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Die Geschichte der deutschen Rechtschr
eibung beginnt mit dem schriftlichen Gebrauch der deutschen
Sprache
[* 2] überhaupt. Eine einheitliche
deutsche Rechtschr
eibung gab es im Mittelalter so wenig wie eine einheitliche
Aussprache. Es gab vielmehr bestimmte orthographische
Kreise,
[* 3] ausgehend von einigen wenigen
Klosterschulen, von denen für die altdeutsche Rechtschr
eibung die St.
Galler die wichtigste
gewesen ist. Neben der St.
Galler Schule erlangte in der althochdeutschen Zeit besonders die rheinfränkische Rechtschr
eibung durch ihre
Litteratur einen größern Einfluß, diese in
Mittel-, jene in Oberdeutschland. Ein drittes litterar. Centrum mit mundartlicher
Rechtschr
eibung bestand am Niederrhein; die niederländische Rechtschreibung hat für ganz
Niederdeutschland einen maßgebenden Einfluß erlangt, solange
Niederdeutsch überhaupt eine Litteratursprache gewesen ist.
Die mittelhochdeutsche Litteratur weist eine verhältnismäßig einheitlichere Rechtschr
eibung auf, als die althochdeutsche,
wenngleich sie in Wirklichkeit viel stärkere mundartliche Unterschiede zeigt, als sie in unsern normalisierten mittelhochdeutschen
Texten zu
Tage treten. Diese Rechtschr
eibung setzt die althochdeutsche nur zum
Teil fort. In keiner Zeit hat sich die
deutsche Rechtschr
eibung mehr dem Ideal einer phonetischen Rechtschreibung genähert, als im 12. und 13. Jahrh.,
der Blütezeit unserer mittelalterlichen Litteratur. Hier war es besonders der Einfluß der Hohenstaufen, der der oberdeutschen,
speciell schwäb. Schr
eibweise eine weitere Geltung verschaffte.
Von einer gemeindeutschen Rechtschr
eibung kann eigentlich erst seit dem 15. Jahrh.,
genauer noch seit
Luther die Rede sein.
Ihre Geschichte ist mit der unserer neuhochdeutschen Schr
iftsprache untrennbar verbunden
(s.
Deutsche Sprache,
[* 4] Bd. 5, S. 78 b). Wenn man z. B.
auch dort, wo man «Zît» und «Hûs»
sprach, anfing, nach dem Vorbild der kaiserl. Kanzlei und
Luthers «Zeit» und «Haus»
zu schreiben, so empfand man dies in der That als eine orthographische Frage. Wie unsere Schriftsprache
im wesentlichen mitteldeutscher Sprechweise entspricht, so auch unsere Rechtschreibung
Luther selbst hat an seiner ursprünglichen Rechtschreibung manches
geändert.
Seine Rechtschreibung war für die Folgezeit vorbildlich, wenn auch im 17. Jahrh. unsere Rechtschreibung stark verwilderte, besonders durch eine unsinnige Anhäufung der Konsonanten. Über die Thätigkeit der Grammatiker des 16., 17. und 18. Jahrh. bei der Festlegung unserer modernen Rechtschreibung s. Deutsche Sprache (Bd. 5, S. 82). Der Grundsatz der bedeutendsten Grammatiker, wie Schottel, Gottsched, Adelung, «Schreib, wie du sprichst», hat sich nur in geringem Maße als durchführbar erwiesen. Unsere Rechtschreibung ist seit Luther immer mehr eine historische geworden.
Gegen Ende des 18. Jahrh., zur Zeit der höchsten Litteraturblüte, war unsere Rechtschreibung im wesentlichen festgestellt. Nur in einzelnen Punkten haben sie dann J. Chr. A. ^[Johann Christian August] Heyse u. a. in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. noch weiter gebildet, und zwar auf dem von Adelung (1787) und seinen Vorgängern betretenen Wege. Seit Jakob Grimm in seinen bahnbrechenden Werken auf dem Gebiete der deutschen Sprachgeschichte (Deutsche Grammatik, 1819-40) vorangegangen war, haben die deutschen Sprachgelehrten angefangen, auf eine radikalere Vereinfachung unserer Rechtschreibung nach phonetischen Grundsätzen zu dringen, und man findet in der wissenschaftlichen Litteratur seit Grimm und Schleicher vielfach eine einfachere Rechtschreibung durchgeführt, als sie sonst üblich ist. Besonders strebt man dahin, zu den lat. Buchstaben wieder zurückzukehren und alle Hauptwörter klein zu schreiben. Diese Bestrebungen
sind bisher noch nicht durchgedrungen. Gegen die Einführung der lat. Buchstaben hat sich namentlich Fürst Bismarck ausgesprochen.
Im J. 1876 trat auf Veranlassung des preuß. Kultusministeriums in Berlin [* 5] eine Konferenz von Sprachforschern und Schulmännern zur Festsetzung einer einheitlichen Rechtschreibung zusammen, für die Rudolf von Raumer (s. d.) einen Entwurf ausgearbeitet hatte, der den Verhandlungen zu Grunde gelegt wurde. Unter Benutzung der von dieser Konferenz gemachten Vorschläge wurde zunächst in Österreich [* 6] und Bayern [* 7] dann auch in Preußen [* 8] (durch einen Erlaß des Ministers von Puttkamer vom in Sachsen [* 9] (durch Generalverordnung vom und in den übrigen deutschen Staaten eine nur unwesentlich vereinfachte Rechtschreibung in den Schulen eingeführt, für welche die im Auftrag der einzelnen Regierungen bearbeiteten und im wesentlichen übereinstimmenden «Regeln und Wörterverzeichnisse für die deutsche Rechtschreibung» maßgebend sind. -
Vgl. Adelung, Anweisung zur Orthographie (Lpz. 1788 u. ö.);
Andresen, Über deutsche Orthographie (Mainz [* 10] 1855);
Rudolf von Raumer, Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften (Frankf. a. M. 1863);
Schröer, Die deutsche Rechtschreibung (Lpz. 1870);
Lehmann, Über deutsche Rechtschreibung (Berl. 1871);
Duden, Die deutsche Rechtschreibung (Lpz. 1872);
Sanders, Zur Regelung der deutschen Rechtschreibung (in «Unsere Zeit», ebd. 1875);
Verhandlungen der Orthographischen Konferenz in Berlin (Halle [* 11] 1876);
Michaelis, Die Ergebnisse der Orthographischen Konferenz (Berl. 1876);
Duden, Die Zukunftsorthographie (Lpz. 1876);
Schmits, Über Rechtschreibung und Druckschrift (Köln [* 12] 1876);
Sanders, Orthographisches Wörterbuch (2. Aufl., Lpz. 1876);
ders., Katechismus der Orthographie (4. Aufl., ebd. 1878);
Wilmanns, Kommentar zur preuß. Schulorthographie (Berl. 1880; 2. Ausg. u. d. T.: Die Orthographie in den Schulen Deutschlands, [* 13] ebd. 1887);
H. Paul, Zur orthographischen Frage (ebd. 1880);
Duden, Die neue Schulorthographie (5. Aufl., Münch. 1894);
ders., Orthographischer Wegweiser für das praktische Leben (2. Aufl., Lpz. 1884);
ders., Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache (4. Aufl., neuer Abdruck, ebd. 1895).