C. Der Feldzug von 1815 in den
Niederlanden und
Frankreich. Während der
Wiener Kongreß (s. d.) über die Neuordnung von Europa
[* 2] beriet, schiffte sich Napoleon in Elba heimlich ein, landete bei
Antibes und zog 20. März, nachdem die ihm entgegengeschickten
Truppen zu ihm übergegangen waren, in
Paris
[* 3] ein. Seine Friedensanträge bei den verbündeten Monarchen
scheiterten jedoch. Diese sprachen vielmehr die
Acht über ihn aus und stellten sogleich eine engl.-niederländ.
Armee von 100000
Mann unter Wellington und eine preußische von 120000 Mann unter
Blücher in den
Niederlanden gegen ihn auf, während die Streitkräfte
aller europ.
Staaten in
Bewegung gesetzt wurden.
Murat hatte sich wieder mit ihm verbunden, aber dieser wurde von den
Österreichern 2. und 3. Mai bei
Tolentino, 16. bei Mignano
am Garigliano geschlagen und mußte aus Neapel
[* 4] fliehen. Napoleon begab sich nach Abhaltung des Maifeldes zur
Armee, die 125000
Mann stark an der Nordgrenze versammelt war, griff 15. Juni plötzlich
BlüchersVorhut bei
Charleroi an und
warf sie zurück. Seine
Absicht war, zwischen die beiden feindlichen
Heere einzudringen
und sie einzeln zu schlagen.
Blücher vereinigte von seiner
Armee drei Korps (Zieten, Pirch,
Thielmann, die vierte unter
Bülow war noch zurück) und nahm
im Vertrauen auf die von Wellington zugesagte Hilfe in ungünstiger
Stellung bei Ligny (s. d.) den Kampf
auf, wurde aber, da diese ausblieb, 16. Juni von Napoleon geschlagen, der gleichzeitig durch Ney die Engländer bei
Quatre-Bras
(s. d.) angreifen ließ. Napoleon gab Grouchy
Befehl, den
Preußen,
[* 5] die er im
Abmarsch gegen
Osten glaubte, zu folgen, während
sie nordwärts nach
Wavre marschiert waren, um mit Wellington vereint den Kampf wieder aufzunehmen.
Dieser hatte 18. Juni eine vorteilhafte
Stellung bei Waterloo
[* 6] (s. d.) genommen, aus der ihn Napoleon trotz aller
Anstrengungen nicht verdrängen konnte; gegen
Abend, als die Kräfte beiderseits erschöpft waren, erschien
Blücher in der
rechten Flanke derFranzosen und entschied den
Sieg. Zu spät dachte Napoleon an den Rückzug, der bald
zur allgemeinen Flucht wurde. Eine beispiellos energische Verfolgung, durch Gneisenau geleitet, machte die
Niederlage zugleich
zur
Entscheidung des
Krieges.
Weder Grouchys geschickter Rückzug nach dem glücklichen
Gefecht bei
Wavre18. Juni gegen
Thielmann, noch der
Überfall von
Versailles
[* 7] 2. Juli, wo zwei preuß. Husarenregimenter durch Exelmans aufgerieben wurden, noch Rapps
und
SuchetsWiderstand am Oberrhein und im
Süden konnten den Ausgang ändern. Napoleon hatte 22. Juni dem
Throne entsagt und sich 15. Juli in
Rochefort den Engländern ergeben, worauf er als Kriegsgefangener nach St. Helena gebracht wurde.
Paris,
wo
Davout befehligte, kapitulierte 3. Juli, die franz.
Armee mußte hinter die Loire zurückgehen; am 7. rückten die Verbündeten
in die Hauptstadt ein; am 9. hielt
Ludwig XVIII. seinen Einzug. Der zweite
Pariser Friede (s. d.) wurde 20. Nov. geschlossen.
Aus der reichhaltigen Litteratur über diesen
Krieg sind hervorzuheben: Chambray, Histoire de l'expédition
de Russie (3 Bde., Par. 1824);
Buturlin, Histoire militaire de la campagne de Russie en 1812 (2 Bde.,
ebd. 1824);
Ségur, Histoire de Napoléon et de la grande armée pendant 1812 (2 Bde.,
ebd. 1824 u. ö.);
die beiden letztern überholt durch
Bogdanowitsch, Geschichte des Feldzugs im J. 1812
(deutsch, 3 Bde.,
Lpz. 1863);
Fain, Manuscrit de 1812 (2 Bde., Par.
1827);
Danilewski, Geschichte des vaterländischen
Krieges von 1812 (deutsch, 4 Bde.,
Riga
[* 8] 1840);
Beitzke, Geschichte des russ.
Krieges im J. 1812 (Berl. 1856);
Plotho, Der
Krieg in
Deutschland
[* 9] und
Frankreich 1813 und 1814 (3 Bde., Berl.
1817;
Band
[* 10] 4 u. d. T.: Der
Krieg des verbündeten Europa gegen Napoleon i. J. 1815, ebd. 1818);
[* 14]Eisenbahnen.Am waren im europäischen
Rußland 34499 km Eisenbahnen im Betrieb, davon 2108 km
in
Finland. Auf 100 qkm Flächenraum entfielen 0,64, auf 10000 E. 3,44 km Eisenbahnen. 17161 km sind
Staats- und 15230 Privatbahnen;
[* 15] erstere werden vom Ministerium der Verkehrsanstalten, die finn.
Bahnen vom Großfürstentum
Finland verwaltet.
