empfehlen. Neben der multiplen Neuritis, welche eben geschildert ist, verdient noch eine endemische Nervenentzündung, welche
Beriberi (s. d.) oder
Kak-ke genannt wird, erwähnt zu werden. -
umfassen die gesamten Erkrankungen des cerebrospinalen und peripherischen
Nervensystems (s. d. und
Cerebralsystem). Je nach dem anatom. Verhalten lassen sich die Nervenkrankheiten in
zwei große Gruppen, die organischen und funktionellen Nervenkrankheiten einteilen. Zu den erstern gehören alle diejenigen
krankhaften Erscheinungen des
Nervensystems, welche auf grob-anatom. oder feinern histologischen
Veränderungen beruhen, gleichviel
ob diese Vorgänge von
Entzündungen,
Blutungen, Narbenbildungen,
Geschwülsten u. s. w. ihren Ausgang nehmen. Zu den funktionellen
Nervenkrankheiten rechnet man zur Zeit noch alle diejenigen
Störungen, für welche keine anatom. Grundlage zu finden
ist; es kann jedoch schon jetzt betont werden, daß auch bei diesen, den sog. funktionellen
Neurosen, gewisse chem. und nutritive
Störungen vorhanden sein müssen, die sich nur vermöge der ungenügenden Untersuchungsmethoden
noch nicht feststellen lassen.
Die klinischen Erscheinungen, welche bei den verschiedenen Nervenkrankheiten vorkommen, lassen
sich leicht feststellen, wenn man die Verrichtung der einzelnen Nervengebiete berücksichtigt und im
Auge
[* 5] behält, daß sämtliche
Nervenstörungen entweder auf einem abnormen Reizungs - oder Schwächezustand beruhen. Betrifft die Erkrankung die der
Bewegung
dienenden Nervenbahnen, so kann
Krampf oder
Lähmung eintreten; die Empfindungsnerven reagieren in analoger
Weise mit
Hyperästhesie und Hyperalgesie (Überempfindlichkeit gegen
Tast- und Schmerzempfindung), mit Parästhesien (Kriebeln,
Ameisenlaufen), mit
Hypästhesie und
Anästhesie und Hypalgesie und
Analgesie
(Abnahme und
Verlust der
Tast- und Schmerzempfindung).
Die
Sinnesnerven verhalten sich ganz ähnlich; Reizerscheinungen des
Sehnerven treten als Funkensehen, Flimmern u. s. w.
(Phosphene),
Schwächeerscheinungen als
Abnahme des Sehvermögens in Erscheinung. Die
Erkrankungen der vasomotorischen,
trophischen und sekretorischen
Nerven (s. d.) bedingen
Störungen in der Blutfülle und
Ernährung der Organe und in der Abscheidung
der Drüsensäfte.
Diejenigen
Ärzte, welche die Nervenheilkunde als Sonderfach betreiben und auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten (Erkennung
und Behandlung derselben) mit besonderm Erfolg thätig gewesen sind, nennt man Nervenärzte (Nervenspecialisten,
Neuropathologen). Von den Zeitgenossen sind seit dem 1893 erfolgten
Tode J. M.
Charcots in
Paris
[* 6] am bekanntesten: in
Deutschland
[* 7] Erb
(Heidelberg),
[* 8]
Jolly, Mendel, Eulenburg, Leyden
(Berlin),
[* 9] von
Strümpell
(Erlangen),
[* 10] Moebius
(Leipzig);
[* 11]
2)
beruhigende Mittel (sedativa, temperantia), welche krankhafte Reizerscheinungen beseitigen oder schmerzstillend
oder schlafmachend wirken, wie z. B. die
Opiate
(Morphium), die Bromsalze,
Baldrian, Castoreum,
Asa foetida;
3) umstimmende
Mittel (alterantia), welche auf eine noch unbekannte
Weise eine Umstimmung des
Nervensystems herbeiführen und
bald zur Bekämpfung von Schwäche oder von Reizerscheinungen dienen
(Arsen,
Chinin,
Eisen,
[* 14]
Zink u. s. w.). Doch läßt
sich diese Klassifikation nicht streng aufrecht erhalten, da viele
Mittel in ihrer Wirkung von der gegebenen
Dosis abhängig
sind; kleine Dosen von
Morphium erregen die
Nerven, große wirken hingegen schlafmachend.
Mittels der Nervennaht, einer
Errungenschaft der modernen
Chirurgie, hat man Nervendurchtrennungen resp. die dadurch bedingten
Lähmungen,
z. B. an den
Händen, noch nach
Monaten, ja selbst nach Jahren geheilt.
