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die in Deutschland [* 2] abgetretenen nassauischen Besitzungen das Herzogtum Luxemburg [* 3] (s. d.) unter dem Titel eines Großherzogtums überlassen, doch so, daß dieses Land zu den Staaten des Deutschen Bundes gehören sollte, dem Wilhelm Ⅰ. schon beitrat. Die Einverleibung so vieler neuen Provinzen machte eine Abänderung der Verfassung notwendig. Einer Kommission, in gleicher Anzahl ans Holländern und Belgiern zusammengesetzt, wurde diese Veränderung aufgetragen.
Nachdem der König den neuen Verfassungsentwurf genehmigt hatte, wurden die 55 Mitglieder der Generalstaaten durch die Provinzialstaaten, die zugleich die Wahlkörper für die Generalstaaten waren, verdoppelt, um über die zu treffenden Abänderungen Beschluß zu fassen. Dieser Beschluß lautete einstimmig auf Annahme des Entwurfs. Aus den südl. Provinzen ward zu diesem Zweck ebenfalls eine Versammlung der Notabeln berufen, von welchen jedoch ein Sechstel ausblieb, so daß die Gesamtheit der Erschienenen sich auf 1323 belief, wovon 527 für und 796 gegen die Verfassung stimmten. Da es sich aber ergab, daß 126 Stimmen bloß aus Religionsgründen für die Verwerfung gestimmt hatten, so fand man für gut, letztere nebst den 280 Ausgebliebenen zu den Zustimmenden zu zählen und so eine Mehrheit für die neue Verfassung herauszukünsteln, die nun 24. Aug. für angenommen erklärt und 21. Sept. vom König Wilhelm beschworen wurde. Durch diese Verfassung wurden zwei Kammern eingesetzt, die erste vom König ernannt, die zweite gewählt von den Provinzialstaaten.
In dem zweiten Pariser Frieden von 1815 mußte Frankreich noch kleine Landstriche an der Grenze von Hennegau, Namur [* 4] und Luxemburg an das Königreich der Niederlande [* 5] abtreten. Im Innern des Landes aber zeigte sich schon anfangs tiefer Zwiespalt. Die mächtige belg. Geistlichkeit war einer Verbindung mit den nördl. Protestanten von vornherein abgeneigt. Andererseits wirkten die Freiheitsideen der Revolutionszeit in Belgien noch mächtig fort, während sich in den nördlichen Niederlande nach der Unglückszeit der franz. Herrschaft die Bevölkerung enger als je an das Haus Oranien anschloß. Zu alledem kam noch gegenseitige nationale Abneigung und der Gegensatz von niederländ. und franz. Sprache [* 6] und Sitte.
Die belg. Liberalen, auch einige der niederländ. Abgeordneten in den Generalstaaten, nahmen großen Anstoß daran, daß die Finanzwirtschaft des Staates der parlamentarischen Aufsicht so gut wie entzogen war. Verhaßt waren den Belgiern auch die Verordnungen, die in den ganz oder teilweise flamländ. Provinzen, besonders in den Gerichten und der administrativen Verwaltung, das Niederländische [* 7] zur alleinherrschenden Sprache zu erheben beabsichtigten. Auch die Verschiedenheit der wirtschaftlichen Interessen erregte gewaltsame Reibungen. Um der Finanznot des Staates abzuhelfen, wurden 1819 Steuern auf gewisse Handelsartikel, wie Kaffee und Zucker, [* 8] gelegt, von denen die Handelsleute der Nordprovinzen große Nachteile fürchteten. Als diese aber nur wenig ergaben, wurden 1821 mit Hilfe der nördl. Provinzen, des Widerstandes der hauptsächlich Landbau betreibenden Belgier ungeachtet, Steuern auf die ersten Lebensbedürfnisse, besonders eine Mahlsteuer, erhoben.
