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Rom. [* 2] Während seine Sorge, das alte Rom wieder zum Leben zu erwecken, Papst und Römer [* 3] begeisterte, führte ihn selbst eine Krankheit in einen allzu frühen Tod. Er zog sich ein Fieber zu und starb nach kurzem Krankenlager am Karfreitag genau 37 J. alt. Sein Leichnam wurde im Pantheon beigesetzt. Als die Gruft 1833 geöffnet wurde, fand man seine Gebeine noch ziemlich wohl erhalten. Raffael Santi war nicht vermählt, jedoch verlobt mit Maria Bibbiena, der Nichte des gleichnamigen Kardinals, die noch vor ihm starb. R.s umfassende Thätigkeit als Freskomaler begann erst mit seiner Übersiedelung nach Rom. Dort schmückte er vor allem im Vatikan [* 4] drei Zimmer und einen größern Saal, die in einer Flucht liegenden sog. Stanzen, mit geschichtlich-symbolischen und biblischen Wand- und Deckengemälden. (Vgl. Gruyer, Essai sur les fresques de Raffael Santi au Vatican, 2 Bde., Par. 1858–59.) In ihrer ganzen Größe ist die Aufgabe erst allmählich an den Künstler herangetreten.
Ursprünglich beabsichtigte Julius II. nur eine mäßige Ausschmückung der Räume und übergab dieselbe Malern aus Umbrien und Siena, wie Perugino, Sodoma u. a. In die Reihe derselben trat, wahrscheinlich durch seinen Lehrer Perugino eingeführt, der junge Raffael Santi; schon nach Fertigstellung der ersten Fresken zeigte es sich, daß Raffael Santi alle Genossen an künstlerischer Begabung übertraf, infolgedessen ihm die Arbeit ausschließlich überlassen wurde. Ihr weihte er fortan (1508–20) sein Leben, vollendet wurde sie erst von seinen Schülern.
Im ersten Zimmer, der Stanza della Segnatura (1508–11 ausgemalt), schildert Raffael Santi, an die Anschauungen der Renaissance anknüpfend, die Mächte, welche das Geistesleben bewegen und das menschliche Dasein ordnen, und führt uns die Gemeinden, die diesen Mächten huldigen, vor Augen. An der Decke [* 5] stellte er die Mächte selbst: Theologie, Poesie, Philosophie und Jurisprudenz in Rundbildern dar und dazwischen in oblongen Feldern Beispiele ihres Waltens: Sündenfall, Bestrafung des Marsyas, [* 6] Erforschung der Welt, Salomos Urteil.
Auf den großen Wandbildern treten uns die Gemeinden, welche diese Ideen auf Erden verkörpern, entgegen. In der sog. Disputa (keine Disputation über die Abendmahlslehre, sondern eine Verherrlichung des christl. Glaubens) die christl. Gemeinde der Gläubigen um den Altar [* 7] bei geöffnetem Himmel [* 8] geschart (gestochen von Jos. Keller, 1859); im Parnaß die Dichter alter und neuer Zeit um Apollon [* 9] und die Musen [* 10] versammelt. Die sog. Schule von Athen [* 11] (den Karton dazu bewahrt die Ambrosianische Bibliothek zu Mailand: [* 12] Kupferstich von L. Jakoby, 1882) zeigt die Vertreter der Wissenschaft, vorwiegend griech. Philosophen, von Platon und Aristoteles geführt, wie sie lehren und unterweisen.
In dem Bilde hat sich Raffael Santi selbst, von rechts mit Perugino in die Versammlung tretend, dargestellt. Vertreter der Jurisprudenz sind Papst und Kaiser, wie sie den Befehl zur Abfassung der Gesetzbücher erteilen. In dem zweiten Zimmer, der Stanza d’Eliodoro (1512–14 ausgemalt), beziehen sich die Wandbilder auf den unmittelbaren Beistand, den Gott der Kirche geleistet. Das erste derselben, das dem ganzen Raum den Namen gegeben, schildert mit wunderbarer Kraft [* 13] des Ausdrucks die Vertreibung des Heliodorus aus dem Tempel [* 14] zu Jerusalem [* 15] durch einen himmlischen Reiter (Makkab. 2,3), mit innerer Beziehung auf die Befreiung des Kirchenstaates von seinen Feinden zur Zeit Papst Julius’ II. Ferner ist hier dargestellt: die 1263 stattgefundene Messe von Bolsena (s. d.), dem ungläubigen Priester gegenüber die Porträtfigur Julius’ II., in Bezug auf Malerei wohl das vollendetste Fresko R.s;
Abwehr Attilas von Rom durch Leo I. 452, mit Beziehung auf die Vertreibung der Franzosen aus Italien [* 16] nach der Schlacht bei Novara 1513 (Leo I. mit den Zügen des Papstes Leo X.), Befreiung Petri aus dem Gefängnis durch den Engel (in drei Abteilungen).
