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Wladimir (1299), später nach Moskau [* 2] (1328) verlegt worden, Iwan IV. den Zarentitel angenommen (1547) und die darin liegende weitreichende Idee sich Geltung verschaffte, war es nur eine Frage der Zeit, daß Rußland auch kirchlich selbständig wurde. Als der Patriarch von Konstantinopel, [* 3] Jeremias II., auf der Flucht vor dem Sultan 1588 in Moskau weilte, bewog ihn Boris Godunow, den russ. Metropoliten Hiob zum gleichberechtigten Patriarchen zu ernennen (1589). Die Anerkennung seitens der übrigen Patriarchen erfolgte nach zwei Jahren.
Der polit. Einfluß des Moskauer Patriarchen, besonders unter den Metropoliten Philaret und Nikon, wurde dem letztern gegenüber zwar bekämpft, aber erst unter Peter I. vollständig gebrochen. Dieser ließ den 1702 zur Erledigung gekommenen Patriarchenstuhl zuerst 20 Jahre lang unbesetzt und beseitigte dann das Patriarchat gänzlich (1721). Die höchste Leitung der geistlichen Angelegenheiten wurde dem sog. Heiligen (dirigierenden) Synod, die kirchliche Oberherrlichkeit des Patriarchen auf den jedesmaligen Zaren übertragen (Cäsareopapismus).
Vollends seiner Selbständigkeit entkleidet wurde der klerikale Organismus Rußlands unter Katharina II., indem der Staat das gesamte Kirchengut und die Bildung wie Anstellung der Geistlichen selbst übernahm. Die Erziehung der Geistlichen wurde unter Nikolaus I. durch strengere Konzentration der Bildungsanstalten noch genauer überwacht, während auch der Heilige Synod in seinen Befugnissen noch mehr eingeengt, dagegen für den Proselytismus mit allen denkbaren polit. und sonstigen Mitteln gewirkt wurde.
Trotz der traditionellen Stabilität des Dogmas und der kastenartigen Absonderung des Priesterstandes von der Nation wurde dennoch keine völlige kirchliche Uniformität erreicht. Vielmehr hat von Anfang an das Sektenwesen in der [* 4] Russische Kirche üppig gewuchert. (S. Raskolniken und Russische Sekten.) Einigen Ersatz für diese noch immer im Zunehmen begriffene Einbuße der Staatskirche hat dieselbe durch die seit 1839 im großartigen Maßstabe betriebene Russifizierung der griech.-unierten Kirche in den ehemaligen poln. Provinzen gewonnen. Aber auch auf der kath. Kirche Polens und den Lutheranern in den Ostseeprovinzen lastet die Herrschaft der Staatskirche schwer; Übertritte zur Russische Kirche werden mit allen Mitteln begünstigt, wogegen der Übertritt zum Katholicismus oder Protestantismus verboten, die russ. Erziehung aller Kinder aus gemischten Ehen gesetzlich vorgeschrieben ist.
Nach innen gewährt die Russische Kirche das Bild einer ebenso fest geschlossenen Hierarchie wie die römisch-katholische. Das Dogma ist das griechisch-orientalische; auch die Kultusformen sind den Griechen entlehnt, aber mit großer Vorliebe für Entfaltung äußern Prunks weiter ausgebildet, besonders Bilder und Gesang vorzüglich gepflegt. Die Liturgie, die wie bei den Griechen der eigentliche Schwerpunkt [* 5] des kirchlichen Lebens ist, trägt einen symbolisch-dramat. Charakter. Die Pflanzstätten kirchlicher Gelehrsamkeit sind die in den Lauren befindlichen geistlichen Akademien, aus denen die (unverheiratete) höhere sog. schwarze Geistlichkeit ausschließlich hervorgeht. Für die Ausbildung des niedern (verheirateten) sog. weißen Klerus (s. Pop), der früher meist unwissend und verachtet war, wird erst seit neuerer Zeit besser gesorgt.
Organisation. Der Kaiser ist «Erhalter der Dogmen und Hüter der Rechtgläubigkeit und aller kirchlichen Ordnung» und wird als Haupt der Kirche bezeichnet. Geistliche Gewalt steht ihm nicht zu, aber die Träger [* 6] derselben sind ihm zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Unter dem Kaiser steht der Heilige Synod, jetzt aus 8 Archijerejen: 3 Metropoliten, 3 Erzbischöfen und 2 Bischöfen bestehend. Die Leitung der Geschäfte hat der Oberprokuror. Die Archijerejen (Bischöfe) werden vom Kaiser ernannt, die Titel Metropolit und Erzbischof verleihen keine größern Rechte und sind nicht wie früher an gewisse Bischofssitze gebunden.
Nur die alten Metropolitansitze von Kiew [* 7] und Moskau und die Eparchie Petersburg [* 8] werden stets von Metropoliten verwaltet. Auch auf andern Stühlen können die Bischöfe zu Erzbischöfen und Metropoliten befördert werden. Diese Titel werden als eine Art geistlicher Tschin (s. d.) betrachtet. Ebenso sind die histor. Eparchien geteilt worden. Meist bildet jedes Gouvernement oder Gebiet eine Eparchie unter einem Eparchialbischof; nur die drei Gouvernements Wilna, [* 9] Kowno, Grodno bilden die Eparchie Litauen, das Königreich Polen die Eparchie Cholm, die Ostseeprovinzen die Eparchie Riga, [* 10] und Finland die Eparchie Wiborg. [* 11] Im europ. Rußland sind somit 50 Eparchien, in Sibirien und Turkestan 9, in Amerika [* 12] 1 (das frühere russ. Amerika) mit dem Sitze in San Francisco; in Japan [* 13] (Tokio), [* 14] in China (Peking) [* 15] und Jerusalem [* 16] befinden sich geistliche Missionen, die gleichfalls von Bischöfen verwaltet werden.