Größere Substanzverluste an den
Nerven werden durch
eine modifizierte Nervennaht, durch sog. Nervenplastik oder Neuroplastik geheilt.
(Neurasthenia), eine schon aus alten
Zeiten bekannte, unter verschiedenem
Namen beschriebene
Krankheit,
welche in unsern
Tagen wegen ihrer überraschenden Zunahme das Interesse der
Ärzte in hohem
Grade verdient. In erschöpfender
und klarer
Weise ist sie zuerst von dem amerik. Nervenarzt
Beard beschrieben worden. Unter Nervenschwäche
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versteht man eine abnorme Reizbarkeit, Schwäche und Ermüdbarkeit des gesamten Nervensystems. Schwäche, Reizbarkeit, Ermüdung
sind ja auch dem Gesunden wohlbekannte Zustände; jeder Mensch ermüdet und hat das Bedürfnis, nach einer starken körperlichen
Anstrengung zu ruhen, jeder wird erregt durch Ärger, Verdruß, Sorgen u. s. w. Aber diese Zustände sind nur vorübergehende;
die Ruhe und Erholung gleicht sie in kurzem aus. Der Neurastheniker dagegen ermüdet schon bei geringen
Leistungen oder ist müde, wenn er nichts gethan hat, er wird erregt und verstimmt durch unbedeutende Ereignisse, sorgt sich
um Kleinigkeiten und ängstigt sich über harmlose Vorgänge; die Schwäche, die Reizbarkeit und Verstimmung werden durch
Ruhe und Erholung nicht beseitigt.
Die Ursachen der Nervenschwäche sind sehr mannigfaltig; alles, was das Nervensystem anstrengt, ermüdet, erregt, kann den neurasthenischen
Zustand herbeiführen, vorausgesetzt, daß die schädliche Einwirkung längere Zeit hindurch andauert. Im Vordergrund stehen
seelische Erregungen, welche sich entweder aus dem Privatleben (Familienverhältnissen) oder der socialen Stellung der
Kranken herleiten: unglückliches Familienleben, Sorgen, Not, Kummer sowie geschäftliche Aufregungen, polit. und religiöse
Kämpfe sind hier zu nennen.
Treffen diese genannten Momente noch mit einer andern Schädlichkeit: der geistigen Überanstrengung, zusammen, so ist es begreiflich,
daß das Nervensystem erschöpft, die Ermüdungsvorgänge länger und schließlich dauernd in ihm fixiert bleiben. Diesen
geistigen (psychischen) Schädlichkeiten gegenüber spielen die körperlichen (somatischen) nur eine untergeordnete Rolle;
Überanstrengungen durch übermäßig betriebenen Sport (Rudern, Radfahren, Bergsteigen u. s. w.) und durch sexuelle Excesse
und Ausschreitungen jeder Art, Mißbrauch der Genußmittel (Alkohol, Tabak,
[* 17] Kaffee), schwere mit psychischer Erregung verbundene
Erschütterung (Eisenbahnunfälle),
[* 18] langdauernde konsumierende Krankheiten können gleichfalls die Neurasthenie auslösen.
Von ganz hervorragender Bedeutung ist schließlich noch die nervöse Anlage (neuropathische Disposition), welche nervöse Eltern
auf ihre Kinder übertragen; derartig erblich belastete Personen fallen besonders häufig der Nervenschwäche zum Opfer.
Ebenso mannigfaltig wie die Ursachen sind die Krankheitserscheinungen der Nervenschwäche. Ist es doch das ganze Nervensystem, welches sich
im Zustande der abnormen Schwäche und Reizbarkeit befindet. Doch lassen sich aus der Summe aller Störungen
verschiedene Formen der Nervenschwäche herausschälen, wenn man festhält, daß dieser Einteilung eine vorwiegend praktische Bedeutung
zukommt.
1) Die cerebrale Form (Neurasthenia cerebralis) zählt zu ihren häufigsten Symptomen den Kopfdruck; er wird von den Kranken
sehr verschieden geschildert, steigert sich häufig zu wirklichem Schmerz mit übermäßiger Empfindlichkeit
der Kopfhaut gegen Berührungen (z. B. das Kämmen u. s. w.)
und hat die Unfähigkeit zu jeder geistigen Arbeit zur Folge. BeimLesen und Schreiben stellen sich subjektive Empfindungen
der Schwäche und des Druckes im Kopf und in den Augen ein, so daß die Buchstaben undeutlich werden, ineinander
verschwimmen oder durcheinander wirbeln.