Die sehr beschädigten Deckenbilder stellen vier Scenen aus dem Alten Testament dar (entsprechend der obigen Reihenfolge der Wandbilder): Jehovah erscheint dem Moses im feurigen Busch, Opferung Isaaks, Jehovah erscheint Noah, Jakobs Traum von der Himmelsleiter. Im dritten Zimmer, Stanza dell’Incendio nach dem Hauptbild genannt (1514–17 ausgemalt), werden Ereignisse aus der Zeit der Päpste Leo III. und IV. vorgeführt. Die in Bezug auf dramat. Lebendigkeit bedeutendste Komposition von R.s Fresken im Vatikan ist: Der Brand des Borgo 847 (eine im Vatikanischen Quartier, dem Borgo, ausgebrochene Feuersbrunst wird von Papst Leo IV. durch das Kreuzeszeichen von der Loggia der Peterskirche herab gelöscht), einer Schilderung des Brandes von Troja [* 17] vergleichbar (vorn anscheinend Äneas mit seinem alten Vater auf dem Rücken).
Das Gemälde wurde noch eigenhändig von Raffael Santi geschaffen: die übrigen Gemälde desselben Saales: Eid Leos III. vor Karl d. Gr., Kaiserkrönung Karls d. Gr. durch Leo III., Sieg Leos IV. über die Saracenen bei Ostia, wurden nach seinen Entwürfen und unter seinen Augen ausgeführt. Die Fresken in der vierten Stanze, dem sog. Saale des Konstantin, die Begebenheiten aus dem Leben dieses Kaisers (insbesondere die Schlacht Konstantins d. Gr. gegen Maxentius) darstellen, sind erst nach R.s Tode, zumeist von seinem Schüler G. Romano, in Farben ausgeführt, ja teilweise erst entworfen worden.
Eine andere große Arbeit, die Leo X. dem Künstler noch auftrug, war die Ausschmückung der Loggien (s. Loggia) im Vatikan, die den sog. Hof [* 18] des heil. Damasus umgeben. Nur im zweiten Stockwerk des westl. Teils hat Raffael Santi die 13 Arkaden desselben an ihren gewölbten Decken mit 52 (13 X 4) kleinen viereckigen Freskobildern aus der Bibel, [* 19] besonders dem Alten Testament, an ihren Wänden und Pfeilern aber mit Ornamenten und Arabesken höchst mannigfaltig und phantasiereich geschmückt. Im Entwurf rührt das meiste von ihm her; die Ausführung überließ er seinen Schülern G. Romano, Franc. Penni, Perino del Vaga, Caldara u. a.
Ein noch bedeutenderes Werk R.s sind die großen in Wasserfarben 1515–16 ausgeführten Kartons, nach denen in Brüssel [* 20] Gobelintapeten gewirkt wurden, die an Festtagen den untern Teil der Wände der Sixtinischen Kapelle schmücken sollten. Die Gegenstände, die Raffael Santi zu denselben aus der Apostelgeschichte wählte, sind: die Steinigung des Stephanus, die Bekehrung des Paulus, die Befreiung des Paulus aus dem Gefängnisse zu Philippi, der wunderbare Fischzug Petri, Petrus empfängt von Christus die Himmelsschlüssel, die Heilung des Lahmen, der Tod des Ananias, Bestrafung des Elymas mit Blindheit, Paulus und Barnabas in Lystra, die Predigt des Paulus in Athen. Sieben Originalkartons (die letzten sieben der angeführten Reihenfolge) befinden sich seit 1865 im ¶
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South-Kensington-Museum
in London
[* 23] (früher in Hampton-Court; im Anfang des 19. Jahrh. gestochen von Th. Holloway). Für den Altar
komponierte er eine Krönung Mariä, die gleichfalls in Flandern gewebt wurde. Die ganze Folge der Tapeten, die zuerst am
Stephanstage in der Sixtinischen Kapelle an den Wänden prangten, ist seit 1814 in einem besondern
Zimmer (Galleria degli Arazzi) des Vatikans aufgehängt. Wiederholungen der Teppiche befinden sich unter anderm in den Museen
zu Berlin
[* 24] (1844 angekauft; das zehnte Stück: Paulus im Gefängnis, fehlt) und in Dresden
[* 25] (seit 1723, jedoch nur 6 Stück).
