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freien Veräußerung und Erbteilung ihrer Besitzungen. Mit den wirtschaftlichen, socialen und Verwaltungsreformen Steins und Hardenbergs stehen in engem Zusammenhang die militär. Reformen, die Scharnhorst (s. d.) durchführte; auch ihm schwebte das Ziel vor, zwischen den Bürgern des Staates jeden Unterschied des Standes zu beseitigen und sie alle zum Dienst für den Staat aufzurufen. Das Heer wurde vollständig neu organisiert, die Vorrechte des Adels bei der Besetzung der Offiziersstellen kamen in Fortfall, durch das System der Krümper (s. d.) vermochte Scharnhorst nach und nach an 150000 Soldaten zum Kriegsdienst auszubilden.
Während des Österreichischen Krieges von 1809 war man auch auf preuß. Seite einer Erhebung gegen Napoleon sehr nahe; indes dem stürmischen Drängen der Patrioten wollte der bedachtsame, vorsichtige König nicht nachgeben. Nur Major von Schill (s. d.) unternahm ohne Vorwissen des Königs auf eigene Hand [* 2] einen tollkühnen Kriegszug wider die franz. Unterdrücker. Friedrich Wilhelm, vom Unglück tief gebeugt, hielt jede Schilderhebung gegen Napoleon für aussichtslos.
Als der Konflikt zwischen Rußland und Frankreich ausbrach, trat er nach längerm Schwanken auf die Seite Frankreichs; im Febr. 1812 wurde zu Paris [* 3] ein franz.-preuß. Bündnis unterzeichnet. Erst als das franz. Heer in Rußland vernichtet war, als General Yorck und der ostpreuß. Landtag das Zeichen zur Erhebung gegeben hatten, ließ sich auch Friedrich Wilhelm von der gewaltig anwachsenden Bewegung mit fortreißen. Er erklärte an Napoleon den Krieg und rief 17. März sein Volk zum Befreiungskriege auf. (S. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg von 1812 bis 1815.) P.s Erhebung, seine Ausdauer und Thatkraft führten vorzugsweise in den glorreichen Feldzügen von 1813 bis 1815 zur Befreiung Deutschlands [* 4] aus den Fesseln der Fremdherrschaft.
Infolge der Friedensschlüsse zu Paris (s. Pariser Friede) und des Wiener Kongresses (s. d.) nahm P. seine frühere polit. Stellung wieder ein, indem es zur Entschädigung für seine verlorenen Provinzen und die im Befreiungskriege gemachten Anstrengungen außer den ehemals von ihm besessenen Landesteilen am linken Ufer der Elbe die Hälfte des Königreichs Sachsen, [* 5] das Großherzogtum Posen [* 6] nebst Danzig [* 7] und zu den frühern westfäl. Besitzungen mehrere neue, zu dem ehemaligen Westfalen [* 8] gehörige, ferner das Großherzogtum Berg, das Herzogtum Jülich, den größern Teil der ehemaligen kurkölnischen und kurtrierschen Länder, das Fürstentum Neuenburg [* 9] und Schwedisch-Pommern nebst Rügen erhielt. Dagegen verblieben Ansbach [* 10] und Bayreuth [* 11] bei Bayern, [* 12] und Ostfriesland, Lingen, Goslar [* 13] und Hildesheim [* 14] kamen an Hannover. [* 15] Zugleich trat P. in den neugegründeten Deutschen Bund (s. d.) ein.
3) Vom Wiener Kongreß bis zum Regierungsantritt Wilhelms I. (1815-61). Vergeblich hatten sich die preuß. Staatsmänner auf dem Wiener Kongreß bemüht, dem Deutschen Bunde eine straffere Verfassung zu geben. Der damals schon auftauchende Gedanke, daß P. durch Militärkonventionen mit den kleinern norddeutschen Fürsten sich eine größere Machtsphäre schaffen möge, fand bei den letztern noch keinen Boden, und so blieb denn als Aufgabe für P. jetzt nur übrig, die auseinander liegenden ungleichartigen Teile der Monarchie zu einer staatlichen Einheit zu verschmelzen, im Sinne der Stein-Hardenbergschen Reformen die Verwaltung zu organisieren, Handel und Gewerbe zu beleben, Kunst und Wissenschaft zu fördern und den durch den Krieg erschütterten Wohlstand wieder zu heben.
