mehr
9 Sophia, wußte dies zu vereiteln. Ein Aufstand, bei dem sie sich zum erstenmal der Strelitzen bediente, brachte es dahin, daß Iwan und Peter zwar zugleich als Zaren ausgerufen wurden, der Haupteinfluß der Regierung aber an Sophia fiel. Während nun Sophia nach der Alleinherrschaft strebte, bildete sich der junge Zar auf dem Lustschlosse Preobrashenskoje bei Moskau [* 2] zu seinem großen Berufe aus. Geschickte Ausländer, wie der Artillerieoffizier Franz Timmermann aus Straßburg, [* 3] der Schotte Patrick Gordon (s. d., Bd. 8, S. 164a) und der Genfer Franz Lefort (s. d.), wurden seine Lehrer in Mathematik und Kriegswesen. Durch seine Vermählung mit Eudoria Feodorowna Lopuchin erlangte er unter den großen Familien des Reichs einen bedeutenden Anhang und benutzte nun die unglückliche Führung des Krieges in der Krim [* 4] durch den Günstling Sophias, Wassilij Golizyn, um von diesem und seiner Schwester im Staatsrat, wo er seit 1687 Sitz und Stimme genommen hatte, Rechenschaft über ihre Verwaltung und die Anmaßung des höchsten Titels zu verlangen.
Sophia wandte sich jetzt an die altruss. Partei, deren Mißfallen Peter durch seinen Verkehr mit den Ausländern erregt hatte, und machte durch ihre Strelitzen einen mörderischen Anschlag auf den in Preobrashensk weilenden jungen Zaren. Peter aber, rechtzeitig gewarnt, entfloh nach dem Troizkijkloster und rief den Adel sowie die disciplinierten Truppen unter den fremden Offizieren zu feiner Hilfe herbei. Die Hauptschuldigen wurden ergriffen und zu Tode geknutet oder nach Sibirien verbannt, Sophia selbst wurde in ein Kloster verwiesen. Im Sept. 1689 hielt Peter in Moskau seinen Einzug als Alleinherrscher, obwohl er der Form nach die Mitregentschaft seines Bruders Iwan bis zu dessen Tode beibehielt.
Vor allem schuf er jetzt ein europäisch geschultes Heer, mit dem er zunächst im Innern gegen das Altrussentum eine gesicherte Stellung gewann. Ebenso legte er den Grund zu einer Flotte, welche die Herrschaft auf der Ostsee und dem Schwarzen Meere begründen sollte. Am wurde die türk. Seemacht geschlagen und durch die von Gordon geleitete Belagerung Asow zur Übergabe gezwungen. Im April 1697 trat Peter, nicht als Zar, sondern als Mitglied einer Gesandtschaft, eine Reise ins Ausland an, auf der er die Ostseeprovinzen und Deutschland [* 5] besuchte und in dem Holland.
Orte Saardam sich unter dem Namen Peter Michailow als Arbeiter niederließ, um den Schiffbau zu erlernen. Von dort ging er nach England. Er war in Wien, [* 6] als ihn die Nachricht von einer neuen Empörung der altruss. Partei, die sich noch auf die Strelitzen stützte, heimrief. Als er Aug. 1698 in Moskau eintraf, hatte Gordon den Aufstand bereits gestillt. Peter hielt nun ein blutiges Strafgericht über die Schuldigen; an 1000 Menschen mußten sterben. Peter selbst soll sich am Foltern und Hinrichten beteiligt haben.
Viele wurden nach Sibirien verbannt, das Korps der Strelitzen aufgehoben. Auch seine Gemahlin Eudoria, die eine Anhängerin des Altrussentums war, ward in ein Kloster gebracht. Es begann nun die Epoche der rücksichtslosesten Reformen. Die Erhebung der öffentlichen Abgaben wurde vereinfacht, die Nationalkleidung beschränkt, die langen Bärte beseitigt, gegen die orient. Abgeschlossenheit der Frauen angekämpft, das Reisen ins Ausland befördert, Straßen und Kanäle angelegt, Buchdruckereien und Schulen gestiftet und dem Aberglauben entgegengewirkt. Peter errichtete den Senat, stiftete zehn Regierungskollegien zur Verwaltung des Reichs, schuf einen neuen Beamtenadel durch die Errichtung des Tschin (s. d.), gab den Städten eine Gemeindeverwaltung, änderte das Gerichtswesen, setzte aber auch die berüchtigte geheime Kanzlei zur Bekämpfung des Widerstandes gegen seine Umformungen ein. Die Raskolniken (s. d.) suchte Peter durch eine milde Behandlung mit den Rechtgläubigen zu versöhnen, das Mönchswesen verbesserte er. Um die Macht des Klerus zu beschränken, ließ der Zar nach dem Tode des Patriarchen Adrian zu Moskau diese Würde unbesetzt, hob sie 1721 ganz auf und vereinigte in sich und dem von ihm geleiteten Allerheiligsten Synod die höchste geistliche und weltliche Macht.
