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Wollindustrie vermindert, so daß die in der Campagna erzeugte Wolle meist ausgeführt wird. Dagegen ist die Kunstindustrie beträchtlich; namentlich genießen die röm. Goldschmiedearbeiten, Bronzen, Terracottaarbeiten, Mosaiken, Kameen, [* 2] künstlichen Perlen einen verdienten Ruf. Auch die Fabrikation von Seidenwaren, Seidenstoffen für Möbel, [* 3] von Kirchenschmuck, Regen- und Sonnenschirmen u. a., künstlichen Blumen, Darmsaiten für Instrumente (corde armoniche), Kerzen, Seife, Maccaroni, künstlichem Dünger und Leim ist zu nennen, die Maschinenfabrikation ist im Entstehen begriffen.
Endlich bestehen zahlreiche Ateliers zum Kopieren berühmter Bilder, Erzgießereien (namentlich Nelli), Gerbereien und bedeutende Mehlfabrikation (Fabrik von Pantanella). Der Bau von Obst, Gemüse u. dgl. hat sich in dem Maße vermindert, als die Gärten vor den Thoren und in der Nähe der Stadt als Baugrundstücke verwendet wurden. Eingeführt werden Korn, Vieh und Wein (namentlich Genzano, Velletri, Frascati, Civita Lavinia, auch Toscaner [Chianti] und südl. Weine [apulischer, sicilischer und sardinischer]).
In R. besteht eine Handels- und Gewerbekammer für die Stadt und Provinz Rom. [* 4] Die meisten Berufsstände haben Hilfskassen (Società di mutuo soccorso); viele Arbeiterorganisationen haben ihren Hauptsitz und Zweigvereine in der Hauptstadt, doch schwankt die Zahl ihrer Teilnehmer außerordentlich. Die Società generale operaia romana hat über 2000 Mitglieder und Sektionen für Männer und Frauen, die Società operaia centrale romana 450 Mitglieder, der röm. Fachverein für Schriftsetzer 900 Mitglieder. Die im Mai 1892 errichtete Arbeitskammer für Arbeitsnachweis war bereits im Nov. 1893 von 61 Arbeitervereinen als Organ ihrer wirtschaftlichen Interessen anerkannt.
Verkehrswesen. Rom liegt an den Eisenbahnlinien Rom-Orte-Chiusi-Arezzo-Florenz (316 km), Rom-Foligno-Ancona (295 km) und Rom-Castellammare Adriatico (240 km) des Adriatischen Netzes und Rom-Civitavecchia-Grosseto-Pisa (334 km), Rom-Segni-Neapel (186 km) und Rom-Velletri-Terracina (121 km) des Mittelmeernetzes; Lokalbahnen führen nach Albano und Nettuno (68 km), nach Fiumicino (32 km), nach Frascati (24 km) und nach Viterbo (82 km), eine Dampfstraßenbahn nach Tivoli. Zu dem 1861 erbauten, 1880 bedeutend erweiterten Bahnhof auf Piazza Termini ist 1891 der auf dem rechten Tiberufer vor Porta Portese in Trastevere gelegene Bahnhof gekommen; die Verbindung beider durch eine Linie ist geplant. Im Innern der Stadt vermitteln zahlreiche Pferdebahn- und Omnibuslinien sowie Droschken den Verkehr. Die beiden Häfen (Ripa grande und Ripetta) liegen am rechten Tiberufer, sind aber hauptsächlich nur für kleine bis zur Tibermündung bei Fiumicino oder Civitavecchia verkehrende Schiffe [* 5] geeignet. Das Projekt, Rom durch einen südlich vom Tiber bis Castel Fusano laufenden Kanal [* 6] direkt mit dem Meere zu verbinden, wird wohl an den hohen Kosten scheitern.
Vergnügungsorte. Unter den öffentlichen Spaziergängen ist der besuchteste immer noch der oberhalb Piazza del Popolo gelegene Pincio, von Valadier unter der franz. Herrschaft 1811 angelegt, mit Büsten berühmter Italiener geschmückt. Auf dem rechten Tiberufer ist neuerdings die Passeggiata del Gianicolo, auf der Höhe des Hügels von San Pietro in Montorio bis Sant' Onofrio reichend, mit herrlicher Aussicht angelegt, doch wegen Mangel an Mitteln nicht vollendet. Aus demselben Grunde ist der Plan einer großen Passeggiata (Regina Margherita), welche von Porta del Popolo bis Acqua Acetosa und Porta Salaria reichen sollte, in den Anfängen stecken geblieben. Unter den ältern Villen sind die großen Parks der Villa Borghese und Villa Doria-Pamphili nach wie vor von der vornehmen Welt für Spazierfahrten bevorzugt.