Zunächst ward der Staat in 10 Provinzen und jede Provinz in Regierungsbezirke geteilt, die verwaltenden Behörden für diese sowie die Oberpräsidentschaften eingesetzt, die Justizpflege durch Errichtung der Land- und Stadtgerichte, der Oberlandesgerichte u. s. w. organisiert und in den neuen Landesteilen, mit Ausnahme des größten Teils der Rheinprovinz [* 16] und Neu-Vorpommerns, das Preuß. Landrecht eingeführt. 1824 wurden die Provinzen Niederrhein und Jülich-Cleve-Berg zur Rheinprovinz, 1829 Ost- und Westpreußen [* 17] zur Provinz P. (bis 1878) verbunden.
Neben die Ministerien mit ihren streng abgegrenzten Geschäftskreisen trat 1817 der Staatsrat zur gründlichen Vorbereitung der neuen Gesetze. Das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht vom und die Landwehrordnung von 1815, beide hervorgegangen aus den Entwürfen des Kriegsministers von Boyen, suchten den Geist, der in den Freiheitskriegen zum Siege geführt hatte, auch in die Organisationen des Friedens zu übertragen. Unendlich schwierig war bei dem gesunkenen Kredit des Staates die Aufgabe der Finanzgesetzgebung.
Wenigstens gelang es 1818-21, die Zolleinheit des Staates auf Grundlage mäßiger einfacher Grenzzölle herzustellen. Zugleich ward die Ausführung eines Netzes trefflicher Kunststraßen begonnen, die Einrichtung der Posten vervollkommnet, 1838 der Bau von Eisenbahnen unternommen. Den größten Aufschwung erhielt der Handel durch den vom Finanzminister Maaßen zwischen P. und den meisten deutschen Staaten 1828-34 zu stande gebrachten Zollverein (s. d.), dem 1838 die allgemeine Münzkonvention und der Vertrag über ein allgemeines Zollgewicht folgte.
Für Förderung der Schulen und höhern Lehranstalten ward unter dem Ministerium Altenstein (seit 1817) ebenfalls auf das Großartigste und Nachhaltigste gesorgt. Außer der 1810 zu Berlin [* 18] errichteten Universität wurde 1818 eine zweite zu Bonn [* 19] gegründet, gegen 70 Gymnasien neu gestiftet, die alten verbessert, Schullehrerseminarien und Volksschulen errichtet und die Gehälter der Lehrer verbessert. Aber die reiche Reformthätigkeit des preuß. Staates im Innern vermochte die öffentliche Meinung noch nicht zu befriedigen.
Vergeblich erwartete die liberale Partei die Erfüllung des in der Verordnung vom gegebenen Verfassungsversprechens. Den mißtrauischen und ängstlichen König erschreckten die sog. demagogischen Bewegungen (s. Demagog). Die Karlsbader Beschlüsse (s. d.) und der Rücktritt der Minister Boyen, Humboldt und Beyme 1819 waren ein verhängnisvoller Wendepunkt, und das Patent vom das die Bildung von Provinzialständen mit beratender Stimme anordnete, blieb die karge Erfüllung der Zusagen von 1815. Mit ganz persönlicher Fürsorge suchte der König das Gedeihen des Kirchenwesens zu fördern, stieß aber bei Gründung der Union (s. d.) 1817 und Einführung der neuen Agende und Liturgie auf heftigen Widerspruch. Der kath. Kirche war man anfangs in dem Konkordat von 1821 über die Errichtung und Dotierung von zwei Erzbistümern und sechs Bistümern weit entgegengekommen; schließlich aber geriet doch die Regierung mit der kath. Kirche in harten Konflikt (der sog. Kölner [* 20] Kirchenstreit), als der Erzbischof zu Köln, [* 21] Droste zu Vischering (s. d.), ¶
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1836, im Widerspruch mit seiner frühern offiziellen Erklärung, die gemischten Ehen der Protestanten und Katholiken ohne das Versprechen einer kath. Kindererziehung als ungesetzlich verbot. Ihm schloß sich 1838 Dunin (s. d.), der Erzbischof von Gnesen, an.
