(Monstrositates) nennt man in der Anatomie des Menschen und der Tiere diejenigen Abweichungen von der normalen
Bildung des Organismus, welche eine Entstellung oder eine abnorme Lage oder eine Behinderung der Funktion der Organe bedingen
und sich in ihrer Entstehung auf eine Störung der ersten Bildung zurückführen lassen (Bildungsfehler, Vitium primae
formationis). Mißbildungen mit schwerer Entstellung der äußern Form werden als Monstra oder Monstrositäten bezeichnet,
während man bei geringern Graden nur von Anomalien oder Naturspielen (lusus naturae) zu sprechen pflegt. Mißbildungen sind um so häufiger
und mannigfaltiger, je komplizierter der Entwicklungsvorgang ist; während bei den niedrigsten organischen Wesen Mißbildungen nur
selten vorkommen, werden dieselben bei den höhern Tieren, besonders den Haustieren und beim Menschen öfters
beobachtet.
Sämtliche Mißbildungen zerfallen in einfache Mißbildungen und in Doppelmißbildungen, je nachdem es sich
dabei um ein Individuum handelt oder um zwei mehr oder weniger vollständige Individuen, welche miteinander in Verbindung
getreten sind. Von der einfachen Mißbildung unterscheidet man Mißgeburten mit überzähligen oder
stark
ausgebildeten Gebilden, z. B. Hände mit sechs Fingern u. dgl. (monstrositates per excessum), solche, an denen einzelne Teile,
z. B. Gehirn, Gliedmaßen, Eingeweide, fehlen (monstrositates per defectum), und endlich solche mit falscher Lagerung der Organe,
z. B. das Herz auf der rechten Seite, die Leber links (monstrositates per situm traversum).
Die Fälle, wo zwei Früchte in der Weise verwachsen sind, daß z. B. nur ein Leib, aber zwei Köpfe, ein Kopf und mehr oder
minder vollständig zwei Leiber vorhanden sind, bezeichnet man als Doppelmißbildungen (monstra duplicia). Dieselben entstehen
entweder durch Spaltung eines ursprünglich einfachen Keims oder durch Verwachsung einer ursprünglich
doppelten Keimanlage; in sehr seltenen Fällen kommt es wohl auch zu Drillingsmißbildungen (monstra triplicia).
Das bekannteste Beispiel einer derartigen Doppelmißbildung sind die sog. siamesischen Zwillinge (s. d.), die Böhmischen Schwestern
u. a.; in andern Fällen derart kommt es zu einer Verschmelzung der Köpfe (Janusbildungen), oder der Brustkasten (Thorakopagen),
oder des Unterleibes (Gastropagen) u. dgl. Am häufigsten findet sich die mangelhaft ausgebildete Frucht, und gerade diese ist
es, von deren Bildung man sich am ehesten Rechenschaft geben kann. Man hat in vielen Mißbildungen nur halbfertige, auf einer
frühen Stufe der Entwicklung stehen gebliebene Früchte erkannt. So weiß man z. B., daß sich das Gesicht
aus mehrern, von beiden Seiten der Wirbelsäule einander entgegenwachsenden Bogen bildet, die schließlich miteinander verschmelzen;
geschieht dies nicht, so bleibt die Lippe, selbst der Rachen der Länge nach gespalten und stellt so die Hasenscharte und
den Wolfsrachen dar. In andern Fällen führen eigentümliche Lagerungsverhältnisse der Frucht in der
Gebärmutter Verstümmelungen herbei. So kann die Umschlingung eines Beins oder Arms mit der Nabelschnur oder gewissen Teilen
der Eihäute eine Verkümmerung, selbst eine völlige Amputation des Gliedes herbeiführen. Diese Art der Mißbildung pflegt
man nach ihrer Entstehung als Hemmungsbildungen zu bezeichnen.
