allgemeinen stehen sich zwei Schulen entgegen, die des
Südens (die romanische), welche in Niccolò Pisano ihren Höhepunkt
erreicht und gedrungene Gestalten von lebhafter
Bewegung nach antikem Vorbild schafft, und die des Nordens (die germanische),
welche am
Dom zu
Freiberg
[* 2] und der
Kirche zu Wechselburg in
Sachsen
[* 3] ihren Gipfel hat. Diese zeigt ernste,
mäßig bewegte Gestalten, welche manchmal bis zur Karikatur gestreckt erscheinen. So namentlich bei den
Franken und
Ostgoten.
Überall erhält sich aber der german.
Sinn für das
Phantastische, Fratzenhafte in Ornament und
[* 1]
Figur neben dem
Ausdruck einer
tief erregten Kirchlichkeit, die
Tiersage oft unvermittelt neben der Heiligenlegende und der biblischen
Erzählung. - (S. die
Tafeln und die Litteratur bei den
Artikeln:
Deutsche Kunst,
[* 4]
Englische
[* 5] Kunst,
Französische Kunst u. s. w.)
Die
Sprache, die in diese
Länder getragen wurde, war nicht das
Lateinische der Litteratur, sondern die
im Anfange allerdings nur wenig davon verschiedene Umgangssprache, das
Vulgärlatein. Auf dessen ältester Form beruht das
Sardinische, das infolge des geringen Verkehrs mit dem Festlande den ausgleichenden Bestrebungen wenig zugänglich gewesen
ist und noch heute ein altertümliches Gepräge bewahrt hat. Sodann würde das illyrische Romanische folgen; allein es
ist die
Sprache an der
Küste schon im Mittelalter durch das
Venetianische völlig verdrängt worden und bat nur in dem jetzt
wohl auch ausgestorbenen Dialekt der
InselVeglia einen von venet.
Bestandteilen stark durchsetzten Rest hinterlassen; in den
Bergen
[* 13] ist nach langem Kampfe die vorröm.
Sprache (das
Albanesische)
schließlich Herr geworden, nicht ohne tiefgehende Beeinflussungen durch das
Lateinische erlitten zu haben.
In der geschichtlichen Reihenfolge kommen weiter das
Spanische
[* 14] und
Portugiesische, dann das Südfranzösische, das Nordfranzösische,
das Rhätische im Kanton Graubünden,
[* 15] in
Tirol,
[* 16] in Friaul, einst auch in
Triest
[* 17] und
Venedig
[* 18] und weithin in der mittlern und östl. Po-Ebene.
Den
Schluß bildet das
Rumänische und das
Italienische, welch letzteres allein eine ununterbrochene
Entwicklung
darstellt. Die durch die Zwischenräume in der Zeit der Romanisierung bedingten veränderten Formen des
Vulgärlatein, die
die Grundlage für die einzelnen
Sprachen bilden, prägen sich nun aber nicht ganz scharf aus in den roman. Idiomen, da der
beständige gegenseitige Verkehr während der röm. Herrschaft stets wieder einen
Teil der Verschiedenheiten ausglich. Erst
seit dem 6. Jahrh., als das alte
Reich zerfiel und eine Reihe von Einzelstaaten an die
Stelle des einheitlichen Römerreichs
trat, entwickeln sich die
Völker und daher auch die
Sprachen unabhängiger voneinander und prägen sich
bestimmter aus, weshalb man in diese Zeit den Anfang der Romanische Sprachen setzen kann. -
Vgl. H. Schuchardt, Der Vokalismus des
Vulgärlateins
(3 Bde., Lpz. 1866-68);
Budinszky, Die Ausbreitung der
lat.
Sprache (Berl. 1881);
G. Gröber im
«Archiv für lat. Lexikographie», I. (Lpz.
1884).
Auch später haben mehrfache Verschiebungen stattgefunden. Von der
GrafschaftRoussillon aus dringen die Provençalen nach
Südwesten und erobern allmählich die span.
Küste; die
Abart des Provençalischen, das in
Catalonien,
Valencia
[* 19] und auf den
Balearen und Pithyusen gesprochen wird, heißt das
Catalanische. (S.
Catalanische Sprache undLitteratur.)
In
Italien
[* 20] greift das
Venetianische stark um sich und erobert sich die dalmatin.
Küste, einen großen
Teil der Po-Ebene und
dringt namentlich in
Tirol mächtig in rhätisches Gebiet hinein; desgleichen rückt das Lombardische gegen die
Alpen
[* 21] vor und
das Piemontesische drängt das Provençalische, das einst im Sturathal gesprochen wurde, zurück und
findet nur an den noch heute provençalisch sprechenden
WaldensernWiderstand.
Mit Wilhelm dem Eroberer hält das
Französische seinen Einzug in England und bildet sich zu einem eigenen Dialekt, dem Anglonormannischen,
aus, um freilich um die Mitte des 14. Jahrh. wieder zu verschwinden; endlich erwerben die
überseeischen Eroberungen der roman.
Völker der roman.
Sprache große neue Gebiete. Die vorröm.
Sprachen
sind, vom
Baskischen abgesehen, in den roman.