Befestigung. Da Rom nach der Landung eines Gegners in kürzester Frist einer Einschließung ausgesetzt ist und die alte Umwallung der heutigen Geschützwirkung gegenüber nur kurzen Widerstand zu leisten vermag, war es um so mehr angezeigt, die Stadt nach neuern Grundsätzen zu befestigen, als die Sicherung der lang ausgedehnten Meeresküsten der Halbinsel erst innerhalb eines langen Zeitraums und mit Aufwendung bedeutender Kosten durchführbar erschien. Man legte deshalb 1877 zuerst sechs detachierte Forts auf dem rechten Ufer des Tiber an: Monte-Mario, Casal Braschi, Boccea, Aurelia Antica, Bravetta, Portuense, und eins auf dem linken Ufer: Appia Antica. 1879 entstanden fünf fernere Forts auf dem linken Ufer: Ardeatina, Casilina, Prenestina, Tiburtina, Pietralata, später noch Ostiense und Antemne auf dem linken, Trionfale auf dem rechten Ufer.
Auch wurden hier zwischen den Forts noch verschiedene Zwischenbatterien angelegt. (S. die Karte: Rom und Umgebung.) Die Forts, 2-4 km von der Stadtumwallung und 2 km voneinander entfernt, liegen auf einem Umkreis von 40 km Ausdehnung [* 7] und sind nach gleichen Grundsätzen wie die neudeutschen Werke gebaut und für 1-2 Compagnien Besatzung berechnet, können aber eben wegen des geringen Abstandes die Stadt selbst vor einer Beschießung nicht sichern. Die Ausrüstung umfaßt 12-24 Geschütze. [* 8] Die Baukosten beliefen sich im ganzen auf 23 Mill. Lire.
Geschichte seit 1871. Als Rom zur Hauptstadt Italiens [* 9] erklärt wurde, begann es eine neue Physiognomie anzunehmen. Die Übersiedelung der Ministerien, der Gerichtshöfe, der Garnison machte die schleunige Beschaffung einer Anzahl von Räumen notwendig, die meist durch Umbau aufgehobener Klöster hergestellt wurden. Für die zuströmende Bevölkerung [* 10] wurde eine Erweiterung der Stadt nach Osten geplant. Die Hügel Viminal und Esquilin bedeckten sich binnen wenigen Jahren mit Straßenzügen.
Die plötzlich gesteigerte Bauthätigkeit ließ eine Reihe von Bankinstituten entstehen, darunter manche Schwindelunternehmungen, die bald zu Falle kamen. Für die Umgestaltung der innern Stadt war von einschneidender Wichtigkeit die Regulierung des Tiber. Die Ausführung, besonders seit Mitte der achtziger Jahre mit Energie betrieben, schließt den Fluß in seinem ganzen Laufe innerhalb der Stadt in fast senkrechte Quadermauern; großartige Uferstraßen mit Säulenhallen sind im Entstehen.
Die Brückenverhältnisse erfuhren eine völlige Umgestaltung (s. S. 933 a); die Schaffung von Zufahrtstraßen bedingte große Änderungen auch für die ältern Stadtquartiere, deren enge und winklige Gassen nun von breiten, modernen Straßen durchbrochen werden. Das durch Enge und Schmutz berüchtigte Ghetto der Juden wurde 1887 niedergelegt. Vorzugsweise die Bauthätigkeit in der Mitte der achtziger Jahre ist als «Zerstörung R.s» bezeichnet worden, und es hat sich über dieselbe eine ausgedehnte und heftige Polemik zwischen Italienern und Ausländern, namentlich Deutschen und ¶
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Englän-940 dern, entsponnen. (Vgl. H. Grimm, Die Vernichtung R.s, in der «Deutschen Rundschau», 1886; Lanciani im «Bulletino archeologico comunale», 1886; Vogel, Die Klagen über die Vernichtung R.s, in «Nord und Süd», 1887; F. O. Schulze im «Centralblatt der Bauverwaltung», 1887.) Die Verkehrs- und Gesundheitsverhältnisse der alten Quartiere entsprachen keineswegs den Anforderungen an eine moderne Großstadt, und schleunige durchgreifende Abhilfe that hier not; richtig ist auch, daß schon in frühern Entwicklungsperioden der Stadt, z.B. unter Sixtus V., mit schonungsloser Energie gegen das Bestehende vorgegangen worden ist.
