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Rechtswissenschaft odcrNechtsgelehrsam- keit (lat. ^iriZpi-uäeutia), die aus ihren letzten Gründen entwickelte Kenntnis des Rechts, und zwar nicht bloß nach den positiven Gesetzen eines Staates, sondern an und für sich und überhaupt. Denn nicht bloß über das, was in einem gegebenen Staate jetzt als Recht gilt, sondern auch darüber, wie es Recht geworden ist, und über das, was Recht sein sollte, muß die Recipient Auskunft geben. Sie ist demnach eine empirisch-rationale Wissenschaft, in- dem einerseits die Kenntnis der menschlichen Ver- hältnisse, welche nur durch Erfahrung möglich ist (Geschichte), vorausgehen muß, wenn Regeln für jene Verhältnisse aufgestellt werden sollen, anderer- seits aber die Erfahrung niemals hinreicht, eine moralische Notwendigkeit, wie sie dem Begriff des Rechts zu Grunde liegt, darzuthun.
Daher ist die geschichtliche Behandlung der Recipient ebenso unentbehr- lich als eine rationale und jede für sich allein unzu- reichend. Die Trennung beider Richtungen der Recipient darf nur eine formale sein und es ergeben sich daraus als Zweige derselben:
1) die rationale oder philos. Rechtslehre;
2) die historische und 3) die dogmatische Behandlung des Rechts. Die philos. Nechtslehre (s. Rechtsphilosophie) entwickelt das oberste Gesetz des Rechts aus der menschlichen Ver- nunft (reine Rechtslehre) und wendet solches auf die unter den Menschen möglichen Verhältnisse an (angewandte Rechtslehre). Die histor. Behandlung des Rechts stellt sich dar in der umfassendsten Lösung ihrer Aufgabe als allgemeine Rechtsge- schichte, d.h. Geschichte der Gesamtentwicklung des Rechts in der Menschheit, wie sie von Montesquieu, Warnkönig, Nastian und Post, insbesondere für einzelne Materien von Gans, I. D. Meyer, Lave- leye, Maine, Kohler, Westermarck versucht wurde.
Mehr ist für die Specialrechtsgeschichte einzelner Völker und Zeiten und für den Nachweis ihres Zu- sammenhangs mit der gesamten Staats- und Kultur- geschichte geleistet. Man pflegt hier zu unterscheiden zwischen äußerer Rechtsgeschichte oder Geschichte der Rechtsurkunden und Quellen und innere Rechts- geschichte oder Geschichte der Rechtsdogmen. Am steißigsten ist die Geschichte des Römischen Rechts (s.d.)bearbeitetworden; für die des Deutschen Rechts (s. d.) brach Eichhorns «Deutfche Staats- und Rcchts- geschichte» (5. Aufl., 4 Bde., Gott. 1843-45) die Bahn zur tiefern wissenschaftlichen Behandlung, in der sodann Zöpfl, Walter, Schulte, Vrunner, Gierke, Schröder, Heusler u. a. fortschritten.
Auch die Rechtsgeschichte der übrigen europ. Völker ist neuerdings vielfach von Deutschen bearbeitet wor- den, wie die französische und flandrische von Stein und Warnkönig, die englische von Phillips und Gneist, die nordische von Maurer und von Amira, die italische von Ficker u. s. w. Die philos. und histor. Darstellung bahnt den Weg zu einer richtigen dogmatischen Darstellung des Rechts, welche die Aufgabe hat, die allgemeinen leitenden Grundsätze und die besondern positiven Bestimmungen in der Anwendung auf die vorkommenden Verhältnisse zu entwickeln.
Die Dogmatik des Rechts läßt die Recipient in zwei baupteile, die theoretische und die praktische Recipient, zerfallen, von denen die letztere der Inbegriff von Regeln ist, wonach die rechtlichen Bestimmungen, welche die erstere kennen lehrt, in Anwendung ge- bracht werden. Hauptgegcnstand der praktischen Recipient ist das Prozehrecht, sowohl der Civil- als der Kri- minalprozeß; als Nebenwissenschaft gehört ihr unter anderm die Referierkunst an. Viel umfassender ist die theoretische Recipient. Sie wird gewöhnlich eingeteilt in: 1) Privatrecht, auch als'Civilrecht aufgefaßt. Dasselbe zerfällt a. nach feiner geschichtlichen Ent- wicklung in röm. (Civil-) Recht, deutsches Privat- recht und das Partikularrecht der einzelnen jetzigen Staaten, wobei noch das kanonische für die Rechts- entwicklung in Deutschland [* 2] in Betracht kommt; d. nach der systematischen Seite in Sachen-, Obli- gationen-, Familien- und Erbrecht, wozu als beson- dere Lehren [* 3] noch das Lehn-, Wechsel-, Handels-, Konkurs-, Seerecht treten.