So waren bei dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. (s. d., 1840-01) große Schwierigkeiten im Innern vorhanden. Auf den kirchlichen, wissenschaftlichen und polit. Gebieten hatten sich Ansprüche erhoben, die nach einer Reform der noch ziemlich absoluten Verwaltungsgrundsätze und des ganzen Staatssystems hindrängten. Vor allem trat an die Regierung die Forderung heran, den auch in P. mächtig vordringenden konstitutionellen Ideen in klarer und bestimmter Weise gerecht zu werden.
Aber Friedrich Wilhelm, erfüllt von den Ideen einer mittelalterlichen Romantik, war nicht der Mann einer polit. Reformthätigkeit. Gleich bei der Huldigung in Königsberg [* 23] erklärte er dem preuß. Landtag, der um Einführung einer allgemeinen Landesvertretung bat, die Provinzialstände sollten erhalten, Reichsstände nicht eingeführt werden. Die Negierung ließ sich zu nichts Weiterm herbei als zur Abschaffung der Censur für Bücher über 20 Bogen [* 24] und zur Berufung der ständischen Ausschüsse sämtlicher Provinziallandtage nach Berlin 1842. (S. auch Deutschland [* 25] und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 185 a.) In der noch nicht geordneten Angelegenheit der kath. Kirche bewies die Regierung große Schwäche. Es wurde auch eine kath. Abteilung im Kultusministerium eingerichtet, die sich freilich bald zur Vertreterin der kirchlichen Interessen gegenüber der Staatsregierung hergab.
Die ultramontane Propaganda nahm infolgedessen in P. wieder mächtigen Aufschwung. Die deutsch-kath. Bewegung seit 1844, der Aufstand in Polen (1846), allerdings nur ein Ausbruch des poln. Nationalgeistes, und einige Reibungen zwischen Civil und Militär, namentlich in der Rheinprovinz, vermehrten die Erregung der Gemüter. Nach jahrelangem Schwanken trat der König endlich mit dem Patent vom hervor, das die Landstände der Provinzen in den Vereinigten [* 26] Landtag zusammenzog, der bei neuen Staatsanleihen, bei Einführung neuer oder Erhöhung der bestehenden Steuern seine Zustimmung geben und bei der Gesetzgebung eine beratende Stimme haben sollte.
Ein Ausschuß sollte sich periodisch, wenigstens alle vier Jahre, versammeln, während die Einberufung des vollen Vereinigten Landtags nur in Steuersachen und etwaigen weitern Verfassungsänderungen stattzufinden hatte. Jedoch nur die Herrenkurie des Landtags zeigte sich im ganzen regierungsfreundlich, aber in der Dreiständekurie (dem Unterhause) trat eine geschlossene Phalanx der Liberalen auf, deren Anträge das Kabinett teils stillschweigend überging, teils verwarf, so daß der im Juni 1847 geschlossene Landtag im ganzen Volke einen entschiedenen Mißklang zurückließ, der sich noch steigerte, als die im Jan. 1848 versammelten Ausschüsse als einzige Vorlage die Durchberatung eines neuen Strafgesetzbuchs erhielten, nicht, wie allgemein erwartet, Modifikationen in der Verfassung.