Doch hatte diese viel angefeindete Regierung große Verdienste. Zahlreiche Kanäle wurden gegraben, die Niederländische Handelscompagnie (Handelmaatschappij) wurde gegründet (1824), die belg. Industrie verdankte ihren ersten Aufschwung wesentlich den Bemühungen des Königs, Landbaukolonien für Bettler wurden errichtet. Außer den bestehenden Universitäten zu Leiden, [* 9] Utrecht, [* 10] Groningen und Löwen [* 11] wurden neue errichtet zu Lüttich [* 12] und Gent. [* 13] Hierbei aber geriet die Regierung in neue Konflikte mit der Geistlichkeit.
Für die vorbereitende Erziehung künftiger Geistlichen gründete sie ein sog. Collegium philosophicum zu Löwen (1825); die unter ausschließlich geistlichem Einfluß stehenden Kleinen Seminare wurden aufgehoben. Dies erregte großen Widerstand. Ein Konkordat wurde mit Leo ⅩⅡ. zwar abgeschlossen und ratifiziert, die Ausführung aber wegen der dabei hervortretenden Mißhelligkeiten mit der Kurie hintertrieben. Zuletzt kam es 1828 zu einer förmlichen Union der unzufriedenen ultramontanen und liberalen Parteien.
Die gewaltige Opposition in den Generalstaaten und die Agitation in dem Lande brachte die Regierung zur Nachgiebigkeit. Der Besuch des Collegium philosophicum wurde fakultativ gestellt, die Mahlsteuer und die Verordnungen, die Sprache betreffend, aufgehoben. Gegen den aufrührerischen Geist im Lande schritt die Regierung ein durch eine in gebieterischen Worten gefaßte königl. Botschaft vom welche einen strengen Preßgesetzentwurf begleitete. Dieser Entwurf wurde im Mai 1830 genehmigt. In Indien hatte die Regierung einen schweren Kampf zu führen gegen Palembang auf Sumatra (1819‒21) und besonders gegen den javan. Häuptling Diepo Negoro (1825‒30). Mit Großbritannien [* 14] wurde 1818 ein Vertrag gegen den Sklavenhandel abgeschlossen. Alte Mißhelligkeiten mit England wegen Ostindien [* 15] wurden durch den Vertrag 1824 ausgeglichen, Streitigkeiten mit Preußen [* 16] über die Rheinschiffahrt 1829 vermittelt.
Infolge der franz. Julirevolution brach in Brüssel [* 17] ein Aufstand aus, der die gänzliche Trennung Belgiens von den Niederlande zur Folge hatte (s. Belgien, Geschichte). Doch weigerte sich König Wilhelm lange, den von den fünf Großmächten auf einer Londoner Konferenz in 24 Artikeln entworfenen Friedenstraktat anzunehmen. Eine Schwierigkeit gab die in den 24 Artikeln verabredete Abtretung eines Teils von Luxemburg an Belgien, da hierzu die Genehmigung des Deutschen Bundes und der Agnaten in Nassau erforderlich war.
Der Bundestag gab seine Zustimmung; als Entschädigung sollte aber ein Teil des Limburgischen in den Bund treten. Erst entschloß sich König Wilhelm, dem Vertrage der 24 Artikel beizustimmen. Jetzt aber legte Belgien, sich auf die veränderte Sachlage berufend, Einsprache ein, und König Wilhelm nahm, durch die sich immer bedrohlicher gestaltenden Finanzverhältnisse des Staates in seiner Hartnäckigkeit erschüttert, die nunmehr zu seinem Nachteil modifizierten 24 Artikel an, worauf 19. April die definitiven Friedensverträge unterzeichnet wurden. Am traten die Agnaten ihre Rechte auf den für den verlorenen luxemb. Anteil an Holland gekommenen Teil von Limburg [* 18] (s. d.) gegen eine Entschädigung von 750000 Fl. ab. Hierauf wurde dieser Teil, mit Ausnahme der Festungen Maastricht [* 19] und Venlo, die bei Holland verblieben, 16. Aug. als Entschädigung für den an Belgien überlassenen Teil von Luxemburg als Herzogtum den deutschen Bundesstaaten einverleibt. ¶
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Inzwischen war auch im Norden [* 21] eine tiefe Mißstimmung gegen die Regierung laut geworden. Der anfänglich große Ertrag des vom Generalgouverneur van den Bosch (s. d.) auf Java eingeführten Kultursystems konnte der Zerrüttung der Finanzen keinen Einhalt thun. Bei der durch die Trennung von Belgien nötig gewordenen Veränderung des Grundgesetzes (1840) wurde die Verfassung einigermaßen in liberalem Geiste revidiert, z. B. durch Einführung der ministeriellen Verantwortlichkeit.