Aber keine Bauperiode ist künstlerisch so arm an schönen und großartigen Neuschöpfungen wie diese jüngste. Die massenhaft errichteten, zum Teil schon wieder verfallenen Mietskasernen würden bei vollständigem Ausbau angeblich für weitere 200000 Bewohner Raum bieten. Ihre Anlage nimmt aber auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu wenig Rücksicht, so daß weder für kleine (Arbeiter-) noch für Mittelwohnungen genügend gesorgt ist; die Preise sind unverhältnismäßig höher als in andern ital. Städten.
Die ungesunde Entwicklung der Bauthätigkeit im neuesten Rom wird zum Teil dadurch erklärlich, daß es erst 1887 eine Bauordnung (regolamento edilizio) erhalten hat, nachdem die Mängel vieler Neubauten und die zahlreichen Unglücksfälle während der Bauausführung zu Klagen Veranlassung gegeben hatten. Die Beaufsichtigung des Bauwesens steht unter einer Commissione edilizia von 12 Mitgliedern, die zur Hälfte aus Stadtverordneten besteht, als ständigen besoldeten Beamten aber nur einen Sekretär [* 12] (Ingenieur) hat. (Vgl. Küster im «Centralblatt der Bauverwaltung», 1887.) Die Stadtverwaltung zeigte sich den großen Aufgaben, welche die Umwandlung R.s in eine moderne Großstadt stellten, wenig gewachsen.
Daß die klerikale Partei, welche in der Stadtverordnetenversammlung stark vertreten ist, die neue Entwicklung mit wenig freundlichem Auge [* 13] betrachtet, ist erklärlich. Nicht minder ist der Umstand, daß die Leitung der großen Verwaltung nicht in den Händen eines geschulten Beamten liegt, sondern als Ehrenamt verwaltet wird, in entscheidenden Momenten von ungünstigem Einfluß gewesen. Bereits 1881 befand sich die Stadt in finanziell bedenklicher Lage, so daß der Staat helfend eingreifen mußte.
Für ein Anlehen von 150 Mill. Lire, das zur Fortführung der begonnenen Straßenanlagen und öffentlichen Bauten dienen sollte, übernahm der Staat die Zinsgarantie (1883). Die folgenden Jahre bezeichnen einen zweiten Höhepunkt der Bauthätigkeit in und um Rom. Neue Quartiere entstanden auf den Prati di Castello, auf dem Boden der zerstörten Villa Ludovisi, vor Porta Salaria, vor Porta San Lorenzo, auf den Prati del Popolo Romano am Monte-Testaccio, auf den Prati di San Cosimato in Trastevere; andere auf dem Cälius und Aventin wurden geplant. Eine kühne Spekulation schuf Häuser weit über jedes Bedürfnis hinaus; bei den Straßenanlagen wurden die Expropriationspreise durch unreelle Spekulation so gesteigert, daß die Stadt von der 150-Millionen-Anleihe einen viel größern Betrag dafür aufwenden mußte, als vorhergesehen war.
Im J. 1889 waren die Finanzen der Stadt so weit gekommen, daß das bereits seit Jahren verschleierte Deficit eingestanden werden mußte: es betrug für 1890 nahezu 7 Mill. Lire. Ein königl. Kommissar wurde mit der Ordnung der Finanzen betraut. Die Fortführung der großen öffentlichen Bauten (Tiberregulierung, Justizpalast, Poliklinik) wurde vom Staate übernommen; ein staatlicher Zuschuß, Verlangsamung der öffentlichen Bauten, die Einführung der Familiensteuer und größere Ordnung im städtischen Haushalt sollen für künftig einem Deficit vorbeugen. 1891 trat die reguläre Stadtverwaltung wieder in Funktion. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt sind seitdem ungünstig geblieben, besonders hat der Zusammenbruch der Banca Romana zahlreiche andere Institute in Mitleidenschaft gezogen.
Litteratur. Über das neuere Rom: Monografia della città di Roma, [* 14] della Campagna romana (2 Bde., Rom 1881);
das neueste administrative und statist.
Material gesammelt in dem Bullettino amministrativo del Comune di Roma (12 Bde., 1883–94);
C. Tommasi-Crudeli, Il clima di Roma (Rom 1886);
Helbig, Führer durch die öffentlichen Sammlungen R.s (2 Bde., Lpz. 1891);
W. F. Erhardt, Das medizinische Rom (in der «Berliner [* 15] klinischen Wochenschrift», 1893).
Neuere Reisebücher: Gsell-Fells, Rom und die Campagna (3. Aufl., Lpz. 1887);
de Bleser, Rome et ses monuments, guide du voyageur catholique (5. Aufl., Löwen [* 16] 1891);
Baedeker, Mittelitalien und Rom (10. Aufl., Lpz. 1893).