empfehlen. Neben der multiplen Neuritis, welche eben geschildert ist, verdient noch eine endemische Nervenentzündung, welche
Beriberi (s. d.) oder Kak-ke genannt wird, erwähnt zu werden. -
Vgl. W. R. Gowers, Handbuch der Nervenkrankheiten, Bd. 1 (1892).
umfassen die gesamten Erkrankungen des cerebrospinalen und peripherischen Nervensystems (s. d. und
Cerebralsystem). Je nach dem anatom. Verhalten lassen sich die Nervenkrankheiten in
zwei große Gruppen, die organischen und funktionellen Nervenkrankheiten einteilen. Zu den erstern gehören alle diejenigen
krankhaften Erscheinungen des Nervensystems, welche auf grob-anatom. oder feinern histologischen Veränderungen beruhen, gleichviel
ob diese Vorgänge von Entzündungen, Blutungen, Narbenbildungen, Geschwülsten u. s. w. ihren Ausgang nehmen. Zu den funktionellen
Nervenkrankheiten rechnet man zur Zeit noch alle diejenigen Störungen, für welche keine anatom. Grundlage zu finden
ist; es kann jedoch schon jetzt betont werden, daß auch bei diesen, den sog. funktionellen
Neurosen, gewisse chem. und nutritive Störungen vorhanden sein müssen, die sich nur vermöge der ungenügenden Untersuchungsmethoden
noch nicht feststellen lassen.
Über ihre Lokalisation läßt sich daher noch keine sichere Auskunft geben; allem Anschein nach sind sie jedoch zum großen
Teil in das Gehirn und Rückenmark zu verlegen und als centrale Erkrankungen aufzufassen. Von den in weitern Kreisen bekannten
Nervenkrankheiten gehören zu den organischen z. B. die Nervenentzündung, der Gehirnschlag, die Gehirnentzündung, die
Gehirnhautentzündung, die Rückenmarksdarre (Tabes dorsalis), die spinale Kinderlähmung (s. Lähmung), die durch Verletzung
der peripherischen Nerven bedingten Lähmungen (z. B. infolge von Druck bei der sog. Schlaflähmung).
Unter den funktionellen Nervenkrankheiten (Neurosen) sind besonders häufig die Hysterie, Nervenschwäche, Epilepsie und die Beschäftigungsneurosen
(s. die Einzelartikel).
Die klinischen Erscheinungen, welche bei den verschiedenen Nervenkrankheiten vorkommen, lassen
sich leicht feststellen, wenn man die Verrichtung der einzelnen Nervengebiete berücksichtigt und im Auge behält, daß sämtliche
Nervenstörungen entweder auf einem abnormen Reizungs - oder Schwächezustand beruhen. Betrifft die Erkrankung die der Bewegung
dienenden Nervenbahnen, so kann Krampf oder Lähmung eintreten; die Empfindungsnerven reagieren in analoger
Weise mit Hyperästhesie und Hyperalgesie (Überempfindlichkeit gegen Tast- und Schmerzempfindung), mit Parästhesien (Kriebeln,
Ameisenlaufen), mit Hypästhesie und Anästhesie und Hypalgesie und Analgesie (Abnahme und Verlust der Tast- und Schmerzempfindung).
Die Sinnesnerven verhalten sich ganz ähnlich; Reizerscheinungen des Sehnerven treten als Funkensehen, Flimmern u. s. w. (Phosphene),
Schwächeerscheinungen als Abnahme des Sehvermögens in Erscheinung. Die
Erkrankungen der vasomotorischen,
trophischen und sekretorischen Nerven (s. d.) bedingen Störungen in der Blutfülle und Ernährung der Organe und in der Abscheidung
der Drüsensäfte.
