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Frankreich und kam nach Paris, schließlich kehrte er aber zu Frau von Warens nach Chambéry zurück. Sie wurde seine Geliebte, und mit ihr verlebte Rousseau von 1732 bis 1737 auf ihrem Landgute «Les Charmettes» eine Reihe glücklicher Jahre, in denen er seine Bildung durch die Lektüre der engl. und franz. Philosophen erweiterte und vertiefte und auch Latein und Mathematik trieb. Während einer kurzen Abwesenheit R.s war seine Stelle bei Frau von Warens von einem andern eingenommen worden; er schied von ihr, ging als Hauslehrer nach Lyon und 1741 nach Paris, um ein von ihm erfundenes Notensystem der Akademie vorzulegen. Da es ihm nicht glückte, die gehofften Früchte aus seiner Erfindung zu ziehen, wurde er Sekretär des Grafen Montaigu, der als franz. Gesandter nach Venedig ging. Er blieb bei diesem brutalen Manne nur anderthalb Jahr und versuchte dann mit seiner Oper «Les Muses galantes» in Paris sein Glück.
Die Oper fiel durch, Rousseau lernte aber seit 1745 Grimm, Diderot, die Frau von Epinay (s. d.) u. a. kennen. In diesen Jahren verband er sich auch mit einer ungebildeten Arbeiterin, Thérèse Levasseur; er hatte mit ihr fünf Kinder, die er alle ins Findelhaus schickte. Sie selbst wurde nach 25jährigem Zusammenleben seine Gattin. Indessen wurde er Privatsekretär von Frau Dupin und ihrem Schwiegersohne, später Kassierer beim Generalpächter Dupin. Als die Akademie in Dijon die Preisfrage stellte: ob die Ausbildung der Künste und Wissenschaften mehr zur Verschlimmerung oder zur Verbesserung der Sitten beitrage, schrieb er die Abhandlung «Discours sur les arts et les sciences» (1750). Obschon er sich für die erste Meinung ausgesprochen hatte, erhielt er doch den Preis und erlangte Berühmtheit.
Von nun an verfolgte er in der Civilisation die Ursache aller Verderbnis und Laster und begann das Evangelium von der Rückkehr zu einfachen natürlichen Verhältnissen zu predigen. Um nicht vom Schriftstellererwerb leben zu müssen, suchte er, ohne auf die Vorstellungen seiner Freunde zu hören, seinen Unterhalt durch Notenschreiben zu erlangen. Auch auf der Bühne hatte er einen großen Erfolg mit der Oper «Le devin du village» (1752). Bei dieser Gelegenheit erhob sich zwischen den ital. und franz. Musikfreunden ein heftiger Streit, in welchen sich Rousseau hineinmischte mit seiner «Lettre sur la musique française» (1753), worin er den Franzosen alle Fähigkeit eines musikalischen Gehörs und, wegen der Eigenschaften ihrer Sprache, jede Möglichkeit einer Tonkunst abstritt. 1754 unternahm er eine Reise nach Genf, trat zur reform. Kirche zurück und widmete dem Großen Rat von Genf seine zweite Preisschrift: «Discours sur l'inégalité» (1754).