Die Verkündigung der franz. Republik gab der Reformbewegung sofort einen andern Charakter. Hatte bisher die konstitutionelle Frage im Vordergrunde gestanden, so belebte jetzt der gewaltige Anstoß der franz. Ereignisse in ganz Deutschland und die von Westen drohende Gefahr auch wieder den Wunsch nach festerer nationaler Einigung und nach Reorganisation des Deutschen Bundes. Inmitten der allgemeinen und tiefen Aufregung schloß der König (6. März) den Vereinigten Ausschuß mit der Erklärung, die diesem bereits gewährte Periodicität auf den Landtag übertragen zu wollen. Während so die Regierung die Gewalt der Bewegung unterschätzte und in gefährlicher Sorglosigkeit der Meinung war, mit zögernden Konzessionen ihrer Meister bleiben zu können, fanden in Berlin bereits stürmische Volksversammlungen statt, und vom 14. bis 16. März kam es zu blutigen Konflikten zwischen dem Volke und dem Militär. Vergebens erließ die Regierung ein Patent, welches den Vereinigten Landtag auf den 27. April einberief und die Maßregeln der deutschen Reform von einem nach Dresden [* 27] zu berufenden Fürstenkongreß abhängig machte. Am 18. März endlich wurde ein königl. Patent erlassen, welches die Presse [* 28] sofort freigab, den Vereinigten Landtag auf den 2. April einberief und zu einer Umwandlung des Deutschen Bundes in einen Bundesstaat, zur Regeneration Deutschlands mitzuwirken versprach. Mitten in der Freude über diese Zusagen gaben in Berlin einige verhängnisvolle Schüsse, von denen es schwer zu sagen ist, ob Zufall oder Absicht die Schuld daran trug, am Nachmittag desselben Tages den Anlaß zu dem blutigen Zusammenstoß zwischen Militär und Volk (Märzrevolution).
Der König, namenlos erregt durch das Blutvergießen, verhieß in einem Ausruf «An meine lieben Berliner!» in der Frühe des 19. März, die Truppen zurückzuziehen, falls man die Barrikaden räume, ließ aber, als man in ihn drang, auch ohne Erfüllung dieser Bedingung die Truppen zurückgehen und berief ein neues Ministerium, in das zunächst Graf A. von Arnim, Graf Schwerin [* 29] und Alfred von Auerswald berufen wurden; in den nächsten Tagen wurde es durch den Eintritt Bornemanns, Lage, Grenzen Camphausens und des Freiherrn A. H. von Arnim ergänzt. Am 22. März wurde der König gezwungen, dem Leichenzuge der gefallenen Barrikadenkämpfer vom Balkon des Schlosses aus seine Achtung zu bezeigen.
Der König näherte sich der Bevölkerung [* 30] in sehr versöhnlicher Weise, erließ eine polit. Amnestie, die auch auf die gefangenen Polen ausgedehnt war, und genehmigte die Errichtung einer Bürgerwehr zum Schutze der Stadt und des Schlosses, während der Prinz von P. (der spätere Kaiser Wilhelm), dem die aufgeregte Stimmung die Schuld an den Vorgängen zuschrieb, sich nach England begab. Am 21. März machte der König, mit den deutschen Farben geschmückt, einen Umritt durch Berlin und erklärte dem Volke, sich an die Spitze der deutschen Bewegung stellen zu wollen. Am 29. März ward das Ministerium weiter im liberalen Sinne reorganisiert, indem Camphausen statt des Grafen Arnim an die Spitze trat und Hansemann die Finanzen übernahm. Am 2. April trat der Vereinigte Landtag zusammen und genehmigte das von der Regierung vorgeschlagene Wahlgesetz zur Berufung einer konstituierenden Nationalversammlung. Gleichzeitig entstanden Konflikte in Neuenburg (s. d.) und in der Provinz Posen; General Willisen schlug die aufständischen Polen und zwang sie 9. Mai zur Unterwerfung. Inzwischen war in Frankfurt [* 31] jene Umgestaltung des Bundestags (s. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 187 fg.) vorgegangen, die diese Behörde unter den Einfluß des Vorparlaments und Fünfziger-Ausschusses stellte. P. hatte schon ¶