Diejenigen Ärzte, welche die Nervenheilkunde als Sonderfach betreiben und auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten (Erkennung
und Behandlung derselben) mit besonderm Erfolg thätig gewesen sind, nennt man Nervenärzte (Nervenspecialisten,
Neuropathologen). Von den Zeitgenossen sind seit dem 1893 erfolgten Tode J. M. Charcots in Paris am bekanntesten: in Deutschland
Erb (Heidelberg), Jolly, Mendel, Eulenburg, Leyden (Berlin), von Strümpell (Erlangen), Moebius (Leipzig);
in Frankreich: Raymond,
Dejérine, P. Marie;
in England: Horsley;
in Amerika: Seguin, Sachs, Mitchell.
Vgl. Erb, Handbuch der Krankheiten des Nervensystems (2. Aufl., Lpz. 1876);
von Strümpell, Krankheiten des
Nervensystems (6. Aufl., ebd. 1890);
Gowers, Handbuch der Nervenkrankheiten (3 Bde., Bonn 1892).
(Nervina), Arzneimittel, die auf die verschiedenen Teile des Nervensystems (Gehirn, Rückenmark, peripherische
Nerven) einen heilsamen Einfluß haben. Man unterscheidet:
1) Reizmittel (excitantia, stimulatia), wie z.B. Alkohol (Wein, Cognac, Champagner), Kaffee, Thee, Äther, Kampfer, Moschus;
2) beruhigende Mittel (sedativa, temperantia), welche krankhafte Reizerscheinungen beseitigen oder schmerzstillend
oder schlafmachend wirken, wie z. B. die Opiate (Morphium), die Bromsalze, Baldrian, Castoreum, Asa foetida;
3) umstimmende Mittel (alterantia), welche auf eine noch unbekannte Weise eine Umstimmung des Nervensystems herbeiführen und
bald zur Bekämpfung von Schwäche oder von Reizerscheinungen dienen (Arsen, Chinin, Eisen, Zink u. s. w.). Doch läßt
sich diese Klassifikation nicht streng aufrecht erhalten, da viele Mittel in ihrer Wirkung von der gegebenen Dosis abhängig
sind; kleine Dosen von Morphium erregen die Nerven, große wirken hingegen schlafmachend.
die Vereinigung der beiden Enden eines durchtrennten Nerven vermittelst der Naht, s. Naht.
Mittels der Nervennaht, einer
Errungenschaft der modernen Chirurgie, hat man Nervendurchtrennungen resp. die dadurch bedingten Lähmungen,
z. B. an den Händen, noch nach Monaten, ja selbst nach Jahren geheilt.
Größere Substanzverluste an den Nerven werden durch
eine modifizierte Nervennaht, durch sog. Nervenplastik oder Neuroplastik geheilt.
(Neurasthenia), eine schon aus alten Zeiten bekannte, unter verschiedenem Namen beschriebene Krankheit,
welche in unsern Tagen wegen ihrer überraschenden Zunahme das Interesse der Ärzte in hohem Grade verdient. In erschöpfender
und klarer Weise ist sie zuerst von dem amerik. Nervenarzt Beard beschrieben worden. Unter Nervenschwäche
mehr
versteht man eine abnorme Reizbarkeit, Schwäche und Ermüdbarkeit des gesamten Nervensystems. Schwäche, Reizbarkeit, Ermüdung
sind ja auch dem Gesunden wohlbekannte Zustände; jeder Mensch ermüdet und hat das Bedürfnis, nach einer starken körperlichen
Anstrengung zu ruhen, jeder wird erregt durch Ärger, Verdruß, Sorgen u. s. w. Aber diese Zustände sind nur vorübergehende;
die Ruhe und Erholung gleicht sie in kurzem aus. Der Neurastheniker dagegen ermüdet schon bei geringen
Leistungen oder ist müde, wenn er nichts gethan hat, er wird erregt und verstimmt durch unbedeutende Ereignisse, sorgt sich
um Kleinigkeiten und ängstigt sich über harmlose Vorgänge; die Schwäche, die Reizbarkeit und Verstimmung werden durch
Ruhe und Erholung nicht beseitigt.