Außer diesen monumentalen Arbeiten für die Päpste übernahm N. auch solche für Privatpersonen. Agostino Chigi, der Bankier des Papstes Julius II., hatte in zwei Kirchen Roms Kapellen bauen lassen und deren künstlerische Ausschmückung Raffael Santi übertragen. In der einen, der von Sta. Maria della Pace, malte Raffael Santi 1514 die Gestalten der vier Sibyllen (die persische, phrygische, von Cumä, von Tibur), in Bezug auf Schönheit der Linien eine seiner größten Leistungen. In Sta. Maria del Popolo, der andern Kirche, aber gab er selbst die Architektur der Kapelle an und fertigte die Entwürfe zu den Gemälden in der Kuppel, die die Erschaffung der sieben Planeten [* 26] darstellen und von Aloisio della Pace 1516 in Mosaik ausgeführt wurden. Um dieselbe Zeit führte er (1514) in der Villa desselben Kunstfreundes, der sog. Farnesina (s. d.), in dem kleinern Hallenraum ein Wandbild: Triumph der Galatea (gestochen von Richomme, 1820) aus und schuf (1518–20) für die Decke der Haupthalle dieses Gebäudes die Entwürfe von 12 reizenden Darstellungen aus der Erzählung von Amor und Psyche (in Photographien mit Text von C. F. Waagen bei der Photographischen Gesellschaft in Berlin), von seinen Schülern G. Romano und Franc. Penni ausgeführt.
Unter R.s Tafelbildern nehmen die Madonnenbilder den ersten Rang ein. (Vgl. Gruyer, Les Vierges de Raffael Santi et l’iconographie de la Vierge, 3 Bde., Par. 1869.) Wenn auch von einzelnen der erhaltenen Gemälde nicht sicher ist, ob sie wirklich von R.s Hand [* 27] herrühren, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß kein Maler vor ihm noch nach ihm so vielmals und in so anmutiger, tiefsinniger, künstlerisch vollendeter Weise die heil. Jungfrau und ihr Verhältnis zum Jesuskinde, das Ideal reinster Mutterliebe, dargestellt hat.
Die frühesten Madonnenbilder sind: die sog. Madonna Solly (etwa 1502; Museum
in Berlin), eine Madonna zwischen dem heil. Hieronymus
und Franziskus (ebd.), die für Perugia gemalte Madonna Connestabile (um 1503; Eremitage in Petersburg);
[* 28] ebenso wie diese erinnern
auch die in Florenz
[* 29] (um 1504) entstandenen Gemälde: Madonna del Granduca (Palast Pitti in Florenz), Madonna
della Casa Diotalevi (Museum
in Berlin) sowie das Rundbild der sog. Madonna des Herzogs von Terranuova (ebd.) noch an seine Lehrzeit
bei Perugino.
Als Gastgeschenk für Taddeo Taddei in Florenz malte er zwei Madonnenbilder, vermutlich die Madonna im
Grünen (im Hofmuseum
zu Wien)
[* 30] und die sog. Madonna mit der Fächerpalme (im Besitz des Lord Ellesmere in London); bei beiden (um
1506) sieht man die Einflüsse Peruginos und Leonardos sich verschmelzen. Dieselbe Komposition wiederholt sich in der Madonna
del Cardellino, d. i. mit dem Stieglitz (Uffizien zu Florenz), und in La belle
Jardinière (Louvre zu Paris;
[* 31] Stich von Desnoyers, danach Heliogravüre 1894). Die sog. Heilige Familie aus dem Hause Canigiani (Alte Pinakothek in München)
[* 32] ist ein symmetrisch komponiertes Gruppenbild, aus dessen obern Ecken einst, vor einer sog. Restauration, Engelchen herabblickten.