Große Aufregung erregte auch die Heirat des Königs mit der belg. und kath. Gräfin Henriette d’Oultremont. Zuletzt sah sich der König veranlaßt, die Regierung in die Hände seines Sohnes, Wilhelm Ⅱ., niederzulegen. Bereits 1841 waren Verhandlungen mit den Zollvereinsstaaten angeknüpft worden, die den Handelsvertrag von 1842 herbeiführten. Differenzen mit Belgien wurden durch einen Vertrag vom beseitigt, dem 1843 ein fünfjähriger Handels-, Schiffahrts- und Territorialvertrag folgte.
Die traurige Finanzlage nötigte endlich die Regierung, den Kammern einen Gesetzentwurf zu einer außerordentlichen Vermögenssteuer oder zu einer Zwangsanleihe von 127 Mill. Fl. vorzulegen, der im März 1844 angenommen wurde. Seitdem aber wuchs der Einfluß der Partei im Lande, die eine eingreifende Veränderung des Grundgesetzes nach liberalen Grundsätzen forderte. Ihr hervorragender Führer war der Leidener [* 22] Professor Johann Rudolf Thorbecke. Mit acht andern (die sog. Neunmänner) arbeitete er eine Verfassungsrevision aus, die aber verworfen wurde.
Später (1847) brachte die Regierung selbst Reformvorschläge vor die Kammern, die aber höchst ungenügend erschienen. Auf die Nachricht von den nach der Februarrevolution 1848 in Deutschland um sich greifenden Volksbewegungen entschloß sich der König zu weiterer Nachgiebigkeit. Es wurde eine Kommission von fünf Männern, worunter Thorbecke, eingesetzt zur Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes, das 3. Nov. verkündigt wurde. Der Adel hörte dabei auf, ein selbständiges Mitglied der Provinzialstaaten zu sein. Diese und die Zweite Kammer der Generalstaaten sollte aus direkten Wahlen hervorgehen, die Erste Kammer durch die Provinzialstaaten aus den Höchstbesteuerten gewählt werden.
Wilhelm Ⅱ. starb Sein Nachfolger, Wilhelm Ⅲ., sah sich infolge der von seiten der konstitutionellen Liberalen ausgehenden Opposition bald genötigt, das Ministerium seines Vaters zu entlassen. Nach einer langen Krisis trat endlich ein von Thorbecke gebildetes Kabinett zusammen. Dasselbe ließ während seines fast vierjährigen Wirkens nicht nur die wichtigsten organischen Gesetze (z.B. über Provinzial- und Gemeindeordnung) von den Kammern genehmigen, sondern verbesserte auch durch zweckmäßige Finanzgesetze (Rentenumwandlung, Postreform, Reduktion der regelmäßigen Staatsausgaben, vor allem aber durch Aufhebung der für nachteilig erkannten Vorrechte der niederländ. Schiffahrt) die materielle Lage des Landes. Dabei wurden im Innern Kanalisationen, besonders in Oberyssel und Drenthe, angelegt, Eisenbahn- und Telegraphenverbindungen in Angriff genommen und die Austrocknung des Haarlemer Meers zu Ende geführt.