Die Ursachen der Nervenschwäche sind sehr mannigfaltig; alles, was das Nervensystem anstrengt, ermüdet, erregt, kann den neurasthenischen
Zustand herbeiführen, vorausgesetzt, daß die schädliche Einwirkung längere Zeit hindurch andauert. Im Vordergrund stehen
seelische Erregungen, welche sich entweder aus dem Privatleben (Familienverhältnissen) oder der socialen Stellung der
Kranken herleiten: unglückliches Familienleben, Sorgen, Not, Kummer sowie geschäftliche Aufregungen, polit. und religiöse
Kämpfe sind hier zu nennen.
Treffen diese genannten Momente noch mit einer andern Schädlichkeit: der geistigen Überanstrengung, zusammen, so ist es begreiflich,
daß das Nervensystem erschöpft, die Ermüdungsvorgänge länger und schließlich dauernd in ihm fixiert bleiben. Diesen
geistigen (psychischen) Schädlichkeiten gegenüber spielen die körperlichen (somatischen) nur eine untergeordnete Rolle;
Überanstrengungen durch übermäßig betriebenen Sport (Rudern, Radfahren, Bergsteigen u. s. w.) und durch sexuelle Excesse
und Ausschreitungen jeder Art, Mißbrauch der Genußmittel (Alkohol, Tabak, Kaffee), schwere mit psychischer Erregung verbundene
Erschütterung (Eisenbahnunfälle), langdauernde konsumierende Krankheiten können gleichfalls die Neurasthenie auslösen.
Von ganz hervorragender Bedeutung ist schließlich noch die nervöse Anlage (neuropathische Disposition), welche nervöse Eltern
auf ihre Kinder übertragen; derartig erblich belastete Personen fallen besonders häufig der Nervenschwäche zum Opfer.
Ebenso mannigfaltig wie die Ursachen sind die Krankheitserscheinungen der Nervenschwäche. Ist es doch das ganze Nervensystem, welches sich
im Zustande der abnormen Schwäche und Reizbarkeit befindet. Doch lassen sich aus der Summe aller Störungen
verschiedene Formen der Nervenschwäche herausschälen, wenn man festhält, daß dieser Einteilung eine vorwiegend praktische Bedeutung
zukommt.
1) Die cerebrale Form (Neurasthenia cerebralis) zählt zu ihren häufigsten Symptomen den Kopfdruck; er wird von den Kranken
sehr verschieden geschildert, steigert sich häufig zu wirklichem Schmerz mit übermäßiger Empfindlichkeit
der Kopfhaut gegen Berührungen (z. B. das Kämmen u. s. w.)
und hat die Unfähigkeit zu jeder geistigen Arbeit zur Folge. Beim Lesen und Schreiben stellen sich subjektive Empfindungen
der Schwäche und des Druckes im Kopf und in den Augen ein, so daß die Buchstaben undeutlich werden, ineinander
verschwimmen oder durcheinander wirbeln.
Schwindel und Ohrensausen oder Klingen sind häufige Begleiterscheinungen. Regelmäßig leiden diese Kranken an quälender
Schlaflosigkeit, welche eine Erholung und ein Ausruhen verhindert und zugleich durch die subjektive Empfindung, daß
die
fehlende Nachtruhe das Leiden verschlimmern müsse, schädlich wirkt. Der gesamte Gemütszustand ist fast
stets ein deprimierter, die Kranken verzweifeln an ihrer Genesung, fürchten geisteskrank zu werden u. s. w. Zugleich
pflegt, wahrscheinlich infolge der mangelhaften Innervation und der Abnahme und Hemmung der Willenskraft (durch unbewußte
geistige Vorgänge), eine allgemeine Körperschwäche vorhanden zu sein, die Kranken verlernen das Gehen, Stehen, Sitzen und
werden schließlich in den schwersten Fällen so kraftlos, daß sie gefüttert werden müssen.