Durch August II. von Polen bestimmt, nahm Peter teil an dem Nordischen Kriege gegen Karl XII. von Schweden, [* 7] wurde aber bei Narwa von Karl geschlagen. Während des Krieges legte er den Grund zur Stadt Petersburg, [* 8] das er bald zur bleibenden Residenz erkor. Karls XII. Verweilen in Polen und Sachsen, [* 9] dann sein unglücklicher Zug nach Rußland gaben dem Zaren Gelegenheit, in der Schlacht bei Poltawa die schwed. Armee zu vernichten. Darauf eröffnete er, nachdem er zuvor seinen Triumph in Moskau gefeiert, den Feldzug in Livland [* 10] und Karelien.
Wiborg
[* 11] und Gerhold wurden 1710 erobert,
Riga,
[* 12] Pernau,
Regal durch
Vertrag gewonnen und mit diesen Plätzen
ganz Livland und
Karelien. Eine schlimme
Wendung aber nahm im folgenden Jahre der türk.
Krieg, den
Karl XII. angestiftet hatte. Peter, am Pruth
von den fünffach überlegenen Feinden eingeschlossen, verlor hier beinahe
Thron
[* 13] und Leben und mußte
froh sein, im Frieden am Pruth, gegen die Aufopferung
Asows seine Rettung erkaufen zu können. Zur Herstellung
seiner Gesundheit ging er hierauf noch im Herbst 1711 nach Karlsbad und feierte auf der Rückkehr in
Torgau
[* 14] bei der Königin von
Polen die Vermählung seines einzigen
Sohnes
Alexej mit der Prinzessin Charlotte von
Braunschweig-Wolfenbüttel.
Seine Vermählung mit Katharina (s. Katharina I.), die bei der Einnahme von Marienburg [* 15] mit weggeführt worden war und deren Treue ihn im türk. Kriege gerettet hatte, feierte er in Moskau, nachdem er ihr 1707 heimlich angetraut worden war. Mitten im Kriege hatte er eine Verschwörung der altruss. Partei zu dämpfen, welche sein eigener Sohn Alexej gegen ihn anstiftete. (S. Alexej Petrowitsch.) Erst nach dem Tode Karls XII. beendigte Peter den Krieg mit Schweden, der ihm im Nystader Frieden 1721 die Abtretung Livlands, Esthlands und Ingermanlands brachte.
Nach dem Frieden nahm Peter den Titel eines Kaisers aller Reussen an. Wenige Monate später erklärte er seine Tochter Elisabeth für volljährig und bestimmte zugleich daß es dem Herrscher freistehen solle, zur Thronfolge zu berufen, wen er wolle: eine Änderung der Erbfolge, die Rußland viele Erschütterungen bereitet hat. Ein Krieg mit Persien [* 16] 1722-23 erwarb ihm die Städte Derbent und Baku und die Provinzen Gilan, Masenderan und Astrabad. Die Verhütung der Überschwemmungen, welche Petersburg im Herbst oft erleiden mußte, die Fortsetzung des Ladogakanals, die Errichtung einer Akademie der Wissenschaften die aber erst 1726 eröffnet wurde, die Fortführung seiner Reformen und ein neuer ¶
mehr
10 Handelsvertrag mit Schweden beschäftigten Peter in den letzten Jahren seines Lebens. Am verlobte er seine Tochter Anna mit dem Herzog Karl Friedrich Ulrich von Holstein. Er starb 8. Febr. Da er keine Verfügung bezüglich der Thronfolge getroffen hatte, folgte ihm seine Gemahlin Katharina I. Das Peter zugeschriebene polit. Testament hat niemals existiert und ist erst 1812, wahrscheinlich auf Napoleons Anordnung, in Paris [* 18] geschrieben worden. (Vgl. Berkholz, Napoléon Ier, auteur du Testament de Pierre le Grand. Brüss. 1863; deutsch Petersb. 1877; ferner: Les auteurs du Testament de Pierre le Grand, Par. 1872.) 1782 ward sein Denkmal von Falconet, Peter zu Pferde [* 19] einen Granitfels hinauffsprengend, auf dem Admiralitätsplatze zu Petersburg enthüllt.
Vgl. Ustrjalow, Istorija carstvovanija Petra Velikago, Bd. 1-6 (Petersb. 1858-63);
Herrmann, Rußland unter Peter d. Gr. (Lpz. 1872);
Bernhardi, Geschichte Rußlands, Bd. 2 (ebd. 1875);
Brückner, Peter d. Gr. (Berl. 1880);
Miljukow, Die Staatswirtschaft Rußlands zu Anfang des 18. Jahrh. und die Reform P.s d. Gr. (russisch, Petersb. 1892);
Minzloff, Pierre le Grand dans la littérature étrangère (ebd. 1872);
Schmurlo, Peter d. Gr. in der russ. Litteratur (russisch, ebd. 1889).