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entschiedenen Sieg für die nationalen Parteien. In das Herrenhaus wurden aus den neuen Provinzen 26 Mitglieder berufen, jedoch ohne dem welfischen Adel dabei ein Wahlrecht einzuräumen; 18 Mitglieder ernannte der König, die übrigen wurden von den größern Städten und den Universitäten präsentiert. Mit Waldeck [* 2] wurde ein Vertrag abgeschlossen, wonach P. die Verwaltung des mit Steuern stark belasteten Ländchens übernahm. Mit dem Kurfürsten von Hessen [* 3] kam schon ein Entschädigungsvertrag zu stande, auch mit dem Herzog von Nassau und mit dem König von Hannover, [* 4] dem die Zinsen eines Kapitals von 16 Mill. Thlrn. angewiesen wurden, ohne daß er auf seine Kronansprüche verzichtet hatte.
Als aber der König von Hannover und der Kurfürst von Hessen mit deutlicher Kundgebung von Restaurationsplänen eine preußenfeindliche Agitation unterhielten, jener sogar eine «Welfenlegion» in der Schweiz, [* 5] später in Frankreich aufstellte, verfügte die Regierung 2. und die Beschlagnahme des Vermögens der beiden Fürsten. Das Abgeordnetenhaus genehmigte diese mit der Bestimmung, daß die Wiederaufhebung der Beschlagnahme nur durch Gesetz erfolgen könne.
Mit der Stadt Frankfurt [* 6] einigte sich die preuß. Regierung dahin, daß alle vormals zu Staatszwecken verwendeten Gebäude und Liegenschaften und sämtliche Eisenbahnen in den Besitz des preuß. Staates übergingen, die Schulden vom Staat übernommen und der Stadt Frankfurt als Ersatz für das verlorene Staatseigentum die Summe von 3 Mill. Fl. übergeben wurde, wovon der Staat 2, der König aus seiner Privatkasse 1 Mill. bezahlte. Den gleichzeitigen Verhandlungen des Norddeutschen Reichstags entsprechend, zeigte sich auch in den Arbeiten des Landtags ein liberaler Zug und der beginnende Einfluß der nationalliberalen Partei. Bei der Bewilligung des hannov. Provinzialfonds im Febr. 1868 eröffnete die Regierung die Perspektive, auch auf die alten Provinzen das Princip der Provinzialfonds und der Selbstverwaltung auszudehnen.. Ein vom Minister des Innern, Grafen Eulenburg, vorgelegter Kreisordnungsentwurf, der 16. bis beraten wurde, fand aber noch nicht die Zustimmung der liberalen Fraktionen und wurde deshalb wieder zurückgezogen.
Zur Deckung eines Deficits von 5400000 Thlrn. forderte der Finanzminister von der Heydt Steuerzuschläge von 25 Proz., fand aber den Widerspruch beider Häuser und nahm seine Entlassung. Sein Nachfolger, Camphausen, legte 4. Nov. einen neuen Finanzplan vor, der eine Steuererhöhung unnötig machte, 14. Dez. vom Abgeordnetenhause angenommen und vom Herrenhause genehmigt wurde. Ebenso wurde der Miquel-Laskersche Antrag, die Regierung aufzufordern, ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, daß im Wege der Bundesgesetzgebung die Kompetenz des Norddeutschen Bundes auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt werde, vom Abgeordnetenhause 24. Nov. angenommen. Der Schluß des Landtags erfolgte
Bevor der Landtag wieder zusammentrat, brach der längst drohende Krieg mit Frankreich aus, der mit der gänzlichen Niederlage dieses Staates, mit der Wiedergewinnung der deutschen Provinzen Elsaß und Lothringen und mit der Umwandlung des Norddeutschen Bundes in ein ganz Deutschland [* 7] umfassendes Deutsches Reich endigte. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 203 b fg., und Deutsch-Französischer Krieg von 1870 und 1871.) Die preuß. Heeresverfassung bewährte sich sowohl in der Leistungsfähigkeit der Verwaltung und der Truppenkörper, als auch in der Unerschöpflichkeit des Materials an Reserven und Landwehren. Es wurden sogar aus der preuß. Staatskasse den süddeutschen Staaten die ersten Mobilisierungskosten vorgestreckt.
Der vom bis tagende Landtag trat in seiner Wirksamkeit zurück hinter den Ereignissen des gesamten Deutschland. Am erfolgte die amtliche Verkündigung des «Deutschen Reichs» und 18. Jan. fand im Schlosse zu Versailles [* 8] die feierliche Proklamierung des Königs Wilhelm als Deutscher Kaiser statt.
Den innern Verhältnissen P.s wäre jetzt bei hoher Blüte [* 9] der Finanzen eine Zeit der ruhigen Reformthätigkeit beschieden gewesen, wenn nicht der Konflikt zwischen Kirche und Staat einen unheilvollen Riß in der Bevölkerung [* 10] erzeugt hätte, der bald das gesamte öffentliche Leben störend beeinflußte. Die Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas und die Vernichtung der päpstl. Herrschaft in Rom [* 11] Sept. 1870 hatten eine tiefe Bewegung in den kath. Kreisen hervorgerufen, die von Parteiführern, wie Windthorst u. a., geschickt benutzt wurde zur Förderung ihrer welfischen und poln. Nebeninteressen.