Indessen zeigen die meisten dieser Kompositionen noch kein rechtes Verhältnis der Mutter zu dem Kinde;
Maria liest andächtig in einem Buche oder hält dasselbe in Händen. In der Madonna aus dem Hause Colonna (Museum
in Berlin)
ist es schon die Mutter, die sich im Lesen unterbricht dem Kinde zu Liebe, das nach ihrer Zärtlichkeit verlangt. In der Madonna
Tempi (Münchener Pinakothek) aber bricht die Mutterliebe mit aller Innigkeit hervor; sie herzt das Kind und drückt es an sich.
Dieses Motiv tritt jetzt, von Raffael Santi vielfach variiert, in den Vordergrund; man findet es in der Madonna Niccolini (1508; im Besitz
des Lord Cowper in England), der Bridgewater-Madonna (1512; London, Bridgewater-House) u. a. Ein anderes
öfters von Raffael Santi behandeltes Motiv tritt während seiner röm. Periode in der Vierge au diadème (im Louvre zu Paris) auf: Maria
hebt den Schleier, um das schlafende Jesuskind dem kleinen Johannes zu zeigen.
Dieses Bild sowie die Madonna Alba [* 33] (Eremitage zu Petersburg) und Madonna Aldobrandini (Nationalgalerie in London) bereiten den Übergang zu einem ungleich großartigern Stil vor, der zum erstenmal in der verklärten Erscheinung der thronenden Gottesmutter mit Heiligen, der Madonna di Foligno (1511) deutlich hervortritt. Letzteres Gemälde befand sich ursprünglich auf dem Hochaltar der Kirche Sta. Maria in Aracoeli auf dem Kapitol, kam dann nach Sta. Anna delle Contesse in Foligno und ist jetzt in der Gemäldegalerie im Vatikan (Radierung von J. L. Raab). [* 34]
Auch die Madonna del Pesce, d. i. mit dem Fisch, ursprünglich für die Dominikanerkirche zu Neapel
[* 35] gemalt, jetzt im Prado-Museum
zu Madrid,
[* 36] ist ein solches Gnadenbild. Mehr Familienbilder sind wieder die Madonna della Tenda (Pinakothek
in München; gute Kopie in der Turiner Pinakothek), die Madonna col divino amore (Nationalmuseum
in Neapel) und die Madonna dell’impannata,
d. i. mit dem Tuchfenster (Palast Pitti in Florenz). Auch die von Raffael Santi entworfene, von Schülern ausgeführte sog. Große heilige Familie
(1518; im Louvre) sowie die sog. La Perla (1518 für den Herzog von Mantua
[* 37] gemalt, jetzt im Prado-Museum
zu Madrid) zeigen gemütvolle Familienscenen, während in der berühmten Madonna della Sedia (Palast Pitti in Florenz; gestochen
u. a. von Raffael Santi Morghen [1793], von J. G. von Müller [1804] von Mandel [1865] und von Burger [1882]) der reinste
Ausdruck der Mütterlichkeit und Liebe zur Geltung kommt.
Als die Krone R.scher Madonnenbilder, ja der Malerei steht die Madonna di San Sisto oder Sixtinische Madonna da: Maria, das Jesuskind im Arm, auf Wolken schwebend, nebst dem heil. Sixtus (II.) und der heil. Barbara, die höchste Verklärung der Jungfrau als Himmelskönigin, von unaussprechlicher Schönheit und Hoheit der Erscheinung. Das 2,65 m hohe, 1,96 m breite Bild, von Raffael Santi wahrscheinlich 1515 für die Klosterkirche der Benediktiner in Piacenza gemalt, wurde 1753 für 60000 Thlr. vom sächs. Hofe angekauft und ist jetzt das Juwel der Dresdener Galerie. (Hierzu die beiden Tafeln: Sixtinische Madonna, Mittelbild und ¶