2) Bei der spinalen Form (Spinalirritation, Neurasthenia spinalis) spielt die Schwäche und Ermüdung im Gehen oder im Gebrauch
der Hände eine hervorragende Rolle; geringe Leistungen rufen eine fast unüberwindliche Mattigkeit hervor. Daneben treten
in den verschiedensten Körperteilen Schmerzen auf; besonders charakteristisch sind die Kreuzschmerzen.
Abnorme Sensationen (Druckgefühle, Ameisenlaufen u. s. w.) werden gleichfalls häufig beobachtet.
Beiden Formen sind noch gewisse Erscheinungen, welche mit den Gefäßnerven in Zusammenhang stehen, gemeinsam. Über Gefühl
von rasch aufsteigender Hitze, von heftigem Klopfen im Kopfe, am Hals und Rücken wird häufig geklagt; Hände und Füße sind
meist kalt und an den Innenflächen mit Schweiß bedeckt. Der Appetit ist meist gering wegen mangelnder Arbeitsfähigkeit,
der Stuhlgang angehalten, die Urinentleerung bisweilen gehemmt. Die nervöse Schwäche des Herzens (Herzschwäche, Neurasthenia
cordis, Neurasthenia vasomotoria, Irritable Heart) giebt sich darin kund, daß die Kranken schon nach der geringsten Gemütsbewegung
oder Anstrengung oder auch ohne äußern Anlaß, häufig aus dem Schlaf heraus, von Beklemmungen in der
Herzgegend und heftigem Herzklopfen befallen werden, die sich nicht selten zu einer wahren Todesangst mit Angstschweiß, Erstickungsgefühl
und Versagen der Stimme steigern.
Der Verlauf der Nervenschwäche ist ein chronischer; nur die leichtern Fälle können rascher ablaufen,
doch pflegen meist die intelligenten Kranken die leichten Erscheinungen so lange durch ihre Willenskraft vor dem Arzt und der
Familie zu verbergen, bis die schwerern Erscheinungen ausgelöst sind und ein völliges Zusammenbrechen erfolgt. Schwankungen
sind in dem Verlaufe der Nervenschwäche außerordentlich häufig und für dieselbe geradezu charakteristisch. Der
Ausgang der Krankheit ist zweifelhaft, doch pflegt in den meisten Fällen, welche sich unter der Hand eines
mit den Nervenkrankheiten Vertrauten, Vertrauen einflößenden Arztes befinden, eine erhebliche Besserung und vollständige
Heilung erreicht zu werden.
Die vornehmste Aufgabe der Behandlung der Nervenschwäche ruht zweifellos in ihrer Verhütung. Dies kann dadurch geschehen, daß
man der Jugend ein Plus von Kraft und Leistungsfähigkeit durch zweckmäßige Erziehung, Abhärtung und
Kräftigung verschafft, so daß sie auch außergewöhnlichen Anforderungen in bestimmten Lebensabschnitten genügen kann.
Die eigentliche Behandlung der Nervenschwäche ist mühevoll, aber auch dankbar. Von hervorragender Bedeutung für
die Kur ist der psychische Einfluß des Arztes; ist das Vertrauen des Kranken einmal gewonnen, so fällt
es meist nicht schwer, bei der richtigen Auswahl der Mittel (Elektricität, Wasserbehandlung, Massage, Gymnastik verbunden
mit stärkender medikamentöser Behandlung und kräftigender Diät) die
mehr
gesunkenen Kräfte zu heben und die abnorme Erregbarkeit Zu beseitigen. (S. Nervenkrankheiten.) -
Vgl. von Strümpell, Krankheiten
des Nervensystems (8. Aufl., Lpz. 1894);
Erb, über die wachsende Nervosität unserer Zeit (3. Aufl., Heidelb. 1894);