Aus den Landtagswahlen des Nov. 1870 ging eine kath. «Centrumspartei» von beinahe 60 Mitgliedern hervor; 56 Mitglieder derselben forderten den Kaiser Wilhelm durch eine nach Versailles gesandte Adresse auf, für Wiederherstellung der weltlichen Gewalt des Papstes zu wirken. Eine solche Einmischung in die Angelegenheiten einer fremden Macht lag der preuß. Regierung ebenso fern wie eine unmittelbare Bekämpfung des Unfehlbarkeitsdogmas selbst. Als aber der Bischof von Ermland den staatlich angestellten Religionslehrer Wollmann in Braunsberg [* 12] wegen Nichtanerkennung der Unfehlbarkeit suspendierte, erklärte die Regierung ihn in seinem Amte schützen zu wollen, da Wollmann seiner Zeit mit Zustimmung der Kirche berufen sei und nichts anderes lehre, als was er vor dem gelehrt habe. Um fortan konsequent nur nach staatsrechtlichen Gesichtspunkten vorzugehen, hob die Regierung die kath. Abteilung des Kultusministeriums auf.
Sie gewährte auch den hier und da sich bildenden, die Unfehlbarkeit verwerfenden altkath. Gemeinden Schutz. Ferner legte Kultusminister Mühler dem Landtag ein neues Schulaufsichtsgesetz vor, wonach die Aufsicht über alle öffentlichen und privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten dem Staate zustehen, dieser allein das Recht der Ernennung der Orts- und Kreisschulinspektoren haben und der vom Staat erteilte Auftrag jederzeit widerruflich sein sollte. Da das Abgeordnetenhaus wenig Lust bezeigte, mit dem reaktionären Kultusminister dieses Gesetz zu diskutieren, so reichte er seine Entlassung ein. Diese wurde ihm 17. Jan. gewährt und 22. Jan. der Geh. Oberjustizrat Falk zu seinem Nachfolger ernannt. Darauf wurde das Schulaufsichtsgesetz nach heftigem Kampfe mit der Centrumspartei 13. Febr. vom Abgeordnetenhause mit 207 gegen 155 Stimmen und vom Herrenhause 8. März mit 125 gegen 76 Stimmen angenommen. In Übereinstimmung mit dem vom Reichstag ¶
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angenommenen Gesetz über die Ausschließung der Jesuiten und der ihnen verwandten Orden [* 14] aus dem Gebiete des Deutschen Reichs schloß ein Erlaß des Kultusministers vom 15. Juni die Mitglieder geistlicher Orden vom Lehramt an öffentlichen Schulen aus. In mehrern Bezirken wurden weltliche Kreisschulinspektoren angestellt und kath. Geistlichen die Schulaufsicht entzogen. Durch das Vorgehen der preuß. Regierung war die päpstl. Kurie aufs höchste erbittert worden.
Der Papst wies die Ernennung des Kardinals Hohenlohe zum Botschafter des Deutschen Reichs in der schroffsten Weise (3. Mai) zurück und bezeichnete 23. Dez. das Verfahren der deutschen Regierung als ein unverschämtes, worauf der P. vertretende Legationssekretär den Befehl erhielt, sofort Rom zu verlassen. Am legte Kultusminister Falk dem Abgeordnetenhaus vier Gesetze vor, die den Bischöfen die unbedingte Herrschaft über die Geistlichkeit entreißen, die Macht des Klerus über die Laien vermindern, dem Staate die gesetzmäßigen Mittel zur Bestrafung ungehorsamer Bischöfe und Geistlichen verschaffen und eine nationale Bildung des Klerus begründen sollten. Diese vom 11. bis 13. Mai sanktionierten sog. Maigesetze betrafen die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, den Austritt aus der Kirche, die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung eines königl. Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten, die Grenzen [* 15] des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel. Um diese Gesetze in Einklang mit der Verfassung zu bringen, wurden die Art. 15 und 18 derselben, welche die Selbstverwaltung der Kirche aussprachen, auf Antrag des Abgeordnetenhauses geändert. Der preuß. Episkopat aber bestritt dem Staate das Princip, daß die Staatsgesetze die letzte Quelle [* 16] alles Rechts seien. Nach wie vor unterließen die Bischöfe bei der Anstellung und Versetzung der Geistlichen die vorgeschriebene Anzeige beim Oberpräsidenten und wollten die Staatsaufsicht über ihre Konvikte und Seminarien nicht anerkennen. Mehrere derselben wurden von der Regierung geschlossen, Geldstrafen über die renitenten Bischöfe verhängt. Die Regierung ließ eine neue Eidesformel für neu zu vereidigende Bischöfe festsetzen, in die das Gelöbnis gewissenhafter Beobachtung der Staatsgesetze aufgenommen war. Diesen Eid leistete der altkath. Bischof Reinkens, worauf er von der Regierung als kath. Bischof anerkannt wurde und eine Dotation von 16000 Thlrn. erhielt. Die ultramontane Agitation erreichte bei den Neuwahlen zum Abgeordnetenhause einen Gewinn von 27 Mandaten, so daß das Centrum nun 86 Mitglieder zählte. Während die Konservativen infolge ihrer reservierten Haltung in dem kirchlichen Kampfe 59 Sitze verloren, stieg die Zahl der Nationalliberalen um 44 (auf 169).