Nach seiner Rückkehr (im Frühling 1756) bezog er mit Thérèse Levasseur ein ihm von Mme. d'Epinay eingerichtetes Häuschen, die Eremitage. Anfang Jan. 1758 verließ Rousseau plötzlich die Einsiedelei, brach mit seiner Gönnerin, mit Grimm, Diderot, Holbach, und zog nach Montmorency. Hier bewohnte er abwechselnd ein mitten in einem großen, Montlouis genannten Garten gelegenes Haus und das Schlößchen in dem großen, dem Herzog von Luxemburg gehörigen Schloßpark von Montmorency. In dieser Zeit schrieb Rousseau seine «Lettre à d'Alembert sur les spectacles» (1758),
die ihn, weil er darin die Schauspiele für schädlich erklärte, mit Voltaire vollends verfeindete. Dann folgte der in der Eremitage angefangene Roman «La nouvelle Héloïse» (1759),
der gewaltiges Aufsehen erregte, ebenso wie der «Contrat social» (1762), worin er die Lehre von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen und der unverlierbaren, immer wieder direkt auszuübenden Souveränität des Volks verkündigte. Ein anderes Hauptwerk R.s, der lehrhaft pädagogische Roman «Émile» (1762), hatte für ihn zahlreiche Drangsale zur Folge. Das Buch wurde von dem Pariser Parlament für gottlos erklärt und im Hofe des Justizpalastes zerrissen und verbrannt; der Verfasser selbst entging dem Gefängnisse nur durch die Flucht. In seiner Vaterstadt ebenfalls als gottloser Neuerer verurteilt, flüchtete sich Rousseau ins Fürstentum Neuchâtel, nach Motiers-Travers, und kämpfte von hier aus gegen Geistlichkeit und Polizei für die Freiheit des Glaubens («Lettre à l'archevêque de Paris», «Lettres écrites de la montagne»).
Doch auch aus Neuchâtel und von der Petersinsel im Bieler See vertrieb ihn die Verfolgungswut seiner Gegner, und Rousseau suchte, auf Einladung Humes, seine Zuflucht in England (1765). Sein überreiztes Selbstgefühl und sein krankhaftes Mißtrauen, die schon lange in seinem Umgang mit Menschen hervorgetreten waren, steigerten sich jetzt zum Verfolgungswahnsinn; er brach mit Hume, kehrte Mai 1767 nach Frankreich zurück und durfte 1770 nach Paris kommen. Hier vollendete er in der Rue Plâtrière (jetzt Rue J. J. Rousseau) seine «Confessions» und zog, auf Einladung des Marquis de Girardin, Mai 1778 in ein ruhiges Landhaus zu Ermenonville bei Paris, wo er plötzlich wie einige behaupten eines freiwilligen Todes, starb. Seine Bestattung fand an demselben Tage auf der dortigen Pappelinsel statt. Am wurden seine Gebeine im Pantheon zu Paris beigesetzt, jedoch, gleich denen Voltaires, Mai 1814 bei Nacht heimlich entfernt und in eine Kalkgrube auf einem wüsten Felde vor der Barrière de la Gare geworfen. Auf der Rousseau-Insel (in der Rhône) zu Genf wurde ihm ein Bronzestandbild, von Pradier, errichtet.
Die Schriften R.s sind nicht bloß nach ihrem ästhetischen, moralischen und philos. Werte zu würdigen, sondern in Verbindung mit der gesamten Kultur des 18. Jahrh. zu beurteilen. Sie sind der Ausdruck einer Lebensanschauung, deren Resultat politisch in der Französischen Revolution, moralisch und pädagogisch im Philanthropinismus zur Erscheinung gekommen ist. Psychologisch erklärt sich die Lehre R.s innerhalb der steuerlos gewordenen staatlichen und socialen Zustände Frankreichs als eine maßlose Reaktion gegen die große Verderbtheit einer Kultur ohne religiöse, sittliche und philos.
Basis. Es war R.s unendliche Liebe zu der Menschheit, die ihn die Kultur verfluchen ließ; sein Irrtum war, nicht in dem durch Kultur wieder zur Natur zurückgekehrten Menschen, sondern in dem sog. Naturzustand des Wilden sein Ideal zu sehen. Der «Émile», den Goethe das Naturevangelium der Erziehung nannte, wirkte vorzugsweise mit, die Idee einer allgemeinen Menschheit und humaner Bildung zur Anerkennung zu bringen, verführte indessen gar viele zu dem fast lächerlichen Beginnen, nicht bestimmte, positive Menschen, sondern ein Abstractum, einen allgemeinen Menschen, der nur Mensch sein sollte, durch Erziehung hervorzubringen. Mehr als irgend ein anderes Werk haben die polit. und socialpolit. Schriften R.s gewirkt vor und während der Französischen Revolution. Der Konvent und Robespierre versuchten den abstrakten Radikalismus des «Contrat
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social» zu verwirklichen, der insofern einen Fehlschluß machte, als er die in der kleinen Republik Genf etwa mögliche direkte Selbstregierung des Volks auf die ganz andern franz. Verhältnisse übertrug. Im übrigen hat R.s Opposition gegen die vorwiegende Verstandesbildung der Aufklärung auf das Geistesleben aller Nationen tief und belebend eingewirkt. In Deutschland sind seine Anregungen durch Herder und den Sturm und Drang unendlich fruchtbar geworden.