Schwindel und Ohrensausen oder Klingen sind häufige Begleiterscheinungen. Regelmäßig leiden diese Kranken an quälender
Schlaflosigkeit, welche eine Erholung und ein Ausruhen verhindert und zugleich durch die subjektive Empfindung, daß
die
fehlende Nachtruhe das Leiden
[* 19] verschlimmern müsse, schädlich wirkt. Der gesamte Gemütszustand ist fast
stets ein deprimierter, die Kranken verzweifeln an ihrer Genesung, fürchten geisteskrank zu werden u. s. w. Zugleich
pflegt, wahrscheinlich infolge der mangelhaften Innervation und der Abnahme und Hemmung der Willenskraft (durch unbewußte
geistige Vorgänge), eine allgemeine Körperschwäche vorhanden zu sein, die Kranken verlernen das Gehen, Stehen, Sitzen und
werden schließlich in den schwersten Fällen so kraftlos, daß sie gefüttert werden müssen.
2) Bei der spinalen Form (Spinalirritation, Neurasthenia spinalis) spielt die Schwäche und Ermüdung im Gehen oder im Gebrauch
der Hände eine hervorragende Rolle; geringe Leistungen rufen eine fast unüberwindliche Mattigkeit hervor. Daneben treten
in den verschiedensten Körperteilen Schmerzen auf; besonders charakteristisch sind die Kreuzschmerzen.
Abnorme Sensationen (Druckgefühle, Ameisenlaufen u. s. w.) werden gleichfalls häufig beobachtet.
Beiden Formen sind noch gewisse Erscheinungen, welche mit den Gefäßnerven in Zusammenhang stehen, gemeinsam. Über Gefühl
von rasch aufsteigender Hitze, von heftigem Klopfen im Kopfe, am Hals und Rücken wird häufig geklagt; Hände und Füße sind
meist kalt und an den Innenflächen mit Schweiß bedeckt. Der Appetit ist meist gering wegen mangelnder Arbeitsfähigkeit,
der Stuhlgang angehalten, die Urinentleerung bisweilen gehemmt. Die nervöse Schwäche des Herzens (Herzschwäche, Neurasthenia
cordis, Neurasthenia vasomotoria, Irritable Heart) giebt sich darin kund, daß die Kranken schon nach der geringsten Gemütsbewegung
oder Anstrengung oder auch ohne äußern Anlaß, häufig aus dem Schlaf heraus, von Beklemmungen in der
Herzgegend und heftigem Herzklopfen befallen werden, die sich nicht selten zu einer wahren Todesangst mit Angstschweiß, Erstickungsgefühl
und Versagen der Stimme steigern.
Der Verlauf der Nervenschwäche ist ein chronischer; nur die leichtern Fälle können rascher ablaufen,
doch pflegen meist die intelligenten Kranken die leichten Erscheinungen so lange durch ihre Willenskraft vor dem Arzt und der
Familie zu verbergen, bis die schwerern Erscheinungen ausgelöst sind und ein völliges Zusammenbrechen erfolgt. Schwankungen
sind in dem Verlaufe der Nervenschwäche außerordentlich häufig und für dieselbe geradezu charakteristisch. Der
Ausgang der Krankheit ist zweifelhaft, doch pflegt in den meisten Fällen, welche sich unter der Hand
[* 20] eines
mit den Nervenkrankheiten Vertrauten, Vertrauen einflößenden Arztes befinden, eine erhebliche Besserung und vollständige
Heilung erreicht zu werden.
Die vornehmste Aufgabe der Behandlung der Nervenschwäche ruht zweifellos in ihrer Verhütung. Dies kann dadurch geschehen, daß
man der Jugend ein Plus von Kraft
[* 21] und Leistungsfähigkeit durch zweckmäßige Erziehung, Abhärtung und
Kräftigung verschafft, so daß sie auch außergewöhnlichen Anforderungen in bestimmten Lebensabschnitten genügen kann.
Die eigentliche Behandlung der Nervenschwäche ist mühevoll, aber auch dankbar. Von hervorragender Bedeutung für
die Kur ist der psychische Einfluß des Arztes; ist das Vertrauen des Kranken einmal gewonnen, so fällt
es meist nicht schwer, bei der richtigen Auswahl der Mittel (Elektricität, Wasserbehandlung, Massage, Gymnastik verbunden
mit stärkender medikamentöser Behandlung und kräftigender Diät) die
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