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suchten mit ihren Führern Zuflucht in den Moor- und Gebirgsgegenden an der Grenze von Nepal, von wo aus sie von Zeit zu Zeit Streifzüge in die Niederungen von Oudh und die Bezirke von Gorakhpur unternahmen. Doch fügten sich die meisten Häuptlinge dem Machtgebot, und im Dez. 1858 war ganz Oudh wieder unterworfen. Die letzten Reste der Insurgenten flüchteten über die Grenze nach Nepal, unter ihnen auch Nana Sahib. Seit Frühjahr 1859 fand nur noch eine Art Treibjagd auf die Rebellen statt. Auch trug Lord Canmngs weise Mäßigung viel zur Dämpfung der Unruhen bei.
Das wichtigste Ergebnis des großen Kampfes von 1857 und 1858 war die Aufhebung der Ostindischen Compagnie. Nachdem das neue India-Gesetz die Zustimmung des brit. Parlaments erhalten hatte, wurde feierlich in Ostindien [* 2] verkündet, daß die Königin von Großbritannien [* 3] die Regierung unmittelbar übernommen habe. Der Generalgouverneur wurde zum Vicekönig ernannt, alle Beamten der Compagnie in ihren Ämtern bestätigt. Die Königin versprach, alle Verträge und Verpflichtungen gegen die einheimischen Fürsten zu erfüllen und das Reich innerhalb der bestehenden Grenzen [* 4] zu erhalten.
Niemand solle das Christentum aufgedrängt, keiner wegen seiner Religion begünstigt oder belästigt werden. Ein jeder solle, ohne Unterschied des Glaubens und der Abstammung, «soweit als möglich», frei und unparteiisch Zulassung zu allen Ämtern haben. Alle an ererbtem Grundbesitze haftenden Rechte sollten geachtet, bei allen Gesetzen und Anordnungen der Fortbestand der vorhandenen Gerechtsame, Bräuche und Sitten berücksichtigt werden. Solchen Rebellen, die nicht unmittelbar an dem Mord brit. Unterthanen teilgenommen hatten, wurde, wenn sie zu ihrer Pflicht zurückkehrten, vollständige Amnestie zugesichert. Alle Großen Indiens wurden zu Lehnsleuten und Unterthanen der brit. Majestät erklärt.
Seit der Unterdrückung des Aufstandes 1857-58 hat die Geschichte O.s hauptsächlich in eifrigen Bemühungen um die Entwicklung der materiellen Hilfsquellen des Reichs und in der Reform seiner innern Verhältnisse bestanden. Wenn man die Teilnahme der ostind. Armee an den Kriegen in China [* 5] (1860-61) und in Abessinien (1867-68) ausnimmt, so haben bis 1878 die Waffen [* 6] in Ostindien geruht. Lord Elgin leitete die Politik der innern Reformen ein, die von seinen Nachfolgern, dem Lord Lawrence und dem Grafen Mayo, weiter verfolgt wurde.
Verwicklungen mit den von England unabhängigen malaiischen Fürsten auf der Halbinsel Malaka (1876) sowie solche mit den Afghanen (1877) gelangten zu friedlicher Schlichtung. Dagegen rafften furchtbare Hungersnöte, besonders in den J. 1866, 1875-77, viele Hunderttausende von Eingeborenen weg. 1875-76 machte der Prinz von Wales eine Rundreise durch Ostindien. Diese kann als Vorbereitung zu der Ernennung der Königin Victoria [* 7] zur Kaiserin von Indien betrachtet werden, die 1876 im engl. Parlament zur Verhandlung kam und trotz vielfachen Widerstandes endlich angenommen wurde. Am wurde die Königin Victoria in Gegenwart fast aller zu der engl. Regierung in dem Verhältnisse von Vasallen oder Bundesgenossenschaft stehenden eingeborenen Fürsten von dem Generalgouverneur-Vicekönig in Dehli feierlich als Kaiserin von Indien proklamiert.