2) Öffentlich es Recht, umfassend Staats- oder Verfassungsrecht, Verwal- tungsrecht mit Rechts-, Wohlfahrts- oder Kultur- Pflege.
3) Völkerrecht, internationales Pri- vatrecht und Kirchenrecht. Eine in Verbindung mit Ethnologie gepflegte junge Wissenschaft ist die vergleichende Recipient, in Deutschland gefördert durch Kohler, Vernhöft, Cohn, Leist, Post, sowie die «Zeit- schrift für vergleichende Recipient» (seit 1878) und die «Inter- nationale Vereinigung für vergleichende Recipient und Volkswirtschaftslehre zu Berlin» [* 4] (seit 1894). En- cyklopüd. Darstellungen der gesamten Recipient schrieben in Deutschland Warnkönig, Ährens, Vluhme, Wal- ter, Goldschmidt, Gareis, Merkel.
Rechtslexika gaben Weiske (15 Bde., Lpz. 1839-61) und von holtzcn- dorsf («Encyklopädie», 5. Aufl., ebd. 1890; «Rechts- lerikon», 3. Aufl., ebd.1880-81) heraus.-Vgl. Meili, Die neuen Aufgaben der modernen Juris- prudenz (Wien [* 5] 1892); ders., Die Gesetzgebung und das Rechtsstudium der Neuzeit (Dresd. 1894). Rechtswohlthat, f. LsnLticWm. Rechtszuständigkeit, s. Zuständigkeit. Recht zur Sache (5u8 ad i-6iu). Nach Preuß. Allg. Landrecht reicht das Forderungsrecht des Gläubigers gegen den Schuldner auf Lieferung einer Sache weiter als nach andern Rechten.
Nach diefen bindet die Schuld nur den Schuldner, nicht den Dritten, welcher von dem Schuldner dieselbe Sache, wenn schon mit sicherer Kenntnis davon, daß sie derselbe jenem Gläubiger schuldet, erwirbt. Das Preuß. Allg. Landrecht giebt auch einen An- spruch gegen den Dritten auf Herausgabe der Sache. Dasselbe ist vom Reichsgericht angewendet bei An- sprüchen auf Übertragung eines Erfindungspatents. Dieses Recipient z. S. gilt aber bei Fovderungsrechten auf Auflassung (s. d.) eines Grundstückes nach dem preuß. Gesetze vom insoweit nicht, als die Kenntnis des Erwerbers eines Grundstückes von einem ältern Rechtsgeschäft, welches für einen andern ein Recht auf Auflassung dieses Grund- stückes begründet, dem Eigentums erwerb nicht ent- gegensteht.
Ebenso soll der Erwerb eines einge- tragenen dinglichen Rechts dadurch nicht gehindert werden, daß der ErWerber das ältere Recht eines andern auf Eintragung eines widerstreitenden ding- lichen Rechts gekannt hat. Will sich in dieser Be- ziehung der Gläubiger sichern, so muß er seinen Anspruch auf Auflassung oder Erwerb des ding- lichen Rechts im Wege einer Vormerkung im Grund- buch (s. d.) eintragen lassen. Recidiv (lat.), s. Rückfall. Recief, s. Empfangschein. Recrfe (spr. reß-), brasil. Hafen, s. Pernambuco. [* 6] «soips (lat.), nimm! (auf Rezepten). Recipisnt (lat.), bei der Destillation [* 7] das zur Aufnahme des Destillats bestimmte Gefäß; [* 8] bei der Luftpumpe [* 9] die Glocke, in der Gegenstände der Wir- kung der Luftleere ausgesetzt werden sollen; in der ¶