Von den 10 Lauren und Stauropegialklöstern werden 7 von Bischöfen verwaltet (4 Lauren von Metropoliten, denen Bischöfe zur Seite stehen) und 3 von Archimandriten. Die Eparchien, Missionen und Lauren stehen direkt unter dem Synod. Es giebt also 60 Eparchialbischöfe, von denen 3 Metropoliten, 17 Erzbischöfe und 40 Bischöfe sind; 3 Bischöfe verwalten die Missionen und 7 die Lauren; es sind also im ganzen 70 Bischöfe und dazu 38 Vikarbischöfe, von denen ein Teil die Eparchien der im Synod residierenden Archijerejen verwaltet, die Mehrzahl aber als Gehilfen in größern Eparchien angestellt sind.
Die Welt- (weiße) Geistlichkeit zerfällt in Priester (4 Stufen: Protopresbyter, Protojerej, Presbyter, Jerej) und Diakonen (3 Stufen: Protodiakon, Diakon und Hypodiakon); an sie schließen sich die Kirchendiener: Psalmensänger und Glockenläuter, von denen jetzt jedoch nur die erstern eine Art kirchlichen Charakter tragen. Die Pfarren werden von Priestern verwaltet; die Diakonen sind ihre Gehilfen. Aus den Protopresbytern wird der Beichtvater des Kaisers und der Obergeistliche der Armee und der Flotte ernannt, denen die Geistlichen des Hofs, der Armee und der Flotte untergeordnet sind, über die jene eine Art bischöfl.
Gewalt ausüben. Jede Eparchie zerfällt in Bezirke, deren jedem ein vom Bischof ernannter Propst (blagočinnyi) aus der Weltgeistlichkeit vorgesetzt ist. Unter den Bischöfen stehen die Konsistorien. (S. Synod.) Die Psalmensänger und Kirchendiener gehen aus den niedern geistlichen Schulen hervor; die Diakonen und Priester aus den Seminarien. Die tüchtigsten Zöglinge der Seminarien werden in die geistlichen Akademien geschickt. Von diesen tritt ein Teil in die Weltgeistlichkeit und wird nach Absolvierung der niedern Grade für die wichtigsten Pfarrstellen ernannt. Ein anderer Teil tritt ins Kloster, wird nach der nötigen Vorbereitung zur Verwaltung erst kleinerer, dann größerer Klöster verwandt als Igumenen und Archimandriten, dann werden sie Rektoren der ¶
0046a Russische Kunst I 1. Reiterstandbild Peters d. Gr. zu Petersburg von Falconet (1782). 2. Iwan IV., der Schreckliche (Eremitage zu Petersburg), von Antokolski (1872). 3. Minin-Posharskij-Denkmal zu Moskau, von Martos (1818). 4. Donische Kosaken (Statuette), von Lanceray (19. Jahrh.). 5. Reiterstandbild Nikolaus' I. zu Petersburg, von Clodt (1859). ¶
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Seminarien und Rektoren der Akademien, die andern Vikarbischöfe und endlich Eparchialbischöfe. Die Klöster haben, ebenso wie die Gemeinden, am Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts das Wahlrecht ihrer geistlichen Vorstände verloren; die Gutsbesitzer verloren ihr Patronatsrecht mit der Aufhebung der Leibeigenschaft.
Die Grusinische Kirche war ursprünglich gleich der armenischen autokephal und hatte ihre eigenen Patriarchen; bei der Unterwerfung Grusiens wußte man den damaligen Patriarchen dahin zu bringen, daß er ohne seine Synode zu fragen, sich dem russ. Synod unterwarf, so daß diese Kirche jetzt zur russischen gehört, wenn sie auch den Gottesdienst in ihrer eigenen Sprache [* 21] und ihre Besonderheiten hat. Sie wird unter der Leitung des Synod vom Erzbischof von Kartalinien und Kachetien als Exarchen von Grusien verwaltet; unter seinem Vorsitz besteht ein Grusinisch-Imeretisches Synodalcomptoir. Außer dem Erzbistum giebt es noch 4 Eparchien.
Vgl. Stourdza, Considérations sur la doctrine et l'esprit de l'église orthodoxe (Stuttg. 1816; deutsch von Kotzebue, Lpz. 1817);
Briefe über den Gottesdienst der morgenländ.
Kirche (von Murawjew; deutsch von Muralt, Lpz. 1838);
Wimmer, Die griech. Kirche in Rußland (ebd. 1848);
Makarij, Geschichte der Russische Kirche (russisch, 12 Bde., Petersb. 1848-83);
Boissard, L'église de Russie (2 Bde., Par. 1866-67);
Hepworth Dixon, Free Russia (2 Bde., Lond. 1870 u. ö.);
Philaret, Geschichte der Kirche Rußlands (aus dem Russischen von Blumenthal, 2 Bde., Frankf. a. M. 1872);
Basarow, Die russ.-orthodoxe Kirche (Stuttg. 1873);
Golubinskij, Geschichte der Russische Kirche (russisch, Tl. 1, Moskau 1881);
Heard, The Russian church and Russian dissent, comprising orthodoxy, dissent and erratic sects (Lond. 1887);
Frank, Russ. Selbstzeugnisse. I. Russ.
Christentum (Paderb. 1889); Dalton, Die Russische Kirche Eine Studie (Lpz. 1892); Knie, Die russ.-schismatische Kirche, ihre Lehre [* 22] und ihr Kult (Graz [* 23] 1894).
(S. auch die Litteratur beim Artikel Griechische Kirche.)