Ländern spurlos verschwunden. Wie weit diese
Sprachen die jeweilige Ausbildung
des
Vulgärlatein beeinflußt haben, ist eine noch ungelöste Frage, doch wird von manchen das französisch-norditalienisch-rhätische
ü (frz. mur, dur) für keltisch, die Eigentümlichkeiten des florentin.
Dialektes für etruskisch gehalten und die süd- und mittelital.
Mundarten scheinen in manchen Dingen beträchtlich das oskisch-umbrische Lautsystem widerzuspiegeln. Der Wortschatz der
Romanen
ist seiner Hauptsache nach der lateinische und zwar zerfallen die lat.
Bestandteile in zwei
Klassen, Erbwörter und Schriftwörter,
d. h. in solche, die von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurden,
und solche, die erst in späterer Zeit aus der lat.
Kirchen-, Gerichts- oder Gelehrtensprache in die Volkssprache gedrungen
sind (vgl. z. B. frz. avoué
als Erbwort neben dem Gerichtsausdruck advocat).
Die kelt. Wörter, die im
Französischen wohl am zahlreichsten sind, beziehen sich fast ausnahmslos auf Gegenstände und Verrichtungen,
die die
Römer
[* 22] erst von den
Kelten kennen lernten. (Vgl. Romanische Thurneysen, Keltoromanisches,
Halle
[* 23] 1884.) Der german. Elemente
sind weit mehr, und zwar beziehen sie sich auf das Gerichts- und Kriegswesen, auf Jagd und Schiffahrt, wohl auch auf Kleidungsstücke,
Haartracht und Haarfarbe. Beachtenswert ist, daß auch viele
Verba und Adjektiva, die geistige Eigenschaften
bezeichnen, und sogar einzelne Adverbien, wie frz. guères, von den
Germanen entlehnt sind. Im
Spanischen trifft man teils
iberische, teils arab. Wörter, letztere auch in
Sicilien; vom Westen dringen manche auch nach
Frankreich und
Italien. Am buntesten
ist das
Rumänische, wo slaw., türk., neugriech. und illyrisch-albanesische
Elemente sich mit den lateinischen vermischt haben. (Vgl.
A. de Cihac, Dictionnaire d'étymologie dacoromane, 2 Bde.,
Frankf. 1870, 1879.) Der grammatische
Bau dagegen, die Formenlehre und die
Syntax, bleibt von fremdem Einfluß unangetastet.
In der Formenlehre tritt eine große Vereinfachung ein. Von den fünf lat.
Casus bleiben nur Nominativ undAccusativ,
¶
mehr
964 und auch von diesen beiden muß schließlich der eine weichen. Von den drei Geschlechtern schwindet das Neutrum. Im Verbum
wird das alte Futurum durch die Umschreibung mit dem Präsens des Verbumshabere ersetzt; das Perfekt wird mit habere, das Passivum
mit esse umschrieben; das Particip wird auf -u gebildet. Auch die Komparation schwindet bis auf die im
Lateinischen unregelmäßigen major, minor, melior, pejor und wenig andere. Ille (jener), in Sardinienipse (selbst) sinken
zur Rolle des Artikels herab.
Unendlich viel reicher als die Muttersprache sind die Töchteridiome in der Wortbildung. Neben den Verkleinerungsbildungen,
deren Zahl sehr groß ist, erscheinen auch Vergrößerungen, z. B. ital.
casone, das große Haus (casa). Aus jedem Verbum der ersten Konjugation kann vermittelst Abwerfung der Endung ein Substantivum
gewonnen werden, z. B. accord von accorder. Ganz neu, aber äußerst fruchtbar sind Bildungen von Substantiven aus dem Imperativ
eines Verbums mit abhängigem Namen, z.B. garderobe u.a.
Die Wortstellung ist weniger frei, die im Lateinischen so beliebten Infinitivkonstruktionen werden durch
vollständige Sätze mit der Konjunktion ital. che, frz.-span. que = lat.
quid statt quod ersetzt u.s.w. Die romanische Philologie wurde begründet durch F. Diez (s. d.), der in seiner «Grammatik der
Romanische Sprachen» zum erstenmal den Zusammenhang der und Romanische Sprachenund
ihren Ursprung aus dem Lateinischen wissenschaftlich zeigte. Sein «Etymolog. Wörterbuch der Romanische Sprachen» ist
noch immer die größte Leistung auf dem Gebiete roman. Etymologie.
Den heutigen Stand der Wissenschaft in den verschiedenen Zweigen der roman. Philologie und ihren Hilfswissenschaften stellt
der von G. Gröber herausgegebene «Grundriß der roman.
Philologie» (Bd. 1, Straßb.
1888; Bd. 2, ebd. 1894 fg.) dar; von einer neuen Grammatik der Romanische Sprachen von W. Meyer-Lübke enthält der erste Band
[* 25] die Lautlehre
(Lpz. 1890),
der zweite die Formenlehre (ebd. 1894). Die Etymologien seit Diez verzeichnet am vollständigsten G. Körting,
«Lat.-roman. Wörterbuch» (Paderb.
1891).
Einen Überblick über die auf die Erforschung der Romanische Sprachen bezügliche Litteratur
geben die Bibliographien des Jahrbuchs für roman. und engl. Sprache und Litteratur (1859–75), der Zeitschrift für roman.
Philologie, hg. von Gröber (1877 fg.);
ferner F. Neumann, Die roman. Philologie (Lpz. 1882);