R.s zahlreiche Briefe sind mit bewußter Kunst geschrieben und für die Geschichte nicht nur seines eigenen Lebens, sondern des Zeitalters wichtig. Seine «Confessions» (deutsch von L. Schücking, Hildburgh. 1870), die erst nach seinem Tode erschienen, haben durch ihre bis zum ärgsten Schmutze gehende zuchtlose Selbstenthüllung viele Anklagen gegen Rousseau begründet und müssen in den Stunden des bittersten Schmerzes geschrieben sein, so daß man sie nicht ohne tiefes Mitleid lesen kann.
Neben den ältern Ausgaben R.s von Du Peyron (17 Bde., Genf 1782-90, mit Kupferstichen nach Moreau) und von Sébastien Mercier, Abbé Brizard und de L'Aulnaye (39 Bde., Par. 1788-93) ist als eine der besten zu nennen die Ausgabe von Musset-Pathay (26 Bde., ebd. 1823-27, mit der «Histoire de la vie et des ouvrages de Jean-Jacques Rousseau», 3. Aufl., ebd. 1827) und die von Hachette (13 Bde., 1865). Eine befriedigende Ausgabe giebt es noch nicht. Ins Deutsche wurden übersetzt die «Sämtlichen Werke» von K. F. Cramer (11 Bde., Berl. 1786-99) und «Auserlesene Werke» von Gleich, Theodor Hell u. a. (28 Bdchn., Lpz. 1826-30). Neuerdings erschienen die von Bosscha herausgegebenen «Lettres inédites de Jean-Jacques Rousseau avec Marc Michel Rey» (Amsterd. 1858),
die von Streckeisen-Moulton veröffentlichten «?uvres et correspondance inédite de Jean-Jacques Rousseau» (Par. 1861) und die von Jansen herausgegebenen «Fragments inédits» (Berl. 1882). -
Vgl. Brockerhoff, R.s Leben und Werke (3 Bde., Lpz. 1863-74);
Streckeisen-Moulton, Rousseau ses amis et ses ennemis (2 Bde., Par. 1865);
Moreau, J. J. Rousseau et le siècle philosophe (ebd. 1870);
Saint-Marc Girardin, J. J. Rousseau, sa vie et ses ouvrages (2 Bde., ebd. 1875);
John Morley, J. J. Rousseau (Lond. 1873);
Desnoiresterres, Voltaire et la société française (Bd. 2: Voltaire et J. J. Rousseau, Par. 1874);
Taine, L'ancien régime (ebd. 1876);
Brockerhoff, J. J. Rousseau (im «Neuen Plutarch», Bd. 5, Lpz. 1877);
Ritter, La famille de J. J. Rousseau Documents inédits (Genf 1878);
Gehrig, J. J. Rousseau (Neuwied 1879);
Borgeaud, R.s Religionsphilosophie (Lpz. 1883);
Jansen, Rousseau als Musiker (Berl. 1884);
G. Maugras, Querelles des philosophes: Voltaire et J. J. Rousseau (Par. 1886);
Mahrenholtz, J. J. Rousseau Leben, Geistesentwicklung und Hauptwerke (Lpz. 1889);
Faguet, XVIIIe siècle (Par. 1890);
Beaudouin, J. J. Rousseau (2 Bde., ebd. 1891);
H. de Rothschild, Lettres inédites de Rousseau (ebd. 1892).