Im asiatischen
Rußland waren, abgesehen von einer kurzen
Strecke der
Ural-Eisenbahn, Ende 1894 vorhanden: die
Transkaspische Eisenbahn
(s. d.) und die im
Bau befindliche
Sibirische Eisenbahn (s. d.). Das gesamte russ.
Eisenbahnnetz in Europa und
Asien
[* 16] umfaßt daher (Ende 1894) 37552 km Betriebsstrecken.
I. EuropäischesRußland.
Die erste Eisenbahn in
Rußland ist die 15. (27.) April 1836 einer Privatgesellschaft genehmigte,
von
Anton von
Gerstner (s. d.) erbaute Linie von
Petersburg
[* 17] über
Zarskoje-Selo nach Pawlowsk (25 km). Für die
Spurweite wurden
1,82 m festgesetzt, weil das von
Stephenson (s. d.) angenommene
Maß von 1,435 m für schwere
Lokomotiven
zu gering erschien. Die mit einem
Anlagekapital von 3½ Mill. Rubel
Assignaten (später auf 1050000 Silberrubel festgesetzt)
gebaute
Bahn wurde 30. Okt. eröffnet und zwar zunächst abwechselnd mit
Lokomotiven und
Pferden, seit April 1838 jedoch
ausschließlich mit
Lokomotiven. 1842 ordnete derZar¶
mehr
Nikolaus den Bau derNikolaibahn von Petersburg nach Moskau
[* 19] (649 km) auf Staatskosten an, doch ging derselbe nur langsam von statten.
Die Teilstrecke von Petersburg bis Kolpino (24 Werst) wurde 7. (19.) Mai 1847, die ganze Linie 1. (13.) Nov. 1851 eröffnet.
Man wählte jedoch nicht die von Gerstner angenommene Spurweite, sondern eine engere von 1,524 m, die auch
bei den meisten der später in Rußland gebauten Eisenbahnen zur Anwendung gekommen ist. Das Anlagekapital der Nikolaibahn,
deren Betrieb 1868 der GroßenRuss. Eisenbahngesellschaft übertragen wurde, beträgt 144437500 Rubel, d. i. über 237000 Rubel
(500000 M.) für 1 km.
Am22. Okt. wurde, gleichfalls auf Kosten des Staates, die Vollendung des Baues des in Rußland
belegenen Teiles der Warschau-Wiener Eisenbahn mit der deutschen Normalspur (1,435 m) bestimmt, da es der Aktiengesellschaft,
welcher die Bahn im J. 1838 genehmigt war, nicht gelang, ihre Aktien unterzubringen. Die Betriebseröffnung erfolgte 1. (13.)
April 1848, die der Anschlußlinie Skierniewize-Alexandrowo (161 km) Der Betrieb beider Strecken ist 1. (13.)
Nov. 1857 auf die Dauer von 75 Jahren einer Privatgesellschaft übertragen worden.
Bis zum Tode (1855) des ZarenNikolaus kam nur noch die 1. (13.) Nov. 1853 eröffnete Eisenbahn von Petersburg
nach Gatschina (49 km) zur Ausführung, so daß am Schlusse des J. 1855 erst 1045 km Eisenbahnen in Betrieb waren, während
zu derselben Zeit Deutschland schon 7826 km, Großbritannien
[* 20] 13419 km und Frankreich 5529 km Eisenbahnen hatten. Infolge der
durch den Krimkrieg zerrütteten Staatsfinanzen überließ man die Herstellung neuer Linien der Privatunternehmung.
So übernahm die 1857 mit dem Pariser Crédit mobilier an der Spitze gegründete GroßeRuss.
Eisenbahngesellschaft den Bau von etwa 4300 km Eisenbahnen mit einer Staatsgarantie von 5 Proz. Zinsen für das aufgewendete
Anlagekapital und zwar der Linien: Petersburg-Moskau, Moskau-Nishnij-Nowgorod, Moskau-Feodosia und Orel-Libau. Der Staat
mußte wiederholt helfend eintreten und die Gesellschaft von der Verpflichtung befreien, auch die beiden letztern Linien
zu bauen. Am 1. (13.) Jan. 1884 betrug das Anlagekapital 75 Mill. Rubel in Aktien und 50,506 Mill. Rubel in Obligationen; die
Summe, welche die Gesellschaft dem Staate in Garantiezahlungen schuldete, hatte zu diesem Zeitpunkte bereits
die Höhe von 138525280 Rubeln erreicht.
Bis 1881, wo die Regierung wieder zum Bau von Staatsbahnen zurückkehrte, wurden weitere Privatbahnen mit Zinsgarantie hergestellt.
Unmittelbar auf Staatskosten wurden indes außer den Eisenbahnen in Finland noch die 1866-68 eröffnete Linie Moskau-Kursk (537
km) und mehrere Linien geringerer Ausdehnung
[* 21] ausgeführt, meist aber dann an Privatgesellschaften abgetreten.
In neuerer Zeit sind eine Reihe wichtiger Privatbahnen in Staatsbesitz übergegangen, so 1. (13.) Juni 1892 die Warschau-Terespoler
Eisenbahn, 1. (13.) Jan. 1894 die Riga-Dwinsker (Dünaburger) Eisenbahn und die Linien der GroßenRuss. Eisenbahngesellschaft.
Am 1. (13.) Jan. 1895 erfuhr das Staatsbahnnetz eine weitere Vergrößerung durch Erwerb der Südwestbahn
um 3269 Werst, so daß im J. 1895 das Staatsbahnnetz die Privatbahnen bedeutend überflügelt hat. (S. auch Rußland, Finanzen,
S. 85.)