Den 12. Nov. eröffneten Landtag beschäftigte vor allem der Gesetzentwurf über Einführung der obligatorischen Civilehe. Das Abgeordnetenhaus nahm das Gesetz das Herrenhaus nach heftigem Widerspruch der altkonservativen Elemente 20. Febr. an. Noch heftiger war der Kampf bei der Debatte über die beiden neuen Kirchengesetze, von denen das eine eine Deklaration und Ergänzung des Gesetzes vom über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen enthielt, das andere von der Verwaltung erledigter kath. Bistümer handelte und den Staat vor der Anstellung renitenter Bischöfe sichern sollte. Beide Gesetze wurden vom Abgeordnetenhause 9. Mai, vom Herrenhause 16. Mai angenommen.
Der Kulturkampf nahm in P. immer größere Dimensionen an. Der Verhaftung des Erzbischofs Ledochowski (s. d.) von Posen [* 17] folgte 4. Aug. die des Bischofs Martin (s. d.) von Paderborn. [* 18] Auch der Erzbischof Melchers (s. d.) von Köln [* 19] und der Bischof von Trier [* 20] wurden in das Gefängnis abgeführt, andere Bischöfe zu Geldstrafen verurteilt. In einer Immediateingabe vom an den Kaiser erklärten die preuß. Bischöfe aufs neue, daß die Kirche sich nicht einseitigen Staatsgesetzen und Verordnungen über kirchliche Dinge unterwerfen könne.
Weiter schritt nun der Papst in der Encyklika vom dazu, die neuen Kirchengesetze für ungültig zu erklären und den Gehorsam gegen diese zu verbieten, und ernannte 15. März den gefangenen Erzbischof Ledochowski zum Kardinal. Dem allen gegenüber brachte die Regierung das sog. Sperrgesetz ein, wonach alle Leistungen aus Staatsmitteln an Bischöfe und sämtliche kath. Geistliche eingestellt wurden, solange diese nicht durch eine schriftliche Erklärung zu der Befolgung der Staatsgesetze sich verpflichteten.
Das Sperrgesetz wurde von beiden Häusern angenommen und 22. April als Staatsgesetz publiziert. Die Vorlage über die Aufhebung der Art. 15, 16 und 18 der Verfassung, an die sich die Klerikalen bisher immer geklammert hatten, erhielt 18. Juni Gesetzeskraft. Das 31. Mai vollzogene Klostergesetz schloß alle Orden und Kongregationen der kath. Kirche, außer denen, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmeten, vom preuß. Staatsgebiet aus, setzte die Auflösungsfrist auf sechs Monate fest und verlängerte sie auf vier Jahre nur für die mit dem Unterricht und der Erziehung der Jugend sich beschäftigenden Niederlassungen.
Das Gesetz vom 30. Juni übertrug die Vermögensverwaltung in den kath. Kirchengemeinden einem Kirchenvorstande, von dem der Geistliche ausgeschlossen war, und einer Gemeindevertretung. Ausnahmsweise empfahlen die Bischöfe den Gehorsam gegen dieses letzte Gesetz, aber nur um die Vermögensverwaltung nicht in die Hände der Regierung oder kirchenfeindlicher Gemeindemitglieder geraten zu lassen. Die Reihe der Bischöfe lichtete sich immer mehr. 1878 waren von den zwölf preuß. Bischöfen nur noch drei im Amte, die von Culm, [* 21] von Ermland und von Hildesheim; [* 22] abgesetzt waren sechs; drei Bistümer, Fulda, [* 23] Trier und Osnabrück, [* 24] waren infolge des Todes der Bischöfe vacant und konnten, da die Domkapitel sich über die Besetzung mit der Regierung nicht einigen konnten, vorderhand nicht wieder besetzt werden. Da trat nun durch den Tod Pius' IX. das Ereignis ein, auf das Bismarck schon 1875 seine Hoffnung gesetzt hatte. Ein Papst folgte, der von dem aufrichtigen Wunsche nach Herstellung des kirchlichen Friedens beseelt war.
Bei der Reform der innern Verwaltung war dem preuß. Staate zunächst die Aufgabe gestellt, die namentlich in den untern Staffeln der Landesverwaltung vielfach noch bestehende Disharmonie der neuen mit den alten bureaukratischen und feudalen Institutionen zu heben, die Selbstverwaltung in den Provinzen, Kreisen und Kommunen Schritt für Schritt durchzuführen. Durch Mischung der Selbstverwaltungsbehörden aus Laien und Staatsbeamten wurde vermieden, daß die Eigenheiten und einseitigen Gesichtspunkte der einen oder andern ¶