In früherer Zeit schrieb man die Entstehung solcher und anderer Mißgeburten gern dem sog. Versehen der
Schwangern zu. Es ist nicht völlig in Abrede zu stellen, daß Gemütserregungen (Schreck, Sorgen) der Mutter Einfluß auf
den Entwicklungsgang der Frucht haben können. Weit sicherer können aber krankhafte Veränderungen der Zeugungsstoffe, allgemeine
oder örtliche Krankheiten der Mutter, äußere mechan. Einwirkungen (Stoß, Schlag, Fall auf den Unterleib),
ferner Entartungen der Eihäute und gewisse, namentlich entzündliche Krankheiten des Embryo selbst als erste Ursache einer abnormen
Entwicklung der Frucht bezeichnet werden. In manchen Fällen spielt auch die Erblichkeit bei der Entwicklung von eine große
Rolle; so treten gewisse überzählige Bildungen (überzählige Brustwarzen, Finger und Zehen), aber auch
schwerere Deformitäten (Hasenscharten, selbst Hypospadie) mitunter in einer ganzen Reihe von Generationen auf (s. Erbliche Krankheiten).
Von hohem Interesse sind die Mißbildungen, welche man künstlich an Hühner- und Froschembryonen hervorrufen kann; so erzeugte Geoffroy
Saint-Hilaire Mißbildungen durch starkes Schütteln, Anstechen oder teilweises Firnissen bebrüteter Hühnereier,
Dareste durch vertikale Stellung der Eier, Überziehen der Schale mit
mehr
impermeablen Stoffen, abnorm hohe oder niedere Temperatur u. dgl. Die Lehre von den Mißbildungen wird als Teratologie bezeichnet.
Litteratur. Panum, Untersuchungen über die Entstehung von Mißbildungen, zunächst in den Eiern der Vögel (Berl. 1860);
Förster, Die
Mißbildungen des Menschen (nebst Atlas, Jena 1861);
Gurlt, Über tierische Mißgeburten (mit 20 Tafeln, Berl. 1877);
Dareste,
Recherches sur la production artificielle des monstrosités (Par. 1877);
Gerlach, Die Entstehungsweise der Doppelmißbildungen
bei den höhern Wirbeltieren (Stuttg. 1882);
Ahlfeld, Die Mißbildungen des Menschen (2 Abschn. mit Atlas, Lpz. 1880-82).
In der Botanik heißen Mißbildungen oder Monstrositäten, auch Bildungsabweichungen, alle abnormen Veränderungen in der Form einzelner
Pflanzenteile. Dieselben können entweder durch pflanzliche oder tierische Parasiten hervorgerufen werden, oder durch andere
Einflüsse, wie allzu reichliche oder mangelhafte Ernährung u. dgl., oder auch ohne äußere Einwirkung entstehen. Im erstern
Falle tritt entweder eine Vertrocknung, Verschrumpfung oder eine völlige Zerstörung der befallenen Pflanzenteile ein, oder
es bilden sich Anschwellungen, Hypertrophien u. dgl., die man allgemein unter dem Namen Gallen oder Cecidien
zusammenfaßt. (Näheres s. Gallen und Pflanzenkrankheiten.) Diejenigen Veränderungen, die in der Natur der Pflanze begründet
liegen, sind äußerst mannigfaltiger Art. Die Betrachtung derselben bildet einen besondern Teil der Lehre von den Pflanzenkrankheiten
oder der Pflanzenpathologie und wird gewöhnlich als Teratologie bezeichnet.
Hierher gehören unter anderm die Erscheinungen des Riesenwuchses, Zwergwuchses oder Nanismus, der Verbänderung oder Fasciation
(s. d.), ferner die verschiedenen Veränderungen der Blüten, wie die sog. Pelorienbildung, die Vergrünung oder Chloranthie,
die abnorme Vermehrung oder Verminderung einzelner Blütenteile, wie sie z. B. bei der Füllung der
Blüten auftritt. Auch die vermehrte Knospen- oder Sproßbildung, die sog. Polykladie, ist hierher zu rechnen.