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mit Rußland, das die orient. Politik Österreichs mit Eifersucht beobachtete, wurden unter Vermittelung Preußens [* 2] freundschaftlichere Beziehungen hergestellt, besonders durch die Bemühungen des russ. Ministers von Giers, der im Jan. 1883 einen Besuch in Wien [* 3] machte. Die Drei-Kaiser-Zusammenkunft in Skierniewice (in Polen) und der Besuch, den Alexander III. dem Kaiser Franz Joseph 25. und in Kremsier machte, schienen das gute Verhältnis beider Reiche zu befestigen. Als aber Rußland gegen Bulgarien [* 4] trotz der Abdankung des Fürsten Alexander eine entschieden feindselige Haltung einnahm und man besonders nach der Wahl des Prinzen Ferdinand von Coburg-Kohary die Einmischung Rußlands fürchten mußte, hielt es auch Österreich [* 5] für seine Pflicht, sich kriegsbereit zu machen, da es eine einseitige Besetzung Bulgariens durch russ. Truppen nicht dulden und überhaupt die Unabhängigkeit der Balkanstaaten nicht gefährden lassen wollte. Im Winter 1887-88 schien der Ausbruch eines Krieges unvermeidlich, da Rußland an seiner Westgrenze immer größere Truppenmassen aufhäufte.
Aber die Friedenspolitik des im März 1887 erneuerten Dreibundes bestand in glänzender Weise ihre Probe. Die drohende Kriegsgefahr ward abgewandt. Dagegen wurde die Stellung Österreichs auf der Balkanhalbinsel [* 6] dadurch verschlechtert, daß in Serbien nach der Abdankung Milans die russenfreundliche Richtung wieder das Übergewicht erhielt. Doch änderte sich dies, als sich der junge König Alexander für volljährig erklärte und einen Systemwechsel eintreten ließ. Auch die Spannung zwischen Österreich und Rußland selbst ließ endlich nach, und das bessere Verhältnis beider Staaten erhielt an dem 1894 geschlossenen Handelsvertrage eine Stütze.
Indessen hatten die Erfolge, die die Jungczechen 1889 bei den böhm. Landtagswahlen errungen hatten, die Haltung der Regierung im Innern und namentlich in der böhm. Frage wesentlich beeinflußt. Am wurde der Statthalter Kraus seiner Stelle enthoben und für ihn Graf Franz Thun ernannt, ein Anhänger des böhm. Staatsrechts. Mehrfache Versuche der Deutschen, die Regierung zu einer unzweideutigen Erklärung über die staatsrechtlichen Ansprüche der Czechen zu veranlassen, blieben erfolglos.
Als dann aber die Regierung, offenbar auf höhere Weisung, Ausgleichungsverhandlungen über die Streitpunkte mit den Czechen beantragte, ließen sich die Deutschen dazu bereit finden. Die Verhandlungen fanden Jan. 1890 in Wien statt und führten auch zu einer Einigung, die aber infolge des Widerstandes der Jungczechen und der schwächlichen Haltung dei Altczechen im böhm. Landtag nicht zur Ausführung kam. (S. Böhmen, [* 7] Geschichte.) Das Treiben der sich immer radikaler geberdenden Jungczechen sowie die Unsicherheit der Parteiverhältnisse im Reichsrat schienen indessen in der Mehrheit des Ministeriums den Wunsch rege gemacht zu haben, sich mit der deutschliberalen Partei auf einen bessern Fuß zu stellen.
Durch kaiserl. Patent vom wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst, und 4. Febr. trat der Finanzminister Dunajewski, der Hauptgegner der Deutschliberalen, in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde der Sektionschef im Justizministerium, Dr. Steinbach. Der Ausfall der Reichsratswahlen rechtfertigte die Hoffnung der Regierung auf eine Verstärkung [* 8] der gemäßigten Parteien nicht. Die Altczechen, die bisher eine ihrer Hauptstützen gebildet hatten, unterlagen vollständig, und die Polen und der Hohenwart-Klub (s. d.) besaßen ohne sie nicht mehr die Majorität. So mußte die Regierung suchen, ein erträgliches Verhältnis zu der stärksten Partei, der Vereinigten [* 9] Deutschen Linken (s. d.), die sich Nov. 1888 durch den Wiederzusammenschluß des Deutschen und des Deutsch-Österreichischen Klubs gebildet hatte, herzustellen.
Angebahnte Verbandlungen über die Vereinigung der gemäßigten Elemente zu einer einzigen Partei scheiterten, weil die Regierung und die Polen ihre Verbindung mit dem Hohenwart-Klub nicht aufgeben, die Deutsche Linke [* 10] mit diesem keine engere polit. Verbindung eingehen wollte. Doch blieb das Verhältnis der drei großen Parteien ein ziemlich erträgliches. Einen äußern Ausdruck fand die Besserung der Beziehungen zwischen der Regierung und der Deutschen Linken dadurch, daß ein Mitglied derselben, Graf Kuenburg, Minister ohne Portefeuille wurde.