Ihr Repräsentant in Ostindien ist der an die Spitze der ganzen Civil- und Militärverwaltung gestellte Vicekönig-Generalgouverneur (Governor-general of India in Council). Durch Erlaß der Königin Victoria vom wurde der Orden [* 8] des Indischen Reichs sowie für die königl. Prinzessinnen, die Gemahlinnen ind. Fürsten und für andere Frauen von Auszeichnung der kaiserl. Orden der Indischen Krone gegründet, nachdem bereits der Orden des Sterns von Indien gestiftet worden war. Über die Kämpfe in den J. 1878-80 mit Afghanistan [* 9] s. d. (Geschichte). Der Staat Maisur (s. d.), der seit 1830 unter brit. Verwaltung stand, wurde im März 1881 dem inzwischen majorenn gewordenen einheimischen Fürsten zurückgegeben.
Die Stelle eines Vicekönigs oder Generalgouverneurs bekleidete 1876-80 Lord Lytton, 1880-84 Marquis of Ripon, dessen den Eingeborenen freundliche Gesetzgebung die Hoffnungen der Inder auf Beteiligung an der Regierung ihres Landes neu belebte, bei den Engländern Indiens aber einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Diese Bestrebungen der Inder fanden ihren Ausdruck in den seit 1885 alljährlich stattfindenden Nationalkongressen (s. Hindubewegung). Die Schwierigkeit der innern Lage sowohl wie auch die drohende Annäherung der Russen im Nordwesten veranlaßte die brit. Regierung, als Nachfolger Lord Ripons einen bewährten Diplomaten, Lord Dufferin, zum Vicekönig zu ernennen.
Während seiner vierjährigen Amtszeit, von Mitte Dez. 1884 bis Mitte Dez. 1888, hatte Lord Dufferin sich demnach zwei Hauptaufgaben zu widmen: der Beruhigung und Versöhnung der Geister im Innern und der Festigung des Reichs nach außen. Dem mächtigen Fürsten Sindhja wurde die bisher von den Engländern besetzte Festung [* 10] Gwaliar zurückgegeben. Außerdem wurde eine Kommission eingesetzt, die in den großen Städten Indiens Protokolle über die Wünsche der Inder betreffs ihrer Beteiligung an der Regierung (civil service) aufnahm und dadurch das Material zu einer 1890 durchgeführten Reform zusammentrug.
Eine Klärung der Verhältnisse an der Nordwestgrenze war durch das Vorgehen Rußlands in der Turkmenensteppe sowie besonders durch die Besitzergreifung Merws nötig gemacht worden. Dufferin lud daher den Emir Abd ur-Rahman von Afghanistan zu einem großen Darbar nach Rawalpindi im Pandschab ein, um das Bundesverhältnis zwischen Afghanistan und Indien zu festigen, während gleichzeitig eine russ.-engl. Kommission die Nordwestgrenze Afghanistans festsetzte. Der Emir erschien; aber die Nachricht, daß der afghan. Ort Pendschdeh am Murghab trotz der Anwesenheit engl. Grenzkommissionsmitglieder von den Russen mit Waffengewalt genommen und daß englischerseits nichts dagegen geschehen sei, schwächte die Wirkung des Darbar bedeutend ab.
Im J. 1885 wurde Oberbirma erobert und mit dem brit. Reiche vereinigt. Die Kosten dieses Feldzugs hatte Ostindien zu tragen, wo infolgedessen 1886 die Steuern erhöht wurden. Im Okt. 1886 fanden blutige Zusammenstöße zwischen Mohammedanern und Hindus statt, die durch das Einschreiten der Truppen unterdrückt werden mußten. Fünf Regimenter ind. Eingeborener wurden unter General Roberts nach Oberbirma abgeschickt, um den dort ausgebrochenen Aufstand niederzuschlagen. Verschiedene andere militär. Expeditionen geringern Umfangs wurden während der Amtsdauer Lord Dufferins ¶
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unternommen, so 1888 die Expedition nach Sikkim gegen die Sikkimer und Tibetaner, die gleichartige Expedition gegen die Siahposch am Indus in Kohistan und gegen die Luschai in den Gebirgen zwischen Assam und Oberbirma. Der afghan. Kronprätendent Ejjub-Chan wurde 1887 in Persien [* 12] den Engländern ausgeliefert und in Rawalpindi interniert.
