russ. Ethnographie» schrieb A. Pypin (4 Bde., Petersb. 1890-92).
Sehr reich sind in neuerer Zeit die Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte und Philologie. In slaw. Philologie ragen besonders hervor die Arbeiten Jagićs;
ferner ist zu nennen W. Lamanskij, der viele Schüler herangebildet hat, selbst aber mehr publizistisch thätig ist;
in der Geschichte der russ. Sprache Potebnja, der verstorbene Koloßow, Sobolewskij;
in der allgemeinen Sprachwissenschaft: Baudouin de Courtenay;
in der südslaw. Altertumskunde: Drinow (von Geburt Bulgare), Florinskij, Syrku, Katschenowskij, Jastrebow, T. Rowinskij u. a. Der bedeutendste neuere Forscher auf dem Gebiete der vergleichenden Litteraturgeschichte ist Alexander Wesselowskij, dessen Arbeiten ein neues Licht [* 5] nicht nur in die russische, sondern auch in die westeurop.
Volkslitteratur des Mittelalters gebracht haben. Von jüngern seien erwähnt: Wssew. Müller, Daschkewitsch, Kolmatschewskij, Shdanow, Sasonowitsch, Chalanskij u. a.
Zur Pflege histor. und antiquarischer Forschungen besteht eine ganze Reihe von Gelehrten Gesellschaften, wie die zweite Abteilung der Akademie der Wissenschaften, die Gesellschaft für Geschichte und Altertümer an der Moskauer Universität, die Gesellschaft der Freunde des alten Schriftwesens u. a. Von den Historikern der vierziger Jahre wirkt noch Iwan Sabjelin. Die gegenwärtige Periode der russ. Geschichtschreibung zeigt ein Vorwiegen von histor. und kulturhistor.
Monographien. Die Geschichte des alten Rußland behandeln die Arbeiten Sabjelins, W. Antonowitschs, Daschkewitschs, N. P. Barßows, Golubowskijs, Bestuschew-Rjumins u. a.; russ. Institutionen die Werke von A. Gradowskij, W. Sergejewitsch, Sagokin, Wladimirskij-Budanow, Pachman; die Geschichte Südrußlands derselbe Antonowitsch, N. Petrow, Malyschewskij, Lewizkij, Dragomanow. Die Biographie ist vertreten in einem besondern Werke Kostomarows, «Die russ. Geschichte in Biographien», ferner von A. Brückner («Peter d. Gr.», «Katharina II.»),
Kobeko («Kaiser Paul vor der Thronbesteigung»),
A. Wassiltschikow («Die Familie der Rasumowskij»),
Barßukow («Das Geschlecht der Scheremetjew»),
Sablozkij u. a. Die histor. Specialjournale «Russkij Archiv», «Russkaja Starina» und «Istoričeskij Věstnik» veröffentlichen Memoiren und viel anderes kulturhistor. Material. - In der Geschichte der alten und neuen russ. Litteratur werden die Handschriften-Denkmäler bearbeitet, biographische und kritische Forschungen angestellt, alte Schriftsteller herausgegeben u. s. w. Es seien hier noch erwähnt die Arbeiten von A. Pypin, N. Tichonrawow, M. Suchomlinow, Alexej Wesselowskij, Jak. Grot, Leonid Majkow, P. Jefremow, Porfirjew, E. Barßow u. a.
Litteratur. A. Galachow, Geschichte der alten und neuen [* 6] Russische Litteratur (russisch, 2. Aufl., 3 Tle., Petersb. 1880; bis Puschkin);
I. ^[oder J., nicht eruierbar] Porfirjew, Geschichte der Russische Litteratur (russisch, 3 Tle., Kasan [* 7] 1877-84; bis Ende des 18. Jahrh.).
Eine kurzgefaßte Übersicht auch der neuern Zeit gaben Pypin und Spasovič, Geschichte der slaw. Litteraturen (russisch, Petersb. 1865; der 3. Band [* 8] der 2. Aufl., der die Russische Litteratur enthalten soll, steht noch zu erwarten); A. M. Skabitschewskij, Geschichte der neuern Russische Litteratur (1848-90; russisch, ebd. 1891). - Von deutschen Werken ist am besten Reinholdt, Geschichte der Russische Litteratur (Lpz. 1886); von ältern seien angeführt: König, Litterar. Bilder aus Rußland (Stuttg. 1837);
Jordan, Geschichte der Russische Litteratur (Lpz. 1846);
K. Haller, Geschichte der Russische Litteratur (Riga [* 9] und Dorpat [* 10] 1882; ein Auszug aus Petrows Russische Litteratur);
von französischen: Courrière, Histoire de la littérature contemporaine en Russie (Par. 1875).