Während der beiden Reichsratssessionen 1891 und 1891/92 wurden mehrere Eisenbahnen verstaatlicht, der Freihafen Triest [* 11] in das Zollgebiet einbezogen, der Lloyd neu organisiert und wie die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft durch Gewährung einer Subvention in seiner Existenz gesichert. Mit Deutschland, [* 12] Italien, [* 13] Belgien [* 14] und der Schweiz [* 15] wurden auf 12 Jahre Handelsverträge geschlossen, durch die die Zölle teilweise bedeutend herabgesetzt wurden. Da die finanzielle Lage sich immer günstiger gestaltete, der Rechnungsabschluß für 1891 einen Überschuß von mehr als 22 Mill. Fl. aufwies, wagte man sich im Verein mit Ungarn [* 16] auch an die Valutaregulierung und beschloß (im Juli 1892) die Einführung der Goldwährung und eines neuen Münzfußes mit der Krone als Rechnungseinheit (s. oben, S. 721 a). Am brachte der Finanzminister auch einen Gesetzvorschlag über die Reform der direkten Steuern ein, und zwar sollte das Gesetz, betreffend die direkten Personalsteuern (Erwerbs-, Besoldungs-, Rentensteuer und eine allgemeine Personaleinkommensteuer), an die Stelle des bisher geltenden Erwerbssteuergesetzes von 1812 und des Einkommensteuergesetzes von 1849 treten.
Ein principieller Widerspruch wurde gegen diese Gesetzentwürfe bei den Ausschußberatungen nicht erhoben, wenn auch viele Einzelheiten angefochten wurden, so daß es mit einigen Abänderungen 1895 im Abgeordnetenhause und 1896 im Herrenhause angenommen wurde. Auch der Unterrichtsminister errang einen wichtigen Erfolg, indem der Tiroler Landtag, der bisher die Anerkennung des Reichsvolksschulgesetzes von 1869 grundsätzlich verweigert hatte, allerdings gegen große Zugeständnisse an den Klerus, ein Schulgesetz beschloß, das dem bisherigen ungeordneten Zustande ein Ende machte.
Während der ganzen Session 1891/92 hatte die Linke das Ministerium in den wichtigsten Fragen unterstützt, und sie konnte es als einen neuen Erfolg ansehen, daß Ende Juli der Minister Pražak seine Entlassung erbat und erhielt. Aber die schwächliche Haltung der Regierung bei der von den Deutschen geforderten Durchführung des böhm. Ausgleichs sowie das ablehnende Verhalten des Justizministers gegen die Fortsetzung der nationalen Abgrenzung der böhm. Gerichtsbezirke erregte die Unzufriedenheit der Deutschen. Die Budgetdebatte, bei der Graf Taaffe die baldige ¶
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Wiederbesetzung des von Pražak innegehabten Ministeriums in Aussicht stellte, brachte die Krisis zum Ausbruch. Graf Kuenburg nahm sofort seine Entlassung, die Linke aber forderte als Bedingung einer weitern Unterstützung der Regierung die Bildung einer festen Majorität und die Aufstellung eines bestimmten polit. Programms. Da Graf Taaffe sich nach einigen vergeblichen Verhandlungen mit dem Hohenwart-Klub und den Polen der Sache nicht weiter annahm, stimmte die Linke wieder gegen den Dispositionsfonds, der auch mit 167 gegen 146 Stimmen abgelehnt wurde. Um einen vollständigen Bruch zu verhüten, arbeitete die Regierung auf Grund von Konferenzen mit den Führern der drei großen Klubs ein Programm aus, das sie vorlegte, das aber keine der Parteien völlig befriedigte. Ein gespanntes Verhältnis zwischen den Parteien untereinander und zur Regierung blieb bestehen und machte die weitere Session des Reichsrats, die bis zum 24. März dauerte, völlig unfruchtbar.
Als nach dem Schlusse des Reichsrats die Landtage einberufen wurden, machte die Regierung noch einen Versuch, die Abgrenzung der Gerichtsbezirke in Böhmen in Gang [* 18] zu bringen, und brachte Vorlagen wegen Errichtung neuer Kreisgerichte in Trautenau und Schlan ein. Als aber erstere 17. Mai zur Verhandlung kommen sollte, machten die Jungczechen dieselbe durch lärmende Tumulte unmöglich. Das ganze Land wurde systematisch aufgewühlt, und bei der beabsichtigten Feier des Reskripts vom kam es zu antidynastischen Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Polizei. Infolgedessen wurden durch Verordnung vom 12. Sept. die Art. 12 und 13 des Staatsgrundgesetzes, betreffend das Versammlungs- und Vereinsrecht und die Freiheit der Presse, [* 19] für Prag [* 20] und dessen Umgebung suspendiert und die Wirksamkeit der Geschworenengerichte im Sprengel des Prager Landgerichts bezüglich der Preßvergehen und der politischen wie einiger anderer Verbrechen für die Dauer eines Jahres außer Kraft [* 21] gesetzt.