Eine päpstl. Allokution vom die durch das neue Grundgesetz ermöglichte Wiederherstellung von Bischofssitzen in Holland betreffend, rief eine heftige antikath. Agitation im Lande hervor. Die Erklärung der Regierung, daß sie an und für sich der Errichtung von Bischofssitzen verfassungsmäßig nicht entgegentreten könne, erregte die öffentliche Meinung ungemein. Der König entließ daher das Ministerium und berief an dessen Stelle ein konservatives.
Die Zweite Kammer wurde aufgelöst und die neue Wahl ergab eine Majorität im Sinne der Regierung. Um die Protestanten zu beruhigen, brachte man ein Gesetz über die Kirchengemeinden ein, das von den Kammern genehmigt wurde. Der Staat erhielt hiernach im Princip die Aufsicht über den Kultus aller Kirchengemeinden. Bis 1862 wechselten die Minister unaufhörlich. 1855 wurde die Abschaffung der Mahlsteuer von den Kammern mit großer Majorität angenommen. 1857 genehmigten die Generalstaaten einen Gesetzentwurf bezüglich des Primärunterrichts; es sollten überall von den Gemeinden öffentliche, in Glaubenssachen neutrale, für alle Bekenntnisse zugängliche Primärschulen unterhalten werden.
Noch wurde 1861 ein Gesetz zur Ausführung eines Staatseisenbahnsystems angenommen. Im Jan. 1862 ward Thorbecke wieder mit der Bildung eines Ministeriums beauftragt. Unter ihm wurde die Accise gänzlich abgeschafft und kam ein Gesetz über den mittlern Unterricht zu stande das eine bedeutende Neuschöpfung bezweckte, da vorher in den Niederlande fast keine mittlern Schulen vorhanden waren. Zuletzt aber verursachte die Kolonialpolitik eine Spaltung im Ministerium selber.
Allmählich hatte bei den Liberalen die Überzeugung Eingang gefunden, daß das sog. Kultursystem von van den Bosch (s. Java) sowohl drückend für die Javaner wie hemmend für eine richtige Entfaltung der unermeßlichen Reichtümer des Landes wirkte. Der Kolonialminister Fransen van de Putte brachte nun ein sog. Kulturgesetz ein, welches Thorbecke zu eingreifend schien, weshalb er zurücktrat. Darauf bildete van de Putte mit Geertsema ein neues Ministerium (April 1866), das aber, als die Kammer das Kulturgesetz verworfen hatte, ebenfalls zurücktreten mußte. Auf dieses folgte ein konservatives Kabinett unter van Zuylen und Heemskerk, das bald nach der Eröffnung der Kammern mit der liberalen Majorität in Konflikt kam, so daß die Auflösung der Kammern folgte
Zu Anfang 1867 ließ sich das Kabinett verleiten, sich in die das Königreich keineswegs berührende Luxemburgische Frage zu mischen. Schon hatte Frankreich seinen Gesandten im Haag [* 23] beauftragt, nicht nur gemeinsam mit dem König-Großherzog die Räumung der Festung [* 24] Luxemburg seitens Preußens [* 25] zu betreiben, sondern direkt die Abtretung des Landes an Frankreich anzuregen, und im März einigten sich in der That der König-Großherzog und Napoleon Ⅲ. über den Verkauf Luxemburgs an Frankreich. Darauf folgte 1. April eine Interpellation Bennigsens im Norddeutschen Reichstage und Bismarcks Antwort, daß Preußen diese Abtretung nicht dulden könne. Auf einer im Mai nach London [* 26] berufenen Konferenz wurde die Sache dahin beigelegt, daß Luxemburg bei den Niederlande verblieb, Preußen sein Besatzungsrecht aufgab und die Festung geschleift wurde.
Das Budget der auswärtigen Angelegenheiten wurde in der nächsten Session verworfen, worauf die Kammer zum zweitenmal aufgelöst wurde. Die Neuwahlen ergaben abermals eine kleine ¶