mehr
begegnen und glei
chsam Verständigung suchen müssen, um ihr Gebiet, nach den eigenen, innern Gesetzen des
Bewußtseins selbst,
gegenei
nander zu begrenzen. Es ist von Kants großen Entdeckungen vielleicht eine der genialsten, daß jene Forderungen alle,
die wir mit einer
ziemlich unbestimmten Bezeichnung der «praktischen»
Sphäre zuweisen
, ihren genauen Zusammenhang mit der
theoretischen
Vernunft darin haben, daß sie ihr wahres und ei
gentümliches Objekt, in scheinbar unversöhnlichem Gegensatz
zu jener, überhaupt nicht im Felde der Erfahrung (d. h. jenes unbegrenzten Fortschrittes der
Erkenntnis, der, eben weil unbegrenzt, des
Abschlusses in einer Erkenntnis des Gegenstandes, wie er
«an sich» wäre, unfähig
ist), sondern an der äußersten, bloß idealen Grenze derselben suchen, die wir denken und fordern,
aber mit keiner wirklichen Erkenntnis zu erreichen vermögen.
Denn sie alle, am ersichtlichsten die sittliche Erkenntnis und auf ihrem
Grunde die religiöse, tiefer ergründet aber auch
die ästhetische, verlangen einen Halt am
Ewigen, Unwandelbaren,
Unbedingten, der doch in der stets bedingten
Erfahrung unerreichbar ist. Kants Lösung besteht hier darin, daß das
Unbedingte, wenngleich nicht erkannt, doch gedacht
werden kann und sogar muß, daß es aber in praktischer (besonders sittlicher)
Absicht (da es hier um ein
Sollen, nicht um
ein Sein zu thun ist) auch nicht erkannt, sondern bloß gedacht zu werden, bloß als Idee, d. h.
als
Gesichtspunkt der Beurteilung festzustehen braucht. Gesetzt nun auch, diese Lösung wäre unzutreffend oder wenigstens
unzureichend, so bleibt dennoch gewiß, daß eine Lösung nirgends anders als auf dem eigenen
Boden des
Bewußtseins und seiner
innern Gesetzmäßigkeit gefunden werden kann. Und so dürfte auch nach dieser
Richtung die kritische
Wendung der Philosophie
Fortschritte verheißen.
Wenn nun solchergestalt in jeder sachlichen Rücksicht der neue, von Kant entdeckte
Sinn der philos.
Aufgabe sich bewährt,
so gewinnen wir damit schließlich auch eine sichere Grundlage des Verständnisses und der Beurteilung alles dessen, was
in der Philosophie
von deren Anfängen an erstrebt worden ist. Die Geschichte der Philosophie
zeigt
unter diesem neuen
Gesichtspunkte einerseits mehr Zusammenhang, indem jenes wahre Ziel derselben, wie sehr auch verfehlt,
doch in irgend einem
Grade fast stets, den Forschenden selbst nur halb bewußt, angestrebt wurde; nur daß man stets geneigt
war, die innern, im
Bewußtsein selbst wurzelnden Zusammenhänge in die Gegenstände zu verlegen und gleichsam
zu projizieren; zugleich begreifen sich eben aus diesem Grundirrtum des Dogmatismus, der namentlich die stete Verwirrung
der philos. mit der objektiv-wissenschaftlichen
Aufgabe und ferner der theoretischen mit praktischen, religiösen und ästhetischen
Begriffen so erklärlich macht, die zahllosen Irrungen und
Widersprüche, mit ihrer unvermeidlichen Konsequenz,
der Skepsis. (Daher sind die drei natürlichen
Stufen im Entwicklungsgange der Philosophie:
Dogmatismus, Skepticismus, Kriticismus
(s. Kritik.) So sind im
Altertum die
Keime des Kriticismus bei
Sokrates und
Plato bereits sehr deutlich zu erkennen (s.
Griechische Philosophie).
Aristoteles freilich wandte sich, trotz reichlicher
Aufnahme Platonischer Elemente, zu einem sehr entschiedenen
Dogmatismus zurück, der seitdem, namentlich im Mittelalter infolge der grundsätzlichen Verquickung der Philosophie
mit
der
Theologie (s.
Scholastik), in kaum bestrittener Herrschaft sich behauptete, bis die moderne
Reform der Wissenschaften auch der Philosophie
neues Leben einflößte. Auch dann sind es die
Keime kritischer
Reflexion
[* 2] (so in
Descartes), die ihre wichtigsten Etappen bezeichnen; bis sie endlich bei Kant zu einer radikalen
Reform führte, die wohl
bei keinem seiner Nachfolger ganz ohne
Frucht bleiben konnte, obwohl sie zu einer dauernden und allgemeinen Herrschaft bis
heute nicht gelangt ist. (S.
Französische Philosophie,
Englische Philosophie,
[* 3]
Deutsche Philosophie.)
[* 4]
Litteratur. Außer den ältern Werken von Brucker, Buhle, Tennemann, Degérando vgl. Ritter, Geschichte der Philosophie (12 Bde., Hamb. 1829-53);
Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (2. Aufl., 3 Bde., Berl. 1840-44);
Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie (3. Aufl., 2 Bde., ebd. 1878);
Lewes, The history of philosophy from Thales to the present day (5. Aufl., 2 Bde., Lond. 1880; auch in deutscher Übersetzung, Berl. 1873 u. 1876);
Überweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie (7. Aufl., 3 Bde., besorgt von Heinze, Berl. 1888; besonders reich an Litteraturangaben);
Schwegler, Geschichte der Philosophie im Umriß (15. Aufl., Stuttg. 1891);
Bergmann, Geschichte der Philosophie (2 Bde., Berl. 1892-93);
Windelband, Geschichte der Philosophie (Freib. i. Br. 1892);
Cousin, Histoire générale de la philosophie (11. Aufl., Par., 1893);
Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie (Bd. 1, Abteil. 1, Lpz. 1894).