Obwohl das bedrohliche Anwachsen der Radikalen in Böhmen die Regierung hätte bedenklich machen sollen, glaubte sie doch gerade jetzt den Zeitpunkt zu einer Abänderung des Reichsratswahlrechts gekommen, die für die alten Parteien im höchsten Maße bedrohlich erschien. Bei der Eröffnung des Reichsrats (10. Okt.) brachte Graf Taaffe einen Gesetzentwurf ein, der zwar die Kurie des großen Grundbesitzes und die Gruppe der Handelskammern unangetastet ließ, aber in den Kurien der Städte und Landgemeinden, ohne die Zahl ihrer Vertreter zu vermehren, das Wahlrecht allen, mit wenigen Ausnahmen, zuerkennen wollte.
Diese Vorlage rief allgemeine Überraschung hervor, und was bisher für unmöglich gegolten hatte, eine Verbindung der Feudalen und Klerikalen mit den Liberalen, das brachte Graf Taaffe mit seinem Wahlgesetzentwurf zu stande. Nachdem sich die Deutsche Linke, die Polen und die Konservativen gegen den Gesetzentwurf erklärt hatten, reichte das Ministerium Taaffe 29. Okt. seine Entlassung ein. Aus Vorschlag der Führer der drei großen Parteien, die sich über ein Koalitionsministerium geeinigt hatten, wurde mit der Kabinettsbildung Fürst Alfred zu Windisch-Grätz beauftragt, der 11. Nov. die Regierung übernahm.
Die meisten Mitglieder des frühern Kabinetts behielten ihre Portefeuilles; der Marquis Bacquehem vertauschte das Handelsministerium mit dem des Innern, das Ministerium für Kultus und Unterricht übernahm der Pole von Madeyski, und der Führer des Polenklubs von Jaworski wurde zum Minister ohne Portefeuille ernannt. Der Linken wurden ebenfalls zwei Ministerien, das für Finanzen und das für den Handel überlassen, die E. von Plener und Graf Wurmbrand erhielten.
Der neue Ministerpräsident erklärte als die erste und wichtigste polit. Aufgabe, im Einvernehmen der drei großen Parteien eine Wahlreform zu schaffen, und teilte das Ministerium den koalierten Klubs auch die Grundzüge der Wahlreform mit, wonach eine neue Wählerklasse geschaffen wurde, in der alle österr. Staatsbürger über 24 Jahre mit wenigen Ausnahmen wahlberechtigt sein sollten. Diese Klasse sollte 43 Mandate erhalten, die auf die einzelnen Länder zu verteilen wären.
Die Obmänner der koalierten Parteien konnten sich jedoch über einen bestimmten Plan nicht einigen. Ein Subkomitee, das der aus 36 Mitgliedern bestehende Wahlreformausschuß niedersetzte, brachte unter Vermittelung der Regierung einen auf zahlreichen Kompromissen beruhenden Gesetzentwurf zu stande, der Juni 1895 bekannt gemacht wurde. Danach sollte die Zahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses um 47, also auf 400 erhöht werden, von denen 34 von der Gruppe der kleinsten Steuerzahler (unter 5 Fl.), 13 von den industriellen Arbeitern, die in den Krankenkassen versichert sind, gewählt werden sollten.
Dieser Entwurf, in dem hauptsächlich die Wünsche des Hohenwart-Klubs zum Ausdrucke gebracht wurden, erregten große Unzufriedenheit nicht bloß bei den Arbeitern, sondern auch bei den Liberalen. Drohte schon diese Frage eine Krise in der Koalition hervorzurufen, so wurde sie beschleunigt durch die von der Regierung beantragte Errichtung eines Gymnasiums mit deutscher und slowen. Unterrichtssprache in Cilli, das den Slowenen noch vom Ministerium Taaffe in Aussicht gestellt worden war.
Die Deutsche Linke sprach sich in der schärfsten Weise gegen die Errichtung dieses Gymnasiums in Cilli aus, wo das Deutschtum ohnehin gefährdet war, zeigte sich aber zur Bewilligung der Mittel für ein deutsch-slowen. Gymnasium an einem ganz oder vorherrschend slowen. Orte Südsteiermarks bereit. Als trotzdem im Budgetausschusse die für das Cillier Gymnasium geforderte Summe bewilligt wurde, trat sie auf Grund eines Klubbeschlusses aus der Koalition aus, die dadurch gesprengt wurde. Am folgenden Tage reichte das Ministerium seine Demission ein, und der Statthalter von Niederösterreich, Graf Kielmansegg, wurde zum Minister des Innern ernannt und mit dem Vorsitz im Ministerrat betraut. Von den bisherigen Ministern blieben nur der Landesverteidigungminister Graf Welsersheimb und der Minister für Galizien Ritter von Jaworski, während mit der Leitung der übrigen Ministerien hervorragende Beamte beauftragt wurden, die nur die Aufgabe hatten, die laufenden Geschäfte bis zur Konstituierung eines definitiven Kabinetts zu führen und die Annahme des Budgets durchzusetzen.
Dies wurde auch in kurzer Zeit erreicht, wobei auch die Kosten für das utraquistische Gymnasium in Cilli bewilligt wurden. Außer dem Budget wurden auch zwei schon unter dem Koalitionsministerium sehr weit geförderte Gesetzentwürfe von großer Wichtigkeit, die neue Civilprozeßordnung und die ¶