In allen Feldzügen, die England unternahm oder beabsichtigte, wurden die ind. Truppen zugleich mit den englischen zur Wahrung der brit. Interessen verwendet, und zwar nicht bloß in dem Grenzlande Afghanistan, sondern auch an entlegenen Punkten. Als 1878 ein engl.-russ. Krieg auszubrechen schien, wurden 6000 Mann ind. Truppen von Bombay [* 13] nach Malta gebracht, und an dem Feldzuge, den die Engländer 1882 in Ägypten [* 14] gegen die Armee des rebellischen Arabi unternahmen, nahm eine ind. Division von 10000 Mann unter General Macpherson teil. Es war bezeichnend für die engl. Regierung, daß sie sämtliche Kosten des Krieges von 1878 und 1879 mit Afghanistan sowie auch die des birman.
Feldzuges Indien aufbürdete und sogar die Übernahme der Kosten für die Teilnahme des ind. Kontingents an dem ägypt. Feldzuge (1142000 Pfd. St.) dem ind. Staatsschatz zuwies. Gegen die Verwendung der ind. Truppen für europ. Zwecke protestierte 1878 vergeblich die Opposition des Parlaments. Als Nachfolger Lord Dufferins wurde im Dez. 1888 Lord Lansdowne Vicekönig von Indien. Unter seiner Amtsführung wurde 1891 ein Zug gegen den Schutzstaat Manipur unternommen, wo der engl. Generalkommissar von Assam, der sich zur Schlichtung von Thronstreitigkeiten dorthin begeben hatte, mit seinem Gefolge ermordet war.
Die Engländer übten rasche Vergeltung und ließen den Regenten hinrichten. Die Besetzung des Pamir [* 15] durch die Russen bot den Engländern Veranlassung, sich 1892 des südlich vom Hindukusch gelegenen Chanats Tschitral und der wichtigen dortigen Gebirgspässe zu bemächtigen und im folgenden Jahr durch einen besondern Gesandten, Sir Mortimer Durand, das Schutzbündnis mit dem Emir von Afghanistan zu erneuern. Dagegen duldete die brit. Regierung die Vergewaltigung Siams durch Frankreich ohne Widerspruch und schloß einen Vertrag mit Frankreich, worin diesem das gesamte auf dem linken Ufer des Me-kong liegende Gebiet zugesprochen und das Königreich Siam neutralisiert wurde. Aufs härteste litt Ostindien durch den stetigen Fall des Silberpreises, so daß es sich endlich zur Sistierung der freien Silberprägung veranlaßt sah, wodurch wieder sein Export nach den übrigen ostasiat. Ländern, die Silberwährung besitzen, geschädigt wurde. Im Nov. 1893 legte Lord Lansdowne sein Amt als Vicekönig nieder, und Lord Elgin trat an seine Stelle.
Litteratur zur Geschichte. Lassen, Ind. Altertumskunde (4 Bde., Bonn [* 16] 1844-62; 2. Aufl., Bd. 1, Lpz. 1867; Bd. 2, 1873);
von Orlich, Indien und seine Regierung (2 Bde., Lpz. 1859-61);
Elliot, The history of India comprising the Muhammedan period (8 Bde., Lond. 1867-77);
Wheeler, The history of India form the earliest ages (Bd. 1-4, ebd. 1867-81);
Torrens, Empire in Asia, how we came by it (ebd. 1872);
Kaye, History of the Sepoy war in India (3 Bde., ebd.; Bd. 1, 4. Aufl. 1865; Bd. 2, 5. Aufl. 1881; Bd. 3, 2. Aufl. 1876) und dessen Fortsetzung: Malleson, The History of the Indian Mutiny (3 Bde., ebd. 1879-80);
Markham, Statement exhibiting the moral and material progress and condition of India (Bd. 1-6, ebd. 1873 fg.);
Ghose, The modern history of the Indian Chiefs, Rajas and Zamindars (2 Bde., Kalkutta [* 17] und Lond. 1883);
Trotter, History of India under Queen Victoria (2 Bde., Lond. 1887);
Statistical abstract relating to British India from 1879/80 to 1891/92 (ebd. 1893);